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Veilage zur Rr.3«1 Sonnabend, am 28. Dezember 1935 101. Jahrgang Zeichnung: Drewitz. ec etwas von der gesenktem Kops nntäblickien Sinn herrschte eine ungeheure Spannung. Der Stier Stierkampf ist etwas so spezifisch Spanisches, daß man die Fähigkeiten dazu nur dem Spanier zuspricht... Nehmen Sie, um die Sache zu veranschaulichen, an, ein Spanier würde sich in einem Münchener Variete als Schuhplattler produzieren... Wäre das nicht ein Witz?" Ich lachte und stellte die zweite Frage: „Wie kamen Sie eigentlich dazu, Stierkämpfer zu werden?" „Auf eine sehr einfache Weise. Ich war vier Jahre alt, als ich mit meinen Eltern nach Spanien kam. Da es nur in Madrid und Barcelona deutsche Schulen gab, mußte ich «ine spanische besuchen. Wir Kinder spielten immer „Stierkampf"; ich tat mich darin besonders hervor und wollte nie der Stier, sondern immer der Matador sein. Dann kam ich in eine Stierkampsschule. Es war nicht leicht gewesen, die Einwilli gung meiner Eltern zu erhalten, aber schließlich hatten sie nachgegeben. Mit 18 Jahren stand ich zum ersten Male in einer richtigen großen Arena. Ich mußte schwer gegen das Vorurteil meiner Kollegen kämpfen und iühr 1912 das erste pcun kam die Reihe an den Torero Le Mano. Was er mit dem roten Tuch des Matadors zeigte- war Stierkampf, wie man ihn nur bei zanz großen Stier- ämpfen erlebt. Le Mano bewegte sich fast aus schließlich in dem so ge fährlichen „Gebiet des Stieres". Als er gär eine Kniestellung aus führte, wurde das Jauch zen der Menge zu einem einzigen Begeisterungs schrei. Aber gleich darauf erscholl ein Ruf des Ent setzens. Lehmann lag reg los im Sünde; er rührte sich nicht, um den Stier nicht noch mehr zu reizen. Schon waren die übrigen Stierkämpfer beim Tier. Durch Schwenken ihrer Tücher gelang es ihnen, die Aufmerksamkeit des Stieres von dem am Bo den Liegenden abzulen ken. Als der Torero sich erhob, sah man, daß Wams und Hemd an der linken Schulter zerfetzt und blutgetränkt waren. Man wollte den Verwun deten aus der Arena führen, doch er pro testierte energisch. Er griff nach Degen und oem roten Tuch und „rief" den Stier. In der Arena Ein ungeheurer Jubel brach in der Menge aus. Alles stürzte in die Arena. Nur mit Mühe gelang es dem ver wundeten Torero, sich vor der Begeisterung der Menge zu retten. Ich sah Lehmann im Ambulatorium wiedex. Er raucht« ein« Zigarette und lächelte trotz der großen Schmerzen. Draußen zerstreute sich türmend die Men«. Es bestand wohl nicht der geringste Zweifel, daß der zur Zett populärste Mann von Murcia der Deutsche LehmaNn, genannt Le Mano, war. " In diesem Auaenbllck, da er vor die Loge des Präsidenten trat, hatte ei Grandezza eine» altspanischen Ldelmannes. ^Schluß.) Die Liebe zum Vaterland Als Lauterstädt die Strafe verbüßt hat, ist er bereits ein anderer Mensch. Er nimmtt seinen Abschied, wird Franzis- kanermönck und geht als Missionar nach China. Es ist die Zeit nach dem blutigen Boxeraufstand; das Vorhaben des jungen Missionars ist voller Gefahren, doch Lauterstädt ist das nur allzu recht. Unter ständiger Lebensgefahr übt der junge Missionar seine Tätigkeit aus Um dem Volk, das er bekehren will, näherzukommen, studiert er dessen Lebensweise und Sitten . genau, und sie werden ihm von Tag zu Tag verständlicher. Ohne daß er es recht gewahrt, beginnen die unglaublichen assimilatorischen Kräfte Chinas auf ihn einzuwirken. Der einstige Missionar wird Buddhist und geht in ein Kloster. Zwei Jahre verbringt er dort. Als geweihter Diener Buddhas verläßt er die heilige Stätte und zieht durch das riesige Reich d«r Mitte und geht schließlich nach Indien. Ein halbes °lahre später befindet er sich in einem Kloster auf Ceylon. Das Jahr, das folgt, nennt er das glücklichste seines Le vens. In seinem beschaulichen Asyl in der Umgebung von Ratnapur erreicht ihn die Kunde vom Ausbruch des Welt krieges. Deutsche und Oesterreicher werden festgenommen. Sein Mönchsgewand schützt Lauterstädt nur wenig. ging ich dann zum zweiten Male nach Mexiko, man liebt dort den Stierkampf um nichts weniger als hier.. Unsere Unterhaltung wurde durch das Erscheine» des von Lehmann erwarteten. Stierkampfveranstalter» beendet. Ich verabschiedete mich. Lehmann hatte mir zuvor eine Ein trittskarte für die am nächst»« Taa stattfindende Corrida aufgenötigt. Der Stierlamps brgIM Es war eine halbe Stunde vor dem festgesetzten AnAng, doch die Tribünen waren bereits bis auf den letzten Platzt besetzt. Punkt 3 Uhr begann das aufregende Schauspiel. Als sich die Tore der treisrundtza Arena öffneten, verstummte die Menge. Die Kapelle spielten einen Marsch, und die Cuadrilla zog feierlich ein. Die beiden Ratsdiener in düsterer, alt spanischer Tracht eröffneten den farbenprächtigen Zug. Hin ter ihnen schritten die beiden Toreros, dann folgten die Capeadores, die Banderilleros und zu Pftrde die Picadores. Zum Schluß kam das Mauleselgespänn, das die toten Tiere aus der Arena zu schleifen hatte. Mein Blick verfolgte den Landsmann. In diesem Augen blick, da er vor die Loge des Präsidenten trat und nach einer Verbeugung um die Erlaubnis für den Kamps bat. hatte er etwas von der Grandezza seines, altspanischen Edelmannes. Das eigentliche Schauspiel begann. Obschon ich keim Fachmann des Stierkampfes bin, merkte ich bald, daß Üas„ was hier geboten wurde, kein erstrangiger Stierkampf war. Die Stiere waren „schlecht", und die Kämpfer halten keinen guten Tag. Die Meng« johlte und bewarf den ungeschickten Matador mit Sitzkissen, Brotstücken und Apfelsinen. O Vokksgunst! dachte ich. Wo war jetzt die Verehrung, ja, Ver götterung, die die Menge ihren Lieblingen sonst entgegen brachte? Hinter mir brüllte jemand dem Torero, der den Stier noch immer nicht getötet hatte, den höhnischen Rat zur „Nimm doch eine Kanone!" Lautes Gelächter auittierte die Worte des Mannes. Endlich fiel der Stier. B»« den Mnern ausgeszMt l Bei den folgenden Tieren wurde die Corrida etwas besser. Endlich kam der letzte Stier. Er mar für Lehmann,, und schon beim Anblick des großen, außerordentlich wilden Tieres mit gefährlichen Hörnern, ging ein Ramien durch die Reihen des Publikums. Lehmann,' der sich leinen beiden Stiere mit Anstand, doch ohne besondere Bravour entledigt hatte, beobachtet das Tier genau, Senn die erste Erscheinung des Stieres war für ihn ungeheuer wichtig. Die Arbeit der Picadores, Capeadores und Banderille ros war zu Ende, und der Stier, ein richtiger Wüterich und sehr tückisch, schien kaum ermüdet mal nach Mexiko hinüber. Kurz vor Ausbruch des Weltkrie ges kehrte ich nach Spanien zurück; ich war damals nicht ganz gesund..." Lehmann verstummte, und eine Weile aßen wir schweigend die schmackhaften Garnelen, ein« kleinere Langustenart, die in Spanien sehr beliebt ist. „Wann waren Sie das letztemal in Deutschland?" fragte ich. „Während des Krieges. Ich wollte an die Front, aber man nahm mich nicht zum Militär. Wie schon erwähnt, ich war damals krank. Ein bös aussehendes Lungenleiden, in zwischen ist es ausgeheilt. Ich kam also über das noch neu trale Italien nach Spanien zurück. Erst kurz vor Kriegsende war meine Gesundheit wieder so weit heraestellt, daß ich von neuem in die Arena steigen tonnte. Im Iochre neunzehn In den nächsten Wochen treibt sich ein zerrissener, schmutziger Bettelmönch in Colombo herum. Der Schmütz ist die Maske, die Lauterstädt vor einer Entdeckung schützt. Der. Steward des holländischen Dampfers ist sprachlos, als dieser schmierige Eingeborene mit dem Ansinnen an ihn herantritt, lhn auf dem Schiff zu verbergen. Doch der „Bettler" spricht vorzüglich englisch und besitzt gute Psundnoten. Der Dampfer verläßt den Hafen, ohne daß man den blinden Passagier ent deckt hat. Das Schiff befindet sich schon auf der Höhe der Lakka diven-Insel, als es von einem englischen Kriegsschiff ange- halten wird, und diesmal muß Lauterstädt daran glauben. Er kehrt als Gefangener nach Ceylon zurück und wird später in Australien interniert. Als der Krieg zu Ende ist, läßt man ihn frei. Er reist nach Deutschland. Es ist die Zeit der Spartakustämpfe. Lauterstädt erkennt sein Vaterland nicht; Chaos und Vernichtung herrschen in Deutschland. Enttäuscht verläßt der Heimkehrer das Land. Eine Buddhistengemein schaft in Holland ermöglicht ihm die Reise nach China, denn Indien ist ihm vorläufig verzerrt... Hier endete der Lebensbericht des Mönches. Schon mit tags ging ich in das Häuschen aus dem Wege nach dem Para diesgarten. Ich traf den Mönch nicht an. Er hatte eine Reise nach der Nordspitze der Insel angetreten. Ich ließ das Manuskript mit einem herzlichen Schreiben zurück. Der Mann mir gegenüber hatte ein verwittertes Gesicht mit einer Haut wie gegerbtes Leder und auffallend Hel!« Augen. Seine Haare waren dunkel, obschon jch nicht viel von ihnen sah, denn mein Reisegefährte hatte trotz der Hitze im Abteil seinen breitrandigen Filzhut aufbehalten. Wir gerieten ins Gespräch. Der Fremde.horcht« schon nach meinen ersten Worten auf. „Sie sind kein Spanier?" fragte er. „Nein", sagte ich. „Deutscher?" forschte er. Kaum hatte ich es bestätigt, rief mein Reisegefährte er freut: „Ich bin glücklich, einen Landsmann kennenzulernen!" Er hatte deutsch gesprochen. . Er sah mein« Ueberraschung und lächelte. „Sie wundern sich, was? Sie haben in mir keinen Landsmann vermutet!" Nein, das halte ich bestimmt nicht. Mein Blick streifte die Kleidung meines Gegenübers: den breiten „Lorüooeser" und darunter das schmale, von der Sonne ausgemergelte Ge sicht. Und weil mir nichts Gescheites einfiel, fragte ich: „Be finden Sie sich schon lange in Spanien?^ „Ich komme jetzt aus Mexiko ...", erwiderte er auswei chend. Dann erkundigte er sich nach meinem Reiseziel. Als er hörte, daß ich nach Murcia fuhr, sagte er mir, daß er auch dahin reise. Und er fragte mich, ob ich schon Stierkämvse gesehen hätte. Ein« ganze Anzahl", antwortet« ich. „So. so .." msinte er bloß. „Gefielen sie Ihnen?" er kundigte er sich nach einer kleinen Pause. ^ch gab es zu. „Mein Name ist Max Lehmann, und ich bin Stier kämpfer". sagte da mein Gegenüber. Nur wer Spanien, Stierkampf und Stierkämpfer kennt, weiß, was es bedeutet — ein Deutscher als Stierkämpserl Wir befanden uns schon im Bahnhof von Murcia, als Lehmann seiner Brieftasche eine Visitenkarte entnahm und sie mir mit folgenden Worten überreichte: „Besuch«» Sie mich doch morgen!" Ich nahm die Karte und sah den Namen: „Maximilio Le Mano". Max Lehmann alias Maximilio Le Mano lachte, schüttelte mir die Hand und ging. Es regnete in Strömen. AlS ich vor den Bahnhof trat, konnte ich noch seh«n, wie Lehmann und sein Begleiter, der ihn mit lauten Begrüßungen empfangen hotte, ein großes Luxusauto bestiegen, das gleich danach in rasender Fahrt da- oonraste. Nicht ganz so komfortabel gelangte ich in mein Hotel. Der Hotelwagen, ein Ungetüm von Pferdegespann auf hohen Rädern, eine Art Mail-coach, war voll besetzt, un mußte noch oben aüf dem unbedeckten Kutfcklbock Platz men. Der Regen gestaltete sich zu einer wahren Sinflui wurde eine phantastische, kinohafte Fahrt bis zum Hotel. Km diirle«, Sie frage«! Am nächsten Morgen stand ich auf einem schattigen Pasta Max Lchmann gegenüber. Wir begrüßten uns herz lich. Lehmann war setzt oh« Hut, und so konnte ich yiich überzeugen; daß er den kleinen Zopf, das Wahrzeichen der Stierkämpfer, trug. Bald erschien auch der Hausherr. Nach dem wir ein Gläschen Wein getrunken hatten, machten Leh- ; mann und ich uns auf den Weg, denn Lehmann wurde von dem Veranstalter des Stierkampfes erwartet. Unterwegs zeigte Lehmann lächelnd, doch mit sichtlichem Stolz auf eine Ankündigung des am nächsten Tag stattfin denden Stterkampfes. Ich Katt« die Plakate bereits auf dem Hinweg gesehen. Von den beiden Toreros war Lehmann an erster Stelle angeführt. Bald saßen wir in dem Kaffeehaus. Di« ehrfurchtsvollen Micke der Gäste waren auf meinen Be gleiter gerichtet, denn der Stierkämpfer ist in Spanien ein Nationalhelo, dem man überall Bewunderung und Ver ehrung entgegenbringt. „Nun dürfen Sie fraa«n", begann Lehmann wohl- gelaunt/ „Denn ich sehe ja, baß die Neugier Sie zwickt. " Sy fragte ich: „Weiß da« Publikum, daß Sie Deutscher sinh?" ' „Rein. Wie Ihnen bekannt ist, wirb in Spanien von allen Ausländern der Deutsche am meisten geschätzt! Aber der WHWH 8 Begegnung mit deutschen Männern in fernen Ländern. Spannung. Der Etter griff an. Le Mano stand mit festgeschlossenen Füßen reglos und visierte Der Stier, mit gesenktem Kopf, rannte in den Degen und spießte sich im bvnntäblicken Sinn» des Wortes auf; er wankte und fiel um.