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Orl>Lbcrrocbt8!>c.butz: kunk Türme-Verlag, UsIIe t8salc> 2) Nachdruck verboten. Da>». .^.>rve der Schalter geöffnet, und Käthe erstand ihre Fahrkarte. Sie war ja ein bitzchen zusammcngefahren, als sie den Preis hörte, aber dann war sie doch froh, im Besitz der Karle zu sein. Und so fuhr sie nach Berlin. Fuhr voller Hoffnungen und voll von grenzenlosem Vertrauen in die große, un bekannte Stadt, die ihr Arbeit und Brot schenken wurde. Und sic hatte keine Ahnung, das; cs dort schon vicle Tausende voll Menschen gab, die auch schon lange aus Arbeit warteten und auch hungerten. In einer Art wohligem Dämmerzustand fuhr sie dahin. Und dann war sie wohl, gar ein bißchen eingeschlafcn, denn eine gut mütige Stimme klang: „Heda, Fräulcinchen, die Fahrkarte bitte! Dann können sie ja weitcrschlafen." „ Und Käthe reichte ganz verlegen die Fahrkarte hin, die sic bisher krampfhaft in der Hand gehalten hatte. Aus der nächsten Station stiegen zwei Herren ei::. Ein großer, dunkler. ei'i schlanker, viondcr. Der Blonde lachte laut ans, ließ sich auf die Bank fallen, sagte: „Uff! Ter Tante Bredow und ihren schnatternden Töchtern wären wir entwischt. Pub — das hätte ja zu allem andern Pech noch gefehlt! Meinst du nicht, mein lieber Arndt?" Der Große, Dunkle lachte nicht. Er sagte nur miß mutig: „Was du da wieder angestelll hast! Frau von Bredow hat uns sicher gesehen." „Bestimmt Hal sie das! Aber in der dritten Klasse vermutet sie uns nicht. Tie wird glauben, sie Hai Ge spenster gesehen. Tas hätte ja noch gefehlt! Seit drei Fahren macht sie Iago ans mich, und immer wieder bin ich ihr entwischt. Ich will nun mal nicht in die Familie, lieber laß ich mich loischlagen." „Udo!" Ter Ruf sollte den Blonden warnen, denn man war ooch schließlich nicht allein im Abteil. Der lachte aber noch immer vergnügt, hatte längst das kleine ängstliche, arm selige Geschöpfchcn in der Ecke gestreift und dachte nun gar nicht daran, sich znsammcnzunehmcn. Die Herren setzten sich, und der große Dunkle musterte unausfällig das seine, schmale Gesicht des Mädchens. Und dann wandte er sich ab. Fast lag es wie ein stilles Be dauern um seinen Mund. Udo von Bodenstein erzählte vom letzten Pferderennen. „Jockei Molander war einfach fabelhaft. Na. Stall Windslorp hält den fest, das ist sicher. Der Kerl muß gut verdienen. Na ja — muß er! Kann sich eben doch eines Tages sein Genick brechen. Diese Aussicht hat er wenigstens vor jedem Rennen." Arndt von Berken schien das Gespräch auch zu behagen. Pferde — das interessierte ihn immer. Und die Herren plauderten. Käthe aber lat, als ob sie schliefe. Aber sie hörte jedes Wort. Sie Hörle jedoch hauptsächlich die tiefe Stimme des hochgewachsencn Herrn, der so sachlich und kurz von verschiedenen Pferden sprach. Es gab FachauSdrückc, die sie nicht verstand. Uno auch gar nicht verstehen wollte. Sie wollte nur diese Stimme Horen, die unsagbar be ruhigend wirkte. Schützend klang diese tiefe, schöne Männerstimme. Und Käthe wußte nicht, daß der Blick des Herrn immer wieder ab und zu aus ihr ruhte, und daß er auch mit leisem Bedauern das dünne Mäntelchen streiste, das da neben dem Mädchen hing. Die Herren fuhren auch nach Berlin. Käthe entnahm es dem Gespräch. Sie Hörle jetzt auch genau hin. Denn vielleicht konnte sie ein bißchen aus dem Gespräch lernen, soweit es Berlin anbetraf. Sie war doch gar so unbekannt und fremd. Aber die Herren sprachen vom Hotel „Kaiser- Hof", und da dachte Käthe, daß sie in einem solchen vor nehmen Hotel niemals wohnen konnte. Sie Halle doch nur einige Mark bei sich. Der blonde Herr beugte sich aus jeder Station hinaus. Dann kam er wieder mit enttäuschtem Gesicht zurück. Einmal sag.e er: „Die Tante Bredow schein, wirklich mit sämtlichen fünf Töchtern nach Berlin zu fahren. Uno ich hatte mich der Täuschung hingegeben, daß sie einen ihrer gefürchteten Besuche in einer der einige Stationen von ihrem Gute entfernt wohnenden Familien machen wolle. Wie sollen wir denn in Berlin aus dem Zug kommen? Sie stellt uns ja — und wir werden sie nicht mehr los. Du wirst sehen, Arndt, die werden wir nicht wieder los. Und nun hab' ich ausgerechnet dich im Schlepptau! Dich! Sie hat mir längst in den Ohren gelegen, dich mit nach Bredow zu bringen. Immer hab ich's abgelchnt mit der sachlichen, wahrheitsgemäßen Begründung, daß du dich nirgends Hinschleppen läßt. Sie war schwer verschnupft. Sie kennt deine finanziellen Verhältnisse genau, und nun kannst du dir denken, wie da einer Mutter, die fünf Töchter zu ver sorgen hat, zumute ist. Aber du nimmst ja doch keine von' den Mädels. Wenn nicht mal mir eine imponiert! Die sind mir alle viel zu robust. Ich liebe etwas Feines, Zartes, Liebes, was man maßlos verwöhnen und ver- hätscheln kann. Nicht solche selbstsichere, robuste Trampel!" „Udo!" Ter wippte vergnügt auf der harten Bank ans und nieder. Dann sagte er: „Laß mich doch! Du nimmst die Bredows bestimmt nicht. Du mit deinem verwöhnten Geschmack. Ob nicht schon ein Damenschuh dich meilenweit forttreiben könnte! Ich weiß doch Bescheid! Wenn der Schuh nicht klein nnd elegant ist." Ein kleiner Fuß im groben, hohen Schnürstiefelchen kroch ganz an die Bank, ans der seine Besitzerin saß. Käthe Randolf wurde immer kleiner, schmaler in ihrer Ecke. Und krampfhaft hielt sie die Augen geschlossen. Cie sollten weiterhin denken, daß sie ganz fest schlafe. Und der Zng brauste durch die Nacht. Vielleicht kam schon bald Berlin. Dann würden die Herren aussteigcn. Licht nnd Frohlannc würden sic umgeben — nnd ein ver lassenes Menschenkind würde allein ans dem Bahnsteig stehen, würde nichi wissen, wohin es sich zuerst wenden solle. Und sie. Käthe Randolf, würde nie wieder die schöne, tiefe Stimme hören, die sich wie ein warmes Trostwort in ihr Herz senkte. Wenn doch die Fahrt nach Berlin noch recht lange dauern würde! Noch recht, recht lange! „Wie lange hast du dir eigentlich Urlaub genommen, lieber Arndt?" Udo von Bodenstein fragte cs und besah sehr inter essiert des Freundes eleganten grauen Teidcnbinder, der ihm ausnehmend gefiel. „Urlaub? Gar keinen! Ich bleibe, solange cs mir ge fällt. Jetzt im Winter kann ich ja sehr gut abkommcn, nnd Brigitte macht ja alles nach meinem Wunsch. Die wird mit der ganzen Bande samoS fertig." Er ist verheiratet!, dachte Käthe; eine große Traurig keit war in ihr. Aber sie wußte das vielleicht nicht einmal. Sie wußte nur, daß diese Fahrt herrlich war, weil der hochgewachsene Fremde mit seiner schönen, liefen Stimme da war. Und was für große, durchdringende Augen er hatte! Wenn sie ihn doch noch einmal genau ansehen könnte! Ob sie es wagte? Käthe öffnete die Augen und sah mitten hinein in die großen, dunklen, durchdringenden Männeraugen, die ihr bis in die Seele drangen. Erschauernd schloß sie die ihren wieder. Arndt von Berken aber starrte plötzlich finster zu Boden. Udo von Bodenstein griff nach dem Handkoffer aus braunem Juchten. „In fünf Minuten sind wir auf dem Anhalter Bahn hof. Und dann 'raus und durch die Sperre, wenn wir nicht doch noch der Tante Bredow in die ausgebreiteten Arme laufen wollen." Tie Herren zogen ihre Mäntel an. Udo wiegte sich ein wenig hin und her und meinte dann: „Ein bißchen hart war es schon. In der Zweiten ist's bestimmt bequemer." „Es hat uns nichts geschadet. Und obendrein war's dein persönlicher Wunsch." „Ja doch! Dabei bleib' ich auch. Lieber im Viehwagen zwischen zwei preisgekrönten Ochsen, als wie mit der Tante Bredow im Ertraluruszug!" „Udo, du sprichst von deinen Verwandten." „Von wem denn sonst! Kann ich denn dafür, daß die Bande so ekelhaft ist?" Resigniert schwieg Arndt von Berken. Aber um seinen schön geschnittenen Mund lag doch ei» leises Lächeln. Käthe blieb noch sitzen. Sie wagte sich gar nicht hinter ihrem Mantel hervor. Aber als vcr Zug anruckle, dann stchenblicb, da sprang sie auf, griff nach ihrem Koffer, wollte den Mantel anziehen. Da klang die schöne, tiefe Männerstimme dicht neben ihr: ,Kommen Sie, ich helfe Ihnen cin bißchen." Und er half ihr beim Anziehen des Mantels. „Danke — danke vielmals!" Käthe war dunkelrol, bückte sich nach ihrem Koffer und stieb mit vem Fremden zusammen, der auch nach dem billigen kleinen Köfferchen gegriffen hatte. Er lachte sie an, entschuldigte sich, sagte: „Ich helfe Ihnen noch ein bißchen beim Aussteigen. Sie fahren wohl nicht allzuoft mit der Eisenbahn?" „Ich fahre das erste Mal. Ich war immer in unserer kleinen Heimatstadt", sagte Käthe scheu. Und dennoch war eine unermeßliche Freude in ihr, weil er mit ihr sprach. Das Durcheinander des Aussteigens. Hasten. Lachen. Schimpfen. Rufen nach einem Dienstmann. Und dann stand Käthe allein, hielt ihren Koffer in der Hand und sah den beiden Herren nach, die eilig der Sperre zuschritten. Und dann ging sie langsam vorwärts. Sie sah sich aber plötzlich eingekeilt mitten zwischen eine Schar junger Mädchen, und eine hagere, ältere Dame stand steif auf gerichtet und äugte scharf durch die Lorgnette. „Dumme Person", sagte sie verächtlich, als Käthe sich verlegen aus dem Kreise entfernte. Und Käthx mußte ein bißchen lachen. Das war doch die Tante Bredow, mit der der blonde, lustige Uvo ntu» hatte fahren wollen. ' Der andere hieß Arndt! Wie gut, daß sie seinen Namcu wußte. « Arndt! Wie gut der Name zu ihm paßte! „Ihre Karie, bitte!" Käthe zuckte ängstlich zusammen. Völlig in Gedanken war sie durch die Sperre gelaufen. Sie gab ihre Karte ab, und nun lächelten sie hiutcr ihr her. Sie sah sich nicht mehr um. Mit dem Mcnschen- strom ging sie die breiten Treppen hinunter. Und stand auf vem großen, schönen Platz. Droschken fuhren vor, Droschken fuhren ab, Menschen drängten in die Eingänge des Bahnhofs, Lichtreklame glitzerte ihr entgegen. Große Hotels standen do« drüben. Lärm ringsum. Und sie allein in diesem Lärm, diesem Treiben dieser Weltstadt! Einsam, unbekannt, allen Gefahre« aus geliefert! Eine kleine, alte Dame kain an sie heran. Sic hatte das Mädchen schon einige Male umkreist. Endlich sprach sie es an. „Liebes Fräulein, werden Sie abgeholi? Wenn nicht, dann können Sic bei mir wohnen. Ich vermiete Zimmer. Klein und bescheiden zwar, aber immerhin ist's doch ein Dach über dem Kopfe. Und — geschützt sind Sie bei mir auch. Das wollt' ich Ihnen bloß noch sagen." Käthe sah die kleine Dame an. Wie aus einer anderen Welt kam die ihr vor mit ihren, verhutzelten Gesicht und dem großen altmodischen Hnt mit dem ziegelroten Fcücr- stutz. Roch einmal sah das Mädchen der alten Dame in die Augen, dann ging Käthe mit. Ein neuer Lebensabschnitt benannt Zweites Kapitel. „Ja, was machen wir denn bloß mit der Kleinen? Sie hat ja nicht einmal cin anständiges Kleid, Mama Kulick. Ein schönes Gesichtchen hat sic ja, und das wäre ja schließlich die Hauptsache. Aber soll sic denn auch noch da mit hinausfahrcn? Und soundso ost enttäuscht wieder nach Hause kommen? Wann bekommen wir armen Kom parsen denn wirklich nial was zu tun? Das hängt ja doch auch davon ab, wen man bis zu dem Filmgewaltigen vorläßt. Ich hab's satt — satt bis obenhin. Und ver dient man wirklich einmal cin paar Mark, dann möchte man sie gleich wieder für cin paar neue Kleider ver wenden, damit man recht bald wieder Arbeit bekommt." Mißmutig kaute Olga Schieder an ihrer Semmel. Und Mama Kulick, die kleine alte Dame, die Käthe am Bahnhof abgeholi hatte, die sah ihr zu. Sah ihr gutmütig auf den hübschen Mund. Und dann strich Mama Kulick über das schwarze Wuschelhaar. „Na ja, mein Kind! Aber immerhin haben Sie im letzten Jahr ganz nett verdient." „Nett! Ha, daß ich nicht lache! Im Monat kaum siebzig Mark. Was Sie aber auch netten Verdienst nennen, liebe, alte, bescheidene Mama Kulick." Die alte Frau nickte mit dem Kopfe. „Wenn man so viel hat durchmachen müssen im Leben wie ich, dann wird man bescheiden. Und ich denke, daß das arme, kleine Ding, das heimatlose, auch recht zu frieden wäre, wenn's nur erst mal so an die siebzig Mark im Monat verdienen könnte." Olga Schieder lächelte. „Na ja! Aber unsereins? Ich bin nacy Berlm ge kommen auf die Versprechungen eines Lumpenkcrls hin. Ich hab' mich schon als Filmdiva gesehen! Und was ist geworden? Ach — wär' ich doch daheim geblieben!" „Ja, das hätten Sie Wohl müssen. Und — wollen Sie nicht mehr zurück?" ' „Wollen? Ja — ich möchte gern. Aber Vater bleibt unerbittlich, und er hat der Mutter verboten, mit mir in brieflicher Verbindung zu bleiben. Da Mütterchen nie etwas ohne Vaters Willen getan hat, habe ich nun schon sehr lange nichts mehr von daheim gehört. Toch wozu von etwas sprechen, was nicht mehr zu ändern ist?! Ich bleibe nun hier. Und der Traum von großen Gagen, einem eigenen Auto, Geschenken und Männern, die mir zu Füßen liegen, ist längst ausgcträuml. Ich bleib' also vorläufig Komparsin. Und wenn es mal wieder besser wird im alten schönen Deutschland, dann werbe ich mir irgendeinen anderen Perus suchen." „Ja, das tun Sie nur. Aber jetzt ist's doch gut, daß Sie das Haven. Uno daß Sie bei mir wohnen, Olgachen — nicht wahr?" „Ja! Ich steh' mich tatsächlich noch glänzend mit meinen siebzig Mark, weil ich bei Ihnen wohnen kann. Für uns beide langt es also, weil Sie sehr gut kochen können und nicht viel dazu brauchen. Ich muß also sehr zufrieden sein, daß ich hier sein kann, altes gutes Mama chen Kulick. Ja, das war nun ein kleiner Reinfall. Die Sophie Klenger, die hat immer pünktlich ihr Zimmerchen bezahlt. Und nun dachten Sie, am Bahnhof würde es wieder klappen, weil Sie uns anderen alle am Bahnhof verlassen aufgefischt haben. Na ja, äufgefischl haben Sie ja ein verlassenes Menschenkind, aber es kann Ihnen ja nichts zahlen. Das ist's, was anders gekommen ist, und wozu Sie sich nicht hätten in die Winternacht zu stellen brauchen, kraß Sie nun hier herumhusten und ich mich um Sie sorgen mutz." „Sie hatte solch liebes, verängstigtes Gesicht, und ich sah gleich, datz cS wiedc-r solch verlassenes Menschenkind war, das ich ein bitzchcn schützen mutzte! Und so hab' ich die kleine, schöne Käthe Randolf eben mitgebracht, ohne zu fragen, ob sie auch lange genüg zählen kann. Eine Woche hat sie ja auch gezahlt — nun hat sie eben nichts mehr. Und das arme Kind ist ganz verzweifelt, daß es nichts mehr hat. Ja, ich kann sie nicht hinauswerfen — ich kann's nun mal nicht." lLortsetzung folgt.)