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10. „Ah, der Herr ist sehr stolz und selbstbewußt, wie es scheint", sagte sie dann mit leicht schwankender Stimme. „Man muß ihn wohl bitten, wenn man etwas erreichen will — wie?" Lutz gab keine Antwort. Da trat sie plötzlich dicht vor ihn hin. Ein dunkles, berauschendes Feuer brannte in ihren Augen. „Wenn ich Sie nun bitten würde...?" „Ich würde Sie vorher bitten, es nicht zu tun." „Warum...?" „Weil ich nicht möchte, daß Sie eine Bitte aussprcchen, nachdem ein — Befehl keinen Erfolg gehabt hat." Atemlose Stille folgte seinen Worten. Mit Sibylle ging eine jähe Peränderung vor sich. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Voll offenkundiger Bewunderung und wie selbst vergessen hing ihr Blick an Lutz. Ihm rauschte und sang unter diesem Blick das Blut in den Ohren. „Es ehrt Sie, daß Sie nicht zulassen wollen, daß sich eine Dame vor Ihnen demütigt!" unterbrach sie die Stille, schwer atmend, wieder. „Sie sind ein Kavalier, Lutz Dornow! Das ist die höchste Anerkennung, die ich Ihnen zollen kann!" Mit Gewalt löste sie ihren Blick von ihm. Ihre Augen schlossen sich für einen Moment. Sie schien plötzlich zu schwanken. Dann wandte sie sich ab. Mit unsicheren Schritten verließ sie stumm das Zimmer. Lutz starrte ihr mit weiten, merkwürdig verschleierten Blicken nach. Ein tiefer, schwerer Atemzug hob seine Brust, während er mechanisch den Deckel des Flügels wie:., schloß. Auch seine Füße waren unsicher, als er über das spiegelblanke Parkett hinschritt, um wieder an seine Arbeit zu gehen. Eickstedt kam heute in besonders guter Laune zu Tisch. Sein Lieblingswunsch, Sibylle mit Bruckner zu ver heiraten, schien sich endlich verwirklichen zu wollen. Es lag ihm sehr daran, die Angelegenheit zu beschleunigen. Er war nun schon seit einer Reihe von Jahren Witwer und hatte nie daran gedacht, noch einmal zu heiraten. Por einiger Zeit aber hatte er auf einer Geschäftsreise die Witwe eines Großindustriellen kennengelernt, und er er wog nun allen Ernstes die Möglichkeit einer nochmaligen Heirat. Man befand sich ja noch in den besten Jahren. Einmal würde Sibylle sich ja doch entschließen, zu heiraten, und dann war das Haus leer. Sic war manchmal ein recht schwieriges Kapitel, man hatte oft seine liebe Not mit ihr. Es stand zu befürchten, daß sic einer Stiefmutter erheb liche Schwierigkeiten in den Weg legen würde. Es war also wünschenswert, daß sic recht bald unter die Haube kam, und die Aussichten dafür schienen ja recht günstig. Eickstedt kannte seine Tochter nur zu gut, um uicht so fort zu sehen, daß sie erregt und irgendwie verstimmt war. Das behagte ihm heute durchaus nicht. Er trat auf sie zu und hob ihr Kinn leicht in die Höhe. „Na, was ist denn den, gnädigen Fräulein wieder mal über die Leber gelaufen?" scherzte er. Sie lächelte schwach und entwand sich ihm. „Nichts von Bedeutung. Aber komm nur zum Essen. Ler schöne Spargel wird ja sonst ganz kalt." „Das wäre allerdings ein Verbrechen, dessen wir uns unter keinen Umständen schuldig machen wollen", lächelte er gleichfalls und folgte ihr ins Speisezimmer. Sibylle begann während des Essens lebhaft zu plau dern. Dann versiegte ihr Redestrom plötzlich. Schweigend j und nachdenklich stocherte sie auf ihrem Teller herum ,Was hast du nur?" forschte Eickstedt wieder. „Ach, nichts weiter. Ich habe mich nur ein bißchen ge ärgert." „Worüber?" Sie zögerte einen Augenblick. Dann legte sic plötzlich Messer und Gabel hin. „Der Dornow ist doch ein komischer Mensch. Ich über raschte ihn heute vormittag zufällig, wie er am Flügel saß und — höre und staune — die Zweite Rhapsodie von Liszt spielte. Vorzüglich spielte, nebenbei gesagt! Und da tarn mir der Gedanke, daß er mich eigentlich mal zur Geige begleiten könnte. Aber er ist nicht dazu zu bewegen. Er glaubt, daß es sich nicht für ihn schicken würde." „Na, höre mal!" staunte Eickstedt. „Das ist ja aber auch eine Idee!" „Ich habe mir absolut nichts dabei gedacht. Der Mensch spielt glänzend, und da bin ich eben auf den Gedanken ge kommen. Man hat ja sonst niemanden, der ein einiger maßen vernünftiges und anständiges Spiel zuwege bringt. Ich habe es neulich mit meiner Freundin Gerda wieder versucht — es ist die reine Stümperei." Eickstedt überlegte. Das sah dem Mädel mal wieder so richtig ähnlich! Aber es lag ihm sehr daran, sie bei guter Laune zu erhalten. „Ich werde mal mit ihm reden!" entschloß er sich. „Schließlich ist ja wirklich weiter nichts dabei." „Das geht natürlich nicht", wandte sie ein. „Wie soll denn das aussehen! Mir schlägt er es ab, und von dir läßt er sich schließlich überreden.. „Wenn dir soviel daran liegt, mal richtig musizieren zu können, mußt du auch ein bißchen großzügig sein und darfst dich nicht empfindlich zeigen. Man muß sich doch auch mal tn die Lage des Mannes versetzen unv versuchen/ ihn zu verstehen. Auf jeden Fall werde ich mal ran- horchen." Sibylle schwieg: aber ihre Augen bekamen plötzlich wieder einen seltsamen Glanz. Nach Tisch wollte Eickstedt zu einer befreundeten Firma fahren. Er ließ Lutz kommen, um ihm einige Anweisungen für den Nachmittag zu geben. Zum Schluß schob er ihm die Zigarrenkiste hin. Lutz griff dankend hinein. „Nehmen Sie nur gleich noch eine!" redete Eickstedt zu. Dann lehnte er sich zurück. „Uebrigens — wie war denn das eigentlich mit dem Klavierspiel?" fragte er leichthin. „Meine Tochter machte mir so eine Andeutung." Lutz war etwas verlegen. „Es ist mir sehr peinlich, daß ich dem Wunsch des gnädigen Fräuleins nicht entsprechen konnte." „Ja, aber warum denn nicht? Was ist denn schon da bei? Sie dürfen das doch nicht etwa falsch auffassen! Meine Tochter musiziert nun mal leidenschaftlich gern. - Und wenn Sie, wie sie sagt, ein tüchtiger Klavierspieler sind, müßte es Ihnen doch auch Freude machen. Wir können und wollen natürlich nicht über Ihre freie Zeit verfügen, aber ich würde mich wirklich freuen, wenn ich wieder mal eine vernünftige Hausmusik zu hören bekäme." Lutz kämpfte augenscheinlich mit sich. „Wenn Sie es wünschen, gern", erwiderte er. „Vor ausgesetzt, daß das gnädige Fräulein noch Wert daraus leat." „Aber natürlich. Warum denn nicht? Kommen Sie nur gleich heute abend mal 'rübcr. Sagen wir mal — um halb neun Uhr. Würde es Ihnen da passen? Mit merkwürdig brausendem Kopf stimmte Lutz zu. Pünktlich zur festgesetzten Zeit erschien er am Abend in der Villa. Er hatte einen gutgeschnittenen dunkelblauen Anzug angelegt, der ihn vorzüglich kleidete und seiner Er scheinung etwas Elegantes und Weltmännisches verlieh. Eickstedt befand sich in seinem Arbeitszimmer. Sibylle empfing Lutz allein im Salon. Sie hatte in den Noten geblättert und war offenbar etwas unsicher, als sie sich jetzt aufrichtcte. Ein kurzer, auflcuchtender Blick umfaßte die Gestalt des Eiutrctenden. Ein schwaches Lächeln erschien auf ibrem Gcückit. „Nun, hat der Hartkopf doch noch nachgegeben?" Lutz verbeugte sich. „Hoffentlich haben Sie mich nicht mißverstanden, mein gnädiges Fräulein." „Nein! Ich freue mich, daß Sie doch noch gekommen sind. — Ein ganzer Stoß", deutete sie auf die Noten. „Wir können uns nach Herzenslust austoben." Lutz trat heran. Seite an Seite blätterten sie mit ge-» neigtcm Kopf in den Noten. Aber sie schienen zu keinem Ziel zu kommen.