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101. Jahrgang Nr. 268 Veilage zur „Weißeritz - 2 eituns" Sonnabend, am 16 November 1935 Von ^dsnKsusi* Lu ß^donlonoi' Aus dem Leben eines Ausreißers , < von Ernst F. LöhnEff LS. Fortsetzung.) Abschied von Effendi Ramud Wir trafen auf Stämme oder Sippen gigantischer, nut Uedern und Affenfellen geschmückter Neger, die einzeln, kühn und furchtlos dem Steppenkönig mit den Pfeilen ihren gewaltigen, Zweihundert Meter weit schießenden Bogen und den ebenso mächtigen, breitklingigen Speeren zu Leibe gin gen. Ich habe diese Nächte noch deutlich in Erinnerung: irgendein kleines Duar mit etlichen Palmen, im Umkreise blökende Hammel und Schafherden. Sterne und warme duftende Nacht. Flackernde Feuer, die grotesken Haufen schlafender Kamele; Neger und Araber, vor den Flammen sitzend. Die Araber abgesondert für sich, pfeiferauchend und leise plaudernd. Daneben die Schwarzen, aus primitiven Saiteninstrumenten spielend und wilde, eintönige Chor gesänge heulend. Stundenlang! Dann Stille in der Runde. Noch ein angstvolles Blöken, und alle die Tiere schweigen. Nur das Lied der Neger klagt weiter durch die Nacht. Plötz lich ein tiefes Stöhnen, das in rumpelndes Donnern über geht, immer machtvoller anschwillt und mit beinah schmet terndem Tubaton abbricht. „Abu er Rrad" (der Vater des Donners) flüstert einer, und ein Neger schimpft: „Der Herdendieb, der verfluchte. Allah verdamme ihn und mache seine Frau unfruchtbar!" — Wir warten, und unbekümmert üngen die Schwarzen weiter, die Saiten schwirren mit stählernem Klang, der im erneuten Aufbrüllen des Herdcn- würgers erstickt lkinen Moment ist es ruhig, die Sänger In Deutschland versuchte ich wieder einige Monate, mein Leben als Fremdsprachenlehrer zu fristen, aber die Bezah lung war schlecht und die Konkurrenz groß. Auch schrieb ich ein paar tausend Manuskriptseiten, die niemand wollte. Da musterte ich in Amsterdam ans einem Dampfer nach Nio de Janeiro an. lies dort fort und gelangte aus die übliche Weife der geldlosen Abenteurer, mich mit meinem Spanisch treff lich durchschlagend, etappenweise ins Innere an den Ama zonenstrom. Eine Weile war ich Arbeiter aus einer Kaut schukplantage im Urwald. Das ist ein Höllenleben! Jeder Mann Hai eine lange Strecke Gummibäume jeden Tag zu betreuen. Das heißt, er schreitet sie ab und sammelt den weißlichen, gerinnenden Saft, der aus ihnen beigebrachten Schnittwunden in Konservendosen fließt, die mit Wasser ge füllt sind Man hat immer ein großes Messer und einen Karabiner bei sich, denn die Bäume stehen mitten im Sumpf, man muß oft bis an den Hals durch warme, stinkende Brühe waten, au» dem Bauche kriechen und ähnliche Kunststücke ausüben. Dabei heißt es scharf aufpassen, denn es gibt Gift schlangen, Zecken, Grasblutegel, Hornissenschwarme und ab und zu einen aus dem Baume lauernden „Tiger", wie der Jaguar dort heißt, die einem alle das Leben «auer machen. Abends kehrt man mit der Ausbeute zu den Hütten zurück. Ist der Ertrag groß genug, so wird die Masse über Zweiggerüste gelegt und langsamem Feuer ausgesetzt. Die sich dabei entwickelnden Dämpfe sind äußerst ichädlich lind Manner, die lange „Gummijäger" waren, sehen sehr un gesund aus. Dazu kommt das tückische Fieber, das stellen weise derart auftritt, daß es innerhalb oierundzwanzig Stun den tödlich wirkt. Manchmal setzten wir uns in die Kanus und paddelten nach irgendeiner modernen Pfahlbausiedlung, wo es Grammophone, Alkohol und fiebergelbe Mädchen gibt. Unterwegs machten wir uns oft den Spaß, ein geschossenes Wasserschwein oder einen Brüllaffen über Bord zu halten. Gab es nämlich die Herden der heringslangen, mit furcht barem Zangengebiß versehenen Piranhafische, so hatten sie das Stück Wild innerhalb fünf Minuten buchstäblich skelet- tiert. 0, die brasilianischen Gewässer bergen böse Gesellen, unter denen der elektrische, bis zu zwei Meter lange Zitter aal oder „Temblador" nicht der schlechteste ist! Ich kam mit zwei Gelehrten zusammen, einem Englän der und einem Yankee, die für verrückte europäische Samm- lermillionäre seltene Orchideen suchten. Mit diesen beiden und drei Indianern, die wir Eins, Zwei, Drei nannten, paddelten wir in das geheimnisvolle, sich zwischen Dschungel und Urwald erstreckende Wassernetz des Amazonas und des Madeira. Mannigfach waren die Abenteuer, die wir be standen. Den Engländer erwischte bald ein Giftpfeil von uns überfallenden Blasrohrindianern, er starb in wenigen Minuten. Wir andern ruderten weiter. Besessen von der Jagd nach seltsamen Orchideen, die oft die grauenerregend- sten und phantastischsten Formen annehmen und wie die höllischen Ausgeburten einer furchtbaren Phantasie in den Zweigen hängen! Wir sahen auch riesenlange Wasferschlan- gen, viele Affen, Schweine und Tapire. Prachtvolle Schmet terlinge und die Milliardenheereszüge der Krieaerameisen, vor denen selbst der streitlustigste Jaguar gerne* Fersengeld gibt. Durch förmliche Brutstellen von Krokodilen, die wie stinkende Baumstämme im flachen Wasser lagen und schnarchten, ruderten wir vorsichtig und mit angehaltenem Atem durch. Streckenweise schwankten die riesigen Blätter der Viktoria regia mit den kopfgroßen, schneeigen Blüten auf stillen Buchten, und Stelzvögel mit feuerroten, hohen Beinen eilten wie farbige Gespenster darüberhin. Manch mal fanden wir Orchideen! Seltene, wie wir sie suchten, hoch an Lianen über Krokodilen hängend oder an efeu- umsponnenen Stämmen schmarotzend. Mt verrückt vor Freudl Jedesmal brach der sonst schweigsame Amerikaner in bacchantisches Freudengeheul aus, und bald steckte er mich damit an. Manchmal lägen wir in der Hängematte, vom j Fieber geschüttelt, von Zecken bis zum Wahnsinn geplagt. machen eine Pause, und nun hört man das Aufblöken eines Schafes. — Stille ringsum. Ganz allmählich fangen die Zikaden wieder an, dann das Kichern und Greinen der Hyänen, und nun blöken auch endlich die Herden. Denn der Herr mit dem dicken Kopfe, der Vater des Donners, hat sich sein Nachtmahl geholt! — Am Morgen schreiten vier kraft volle schwarze Gestalten mit nickendem Federputz, rascheln dem Äffenpelz und großen Bogen in das Mimosen- und Tamarindengebüsch. Und sie töteten den Löwen, denn mittags brachten sie das Fell zurück, das von den Weibern bespien und verächtlich ausgeschimpft wurde. Dieses erlebte und sah ich in der Hadendoahsteppe, wo ein kleiner, rasch versandender Flußlauf auf einige Kilometer ein Mimosen- und Blumenparadies aus der Einöde hervorzauberte. Wo, frag ich, wo sind dann die Neger, die vor jedem weißen Männe in die Knie fallen und ihn bitten, sie mit seinem Donnergewehr von der Löwenplage zu befreien? — Wir haben alle in unserer Jugend diese Geschichten gelesen! In Sauakin, wohin unsere Karawane Harze, Straußen federn und andere Erzeugnisse des Sudans brachte, lohnte mich Effendi Mamud ab. Vier englische Pfund für monate lange Strapazen. Wahrlich, wer Geld verdienen will, der wandle nicht in meinen Fußtapfen als verachteter Kamel treiber durch den Sudan! — In Sauakin lief ein Austral dampfer ein, auf dem ich als Kohlentrimmer nach Hamburg -""""^erte. Kohlentrimmer in den Tropen kann man stets werden, denn durch die Hitze werden immer einige krank, l u-w die Ehejmaschinisten sind stets froh, Ersatz zu be- ' kommen. , und die drei Indianer hockten dazu stumm am Feuer, müh- l rend rings der Urwaid mit seinen tausend Naturstimmen tobte. Oft stiegen uns die Einsamkeit und die treibhausartige Hitze zu Kopf, und wir verboxten uns wütend, um uns dann wieder zu versöhnen. Einen Tag verbrachten wir auf einer Gummiplantage, die nachher von Vlasrohrindianern überfallen wurde. Zwei und Drei führten uns zu ihren Stammesgenossen, die auf Hundezähne als Hals- und Armschmuck versessen waren. Wir wußten das und hatten welche. Schöne, weiße, gleich zum Aufziehen durchbohrte aus Porzellan, made in Bir mingham. Als mir wieder aufbrachen, hetzten uns trom melnde Blasrohrindianer durch die Wildnis und töteten einen unserer roten Führer, ehe wir sic mit knapper Not abschütteln konnten. Das Leben in den Kanus war wie ein fortwährender, sarl.'»schillernder. von Fieber durchsetzter Traum Unser Ziel blieben stets Orchideen! Wir sanden auch eine ganze Landschaft, wo Tausende von diesen Blumen in leuchtenden, duftenden Kaskaden von den Baumen rieselten. Wir wurden fast verrückt vor Freude! Die Beute war reich, aber wir konnten nur immer kurze Strecken und nur wenige Minuten lang in diese verzauberte Blumenpracht eindringen, denn ihr Duft war einfach zu stark, und man wäre umgesun ken, um nicht wieder aufzustehen. Die Indianer hielten sich stets am Rande aus, waren nicht zu bewegen, uns zu folgen. Aus wochenlanger Paddelfahrt kämpften wir uns wieder, nach den Vorposten der Zivilisation am großen Strom zurück. Wir machten dann noch eine zweite, kürzere Jagd auf Orchideen, und dann fuhr ich heim nach Deutschland, wo ich viele Geschichten über — meine Erlebnisse schrieb, die niemand auch nur prüfen wollte. Bald war ich wieder Fremdsprachenlehrer und dachte voll Sehnsucht an die Wildnis. Sa Eidi-bel-Abbes Es war Zeit, Laß ich mich wieder einmal verliebte. Und da ich Musik liebe, war es natür- lich wieder eine Cellofpielerin, die mich genau wie ihre Vorgängerin tüchtig an der Nase herumführte. Europäe- rinnen sind anscheinend nicht auf Cavalleria rusticana eingestellt, sondern halten sich mehr a.. Jazzmusik, Cocktails und Tanztees. Dies ist meine Empfindung! Alles ging schief, und da ich in pekuniäre Not geriet und nicht die leiseste Aussicht auf irgendeine M literarische Anerkennung noch sonstige Arbeit hatte. Ml sprang ich in München von der Brücke in die mit kleinen « Eisschollen besäte Isar hinab. Ein Reichsmehrsoldat zog mich heraus. Heute bin ich ihm herzlich dankbar und JI würde ihm gerne, wenn er sich meldete, eine Extraaue- « gäbe meiner Gesamtwerte dedizieren. Er trug damals eine schwere Lungenentzündung durch das eisige Bad da- i von, während ich, wie üblich, noch nicht einmal den Schnupfen bekam! Ich geriet dann nach Ludwigshafen am Rhein und meldete mich, um unterzugehen, freiwillig zur französischen Fremdenlegion. Mit einigen anderen menschlichen Wracks und flüchtigen Kommunisten aus dem Ruhrkrawallgebiet schickte man mich etappenweise über Neustadt, Metz und Marseille in das erste Regiment nach Sidi-Vel-Abbss inl Nordafrika. Unterwegs gab es viel Fußtritte, bitteren Hohn, wenig Pxoviant und miserable Schlafgelegenheiten, Wäh rend der ersten Tage schon wurde mir schrecklich bewußt, welch gewaltige Dummheit ich begangen hatte, in diese Truppe einzutreten, die teilweise von Sadisten kommandiert wurde, teilweise von Lvuten, die vom Tropenkoller besessen und gleichgültig ihre Untergebenen allen Schindereien aus setzten. In Sidi-bel-Abbes wurden wir nochmals untersucht. Der Arzt, Monsieur le Medizin Major Boris, war ein schwe rer Asthmatiker, auf einem Auge ganz, auf dem anderen halb blind. Er behandelte alle Kranken nach dem Grundsatz, daß sie Simulanten seien, und seine Medizin bestand aus Fußtritten, Arrest in der Dunkelzelle oder, wenn er sie wirklich ins Lazarett aufnahm, setzte er sie auf Diät, d. h. die ersten Tage erhielten sie nichts als Tee Der Andrang nach der Legion war damals besonders aus Deutschland ungeheuer. Jede Woche kamen ungefähr 500—SOO Rekruten an! Ebenso ungeheuer war und ist die Zahl der armen Kerle, die in der Sahara und in den Atlasbergen an Krankheiten krepierten oder im Kampf gegen einen grausamen, fanatischen und tapferen Feipd ums Leben kamen. In der Legion ist es Sitte, daß man einem Maroden im Feindesgebiet das Gewehr und Bajonett abnimmt, um ihm durch diese Erleichterung eine dürftige Chance zu geben, derr Truppe zu folgen. Kommt er nicht mit, io bleibt er liegen,, und die Hyänen oder die Araber machen kurze Arbeit mit ihm Unbeschreibtlich lind die Torturen, die besonders die Araber- fraucn an diesen armen Menschen, die die verhaßte Uniform tragen, begehen. Daher verüben die Maroden viel lieber Selbstmord, als daß sie lebend in die Hände der Feinde fallen. Sie beißen sich die Pulsadern aus. wenn sie kein Messer haben! Es gehört etwas dazu, aber wenn man die verstümmelten Leichen von Kameraden iah und einen eben solchem Ende entgegensieht, so vollbringt man Dinge, die unter halbwegs normalen Umständen einfach unmöglich sind! — Der Drill in der Garnison ist lehr schwer Besonderer Werl wird auf den sogenannten Pas de gymnastigue, einerr Dauerlauf, gelegt. Die Zungen hingen uns oft aus dem Munde. Irgendein Kontakt zwischen Mannschaften und Vorgesetzten besteht in der Legion nicht. Der Legionär ist eine Nummer, wird als solche gerufen und als eine Maschine angesehen, die man benützt, solange sie lausen, schießen und arbeiten kann. Gehl diese menschliche Maschine entzwei, s» gibt es hundert andere als Ersatz, denn der höllische Zauber der Legion, der nichts anderes als Schinderei und schwere Arbeit für fünf Centimes pro Tag ist. lockt sonderbarerweise immer wieder neue an. Die meisten machen sich von Nord- afrika und der Söldnertruppc einen falschen Begriff, und wenn sie es endlich einschen. weil sie in einem Fegefeuer sind, gegen das das Dantesche ein Picknick ist, dann ist's zu spät. Unter tausend Legionären entkommt vielleicht einer, die anderen, trotzdem sie es alle einmal probiere» zu ent mischen, werden wieder eingefangen. Und wenn sie io glück lich waren, ihre fünf Jahre abzudienen, sind sie gewöhnlich vom 'Alkohol und anderen Dingen, aus die ich hier nicht ein- gehcn kann, weil sie zu scheußlich unnatürlich klingen, der art entartet und seelisch gebrochen, daß sie nochmals für fünf Jahre unterzeichnen. Man kann in Deutschland nicht genug warnen vor dieser Söldnertruppe, denn Deutschland liefert stets das größte Kontingent dazu. Und man braucht har nicht zu übertreiben, allein die reine Wahrheit genügt. Wie wahr mein Buch darüber ist, geht aus der Tatsache hervor, daß es auch von verschiedenen Bundesnationen der Franzosen übersetzt wurde! Fortsetzung folgt.) Jedesmal brach der sonst schweigsame Amerikaner in bacchantisches Areudenaekeul ans, nnd bald steckte er mich damit mr