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(49. Fortsehung.) „Dars ich Sie fragen, für wen Sie kaufen wollen, Herr Justizrat? Ist der Käufer imstande, meine Forderung sofort bar zu erledigen?" Das Gesicht des Justizrats wurde immer fideler. „Ich glaube schon." „Dann dars ich vielleicht wissen, sür wen Sie laufen?" „Aber selbstverständlich. Mein Auftraggeber ist Fried rich Graf Veltheim. Ich bin sein Sachwalter, Justizrat Niemann." Marlen suhr zurück. „Graf Veltheim? — Unmöglich!" „Aber warum denn, meine Gnädigste?" fragte der Justiziar, und tat vollkommen harmlos. „Warum erschreckt Sie das so? Sie sind doch meines Wissens die Gattin des Grafen Veltheim." Marlen wurde es schwarz vor den Augen. Mit äußer ster Energie nur bezwang sie das Schwindelgefühl, das von ihr Besitz ergriff. Sie wollte nicht schwach werden; sie wollte es nicht. Was war das für ein grausames Spiel, das da mit ihr getrieben wurde? Konnte Friedrich Velt heim es nicht genug damit sein lassen, daß er sie beschimpft hatte? Daß sie arm und elend war? Mußte er nun den Spott so weit treiben, das Grundstück hier zu erstehen, an dem sie hing, und das ihr letzter Besitz war? Aber er sollte sich getäuscht haben. Lieber wollte sie verhungern, als es ihm geben. Sie richtete sich auf. „Dann bestellen Sie dem Herrn Grasen Veltheim, Herr Justizrat, daß er sich in mir getäuscht hat. Ich nehme kein Almosen, in keiner Form! Ich verkaufe ihm das Grund stück nicht. Ich wünsche mit ihm nichts mehr zu tun zu haben. Niemals im Leben! Bitte, bestellen Sie ihm das!" In ibrer furchtbaren Aufregung hatte sie ganz über hört, daß sich Schritte der Gartenpforte genähert hatten. Daß die Pforte leise geöffnet morden und hinter ihr eine junge Dame aufgeiauchl war. Aber Justiziar Niemann, der mit dem Gesicht zum Eingang gestanden, hatte es ge sehen. Jetzt sagte er betont laut: „Ja, das ist ja schlimm, gnädigste Gräfin. Dann werde ich wohl andere Hilfstruppen heranholen müssen." „Bemühen Sie sich nicht, Herr Justizrat!" kam es schneidend zurück. „Ich bedaure nur, daß ein Mann, wie Sie, sich zu dieser Komödie hergegeben hat. Mein Ent schluß ist unabänderlich. Ich wünsche von Herrn Grafen Veltheim nichts mehr zu hören." Da fuhr sie zusammen. Eine sanfte Mädchenstimme hinter ihr erklang: „Wirklich nicht, Marlen?" „Karla — du?" stammelte Marlen. „Ja, Marlen, ich bin die Hilfstruppe, die der gute Herr Justizrat herbeigerufen hat." „Und die hoffentlich ihre Schuldigkeit tun wird", lächelte Herr Justizrat Niemann. „Gestatten Sie, Frau Gräfin, daß ich mich solange entferne. Ich glaube, ich kann Fräulein von Weckenroth jetzt das Gefecht übergeben." Marlen stand blaß und zitternd da. Sie wußte über haupt nicht mehr, was eigentlich gespielt wurde. Karla nahm die Freundin an der Hand. „Nun komm, Marlen. Wir gehen zu dir herein und sprechen in Ruhe über alles." Marlen machte sich von Karla frei. Sie schlug die Hände vor die Augen. „Quäle mich doch nicht so entsetzlich, Karla! Begreife doch: ich kann nicht, ich will kein Almosen von Dietrich. Er hat mich zu schwer gekränkt. Ich kann nicht darüber üinwegkommen!" Sehr ernst fragte Karla: „Also liebst du ihn nicht mehr?" Da schluchzte Marlen heiß auf. Dies Schluchzen nm. Karla Antwort genug. „Marlen", fragte sie, „willst du auch unversöhnlich bleiben, wenn ich dir sage, daß Dietrich bereut, und dak er krank ist?" Marlen ließ entsetzt die Hände sinken „Krank? Was fehlt ihm?" „Er wurde verwundet, als er zwei Verbrecher dingfest machen wollte. Dieselben Verbrecher, Marlen, die deinen Bruder um seine Erfindung betrügen wollten. Marlen, willst du mich jetzt anhören?" Dann umfaßte sie Marlen und ging mit ihr dem Hause zu. i Justizrat Niemann wanderte inzwischen ruhig in dem < Garten auf und ab, betrachtete sich hier eine Dahlie, roch ! dort an den letzten Spätrosen, pflückte eine Pflaume von den tief herabhängenden Zweigen und genoß den milden ! Sonnenschein. Er hatte Zeit und wußte, die Sache Diet- j rich Veltheims war bei Karla von Weckenroth in guten ! Händen. Schließlich aber, nach einer halben Stunde Umher wanderns, sah er bedenklich auf die Uhr. Dann trat er entschlossen in das kleine Sommerhaus und klopfte an die Zimmcrtür, hinter der Karla und Marlen ver schwunden waren. „Entschuldigen Sie, meine Damen, wenn ich störe. j Aber wenn einer von Ihnen den Nachtzug nach der Schweiz noch erreichen will, wird es langsam Zeit." Zwei verweinte, aber selige Gesichter sahen ihm ent gegen. „Beide wollen wir den Nachtzug erreichen, Herr Justiz rat", sagte Karla. „Nicht nur Marlen." Marlen nickte mit feuchten Augen. Dann ging sie auf den Justizrat zu. „Können Sie mir verzeihen, daß ich so unfreundlich war?" Justizrat Niemann lachte: „Unsereins ist Kummer gewöhnt, Frau Gräfin. Die Hauptsache: die Angelegenheit meines Auftraggebers ist gut erledigt." Marlen nickte mit heißen Wangen. Und dann lief sie in ihr Schlafzimmer, um die notwendigsten Gegenstände zusammenzupacken. Der V-Zug Berlin—Rom stand in der Halle des An halter Bahnhofs. Die letzten Reisenden strömten herbei. „Bitte Platz nehmen!" riefen die Schaffner. Die ersten Türen schlossen sich schon mit lautem Knall. Aus einem Schlafwagenabteil schauten Karla und Marlen. Manch wohlgefälliger Blick der Vorübergehenden galt ihnen. Wirklich, die beiden sahen auch reizend aus, wie sie so nebeneinander lehnten. Marlen trug ein graues Pelz- jäckchen, das, geöffnet, einen lichtblauen, weichen Woll jumper mit zarten, weißen und grauen Stickereien srei- gab. Auf dem Kopf saß ein kleines graublaues Mützchen. Die weichen blonden Haare lagen um den feinen Kopf. Die grauen Augen mit den dunklen Wimpern strahlten wie zwei Sonnen. Neben ihr Karla in ihrer scheuen, dunklen Lieblichkeit, die durch ein honigfarbenes Reise kostüm mit braunem Jltisbesatz gehoben wurde. Mit Karla war seit ihrer Verlobung eine merkwürdige Verwandlung vorgegangen. Der schwermütige Ernst in ihren Zügen war einer stillen Glückseligkeit gewichen. Es war, als wirkte das Selbstvertrauen, das sie durch ihren Verlobten gewonnen, auch aus ihren körperlichen Zustand zurück. Die kleine Unebenmäßigkeit der Schultern schien gewichen zu sein. Auch schleifte sie das eine Bein kaum noch nach. Doktor Langgisser schob es auf die neue elek trische Behandlung, die er an Karla ausprobiert hatte. Aber Karla wußte es besser: Die seelische Kraft, die sie durch das Glück der Liebe gewonnen, schuf langsam die körperliche Gesundung. Auf dem Bahnsteig stand Justizrat Niemann neben Georg Korda. „Den beiden sieht man's an, daß sie geradeswegs ins Glück fahren — nicht wahr, Herr Korda?" meinte er jetzt lachend. Da nickten Marlen und Karla strahlend. „Nur schade, Georg", meinte Marlen, „daß ich dich aicht mitnehmen kann." „Geht nicht, Schwester Marlen. Du weißt doch, wieviel es jetzt zu tun gibt."