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(13. Fortsetzung.) ' Westhoff önev zum Mittagessen. Man konnte mit Rück sicht auf die drängenden Erntearbeiten nicht viel Umstände machen. Es gab eine einfache, derbe Hausmannskost: Linsen mit Rauchfleisch. Westhoff machte im stillen ein saures Gesicht, tat aber, als ob es ihm vorzüglich schmeckte. Nur habe er keinen rechten Appetit!, erklärte er,- cs sei Wohl eine Folge seines Unwohlseins. Und nicht einmal > ein Glas Wein gab es oder wenigstens eine Flasche Bier, f nur kalte Milch und Zitronenwasscr. So eine Zumutung! > Als ob man noch ein Babv wäre! Wie gesagt, cs würde I sich hier manches ändern müsse». Er hatte während des EssenS mit einer schweren ! Müdigkeit zu kämpfen. Nach der durchspieUcn und durch- ! zechten Nacht hatte er ja auch nur ein paar Stunden > Schlaf gehabt. Ein paarmal war er nahe daran, ein- ? zunickcn. Mit verlegenem Lächeln ritz er sich jedesmal ; wieder zusammen. „Du tust am besten, dich ein paar Stunden aufs Ohr zu legen und dich erst mal richtig auszujchlafen", sagte Ursel, als mau gegessen hatte. Ter Vorschlag war ihm sehr willkommen, aber er glaubte doch ablehnen zu müssen. „Genier dich nur nicht", beharrte Ursel. „Wir haben ja sowieso jetzt in der Küche zu tun." Ta stimmte er befriedigt zu. „Sei unr nicht böse, aber mir ist heute tatsächlich hundc- clend zumute." Frau Barnhagcn hatte begonnen, den Tisch abzu- räumcn und war mit den Tellern in die Küche gegangen. Ursel griff gerade nach einer Schüssel, um der Mutter zu helfen und nicht mit Westhoff allein sein zu müssen. Ta fühlte sie sich plötzlich von rückwärts umschlungen, die Lippen ihres Verlobten preßten sich wild auf die ihren. Sie rührte sich nicht. Wie ein Schauer ging es über sie hin. So plötzlich und so heis; hatte sic vcr langer Zeit einmal ein anderer geküsst: Lutz Tornow... Wie ein wundervolles Traumbild stand dies un vergessene Geschehnis in diesen» Augenblick wieder vor ihren Augen. An einem stillen, herrlichen Sommerabend war es gewesen. In leiser Befangenheit und wehmütiger Abschiedsstimmung waren sie Seite an Seite über den weichen, von Tannennadel»» übersäten Moosbodcn des Waldes hingeschritlcn. Zwischen den letzten Stämmen, im strahlenden Goldschein der Abendsonne, hatte Lutz ne plötzlich an sich gerissen und geküßt. Es hatte ihr das Herz verbrannt. Atemlos hatte, sic den überwältigenden Augenblick nnbeschrciblichcn Glücks in sich hinein- getrunkcn. Ter Duft der Kiesern war nie so stark und be rauschend gewesen, nie hatten die Birkenstämme so weiß geloht wie in dieser abendlichen Scheidestunde. Das war nun schon Jahre her, und noch immer tat ihr das Heiz unsagbar weh, wenn sie daran dachte. Ursel wußte »ich», welch ein sehnsüchtiger Ausdruck in diesem Augenblick auf ihrem Gesicht lag. Aber Westhoff sah es und legte cs zu seinen Gunsten aus. Stürmisch versuchte er sic ein zweites Mal zu küssen. Da kam sie plötzlich zur Besinnung. Mit einer heftigen Bewegung machte sie sich frei. Eine dnnklc Röte färbte ihr Gesicht. „Also geh schlafen, damit du am Nachmittag wieder munter bist", sagte sie schweratmend. Frau Varnhagen kam in diesem Moment wieder aus der Küche. Da gehorchte cr und zog sich zurück. Schweigend hantierten Mutter und Tochter dann eine ! Zeitlang in der Küche. Frau Varnhagen sah Ursel ein i paarmal von der Seite an. „Was ist das heute nur wieder mit Georg?" begann ! sic tastend. „Was soll cs weiter sein — die übliche durchschwärmte Nacht!" erwiderte Ursel, ohne den Blick zu heben. Sie hatte nicht an Westhoff gedacht. Ihr Herz und ihre Ge danken waren bei Lutz gewesen. Erst die Bemerkung der Mutter rief sie wieder in oie Wirklichkeit zurück. Und j jetzt kam ihr die Trostlosigkeit ihres Schicksals mit aller ! Schärfe und Gewalt zum Bewußtsein. Etwas Heißes, j unsäglich Bitteres guoll in ihr auf. „Ich kam» Westhoff nicht heiraten — ich kann diesen Menschen nicht heiraten!" hätte sie schreien mögen. Aber cs kam t-in Laut von ihre»» Lippen. Der Nachmittagskaffee war fertig, und noch immer t zeigte Westhoff sich nicht. ! „Sieh doch mal nach, wir können deck) nicht ewig s warten", drängte Fra»» Varnhagen. Leise ging Ursel in das Wohnzimmer hinüber. West hoff lag ii» Hemdärmeln ans dem Diwan. Rasselnd und , pustend kam der Atem aus seinen» offene»» Munde. Das aufgeschwemmtc Gesicht mit den verquollenen, unnatürlich geröteten Augenlidern flößte Ursel ein Gefühl des Ekels § und des Abscheus ein. Leise wandte sie sich wieder ab , und schlich sich hinaus. Die beiden Frauen tranken ihren Kaffee allein. Mochte s Westhoff schlafen, solange cr wollte! Ursel war sroh, auf s diese Weise für ein paar Stunden seiner Gegenwart ent- j hobc» r»< sein. Endlich kam er mit verlegenem Lächeln zum Vorschein. ; „Das ist ja toll, was? Den ganzen schönen Nachmittag ! zu verschlafen! Warum habt ihr mich denn nicht geweckt?" Hastig und mit einer gewissen Gier nahm er ein paar s Tassen Kaffee zu kick. " ' " ! —„ES ist doch erlaubt?" sagte er dann, vrannte sich enz, Zigarette an, lehnte sich zurück und schlug die Beine über^ einander. s „Ja, was ich heute eigentlich wollte — wir müssen un? nun endlich mal über den Hochzeitstermin, klar werden. Es gibt doch immerhin noch allerhanp vorzubereiten. Und vor allen Dingen — ich habe das Warten nun satt, will endlich ein gemütliches Heim und mein Frauchen haben." Frau Varnhagen schwieg. Mit unruhigen Blicken saß sie wie ein verängstigter Vogel auf ihrem Stuh.l.. Ursels Gesicht erschien im Moment wie zu Stein erstarrt. Sie wandte sich langsam ab und sah anscheinend überlegend zum Fenster hinaus. > " „Jetzt, mitten in der Ernte, ist natürlich nicht daran zu denken", erwiderte sie mit blassen Lippen. „Tann kommt die Dreschzeit. Und dann — also frühestens im Herbst, nach der Kartoffelernte..." Westhoff war enttäuscht und sichtlich schwer verstimmt, aber er machte keine Einwendungen. Er schien es mit einem Male sehr eilig zu haben, denn er zog die Uhr und warf einen kurzen Blick darauf. ; „Na, gut", stimmte er zu. „Das ist dann aber der äußerste Termin. Wir reden ein andermal noch näher darüber. Jetzt muß ich leider wieder fort; ich habe für heute abend eine geschäftliche Verabredung, die ich nicht versäume»» darf." Er stand auf. Ursel gab der Mutter verstohlen einen Wink. Frau Varnhagen verstand und folgte den beiden hinaus. Westhoff mußte unter diesen Umständen aus einen zärtlichen Abschied verzichlen. Er gab den beiden Frane»» die Hand. „Nächsten Montag komme ich wieder. Auf Wieder sehen bis dahin!" , Mit kurzen, raschen Schritten ging er zu seinem Wage»» und stieg ein. Er winkte noch einmal zurück, dann fuhr cr davon. Er hatte Pera Barsony versprochen, de»» Abend in ihrer Gesellschaft zu verbringen Achtes Kapitel. Mit leichten, graziösen Bewegungen trat Sibhlle Eick- stedt aus der Haustür und ging auf den draußen wartenden Wagen zu. Sie nickte Lutz leicht zu, während sie einstieg. Dani» glitt der Wagen zur»» Tor Hinans. Sibylle hatte sich mit ihrer Freundin Gerda Rauner verabredet, um gemeinsam ein paar Einkäufe zu er ledigen. Sie ließ an der Wohnung der Freundin Vor fahren. Lutz iniißte auf ihr Geheiß ein bestimmtes Signal; hupen. Ein Mädchenkopf erschien an einem der Fenster; des ersten Stockwerks, eine schmale Hand winkle heral^ Wenige Augenblicke später erschien Gerda Rauner in der Haustür, eine brünette, überschlanke Erscheinung, die um ein bedeutendes Stück gröber war als Sibylle. (Fortsetzung folgt.)