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SSSW Urdeberrecbtssckutr: künk Türme-Verlag, ?lalle (8aale) vo^ 6^/?^ Und dann mußte ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Aber — dann würde die Tante ja auch gleich wissen, daß sie, Käthe, immer noch ein paar Mark besaß. Die sie von Rechts wegen hätte mit hergeben müssen. Aber das schadete nun nichts. Die Tante würde froh sein, daß sie sie endlich los wurde. Käthe lag mit großen, wache« Augen, bis endlich der Morgen herausdämmerte. Aber es blieb noch lange dunkel 1) Nachdruck verboten. Erstes Kapicel. Käthe Randolf sah auf die verschneite Gasse hinunter, die sich eng und lang da unten hinwand. Und an ver die vielen kleinen altmovischen Häuser standen. Trotz der späten Nachtstunde schimmerte noch hier und dort ein Licht aus einem der kleinen Fenster. Wahrscheinlich saß da noch jemand über irgendeine Weihnachtsarbeit gebeugt. Weihnachten! Das Fest der Liebe und des Friedens! Sie hatte nie Liebe und Frieden kennengelernt. Onkel und Tante, bei denen sie seit frühester Kindheit lebte, die zankten sich, seit sie denken konnte. Onkel trank und vertat das Geld, und die Tante lief die ganze Woche über zu fremden Leuten und wusch und scheuerte dort. Und seit mehreren Jahren hatte nun schon der Onkel keine Arbeit mehr, und weil er daher auch kein Geld mehr zum Trinken hatte, gab es noch mehr Streit als früher. Wüste Schimpf- reden waren an der Tagesordnung. Und seit sie, Käthe, nun auch noch arbeitslos geworden war, da war es nicht mehr ^um Aushalten für Ne. ^ie Tan^e Ida, verbraucht, abgearbeitet, abgehetzt, knochig und verdrossen, hatte erst gestern wieder zu ihr gesagt, daß sie sich endlich wieder etwas verdienen müsse. Sie könne sie nicht noch mit ernähren, wo sie doch den Trunkenbold schon jahrelang ernähren müsse. Und — es sei wohl auch im großen und ganzen besser für sie, wenn sie bier nicht mehr mit zusehen brauche. Käthe hatte sich eine Stellung suchen wollen. Aber nichts war frei. Sie war von früh bis spät herum- gelaufen, hätte jede Arbeit angenommen, aber es fand sich nichts. Jeder hielt seinen Posten fest. Und selbst einem mitleidigen Menschen war es heute fast nicht mehr möglich, einen Menschen neu einzustellen, wenn nicht vorher ein anderer Platz machte. Hatte sie nicht auch waschen und scheuern gehen wollen wie die Tante? Trotz dem sie für Büroarbeit ausgebildet worden war? Aber man hatte sie ausgelacht, als sie sich in einer großen, schönen Villa zum Wäschewaschen gemeldet hatte, und neben ihr hatte dann eine robuste, große Frau gesagt: - „Nein, mein Kind. Sie sind ja viel zu schwach zu solcher Arbeit. Und halb verhungert scheinen Sie auch zu fein." Aber ein Stück Brot hatte ihr die Frau nicht gegeben. Käthe weinte nicht! Sie drückte nur die schmale, weiße Stirn an die Scheibe und dachte traurig: Wenn es keine Sünde wäre, dann wäre es doch wohl das Beste, wenn ich stürbe! Freiwillig stürbe! Ich finde ja doch keine Arbeit mehr! Schritte tappten draußen. Käthe stand ganz still. Dank waren die tappenden Schritte vorbei. Wahr scheinlich war die Tante schlafen gegangen. Käthe öffnete das Fenster. Ihr war so heiß. Aber da pochte nebenan auch schon die Tante an die Wand. „Du brennst doch nicht etwa noch Licht?" „Nein, Tante Ida! Ich stehe hier im Dunkeln." Nun war es ganz still. Und draußen war die mondhelle Winternacht. Hinter der kleinen Stadt, wo man klatschte, alles, alles von einander wußte, sich aber auch gern einen Gefallen tat, wenn es darauf ankam, dahinten breitete sich die Heide aus. Die schöne, weite Heide, und dann kamen Dörfer, Wälder, wieder Dörfer, Seen, und — dann kam wohl, weit, weit in der Ferne, die Großstadt! Ob man dort Arbeit für sie hätte? . Ob sie versuchte, in die Großstadt zu kommen? Aber sie hatte nur noch wenig Geld. Vielleicht ging sie dann elend zugrunde, wenn die wenigen Mark alle waren und sie bis dahin keine Arbeit gefunden hatte. Aber — wenn man nichts wagte, dann konnte man auch nichts gewinnen. Und wenn sie hier am Fenster stand, bet Tag, in ver Nacht, davon hatte sie keinen Nutzen. Gar keinen. Sie mußte noch einen letzten Versuch wagen, ehe alles verloren war, ehe sie rettungslos unterging. Ehe sie vielleicht am Wege starb. Käthe fühlte, wie ihr rin Schauer über den Rücken lief. Aber sie biß ganz fest die Zähne zusammen und dachte: „Ich muß es tun. Hier kann ich nicht länger bleiben." Käth« legte plötzlich den Kopf auf das Fensterbrett, weinte nun doch. Sie konnte nicht mehr hier bleiben. Der Onkel blickte sie verliebt an, belästigte sie. Das war das Letzte! Jetzt tonnte dies hier keine, wenn auch noch so armselige Heimat mehr für sie sein. . Käthe schlich ins Zimmer zurück, nachdem sie das Fenster geschlossen hatte. Sie kleidete sich aus und legte sich ins Bett. Ihr Entschluß stand fest. Morgen früh würde sie zeitig aufstehen, der Tante alles sagen, und dann würde sie mit ihrem Koffer das Heim der Tante verlasse.. draußen. Käthe erhob sich. Ju der Küche hört« st« die Tante rumore«. Und da kleidete sie sich an, packte ihre Sachen in den Koffer, sah sich noch einmal um in dem kleinen, schiefen Raum mit den wenigen alten, wackligen Möbeln, und dann ging sie. Aus dem Schlafzimmer drang noch starkes Schnarchen. Und in der Küche saß die Tante bei dünnem Kaffee und einer Schmalzstulle und blickte ihr mit großen Augen entgegen. „Was hast du denn?" fragte sie unsicher. „Ich gehe, um mir irgendeine Arbeit zu suchen. Hier kann ich nicht länger bleiben. Ich habe durch deine Güte etwas gelernt. Vielleicht finde ich doch noch wieder Arbeit in meinem Fach. In der Großstadt wird es eher möglich sein. Und wenn cs mir einmal gut gehen sollte, dann denke ich an dich, Tante. Dann schicke ich dir immer etwas, damit du dich nicht mehr so zu plagen brauchst." Die Tante starrte vor sich hin. Tränen fanden ihre harten Augen nicht mehr, aber es ging ihr nun doch nahe, daß Käthe gehen wollte. Es war eine stille Wehmut über sie gekommen, daß das einzige Kind der früh verstorbenen Schwester sich nun von ihr trennen wollte. Wär sie nicht doch manchmal recht lieblos zu dem armen Ding gewesen? Hatte sie nicht zuviel über das eigene verbrauchte, unschöne Leben nachgedacht? Dieses junge Geschöpf mochte manch mal gelitten haben unter den häßlichen Verhältnisten. Und ja — es war wirklich bester, wenn Käthe ging. Die wurde immer schöner, reifer, und man würde nichts als Aerger haben. Die Tante erhob sich. „Willst wohl noch ein paar Mark haben, Käthe? Warte, ich gebe sie dir." d Und sie händigte dem Mädchen nach einer Weile zehn Mark aus. „Ich wollte dir Weihnachten mal was zugute tun. Du brauchtest eigentlich notwendig einen warmen Mantel. Aber nun nimm nur. Du kannst doch nicht laufen — der Weg wäre zu weit. Und schreib mal, Käthe." Stumpfsinnig starrte die Tante vor sich hin und saß schon wieder vor ihrem dünnen Malzkaffee. Käthe legte ihr die Arme um den Hals. „Tante Ida, behalte das Geld, ich habe mir selbst noch ein paar Mark zurückbehalten. Hier, sieh — zwanzig Mark!" Die Tante sah gar nicht hin, sagte: „Mein Geld behalte auch. Du — wirst es — brauchen. Und geh gleich! Der Frühzug geht in einer halben Stunde." „Ein gutes Stück laufe ich. Ich habe ja dann überall Haltestellen, wo ich mitfahren kann. Leb wohl, Tante Ida!" Die Tante strich mit harter Hand über die weiche Wange des Mädchens. „Du gehst nicht unter — du nicht. Du hast etwas an dir — es wird dich nicht untergehen lasten. Und eine alte Zigeunerin sagte mir einmal: du hättest noch einmal großes Glück, würdest in einem Schloß wohnen. Ich wünsch' es dir. Eintreffen wird's wohl nicht ganz genau, denn das gibt es nur in Romanen. Früher hab' ich näm lich manchmal Romane gelesen. Leb wohl, Käthe!" „Leb wohl, Tante Ida!" Käthe stand draußen im Schnee! Auf der Straße war sie der Brötchenfrau begegnet. Die drückte ihr zwei frische Brötchen in die Hand. „Nehmen Sie nur, Käthe!" Die Tante hatte ihr droben eine Stulle hingeschoben. Und einen Schluck Kaffee hatte sie auch noch schnell ge nommen. Und die Wärme des heißen, dünnen Kaffees saß ihr nun im Körper. Und die Worte der alten Bröt chenfrau taten ihr wohl. Käthe lief durch den Schnee. Lief immer weiter. Und der Himmel hatte einen ganz Hellen, roten Streifen, und gerade zu lief Käthe Randolf. Mitten hinein in diesen wundervollen, glitzernden Wintermorgen lief sie! Lief viele Stunden! Freute sich dieses herrlichen Weges im Schnee. An ihr vorbei fuhren mehrmals schöne, große Autos. Hell klirrten die Schneeketten. Und auch Last wagen fuhren vorüber. Vielleicht hätte einer oder der andere der Fahrer sie ein Stück mitgenommen. Aber Käthe wollte das gar nicht. Sie empfand diesen forschen, ntunder- vollen Gang durch Schnee und Kälte wie ein Geschenk. Dabei war sie klein und zierlich. Unter der schwarzen lütze schob sich das goldblonde Gelock hervor. Und die großen braunen Augen blitzten in neuerwachter Lebens freude. Gottes Natur! Wie herrlich war sie! Und es würde auch wieder Arbeit für sie geben. Sie konnte doch flink und sauber arbeiten. Der alte Chef hatte geweint, als er sein Personal entlassen mußte. „Ich weiß nicht, wie es kommt. Aber es ist wie eine Seuche. Man kann sein Geschäft nicht halten, und wenn man Tag und Nacht arbeitet. Die Ratter, haben alles unterwühlt! Die Maulwürfe! Es tut mir leid um euch, aber ich habe selber nichts mebr. Uno das — Geschäft — das war seit über einem Jahrhundert in unserer Familie. Nun geht es an einen Fremden. Ja, es wäre am besten, man brauchte das alles nicht mehr mit anzusehen. Run kommt ihr alle in Not. Ich gebe noch jedem zwanzig Mark. Sie sollen euch Glück bringen." Und der alte, gütige Chef hatte jedem noch zwanzig Mart in die Hand gedrückt. Es war das Geld, das sie, Käthe, immer fcstgehalten hatte, auch wenn der Hunger sie in letzter Zeit einmal schrecklich gequält hatte. Dörfer lagen still und friedlich mitten im Schnee. Und die Sonne ging immer strahlender auf. Käthe Randolf sang vor sich hin, und es war ihr, als schreite jemand neben ihr und führe sie ins Glück. Mitten hinein ins Glück. Käthe lief viele, viele Stunden. Dann war sie aber zum Umfallen müde, und sie hatte dann auch noch die Entfernung bis zum nächsten Ort unterschätzt. Eine Uhr besaß sie nicht. Die Turmuhren der verschiedenen Ort schaften waren bisher immer maßgebend für sie gewesen bei dieser wetten, herrlichen Wanderung. Der Koffer war auf einmal so schwer. Unendlich schwer war er. Und es war doch noch immer der Koffer, den sie heule früh mit auf die Reise genommen hatte, und in dem sich ihre wenigen Habseligkeiten befanden. Jetzt konnte sie aber diese Last kaum noch tragen. Und nun wurde es auch schon dunkel um sic. Und sic hatte noch ein ganzes Stück durch den Wald zu laufen. Käthe war durchaus nicht furchtsam. Aber in einer unbekannten Gegend ganz allein in der Dunkelheit durch den Wald gehen, das brachte doch ein angstvolles Gefühl in ihr auf. Aber dann oachie sie: Der liebe Gott ist immer bei mir! Und sie schritt weiter. Immer weiter — und ram in das große Dorf. Hohe, neue Häuser standen gleich zu Anfang — eine ganze Reihe. Und es sah auch sonst sehr gepflegt aus. Käthe sah es trotz der Dunkelheit im Schein der Laternen. Sie fragte eine freundliche Frau nach dem Weg zum Bahnhof und erhielt Bescheid, daß der nächste Querweg dahin führe. So an fünf Minuten noch! Käthe Randolf war froh. Und sie spürte einen furcht baren Hunger. Ob sie sich etwas zu essen kaufte, wenn sie etwa lange auf den Zug warten mußte? Auf den Zug, der sie in die Hauptstadt, nach Berlin, bringen sollte!? Nein! ES war doch vielleicht besser, sie wartete noch mit einer Geldausgabe. Auch mußte sie erst wissen, wieviel die Fahrt kosten würde. Wenn sie noch ein paar trockene Brötchen erstand, dann würde sie es aushalten. Und Kätbc kaufte dicht am Bahnhof in einem Bäckerladen noch ein paar Semmeln, und sie war ganz glücklich, als sie die Uhr sehen konnte, die über der Tür hing. Zehn Minuten nach fünf Uhr war es! „Misten Sie vielleicht, wann der nächste Zug nach Berlin geht, Frau Meisterin?" fragte sie leise. Ein Älick nach der Uhr, die eingebettet in Fettpolster am Handgelenk der Frau saß. Dann kam die Antwor» — ölig, langgezogen: „Ja, in einer halben Stunde!" „Ich danke Ihnen sehr — ich bin hier fremd. Auf Wiedersehen!" „Wiedersehen!" Die Frau blickte mißtrauisch hinter dem jungen Mäd chen her. Dann ging sie schnell wieder hinein in die warme Stube,- wo ihre zwei pausbäckigen Buben Weihnachts- schnitzereien machten. -Käthe aber ging zum Bahnhof. Jetzt spürte sie die schmerzenden Füße kaum noch. Sie würde sich in der Bahnhofshalle schön ausruhen, und dann würde sie tm warmen Wagen sitzen. Und vielleicht würde sie sogar ein bißchen schlafen können. Und sie saß dann still in der Wartehalle und aß ihre Semmeln. Und eine Bauersfrau sah ihr ganz erstaunt zu, wie die trockenen Semmeln so schmecken konnten. Aber dem Mädel ein Stück Wurst zu schenken, fiel ihr nicht ein. Fortsetzung folg, >