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Urkebvrreobtssedutr: küuk Türme-Verlag, Halle jäasle) 23) Nachdruck verboten. Jetzt Hane sie plötzlich geheiratet, ohne daß man vorher .»was davon erfuhr. Aber wenn ein einfaches armes Mädel einen anscheinend reichen Mann bekommt, der sogar ein so feines Auto hat — wie konnte sie sich in solcher Raschheit in all dies hineinfinden, sogar schon die Lenkung dieses seltsamen Fahrzeugs erlernt haben? Die drei Leutchen brachten diese Tatsache mit Gilbert in Zusammen hang Aber da war wieder etwas, was dagegen sprach. Tie Josefa mutzte Leute kennen, die so gar nicht zu einer armen Werkstudentin patzten . . . Vermittelte Patent ankäufe, zauberte eine herrliche Anstellung nur so aus dem Acrmel hervor, und man saß da und wußte nicht, ob man rräumte oder wachte. Wann war eigentlich das Wunderbare in ihr Leben ge treten? Im vorigen Sommer, als die Josefa hier der Frau Verwalterin Erdäpsel häufelte, die Hühner fütterte und das viele, viele Holzgeschirr blank zu scheuern hatte. Nebst anderen Arbeiten, die zwölf Stunden am Tage und noch länger nicht abrissen... Und just um die gleiche Zeit geschah das Unfaßbare, daß ein fremder Mensch, von dem man niemals etwas gehört oder gar gesehen hatte, plötz lich eine grobe Geldsumme schickte, damit der Gotthold Picringer seine Erfindung fortsetzen und vollenden könne. — Es wurde nicht viel daraus, und man kannte Vie Gründe. Nicht Faulheit oder Unfähigkeit des jungen, begabten Menschen trugen Schuld daran. Plötzlich war die Josefa wieder da, und schon strömte wieder Segen aus geheimnisvollem Born. Abermals kam das viele Geld, diesmal aber an die gute und verständnisvolle Frau Hocholdinger. So, als ob dieser Unbekannte die Verhält nisse ganz, aber schon ganz genau kannte. Die Menschen und wie sie zueinander standen. Mit einem Male wußten eS die drei, wußten es so genau, als stände es mit Fiammenschrift ans Firmament geschrieben — auch da hatte Josesa mitgewirkt! Freilich, wie wäre es auch anders möglich? Daß man das nicht eher herausfand I Sie und nur sie, mit ihrem klugen Köpferl und dem kinder guten Herzen, sie allein hatte es dem Unbekannten ein- gcgcben, wie und womit zu Helsen war, damit zwei Menschen glücklich würden — ach, so namenlos glücklich! Gab es denn Herrlicheres im Leben, als beides zu er ringen: Erfüllung in der Liebe und Gedeihen in der Arbeit?! - > Jg — aber gab es denn überhaupt solche Menschen, dis das Geld, dieses kostbare und unerläßliche Geld, so mir nichts, dir nichts an einen völlig Fremden wandten? Welche Macht wohnte in diesem Mädchen, daß sie diese Wunderblume zaubern konnte, die Güte heißt und Werk tätige Hilfe?! Wie hing das zusammen? Wer gab den Schlüssel zu diesem Geheimnis? Hätte Josefa sprechen wollen, dann hätte sie es getan. Da sie schwieg, mußte sie ihre Gründe dafür haben. Aber, daß sie die Zauberin all dieser geheimnisvollen Gescheh nisse war, das stand nunmehr außer Zweifel. Warum war sie nun schon weit weg, diese seltsame Märchenfee, daß man sie nicht fragen, ihr all ihre Guttaten nicht auf den Kopf zusagen konnte? Nicht einmal ihre Adresse wußte man. Vor Gotthold lag der Briefumschlag, den Pips ihm übergeben, damit er sich beim Käufer seines Patents ein- führcn solle. Darauf stand als Adresse der Name eines der größten Werke, bekannt und weltberühmt, das seine Zweig niederlassungen fast in allen Ländern Europas besaß. Und als nähere Bezeichnung war das Wiener Zentralbüro an gegeben. Gotthold kannte die Bedeutung dieser Fabriken und wußte, daß die größte unter ihnen in der Nähe der Hauptstadt viele, viele Arbeiter beschäftigte. Wo man auch heute noch, trotz der Ungunst der Zeit, mit unverminderten Kräften werkte, und wo — welch ein unaussprechlich herr licher Gedanke — seine, Gottholds Erfindung, Einzug halten sollte! Der junge Mann sprang plötzlich von seinem Sitz auf. Der Nebel zerriß, er sah die leibhaftige Wirklichkeit. Er, Gotthold Pieringer, er war kein Unterdrückter, kein Aus- gestoßener, keiner, der sich sogar vor dem Machtwort einer karten Frau duckey mutzte, weil es ihm an Selbstgefühl gebrach, ^ein Menschenrecht zu verfechten. Seine schlanke, etwas vornüber gebeugte Gestalt straffte sich plötzlich zur selbstbewußten Haltung, Kraft strömte durch Herz und Hirn — ein anderer als bisher war er geworden. Die Frau Lehrer* war hinausgegangen, um nach ihren abendlichen Pflichten zu sehen. Aber die Philippi» merkte mit staunenden, ein wenig furchtsamen Augen diese Wandlung, die mit ihrem Liebsten da vor sich ging. Und da — ehe sie es sich versah, war er auf sie zugetreten, hatte sie an sich gerissen und küßte sie wild und unersättlich wie noch nie zuvor. Angstvoll strebte sie los: „Holdl, bitt' dich! Holdl, die Mutter kann jeden Moment eiNtreten! WaS fallt denn dir ein?" keuchte sie atemlos. „Und wenn?* Siegestrunken und klingend kam es. »Und wenn? Bist du nicht meine Braut? Wirst du nicht bald mein geliehteS Weib? Kann es uns jemand wehren, wenn wir un» lieben und Herzen?" „Da ist noch deine Mutter, Holdl!' erinnerte daS Mädchen, zaghaft und erschreckt über sein plötzliches Un gestüm. „Du bist ihr Einziger, Holdl, das bedenk'!' Bebende Ängst lag in ihrer Erinnerung, aber sie konnte sie nicht unterdrücken. Gotthold aber warf den Kopf in den Nacken. „Ist sie eine Mutter, wie sie sein soll? Warum hat sie mich geknechtet, seit ich denken kann? Nie ein liebes Wort, nie ein freundlich Gesicht! Wie ein Feind war sie immer, den man fürchtet und den man darum nicht lieb haben kann.* „Versündig' dich nit, um Gottes willen...", rief das Mädchen entsetzt. Von einer Mutter, und sei sie auch die härteste, darf man nur gut sprechen, jo hatte sie cs gelernt. Gotthold war ruhig geworden. Er strich über das erblaßte, schöne Gesichtchen da vor ihm: „Sei nicht in Sorge, Schatz, ich will's im Guten ver suchen... und es ist auch Zeit, daß ich geh'. Leb' wohl, mein Mädel! Schlaf' gut und träum' von unserem tiaen Glück — gelt?" Frau Hocholdinger tam wieder herein, als Gotthold eben über Vie Schwelle wollte. „Während ich draußen nach dem Rechten sah, habe ich mir alles überdacht", sprach sie und legte dem jungen Manne die Hand auf die Schulter. „Und es drängt sich mir immer auf: Weißt du, sie, die Josefa, sie ist vielleicht gar nicht das, was sie scheint. Sie allein und kein Mittels mann, sie allein ist unsere Wohltäterin... Nur, wie die Dinge zusammenhängen, das Weitz ich nicht. Warum sie so unendlich viel Gutes für uns tut...?" Als Gotthold hcimkam — er hatte sich den ganzen Weg alles zurechtgelegt, was er der Mutter sagen wollte, damit man nicht in Unfrieden mit ihr auseinander ging —, da satz die Verwalterin noch am Tisch und strickte, wie es ihre Gewohnheit war, an einem dicken, wollenen Strumpf. „Guten Abend, Mutter -I" grützie er, und die alte Zaghaftigkeit wollte sich melden, angesichts dieser harten Züge, die von unbeugsamem Willen sprachen. Sie brummte irgend etwas mürrisch, das ebensogut ein Gegengruß sein konnte. „Setz' dich —", forderte sie dann. „Wie's is, so is 's! — es geschehen noch Zeichen und Wunder. Die Josefa hat mir gesagt, daß sie gar keine arme Werkstudentin ist. Hat was herumgeredet von Menschenpflichten und Nächstenliebe — na, halt so ein überg'schraubtes, modernes Frauenzimmer. Aber reich muß s' sein, die Josesa. Wenn man's also bedenkt,-so mutz man sich die warmhalten. Und darum erlaub' ich dir, daß du die Stell' bei ihrem Vater annehmen darfst..." „Bei ihrem Vater?" staunte Gotthold, und dann ging ihm urplötzlich ein Licht auf. Der Ankauf des Patents, die angebotene Stellung — all dies fügte sich in die Ver mutungen, die man drüben im Lehrerhause getauscht hatte. Und die Josefa, die hatte wahrscheinlich das Geheimnis lüften müssen, um die Mutter gefügig zu machen. Die ärgste Arbeit nach dieser Richtung hatte sie ihm jetzt auch wieder abgenommen. Kein Engel konnte gütiger und klüger sein als die Josefa! Oder Frau Doktor Haller, wie sie ja jetzt hieß. Und sie war die Tochter des großen Fabrikherrn, trotzdem sie Schwcrarbeit getan! Warum blotz? Nun — das war klar, wenn man sich ihre Art zurechtlegte: sie wollte die Menschen sehen, wie sie wirklich sind. In Büchern gibt es so etwas. Warum nicht auch im wirklichen Leben? 'Daß sie dabei aus ihn verfallen war, das wollte er seinem Herrgott und ihr, der gütigen Fee, danken, solange er Atem hatte in der Brust. Aus die gnädig erteilte Bewilligung, die Stelle anzu nehmen, meinte er nur gelassen: „Morgen schon fahr' ich nach Wien, um mich vorzu stellen." Es war, als wollte die Frau etwas erwidern, aber sie schwieg. Es war ihr seltsam, daß ihr Sohn auf die überraschende Erklärung erst gar nicht einging. Also mußte er alles schon gewußt haben. Gewußt haben, ohne ihr auch nur ein Sterbenswort zu sagen. Aber dort vrüben, bei diesen Hocholdingschen, da war er daheim, da hatte er sich ausgesprochen. Trotzdem unterdrückte sie eine ihrer gewohnten bissigen Bemerkungen — nur die eine konnte sie sich nicht versagen: „Derweilen, eh, daß d' a großer Herr bist worden, derf i dir vielleicht 's Reisegeld vorstreckcn — gelt?" „Dank schön!" kam die ruhige Antwort. „Die Frau Lehrer hat mir das Geld geborgt fürs Patent, und ich hab' davon noch so viel, daß ich die Reise zahlen kann. Hernach bekomm' ich ohnehin einen größeren Vorschuß, hat die Josefa gesagt, will sagen, die Frau Professorin Haller." Solch bestimmte Rede hatte der Gotthold zeit seines Lebens noch nicht geführt. Schier entgeistert blickte die Frau auf den so urplötzlich Verwandelten — aber selt samerweise gebrach es ihr plötzlich an Mut, ihn zu maß regeln und klein zu kriegen, wie sie es gewohnt war. Etwas wie Respekt vor dem schlanken, jungen Menschen kam ihr plötzlich. Respekt vor dem eigenen Sohn — eine völlig fremde Empfindung-der Frau Verwalterin, die es mit jedermann aufzunehmen pflegte. Aber die alte Wahrheit bewährte sich auch diesmal: Erfolg schafft Achtung. > „WaS wirst denn anfangen mit dem vielen Geld — he?" preßte sie mühsam hervor, nur, um etwas zu sagen „Ich werde mancherlei brauchen in der nächsten Zeit, das kann sich die Mutter denken?! Aber wann die Mutter was für sich braucht, so sag' sie's nur — soviel sie will und ich kann, soll sie allezeit haben." „Mancherlei wirst brauchen — was denn zum Bei spiel?" erkundigte sie sich, und der alte, hämische, demütigende Ton wollte wieder Oberhand gewinnen. „Dein G'wand, wie's zu deiner Stellung paßt, deine Wäsch' — alles is in Ordnung, das sag' ich. 'leicht hast noch anderes im Sinn?" lauerte sie, ohne aus die letzte Bemerkung einzugehen. Aber auch Gotthold war auf seiner Hut. Er wollte für heute nicht mehr als Frieden. Sollten Kämpfe kommen, dann würde er sie bestehen, das wußte er in plötzlich erwachter Kraft. Eine Lebensweisheit war ihm erstanden, ohne daß er hätte sagen können, woher: Man soll den Dingen nicht nachlaufen, sondern sie an sich heran kommen lassen. Dadurch erspart man Kräfte! Die Auseinandersetzung wegen der Philippi» Hoch oldinger hatteZeit. Jedenfalls fing er nicht davon an, wenn cs sich umgehen ließ. Sein Mädel sollte vorläufig aus dem Spiel -bleiben, damit er in Ruhe das Zunächstliegende be wältigen konnte. Als könne sie Gedanken lesen, so staunend blickte die Frau auf den Sohn. Wie ganz anders sah er plötzlich aus? Wie verwandelt war er und wie ruhig und bestimmt knüpfte er an ihre Bemerkung an: „Wie sie zu meiner Stellung passen, die Kleider und die Wäsche, meint die Mutter? Ja — woher weiß sie es denn, was es für eine Stellung ist? Ich weiß es ja selbst noch gar nicht, sondern soll es erst morgen erfahren —" Darauf ließ sich schlechterdings nichts erwidern. Um sich nicht aus allen Linien geschlagen geben zu müssen, lenkte sie ab: „Willst was essen? Oder hast drüben bei der feine» Jausen dein'n Hunger g'lassen?" Ohne Bissigkeit ging eS eben nicht bei ihr. „Dank' schön, wann ich ein Butterbrot haben könnt' und ein Glas Milch! Nachher will ich noch arbeiten —", war alles, was der Sohn erwiderte, und die Frau fand nichts, wobei man anbinden konnte. So erhob sie sich schwerfällig, um den einfachen Abend- imbitz herbeizuschaffen. Von der Lehrerwitwe und ihrer Tochter war nicht die Rede. Und am anderen Morgen ging Gotthold Pieringer zu Fuß 'nach der entfernt gelegenen Station, um nach Wien zu fahren. Er trug seinen Sonntaganzug, der ziem lich verwachsen aussah, und sein gesamtes Gepäck bildete ein mißfarbener Lodenmantel und eine dicke Papierrolle, die er unter den Arm geklemmt hielt... * * * Ein Jahr war verflossen. Eine kurze Spanne Zeit, doch lange genug, daß sich gar manches ändern tonnte. Zu den drei Ehepaaren, die nun vorhanden waren, war ein viertes gekommen: Gotthold und Philippine Pieringer. Mutter Pieringer hatte nicht viel dagegen tun können; sie war einfach, wie man so sagt, überrannt worden. Weder im Guten noch im Bösen war man auseinander gegangen. Einige Monate nach jener Abreise Gottholds nach Wien war er plötzlich wieder da. Aber die Mutter hätte ihn kaum wiedererkannt. Ein hoher, schlanker Herr, in ein facher, aber feiner Kleidung, eine elegante Reisetasche in der Rechten, so hielt er seinen Einzug. Schon in der ersten Viertelstunde verständigte er die Mutter, daß seine Hochzeit mit der Philippin in der allernächsten Zeit statt finden würde, weil sein Urlaub nur knapp bemessen war. Seine Rede klang ruhig, freundlich und bestimmt und erinnerte in nichts an den jungen, schlottrigen Menschen, der sich von der Mutter mit einem barschen Wort hierhin und dorthin dirigieren hatte lassen. Und ebenso ruhig und bestimmt entwickelte er seine nächsten Lebenspläne: seine Stellung war ihm im technischen Büro der Werke an gewiesen, somit würde er mit seiner jungen Frau in Zu kunft in Wien leben. Eine Wohnung war bereits vorhanden und deren Ein richtung im Zuge. Was er verschwieg, weil er es für unnötig fand, un gute Gefühle auch weiterhin zu nähren, das war der Um- stand, daß die Lehrerwitwe ihren Haushalt hier auflösen und in Zukunft bei ihrer Tochter leben sollte. Ferner, daß eine reiche Aussteuer von der Frau Doktor Haller ein Brautgeschenk für Philippine bildete. Aber auch so versagte der Frau Verwalterin der Atem. Alles war geordnet — ohne sie. Eine Ahnung kam ihr, daß es nicht gut sei, lebenslang mit Händen und Füßen um sich zu stoßen, wenn man sein Aller nicht in Einsamkeit und Ver lassenheit zubringen wollte... * * Eines Morgens saßen die alten Herrschaften, Frau und Herr Professor Haller, wieder einmal einträchtig bei sammen und frühstückten, da brachte Johann eine Depesche auf silbernem Tablett. Depeschen hekam der Professor sehr häufig aus Berlin- und vielen anderen Orlen, jo daß sich seine Frau das Erschrecken abgewöhnt haue, das viele Leute angesichts eines Telcgraphenboten überfällt. Der kleine, viereckige Umschlag war aber diesmal an sie selbst adressiert. Die alte Dame riß ein wenig ungestüm, ein wenig bebend an der Verschlußmarke und entfaltete das Blatt. Ein Ton kam, halb Lachen, halb Schluchzen. Und als ihr Galle besorgt zu ihr hinüberblickte, reichte sie ihm das Papier — ihre Augen strahlten wie Sonnen. Es stand nur wenig darauf: „An Herrn und Frau Professor Haller (Wien). Hortense ist Großmutter geworden — daS gönn' ich ihr! ' Pips und Sohn." Ende. , -