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(24. Fortsetzung.) Es geschah Der Oberingcnicur, ein untersetzter Herr mit lebhaften Bewegungen und klugen, dunklen Auge», begrüßte Lutz freundlich. Während sie dann »ach der Maschinenfabrik hinübergingen, schilderte Lutz auch ihm noch eininal kurz seinen Lebenslauf. „Na, es wird sich schon machen", sprach Rasmus ihm freundlich zu. „Wir werden schon gut miteinander aus kommen. Es ist übrigens von großem Vorteil, daß Sie aus der Landwirtschaft stammen, da werden Sie uns vielleicht »rauchen wertvolle» Wi»k gebe» können." Lautes Hämmern und Stampfe» empfirig sie, als sie die große Montagehalle beträte». Lutz fühlte sich sofort heimisch. Mit Verständnis rind lebhaftem Interesse beob achtete er die einzelnen Arbeitsvorgänge. I» der Aus- stellungs- »iid Verkaufshallc überkam ihn ein seltsames Gefühl. In langer Reihe standen dort die fertigen Land- wirtschaftsmaschincn. Es war ein altvertrauter Anblick, wenn sich auch manche neue Konstruktion darunter befand. Unwillkürlich drängte sich Lutz die schmerzliche Erinnerung an die verlorene Heimat wieder auf. Er wehrte sic mit Gewalt von sich ab, aber es war doch ein still versonnener, fast zärtlicher Blick, mit dem er die glänzende» Maschinen betrachtete. In tiefen Gedanken begab er sich dann wieder nach Hause. Wie hatte man all die Jahre hindurch, von frühester Jugend an, ringen und kämpfen müssen, um sich überhaupt «ur über Wasser zu halten! Ohne Glück, ohne wirklichen Erfolg. Und nun...? Wie leicht ging doch alles, wenn eine einflußreiche Hand die Wege ebnete! Aber Bitterkeit darüber war nicht am Platze. Ma» durfte sich getrost der glückliche» Wendung des Schicksals und einer besseren, helleren Znkunft freuen. Lutz war fest entschlossen, die in ihn gesetzten Erwartungen nicht zu enttäuschen und dem Wert alle seine Kräfte zu widmen. Sibylle hatte ihn vom Wohnzimmer aus zurückkommen sehen. Als er durch die Gittertür trat, stand sic wie zu fällig auf dcn Stufen, die zum Hauscingaug hinauf führten. „Na, ist man nun zufrieden?" lächelte sie. Ihr Gesicht schien von ruhiger Freundlichkeit, aber ihre Augen straften die scheinbare Ruhe Lüge». In Lutz stürmte und brannte cs. „Ich habe Ihnen noch nicht danken können, gnädiges Fräulein...." Sie unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Das sollen Sie auch nicht. Erinnern Sie sich mal daran, wie Sie mir seinerzeit auf der Landstraße halfen, dcn Wagen in Gang zu bringe». Wie sagten Sic, als ich Ihnen dafür danken wollte: ,Es war doch nicht der Rede wert, war ja auch eine Selbstverständlichkeit/ Sic schc», ich habe mir die Worte gut gemerkt. Und ich möchte Ihnen heute dasselbe sagen." „O nein, gnädiges Fräulein", wandte er lebhaft ein, „das ist denn doch etwas anderes. Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet..." Sibylle schwieg einen Moment. In ihren Augen glomm langsam ein rätselhaftes Licht auf, wie Lutz es in der ersten Zeit öfter an ihr bemerkt hatte. „Danken Sie mir nicht!" sagte sie mit seltsam harter und schwingender Stimme. „Vielleicht ist es nur krasser Egoismus von mir, wenn ich Sie in einer anderen Stellung zu sehen wünsche." Ihr schillernder, unergründlicher Blick hielt ihn einen Moment fest. Lutz war es, als ob etwas Eisiges und doch gleichzeitig Glühendes über ihn hinkrieche und sich förm lich in ihn einbohrte. Ehe er zur Besinunug kam, hatte Sibylle sich abgewaudt und war in das Haus znrück- getreten. Einen Augenblick noch starrte er auf die leere Stufe, auf der sie gestanden hatte. Aufatmend fuhr er sich dann mit der Hand über die Stirn und ging nach dem Garten haus hinüber. Das Leben ist ein Spiel!, ging es ihm durch den Sinn. War man der Spieler, der den Würfel warf? War man der Würfel, den das Schicksal rollen ließ? Die wenigen Tage bis ?mn ersten September vergingen wie ini Fluge. Dann hieß es Abschied nehmen von der Villa und dem stillen, kleinen, aber behaglichen Zimmer im Gartenhause. Lutz war es nun doch eigen zumute. Jeden Tag hatte er Sibylle hier gesehen, ihre Stimme gehört, hatte ihre berauschende Nähe gespürt. Jedes Zimmer in der Villa, jedes Möbelstück hatte einen leisen Hauch von ihrem Wesen getragen. Das war nun alles vorbei. Es würde ihm manchmal fehlen. Aber die Zukunft forderte ihre Rechte. Und wenn man einmal eine einsame Stunde Hatto, konnte man sich ja in das Vergangene zurückträumen. Der Abend des letzten Augusttagcs war gekommen. Die Sachen waren gepackt. Lutz ging in die Villa hin- ' über, uni sich zu verabjchiedeu. Eickstedt und Sibylle saßen in der Diele. Eickstedt erhob sich bei sein^Ai Eintritt. „Also, nun wollen Sie ausreißc», Herr Tornow... Es tut mir in gewissem Sinne leid; aber ich freue mich doch für Sie, daß es nun aufwärts geht, und wünsche Ihnen den besten Erfolg und alles Gute." „Ergebensten Dank nochmals, Herr Eickstedt!" ver- veugte sich Lutz. „Ich werde mich nach Kräften bemühen, Ihr Vertrauen in jeder Beziehung zu rechtfertigen." „Davon bin ich überzeugt." - Eickstedt drückte ihm fest und wohlwollend die Handl Dann wandte Lutz sich an Sibylle. Sie hatte ihn, während die beiden miteinander sprachen, mit einem langen Blick aus halb geschlossenen Augenlidern betrachtiW Jetzt richtete sic sich mit langsamen, fast schlängelnden Bel wegungen halb auf. Ihr Blick fiel mit einem nnerklär- lichen Ausdruck in den seinen. Lutz war es, als sähe er in eine dunkle, geheimnisvolle, unenträtselbarc Tiefe hinein! Eine Tiefe, vor der ihn eine innere Stimme warnte, die ihn aber doch mit unwiderstehlicher Gewalt an sich zog —< zum Versinken in Glück oder Verderben... Da verschwand der seltsame Ausdruck in Sibylles Augen plötzlich wieder. Ei»Heeres, konventionelles Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Sie reichte Lutz knapp die Fingerspitzen. „Auch ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft!" sagte sie kühl. „Aber Sie gehen ja nicht außer der Welt. Ich darf doch damit rechnen, daß wir auch in Znkunft zusammen musizieren? Es wäre mir lieb, wenn wir einen bestimmten Tag dafür ansetzcn könnten. Am Donnerstag jeder Woche — könnten Sic sich da für mich frei halten?" Wieder fühlte Lutz etwas Erkältendes über sich hin gehen. Tann schlug plötzlich eine dumpfe Welle in ihm auf, ein geheimer, aber heftiger Widerstand. Betrachtete Sibylle Eickstedt es als eine Selbstverständlichkeit, daß sie nach Belieben über ihn verfügen konnte? Hatte sie sich nur aus diesem Grunde dafür eingesetzt, daß er in andere Verhältnisse kam? Und — glaubte sie mit ihm spielen zu können wie die Katze mit der Maus? Das unfaßbar Widerspruchsvolle in ihrem Wesen und Verhalten ließ kaum einen anderen Schluß zu. War das der „krasse Egoismus", von dem sie neulich mit grausamer und, wie es ihm heute schien, geradezu zynischer Offenheit ge sprochen hatte? Blitzschnell ging ihm das alles durch den Kopf. Es drängte ihn, zu sagen: „Ich verzichte auf diese Art von Großmut, ich verzichte auf die Stellung und auf die ganze Zukunft!" Aber es wäre Eickstedt gegenüber undankbar gewesen. Er beherrschte sich also und verbeugte sich knapp. „Ich stehe jederzeit zu Ihrer Verfügung, gnädiges Fräulein!" Sie nickte gleichmütig. „Dann also auf Wiedersehen am Donnerstag!" Noch eine höfliche Verbeugung vor Eickstedt, dann ging Lutz. Er sah nicht, daß Sibylle die Hände unter dem rechten Knie zusammenschlang und ihm mit weiten, un ergründlichen Augen nachstarrte. Er hatte das Gefühl, als ob um ihn her alles schwankte. (Fortsetzung folgttz