Volltext Seite (XML)
' irkeberrecbtsscbutr: ^ukvärts-Verlag 6. m. b. tt. ksrlin M Nachdruck verboten. Er se«l« «-'ne Hornbrille auf und begann zu lesen: „Hochverehrter Herr Heldberg! Ihr Brief hat mich natürlich sehr überrascht, aver ehe ich weiter darauf eingehe, möchte ich vor allem be tonen, es war mir eine besondere Freude, gerade von Ihnen, dessen Namen wohl die meisten Deutschen und auch viele Ausländer kennen, einen so liebenswürdigen Brief zu erhallen. Ich bewundere Ihre Dankbarkeit, die sich noch an den Sohn JhreS.Lebensretters wendet, und erinnere mich recht gut daran, daß mein Vater mehrmals davon erzählt hat, wie er einen jungen Landsmann in Scheveningen aus dem Meer gezogen. Vater starb vor drei Jahren ruhig und still, er brauchte nicht zu leiden. Was mich anbetrifft, habe ich eine gute Stellung, und das ist viel in der heutigen Zeit. Ich bin Junggeselle und nehme Ihre freundliche Ein ladung gern an. Wenn ich also später einmal Zeit dazu haben sollte, werde ich Sie gern in Berlin besuchen, va ich schon längst den Wunsch habe, die Reichshauptstadt kennenzulernen. Letzthin hatte ich Ferien, die verbrachte ich in Frank furt am Main bei einem Freunde — das nächste Mal kommt Berlin an die Reihe, und dann werde ich Sie bitten, mir den Traum zu erzählen, in den mein Pater mit hineinspielt, und der besonders den Anstob zu Ihrem Brief an mich gegeben. Sobald ich wieder Ferien habe, werde ich mir erlauben, Ihnen das vorher mit zuteilen und anzufragen, ob Sie Zeit und Platz für mich haben. Ihre herzlichen Grüße erwidere ich ebenso und bitte Sie, mich Ihrer Frau Gemahlin bestens zu empfehlen." Alfred Heldberg blickte nachdenklich auf den ziemlich eng beschriebenen Briefbogen nieder, den er lässig in den^ Schoß hatte sinken lassen. Der Ton des Schreibens gefiel ihm, und dennoch war er etwas enttäuscht. Ihm wäre es fast lieber gewesen, der Sohn seines Lebensretters hätte gleich irgendeine Bitte ausgesprochen, denn ob er ihn jemals hier besuchen würde, schien ihm doch unsicher. Das mit den nächsten Ferien konnte eine höfliche Phrase sein, ein Versprechen, das niemals gehalten würde. Schade!, dachte er, sehr schade! Und er schüttelte den Kops über sich selbst. Er hatte sich letzthin etwas zu sehr in die Dantbarleitsidee verrannt. Er legte den Bries in eine versteckte Ecke seines Schreib tisches. Er wollte die Antwort Ralf Vurggrafs ebenso wie seinen eigenen Bries an ihn sowohl Maria als auch Bern« Sickhardt verschweigen — cs war besser. ' Beide hatten ihm ja seine fixe Idee auszuredcn ver sucht ... Die Tage vergingen, und die letzten Vorbereitungen für die Hochzeit nahmen die meiste Zeit der drei Menschen in Anspruch. Berna Sickhardt war oft mit Maria unter wegs, um Anschaffungen für Maria zu machen. Nur die geschmackvollste, teuerste Leibwäsche, die schönsten Kleider durften gekauft werden, so wünschte es Alfred Heldberg, und er überschüttete Maria mit Schmuck und allerlei Luxusgegenständen, wie sie für elegante Frauen hergestellt werden. Teure Nichtigkeiten! Maria machte sich nichts daraus, aber sie erkannte die Liebe des Mannes in der Verschwendung, die er jetzt ihret wegen trieb, und sreute sich darüber. Alfred Heldberg liebte sie über alles — das war wie laure Musik, durch die der Schrei ihres Herzens nach einem anderen Mann über tönt wurde. Das war wie schwerer Mein, den man trank, um quälendes Denken zu verscheuchen! Zwischen Berna Sickhardt und Maria fiel kein Wort mehr von Ralf Burggraf. Die Frau fand: Solche Dinge durfte man nicht mehr berühren, wenn es nicht dringend notwendig war. Die standesamtliche Trauung mußte natürlich auf dem zuständigen Vorortsstandesamt stattfinden, aber die kirch liche Trauung sollte im Hause sein. Frau Berna wählte ein saalartiges Zimmer dafür und ließ es wunderschön mit Teppichen und viel Grün ausschmücken. Unzählige Blumen sollten es schmücken, und am Hellen Tage würden Kerzen in hohen Silberleuchtern die Feier noch festlicher gestalten. Maria war immer in Anspruch genommen, und es war ihr recht so, denn sie mochte nicht nachdenken; sie fürchtete sich davor. Richt daran denken wollte sie, daß sie ein anderer ge küßt — einer, der nun wohl schlecht von ihr dachte, sehr schlecht, und doch noch lange nicht schlecht genug. Denn als sie sich von ihm küssen ließ, war sie ja schon Alfred HeldbergS Braut gewesen. Aber sie mußte immer wieder an all daS denken, wovor sie sich fürchtete, und sie dachte auch daran, wenn Alfred ihre Hände küßte und ihr immer wieder versicherte, wie närrisch glücklich er wäre. Nur wenige Freund Heldbergs und eine Freundin Marias waren zur Hochzeit ein- Deladen. Eines Abends aber geschah es, daß Marla in ihrem Kimmel Weinend rulammenbrach. Dit Erinneruna hatte sie einfach nichts und nun konnte kaum,"da"ß Schluchze^ '^mmer neben ihr, und nahm die Weinende sanft in sie und du dem" nU'e^ l°? Kannst d„. AnL." -°»- «q „Ich sehe das ja ein, Tante Bern»« «k.»» das Erinnern überstark und Ktimm- -,i mir Er war es, als ob eine „ Mi, l N.I w «an, abschmiich und lailch Jdr° Llmm- d d, i» d>° M-n!? entsetzlich verachtungswert vor " " Berna Sickhardt strich ihr über das Haar. dl* Offenheit, heute aber tue ich Ware Offenheit fast ein Verbrechen; Alfred wurde nicht mehr damit fertig. Jetzt so kurz vor Herz^stoßen^ Ebensogut könntest du ihm einen Dolch ins „Das weiß ich ja, Tante Berna! Und ich will's auch mcht tun; aber heute hal s mich umgerissen — morgen werde ich wieder ruh,g und vernünftig sein. Ich bin ja vor allem froh, daß Alfred nicht mehr daran denkt, an Ralf Burggraf zu schreiben. Allmählich werde ich ja ver gessen lernen. Ich habe Alfred doch auch lieb.- m i e b!. klang es in Terna Sickhardt nach. Auch lieb! Das war etwas ganz anderes, als wenn Maria gesagt hatte, ich habe ihn lieb. Maria tat ihr leid; aber noch mehr leid tat ihr jetzt "»lkr-p ka»s -r V i e r z e y n t e s K a p i t e l. Baumeister Meßmer, ein großer, breiter Herr mit förm- lich klassischer Glatze, machte ein sehr verstimmtes Gesicht. „Mein lieber Burggraf, das ist nun mal so, wie das so ist, und ich mutz mich fügen. Ich kann nicht nach Berlin sahren mit dem verstauchten Knöchel, und weil ich das Pech hatte, mir gestern abend den Knöchel auf eine so abscheu liche Weise zu verstauchen, bitte ich Sie, mich in Berlin zu vertreten. Sie wissen ja über alles Bescheid und können statt meiner mit den Herren verhandeln, als machte ich es selbst. Und das ist die Hauptsache! Ich weiß, Sie werden alles in meinem Sinne ordnen. Also bereiten Sie sich vor -- in zwei Stunden geht Ihr Zug. Wenn die An gelegenheit gut geordnet sein wird, was ich zuversichtlich hoffe, können Sie, falls Sie Lust dazu verspüren, noch zwei oder drei Tage in Berlin herumbummeln. Ich werde die Reisespesen entsprechend erhöhen." Ralf Burggraf dachte, und wenn er auch nicht die geringste Lust zu der plötzlichen Reise verspürte, hätte er doch nicht ablehnen dürfen. Aber er verspürte Lust, große Lust sogar. Mit dem geschäftlichen Teil der Reise würde er gut fertig werden, und danach käme das Vergnügen. Ihm fiel ein, nun könnte er ja gleich Alfred Heldbcrg besuchen, aber ohne sich bei ihm einzulogieren. Das lohnte nicht für die paar Tage. Zwei Stunden später saß er im Zug nach Berlin und freute sich, auf so unerwartete Weise Berlin kennenzu lernen. E Er stieg in einem ihm von dem Baumeister empfohlenen Hotel am Potsdamer Platz ab und ging am nächsten Vor mittag um zehn Uhr zu Elbing und Sohn. Das war eine große Hutfirma, die sich in Köln ein Geschäftshaus bauen lassen wollte. Man war bereits schriftlich und mündlich über das Allerwichtigste einig geworden — die .Herren waren schon zweimal in Köln gewesen, für heute aber hatte Baumeister Meßmer seinen Besuch in Berlin ver sprochen zu einer letzten endgültigen Besprechung, und nun war ihm ganz kurz vorher das Unglück mit dem ver stauchten Knöchel passiert. Er hatte gefürchtet, ein Telegramm könne irgendwie verstimmen, und deshalb Ralf Burggraf an seiner Stelle geschickt, den die Herren schon kannten. Die Besprechung verlief zur Zufriedenheit, ein gemüt liches Mittagsmahl bildete den Abschluß. Gegen vier Uhr war Ralf Burggraf frei und fuhr, ein ganz klein bißchen weinselig, in einer Taxe in sein Hotel zurück. Von dort aus gab er erst eine Depesche an seinen Chef auf, daß alles in bester Ordnung wäre, danach frischte er sich etwas auf. Das heißt, er duschte sich gründlich ab. Er hatte Lust, Alfred Heldberg aufzusuchen. Aber er überlegte, daß er das doch lieber erst morgen vormittag tun sollte. Doch unangemeldet wollte er den berühmten Mann besuchen; er dachte sich das interessanter. So schlenderte er denn herum, landete in einem Kino, nahm in einem eleganten Restaurant sein Abendessen und besuchte schließlich noch ein Kabarett. Er schlief gut und fest in dieser Nacht und erhob sich ziemlich spät in aller- bester Stimmung. Nach dem Frühstück befragte er den Portier nach dem Wege zu Alfred Heldbergs Heim, und erhielt ausführlichen Bescheid. Ein richtiger Portier muß) über alles etwas zu sagen wissen, und so plauderte de»! Braunlivriekte mit der diskreten Stimme, die er der Bor-! nehmheit des Hotels schuldig war: „Wenn Sie Alfred Heldberg persönlich kennen oder! kennenlernen dürfen, sind Sie wahrhaftig zu beneiden. Er ist ja einer unserer größten Dichter; ich sah thy leider bisher nur von weitem. Er wird bald heiraten; aber gan- still, ohne jedes Trara. Seine Braut soll reizend sein und über zwanzig Jahre jünger als er. Er ist ihr Vormund gewesen — und es heißt, die beiden hätten sich sehr lieb." Er schloß: „Aber das wissen Sie vielleicht alle« besser als! ich, mein Herr!" „Nein, das wußte ich nicht; aber es interessiert mich! natürlich!" gab Ralf Burggraf zurück, ünd das freute den! Portier. Man will doch zeigen, das einem daran liegt, den Gästen in jeder Weise entgegenzukommen. Ralf Burggraf hätte mit der Stadtbahn fein Ziel er reichen können, aber er zog es vor, ein Auto zu nehmen. Während der Fahrt dachte er daran,, daß er in seinem! Briefe Alfred Heldberg viele Grüße für dessen Frvu auf getragen, und der war gar nicht verheiratet, würde erst! jetzt heiraten. Er mußte lange fahren, fast zu lange. Endlich hielt! das Auto vor einem Gittertor in einer hohen Mauer, über! die sich dichte Baumkronen zeigten. Durch das schmiede eiserne Tor sah er am Ende einer Platanenallee eine große weiße Villa. Er bezahlte den Chauffeur und drückte auf den dicken Messingknopf der Klingel. Die Taxe fuhr davon, und er bereute schon, daß er sie nicht hatte warten lassen. Vielleicht war der berühmte Mann gar nicht daheim. Eigentlich hätte er sich doch anmclden sollen. Aus einem kleinen Häuschen rechts vorn näherte sich, der Pförtner. ' „So viel ich weiß, ist Herr Heldberg zu Hause!" er klärte der. „Aber da kommt ja schon der Diener." Erzeigte nach der Richtung der Villa. Gleich darauf öffnete er,' Alfred Heldberg war zu Hause, der Diener hatte ihm die entgegengehaltene Karte abgenommen. - ' Ralf Burggraf hatte sich hier doch alles etwas einfacher vorgestellt. So könnte der Landsitz eines reichen englischen Lords aussehen!, stellte er, ein wenig verblüfft von dem Reichtum und der Vornehmheit des ersten Eindrucks fest, und folgte dem Diener. Eine^Halle nahm ihn auf. Hier mußte er einige Minuten warten, und dann stand plötzlich ein mittelgroßer Herr mit etwas plumpen, aber klugen Zügen vor ihm, faßte seine beiden Hände und begrüßte ihn lebhaft: „Welche Freude und Ueberraschung! Herzlichsten Dank für Ihren lieben Besuch! Aber warum meldeten Sie sich nicht vorher an, verehrter Herr Burggraf? Ich hätte Sie doch gern mit dem Auto abholen lassen. Natürlich bleiben Sie ein Weilchen hier! Ich stehe zwar dicht vor der Hoch zeit, doch das macht gar nichts — Sie bleiben hier unv feiern mit. Eine famose Idee — nicht wahr? Meine Braut wird sich sehr freuen, Sic kennenzulernen k" Alfred Heldberg pflegte im allgemeinen nicht so lebhaft zu sprechen; aber er freute sich aufrichtig über den un erwarteten Besuch, halte er doch nach dem Briefe Burg- grafs kaum damit gerechnet. Er faßte den Jüngeren unter und führte ihn in sein behagliches Arbeitszimmer, schob Zigarren und Zigaretten in seine Nähe und hörte nun, es handle sich nur um einen ganz flüchtigen Besuch. „Das tut mir aber sehr leid!" bedauerte Alfred Hcld- berg. „Doch Sie werden einmal für länger wicderkommen. Später, wenn ich verheiratet sein werde." Er blickte ihn aufmerksam an. „Sie haben sehr große Aehnlichkeit mit Ihrem Vater, nur war er damals, als er mich rettete, schon etwas älter'als Sie." Er holte eine Flasche Malaga herbei und schenkte ein. „Sie bleiben natürlich zu Tisch, dann kann ich Sie gleich meinen Damen vorstellen, sie sind nach Berlin hinein gefahren, Besorgungen machen. Außer meiner Braut, die mein Mündel ist, lebt zur Zeit noch eine Kusine von mir im Hause. Eine verwitwete Dame aus Frankfurt am Main." Frankfurt am Main! Schälte sich nicht plötzlich, wie aus Nebelschleiern, eine fesne Gestalt, und wurde allmählich deutlicher sichtbar? Wandte sich ihm nicht für die Dauer von Sekunden ein liebreizendes, zartes Gesicht zu? Schauten ihn nicht große blaue Augen an mit seltsam tiefem Blick? Er schob den Gedanken an sein blondes Abenteuer schroff von sich und erwiderte lächelnd: „Ich nehme Ihre Einladung zu Tisch sehr gern an, Herr Heldberg!" Alfred Heldberg erzählte nun den Traum, der ihn so überstark an seinen Lebensretter erinnert, und fßagte dann seinen Besucher viel, brachte bald aus ihm heraus, wir wenig zufrieden er im Grunde genommen mit seiner Stellung war, und wie sehr er sich danach sehnte, Kirchen und Schlösser bauen zu dürfen, an Stelle von Mietkasernen und Kaufhäusern. " Alfred Heldberg nickte verstehend. „Vielleicht erreichen Sie eines Tages das Ziel Wünsche, lieber Herr Burggraf! Sie sind ja noch jungt! Wer die richtige große Sehnsucht in sich trägt, dazu wirk lich etwas leisten kann und fest auf sein Ziel lossteuert, dem ist meist daS Gelingen sicher. Man darf nur nichts müde "werden und muß die große Sehnsucht nicht ein-, schläfern lassen vom Alltag. Der hat so eine verflixte «rt, alle Menschen attf eine gewisse Stufe der Gleichgültigkeit niederzudrücken. Dagegen muß man sich wahren und kann es, solange man die heilige Flamme in sich nicht ausgehen läßt." Ralf Burggraf reichte dem Aelteren die Rechte. „Ich will mein heiß ersehntes Ziel immer vor Aug„» haben — immer." Alfred Heldverg war ihm ungemein sympathisch; ihm schien »s, als hätte er in ihm einen väterlichen Freund gewonnen. Fortsetzung solobr '