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101. Jahrgang Nr. 285 Sonnabend, am 7. Dezember 1935 s — s SvkSvksals 'E" Ein Seiner König in Asrila irgend- ! dazu mil Auto befahrbare Srraße nach einem menschenbewohnten Flecken der übrigen nächsten Strecke bei ge- Erde führte. Aber auch die Spieler bestütigien es. Ich erfuhr, daß just am Morgen ein Aulo, das die sporadisch, nach Bedarf und Zeichnung: E. Drewitz — M Erst nachdem seine Wißbegier ein wenig gestillt war. begann er. über sich selbst zu sprechen Der Kaid weidete sich sichtlich an meiner Ueberraschung, die mir zunächst die Sprache raubte. Als ich sie endlich wiedersand, stammelte ich die nicht ge rade geistreiche Frage: „Wohnen Sie hier?" Der Kaid lächelte und zog mich vorilos zum Ausgang, dann mit einer stolzen Geste auf die Siedlung weisend, sprach er die für einen Berberhäupt ling wohl einmaligen Worte: „Ich bin der Ehes vom Janzen!" Das blieb übrigens die einzige schnoddrige Antwort, die ich aus dem Munde des Kaids vernahm. Dieser Mann hatte etwas, ich kann es nicht anders ausdrücken: Majestätisches an sich. Er war der geborene Befehlshaber, der jedermann unwillkürlich Respekt einslößte. Er war Deutscher. Wenn auch nicht Berliner, wie ich zu nächst angenommen hatte. Wir saßen auf dem breiten Ruhebett und tranken den in Marokko so be liebten Minzetee und rauchten Zigaret ten. Obschon ich danach brannte, zu er fahren, welchem nicht alltäglichen Schicksal der riesenhafte Deutsche seine ausgefallene Karriere verdankte, zü gelte ich meine Neugier. Auch kam ich zunächst gar nicht dazu zu fragen, denn mein Gastgeber war es. der mich mit Fragen förmlich überschüttete, die alle seine alte Heimat betrafen. Erst nachdem seine Wißbegier ein wenig gestillt war, begann er, über sich selbst zu sprechen. Ich erfuhr, daß er aus dem Rhein- lünd stammte — er nannte mir auch seinen Namen, der, genau entsinne ich nüqender Beteiligung befuhr, nach dem östlichen Französisch-Marokko abfahren sollte. Eine halbe Stunde später stand ich dem Besitzt des Wagens gegenüber, und aufatmend erfuhr ich, daß ein Plaß im Aulo noch frei war. Das ent sprach, wie ich mich am nächsten Mor gen überzeugen sollte, nicht ganz der Wahrheit, aber der geschäftstüchtige Maure dachte anscheinend, wie es ein arabisches Sprichwort so schön sagt: Viele gute Leute haben in einem kleinen Raum Platz. Er kassierte vorsorglich den Fahrpreis von sechzig Peseten sofort und legte mir nahe, meinen Paß auf der Militärkom mandantur visieren zu lassen. Ich begab mich also schnurstracks zu dem unschein baren Kommandanturgebäude, wo ich zu meinem Leidwesen erfahren mußte, daß die Amtsstunden bereits vorüber waren. Ein gefälliger Unteroffizier ver riet mir die Privatadresse des für den Sichtvermerk zuständigen Majors. .Ohne mir viel Gedanken über das Schickliche oder Unschickliche meines Vorhabens zu machen, eilte ich in dn mich heute nicht mehr, Schmitz, Schmidt oder Schmied lautete — und sich schon seit Jahren unter den Rifioten aufhielt. Seine Leute gehörten dem Stamme der Beni Uriaghel an, und sie nannten ihn, ihren Kaid, Abd el Adil, den Gerechten. ließ mich anstandslos passieren. Eine Weile tat ich, als sehe Ich den Arbeitenden zu. Im geeigneten Augenblick schlug ich mich seitswärts ins Gebüsch. Ich wußte, der Fluß Muluja — die Grenze von Spa nisch-Marokko — befand sich nicht mehr weit. Meine Absicht war, das französische Gebiet zu Fuß zu gewinnen. Mein Vorhaben wurde durch die Tatsache erleichtert, daß ich aicher einem kleinen Rucksack kein Gepäck bei mir hatte: meine Sa chen hatte ich in Melilla zurückgelassen, und sie sollten mir mit dem Dampfer folgen. Die Sonne hatte den Zenith bereits überschritten: ich konnte die einzu schlagende Richtung nicht verfehlen. Trotz der entsetzlichen Hitze schritt ich rüstig aus. Die „Straße" hatte sich längst in sandige Pfade verloren, in denen mein Fuß oft weit über die Knöchel versank. Ich war schon zwei Stunden unterwegs und sehr ermattet, als plötzlich ein Schuß krachte. Gleich danach hörte ich ein rauhes: „Urbut! Halt!" Im nächsten Augenblick standen drei bewaffnete Ge stalten vor mir. Ihre Kleidung und ihre Gewehre ließen keinen Zweifel zu, daß sie Rifkabylen, richtiger Rifioten wa ren. Ihr Anführer konnte ein wenig Spanisch. Doch wurde eine Verständigung erst möglich, als ich mein bißchen Arabisch zu Hilfe zog. Ich zweifelte keinen Augenblick an Ich vermutete in dem Rheinländer einen ehemaligen französischen oder spanischen Fremdenlegionär, doch war dies nicht der Fall. Schmitz war nach dem Kriege, den er als deutscher Frontsoldat mitgekämpft hatte, nach Spanien gewandert. Von dort geriet er nach Tanger. Bei einer Schlägerei in einer Spielhölle festgenommen und als Deut scher, dem das Betreten der Internationalen Zone laut dem Versailler Diktat verboten war. erkannt, wurde er von den Franzosen eingekerkert. Nach einer zweimonatigen Hafk gelang es ihm, aus dem Gefängnis zu fliehen. Er versucht«, das zu Spanien gehörende Tetuan zu Fuß zu erreichen. Doch unterwegs wurde er von Abd el Krims Leuten aufgegriffen. Sie wollten zunächst kurzen Prozeß mit ihm machen, und nur einem Zufall verdankte er es, daß er am Leben blieb. Man brachte ihn in das Hauptquartier von Abd el Krim, der, als er erfuhr, daß der Gefangene ein ehe maliger deutscher Unteroffizier war, ihm den Vorschlag machte, als Instrukteur in seine Dienste zu treten. Der. Rheinländer schlug ein. Nach dem Siege bei Anual, wo Abd el Krim 20 00V Spanier schlug, wurde Schmitz zum Hauptmann ernannt. Als fünf Jahre später Abd el Krim der erdrückenden Ueber- macht der verbündeten Franzosen und Spanier weichen mußte und sich ergab, folgte der inzwischen zum Islain über- getretene Abd el Adil seinen Leuten in deren nähere Heimat. Mit deiy Organisationstalent des Deutschen gelang es ihm, in kurzer Zeit aus einem verwahrlosten Duar eine für die hiesigen Verhältnisse mustergültige Siedlung zu schaffen, die sich bereits eines gewissen Wohlstandes erfreute und über die Abd el Adil mit der unumschränkten Macht eines König» herrschte. (Fortsetzung folgt.) I Der Verfasser dieses Erlebnis-Berichtes ist während seiner Reisen, die ihn quer über den. Erdball führten, zahlreichen Ausländsdeutschen begegnet: Kaufleuten und Künstlern, Hand werkern und Gelehrten, Vertretern säst aller Berufsschichten. Hier erzählt er von fünf Begegnungen — je einer in jedem Erdteil —, die ihn mit deutschen Männern .'usammenbrachten, Keren Schicksal in ganz besonderem Maße abenteuerlich war. Stil Dampfer verschlafe« Der Vermittler des Abenteuers hieß: Zufall. Ich be fand mich in Melilla in Spanisch-Marokko und hatte den Dainpfer nach Europa verschlafen. Die Aussicht, noch volle sieben Tage bis zur Abfahrt des nächsten Schiffes in dem wenig reizvollen, glühendheißen nordafrikanischen Küsten städtchen zu verbringen, war nicht gerade begeisternd. Lklstlos verzehrte ich das Mittagessen und trat auf di« Straße, in deren heißem Sand man hätte Eier braten kön nen. Im Cast hielten sich vier Dominospieler und vier Millionen Fliegen auf. Ich setzte mich zu den Spielern, die ich kannte, und klagte ihnen mein Leid. „Fahren Sie doch mit Auto nach Französisch-Marokko! Von Udjchda können Sie dann mit der Bahn nach Oran, wo Sie jederzeit einen Dampfer nach Frankreich besteigen können . . meinte einer der Dominojpieler. Ich dachte zunächst, er icherzte, klang es doch zumindest überraschend, daß von Melilla eine noch -er räuberischen Absicht der Männer und war entschlossen, zum bösen Spiel ein gutes Gesicht zu machen. Schließlich trug ich ja keine Kostbarkeiten bei mir. Kaum aber hatten die Rifioten meine Nationalität ver nommen, schwand ihre feindselige Haltursg. Zunächst begann ein lautes und leidenschaftliches Palaver; leider sprachen sie viel zu schnell, und so konnte ich nur das in der Rede der Männer öfter wiederkehrende „Almani" (Deutscher) ver stehen. Das Ergebnis der kleinen Beratung, die die drei unter sich abgehalten hatten, war, daß män mich beinahe höflich aufforderte zu folgen. Widerstand zu leisten, wäre Aberwitz gewesen. Die Berber nahmen mich in ihre Mitte, und der Weg nach dem mir unbekannten Ziel begann. Wie ich feststellen konnte, bewegten wir uns dauernd in südlicher Richtung. Die Landschaft wechselte allmählich. Zwergpalmen, Tamarinden und Feigenbäume tauchten auf. Die Sonne neigte sich schon dem Horizont zu, als ich mit Korn und Obst bebaute Flächen erblickte; sie verrieten mir, daß wir uns bewohnten Gegenden nahten. Als wir dann eine Anhöhe erstiegen hatten, sah ich zu meinen Füßen eine Siedlung aus Steinhäusern, richtiger Hütten. Ein Duar im MlvsMrsc Der Duar wurde von einem breiten Karrusgeyege um säumt, in dem tiefrote Blütenknospen wie blutende Wunden leuchteten. Bald hatten wir den nicht allzu breiten Eingang erreicht, zu dessen Seite, aus Latten und Stacheldraht kunst gerecht hergestellt, ein — „Spanischer Reiter -stand. Mein Einzug erregte nicht geringes Aufsehen, und in das wütende Gekläff der struppigen Dorfköter mischten sich die rauhen Kehllaute der auftauchenden Bewohner, die meine Begleiter um Auskunft bedrängten. Was mir sofort ins Auge stach, war die für ein« Berbersiedlung auffallende Sauberkeit, die hier überall herrschte. Wir hielten vor einem Haus, das durch seine Größe' und sein beinahe schmuckes Aussehen von den übrigen ab stach und leicht erraten ließ, daß es dem Häuptling des Orte» gehörte. Einer von meinen Begleitern verschwand im In neren des Hauses. Es waren noch keine zwei Minuten ver strichen, da kam ein baumlanger Mann heraus. Es war Nicht zu oerkeNiten, daß dieser beinahe zwei Meter- messende, Berber in tadellos sauberer Gandoura und Haik das Haupt! der Dschemaa (Gemeinde) war. Bei seinem Erscheinen ver stummten selbst die lärmenden Kinder in der Menge, dies uns bis zum Haus ihres Kaids das Geleit gab. Zu meiner großen Verblüffung sprach mich der Rislo-j tenhäuptling in deutscher Sprache an. In einem ta-> dellosen, akzentfreien Deutsch, wie es ein Berber oder! Araber niemals hätte zu sprechen vermocht. Noch ganz de-i stürzt, leistete ich der Aufforderung des Kaids, näher zu., treten, Folge. Wir betraten einen kleinen kahlen Vorraum und dann, ein geräumiges Gemach, dessen Einrichtung, wenn nicht ge rade an Tausendundeine Nacht, doch stark an den Wohn raum eines Araberhäuptlings, wie ich ihn in nicht ganz stilreinen amerikanischen Filmen gesehen hatte, gemahnte. Den Fußboden bedeckten wirklich schöne Teppiche, in einer! Ecke stand ein breites Ruhebett mit einer Anzahl bunter Kissen, davor befand sich auf einem niedrigen Taburett eirw wundervolle Wasserpfeife. Auf einem zweiten Tischchen in: der Mitte des Raumes stand ein Glasbassin mit — wohl eine Seltenheit in einer Berbersiedlung — leuchtenden Gold fischen. An den weißgetünchten Wänden des Gemaches hin gen alte Waffen — und ein deutscher Wandkalender. Serr Schmitz aus dem Rheinland Wohnung des Offiziers. Doch auch Rücksichtslosigkeit führt nicht immer zum Ziele. Die Senora, obschon allem Anschein nach aus ihrem Nach mittagsschläfchen . geweckt,außer-, ordentlich liebenswürdig ihr Gatte, der Mcüok^rWWg und wurde auch nicht zurückerwartet öor Eintritt der Dunkelheit. Dessenungeachtet bestieg ich am nächsten Morgen das abfahrtbereite Auto. Es war ein alter, ziemlich großer Wa ¬ gen deutscher Herkunft, und in ihm saß bereits ein halbes Dutzend Männer, zu denen sich bald noch drei Soldaten ge sellten. Denn obschon Abd el Krim die Waffen gestreckt hatte. die heimliche Guerilla ging im Er Rif lustig weiter. Kurz vor Abfahrt erschienen zwei beleibte marokkanische Händler, die ebenfalls mitwollten. Da im Wagen beim be sten Willen für sie kein Platz mehr war, traten sie die Reise auf den Trittbrettern an. Während der langen und be schwerlichen Fahrt hingen sie wie reise Früchte an den Flanken des vollgepferchten Autos. Ei« Fsrt i« der EiMe Wir passierten in schnellem Tempo die Orte Nador und Seluan. Die Landschaft wurde immer öder und der Weg schlechter, doch der alte deutsche Wagen bezwang ihn tapfer. Gegen Mittag tauchte eines der typischen Forts der ein stigen spanischen „Presidios" — Verbannungsorte für Ver brecher — aus, und meine Reise nahm hier ein jähes Ende. Wider Erwarten sand ein« strenge Kontrolle statt. Da in meinem Paß der Sichtvermerk der Militärbehörde in Me- lilla fehlte, durfte ich nicht weiter. Betrübt sah ich das Auto nach einer kurzen Rast seinen Weg fortsetzen. Auf der Rückfahrt sollte es mich wieder nach Melilla bringen. Die Besatzung des kleinen Forts kümmerte sich nicht weiter um mich: eine „Flucht" in dieser Einöde war ja so gut wie ausgeschlossen. Uebermut und Hie Abneigung, nach : Melilla zurückzukehren, ÄerlEemi' WO einem leicht sinnigen Schritt, der leichtz-hAte verhängnisvoll werden können. - Das Tor, durch das der Wagen die kleine Befestigung verlassen hatte, stand noch weit offen.. Tine kleine Rotte Soldaten — es waren spanische Fremdenlegionäre — ar- Heitet« an her Ausbesserung -er .Außenmauer. Der Posten