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l37. Fortsetzung.) „Und Wie ich mich freue, Tante Varnhagen! So glück lich wie heute bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht gewesen/ Unter Tränen lächelnd, sah sie zu. ihn, auf. „Wo hast du nur die ganzen Jahre gesteckt? Und was für ein hübscher, stattlicher Mann du geworden bist!" Plötzlich Machte sie sich aufgeregt wieder frei. „Ach Gott, was wird Ursel bloß dazu sagen?!'' Sie wandte sich hastig um. Lutz fühlte mit einem Male die Diele um sich her schwanken. „Ursel? Ist sie denn noch hier?" wollte er fragen. Aber Frau Varnhagen hatte schon die Küchentür aufgerissen. „Ursel!" rief sie aufgeregt. „Komln doch nur schnell mal her — Lutz ist da!" „Wer...?" kam es in stockendem Ton aus der Küche zurück. »Lutz — Lutz Dornow!" Irgend etwas fiel draußen in der Küche mit lautem Geräusch zu Boden. „Mutter!" klang es dann von dorther. Wie ein Schrei flatterte das Wort auf. Lutz fühlte, wie sich ihm die Brust zusammenzog. erschien Ursel in der Küchentür, mit hcrabhängenden Armen, blaß bis in die Lippen. Ihre tiefblauen Augen waren unnatürlich weit. Eine Schwäche schien sie plötzlich anzukommen. Da war Lutz auch schon heran und ergriff ihre Hände. „Ursel!" „Lutz!" Die Farbe kehrte Ursel plötzlich wie eine ounkle Welle in das Gesicht zurück. In ihren Augen erschien ein Leuchten, das Lutz die Besinnung zu nehmen drohte. Er ließ ihre Hände wieder los und nahm ihren Kopf ganz sacht in die seinen. Tief und fest lagen ihre Blicke einen Moment ineinander. Dann erschien mit einem Male ein schmerzlicher Ausdruck auf Ursels Gesicht. Ihre Brust hob sich unter einem tiefen, schweren Atemzug. Langsam und mit zurücksinkendem Blick machte sie sich frei. „Willkommen, Lutz! Ich freue mich, daß du endlich mal wieder an uns gedacht hast." Es klang seltsam tonlos. So mochte eine zersprungene Glocke klingen. Lutz fühlte etwas Erkältendes über sich hingehen. Aber er kam nicht zum Nachdenken. Ursels Mutter trat heran. „Run kommt nur ins Wohnzimmer, Kinder! Du bleibst doch heute bei uns, Lutz?" „Ich wollte noch bis Osterburg waudern und dort über Nacht bleiben..." „Das wäre ja noch schöner! Wir sind froh, daß wir dich endlich mal wiedar da haben. Und da willst du gleich wieder ausreißen? Du bleibst selbstverständlich bei uns. Morgen ist Sonntag, da hast du doch sicher Zeitz" Die freudige Erregung ließ Ursels Mutter plötzlich wieder um Jahre jünger erscheinen. Man ging ins Wohn zimmer und ließ sich an dem großen runden Tische nieder. „Nun erzähle nur mal, wie es dir in den langen Jahren ergangen ist", begann Frau Varnhagen wieder. Lutz war noch ganz benommen; aber die vertraute Umgebung tat ihm Wohl und beruhigte ihn. „Nicht immer gut, Tante Varnhagen!" erwiderte er mit einem versonnenen Lächeln und fuhr sich über die Stirn. „Ich habe sogar sehr böse Jahre hinter mir — aber sie habe» mir Gott sei Dank nicht geschadet." Er berichtete in knappen Zügen von seichrm bisherigen Leben, hielt auch nicht damit zurück, wie sehr er sich in den ganzen Jahren' immer nach der Heimat gesehnt hatte. „Und nun vor allen Dingen — wie geht cs euch?" schloß er seine Schilderung. Frau Varnhagen sah Ursel mit einem raschen, un sicheren Blick an. Eine kleine Pause entstand. Ursel legte die Hände ineinander. Ihr Blick war ganz dunkel. „Es sicht nicht sehr rosig bei uns aus", sagte sic mit schmale», leise zuckenden Lippen. „Aber wir wollen uns dadurch nicht das Wiedersehen verderben lassen." Lutz sah ihr mit einem langen, forschenden Blick in das abgcwandtc Gesicht. Sic war rcifcr und ernster geworden, schöner und anziehender noch als früher. Aber ihre Äugen waren umschattet, ihr ganzes Wesen war nicht »rehr so frei und offen. Irgendein stiller, tiefer Kummer schien sie zu bedrücken. Hatten Not und Sorge wirklich auch hier Einkehr gehalten? Oder war es noch etwas anderes, was Ursels Zügen einen so freund«, wehen Ausdruck verlieh? Heiß quoll cs in Lutz auf. Er hätte sie in seine Arme nehmen und sagen mäste»; „Laß nur, liebe, kleine Ursel, ich bin wieder da — nun ist alles gut!" Frau Varnhagen war unruhig geworden. Sic erhob sich plötzlich. „Da erzählen wir nun, und ich habe noch nicht mal daran gedacht, dir etwqs vorzusetzen!" wandte sie sich an Lutz. „Willst du ein Glas Milch trinken? Oder soll ich schnell eine Tasse Kaffee kochen?" „Wenn du so gut sein willst, Tante — eine Tasse Kaffee würde mir heute lieber sefn." , Frau Varnhagen verschsvand eilig. Wieder herrschte für einen Augenblick tiefe MiHe im Zimmer. Lutz wa»dte sich mit leise klopfenden Schläsen Ursel zu. Da gewahrte er plötzlich den Ning an ihren» Fiikger.Jn der Erregung' des Wiedersehens war ihn; der schmale Reif bisher cnl-' gangen. Er beugte sich unwillkürlich vor. „Du bist — verlobt?" Sie nickte stumm und sah an ihm vorüber. „Glücklich?" forschte er nach einer schweren Pause, mit einem seltsam brennenden Gefühl im Halse. Sie sah unentwegt vor sich hin. Ein kümmerliches Lächeln schlich um ihre Lippen. „Glücklich? Ich weiß nicht, was Glück ist. Oder ich habe das Glücklichscin verlernt!" erwiderte sic tonlos Dann richtete sie sich plötzlich auf und hob die arbeits harte Hand in das Licht der Lampe. Der Ring funkelte aufdringlich und aufreizend, wie Lutz meinte. „Ein kleiner, schmaler Reif nur — nicht wahr?" fuhr Ursel fort, als sagte sie etwas Äuswendiggelerntes her. „Man müßte meinen, er wäre federleicht. Aber er wiegt ungeheuer schwer. Er wiegt ein ganzes Gut und — ein ganzes Herz..." „Ursel! Um Gottes willen! Was soll denn das nur heißen?" „Nicht mehr und nicht weniger, als daß ich mein Herz und mich selbst verkaüft habe, um unser überschuldetes Gut zu retten." „Aber Ursel, liebes Mädel — du und dich verkaufen! Das kann dpch gar nicht sein. Gab es denn gar keinen änderen Ausweg?" Sie schüttelte langsam mit den; Kopfe. „Nein! Es gab keine andere Wähl! Wir waren am Ende. Um Mutters willen habe ich es getan!" Noch immer entsetzt und erschüttert, starrte Lutz einen Augenblick stumm vor sich hin. Dann sprang er plötzlich auf und lief in heftiger Erregung ein paarmal durch das Zimmer. „Wer — ist es denn?" forschte er wit belegter Stimme, während er wieder vor Ursel stehenblieb. „Westhoff. Georg Westhof. Du wirst dich noch auf den besinnen können." Lutz glaubte nicht recht gehört zu haben. „Westhoff?" fragte er nach einer schweren Pause be stürzt. Ein bitterer Zug grub sich um Ursels Lippen. „Ja, Westhoff. Deine Frage zeigt deutlich genug, wie du ihn bewertest. Glaube ja nicht, daß ich nicht weiß, was für einer Zukunft ich entgegengehe. Aber er hatte uns völlig in der Hand. Und er hätte uns ohne Gnade um .Haus und Hof gebracht, wenn ich mich nicht bereit erklärt hätte, ihn zu heiraten." „Das sieht diesem Burschen ähnlich! Oh! — ich könnte ihn kaltblütig..." Ursel hob mit müder Bewegung die Hand.