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(12. Fortsetzung.) Doktor Hermann, der Propagandachef, staunte immer mehr. Dieser kleine Mannequin halte nicht nur das Aus- sehen, sondern auch die Art einer jungen Dame auS den allerersten Kreisen. Es war ihm unmöglich, hier noch ein Wort zu sagen. Im stillen mußte er dem jungen Mädchen, vor dem seine Achtung gewaltig wuchs, recht geben. »Ich kann Ihre Entscheidung nicht beeinflussen, Fräu lein Steinbrück. Ich kann Ihnen nur den Rat geben, sich alles noch einmal zu überlegen. Vielleicht beschlafen Sie die Sache erst mal, ehe Sie etwas Voreiliges tun.- Damit war für ihn die Unterredung beendet. »Vielen Dank", sagte Gerlinde leise und ging davon. „Ein sonderbares Geschöpf", murmelte der Mann. „Aber wenn unsere Mädels alle so viel Charakter hätten, stände es besser um sie." Gersheims Brief steckte Gerlinde mit einem Seufzer in ihr Täschchen. Und die Rosen? Sie überlegte, doch dann sagte sie sich, daß die Mutter die Blumen so lieble; und wenn sie ihr alles erzählte, würde sie wohl auch verstehen. Doch den Mantel... ? Soviel die Kolleginnen auch drängten, Gerlinde blieb hart. Keinen Blick warf sie mehr dahin. So hängte ihn Lotte weg und gab Fräulein Scholz den Schlüssel zu dem Schrank, in dem sie den kostbaren Mantel verwahrt hatte. „Mit Gerlinde ha« sich mit einem Schlage alles ge ändert", sagten die fünf Mannequins aus dem Modehaus Merkur. „Bei uns ist es intercssant geworden. Jeden Tag passier« was." Nur Gerlinde selbst dachte anders. Gewiß, sie Halle viel erlebt. So viel wie nie zuvor. Aber in ihr hatte sich nichts geändert. Oder doch? Wollte sie es sich selbst nicht eingestehen, daß der Blick von Gersheims Augen ihrem Herzen die Ruhe genommen hatte? Ihr Herz hatte gefühlt, daß seine Augen traurig blieben, auch wenn sein Mund lachte. Und ihr Her, lilt unter diesem seltsamen Widerspruch, wenn ihr Verstand auch dagegen stritt und immer wieder sagte, daß sie dieser fremde Mann nicht interessiere und daß sie sehr böse qus ihn sei. Als sie an diesem Abend hcimkam, war die Schwester anwesend. „Siehst Lu, Muttchen, ich habe smmer gesagt: Wir I erobern uns die Welt. Linde so, ich so — jede auf ihre j Weise", sagte Gisela ungestüm. Dann aber wurde sie immer erstaunter, als Gerlinde ihnen das Erlebnis des heutigen Tages erzählte. „Und du willst ihn nicht behalten? Linde, du bist ein Schaf!" Giselas Augen flammten. „Siehst du denn nicht, daß er in dich verliebt ist? Er schenkt dir noch mehr. Alles, was du willst. Küken, dann denk an deine arme Schwester!" „Nein, Gisa, denk wie du willst! Ich nehme keine Ge schenke an von einem fremden Manne. Die Rosen hätten mich gefreut und der Bries aus,..." Gerlinde atmete tief.' Sie ahnten ja nicht, wie sehr sie sich über die Rosen und den Brief gefreut hatte. „Nein, Gerlinde, niemals nimmst du so etwas an — niemals! Oder, ich würde mein Kind nicht mehr kennen." Jetzt war die Mütter nicht die blasse, versorgte Frau, jetzt war sie die einstige Komtesse von Nysten, in der der ganze Stolz ihres Blutes lebendig war. Gerlindes Augen leuchteten. Wie vornehm die Mutter jetzt aussah, wie schön in ihrem Stolz! «Ihr kommt bestimmt nicht weiter. Ich weiß nicht, woher ihr beide das habt. Bettelarm und stolz wie die Grafen. Daß Muttchen eine geborene von Nyssen ist, dafür können wir nichts kaufen, und davon sind wir bisher noch niemals satt geworden, wenn Linde jetzt nicht das Geld verdiente als Mannequin und sie nun dieses fabelhafte Glück gehabt hätte", hastete Gisela heraus. Mutter und Gerlinde wechselten einen Blick, den Gisela aber wohl erhascht hatte. „Ihr braucht euch nicht heimlich anzugucken. Macht, was ihr wollt, Uebrigsns, ich habe auch eine Ueber- raschung. Unsere Meisterin hat mir ein Engagement in der Verdi-Diele verschafft. Ich tanze dort vom Ersten an jeden Abend drei Soloeinlagen. So — das ist mein Anfang!" „In der Verdi-Diele? Hat das HauS einen guten Ruf?" fragte die Mutter schon wieder ängstlich. „Ja, Muttchen. Da kannst du ganz ruhig sein. Dort oerkehrt sehr gutes Publikum", antwortete Gisela. * Die Mutter seufzte heimlich. Warum konnte nur nicht einmal alles ganz gut und ruhig sein? Jetzt hätte man aufatmcn können. Ein wenig sorgloser wieder leben. Und nun: Gisela machte ihr mehr Sorge, als sie es Gerlinde anverlrauen konnte. „Ja, und wie soll ich eS mit dem Auto machen, Muttchen? Vielleicht ist sein Angebot höher, als der wirk liche Wer« des Wagens ist? Ich will mir nichts schenken lassen, auf keine Weise." Gerlinde sah die Mutter sragend an. , „Linde, mit dir kann man sich überhaupt nicht mehr verstehen. Mach, was du willst, aber das ejne kann ich dir schon' sitzt sagen: Zu jedem kommt nur einmal da- große Glück. Wenn du es jetzt nicht festhältst, darfst ist es weg, und du guckst hinterher", eiferte Gisela schon wieder. Die Schwester aber schwieg. Sie fühlte, Gisela hatte unbewußt die Wahrheit gesprochen. Sie konnten sich auch nicht mehr verstehen. Das, was Gisela Glück nannte, war für Gerlinde kein Glück. Sie schloß die Augen. Heute abend wollte sie zeitig schlafen gehen. Mit dem Auto, das würde schon werden. Darüber wollte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Es würde sich schon ein Käufe, finden. , ,Bist du müde, Gerlinde?" fragte die Mutter herzlich. „Ja, Muttchen. Ich möchte bald zu Bett, weil es gestern abend schon so spät war." „Spät?" Gisela horchte aus und verfärbte sich ein wenig. „Wann seid ihr denn zu Bett gegangen?" „Um elf Uhr", sagte Gerlinde. „Na eben!" In Giselas Gesicht kroch wieder Farbe. „Ich kam einhalb zwölf; da schlieft ihr schon fest. Habt mich gar nicht kommen hören." „Nein!" lachte Gerlinde. „Wenn ich schlafe, kann man mich wegtragen, und Muttchen war wahrscheinlich auch sehr müde." Frau Steinbrück aber hatte das Gefühl, als schnüre ihr jemand die Brust zusammen. Sie wußte genau, Gisela war um ein Uhr nach Hause gekommen. Wo war sie gewesen? Warum belog sie Gisela? Fünftes Kapitel. Stürmisch klingelte in der Wohnung Günter von Gers heims das Telephon. Der alte Diener des Barons stürzte an den Apparat. „Hier bei von Gersheim." »Hier ist Ria Velten. Ich möchte, bitte, den Baron selbst sprechen." „Bcdaure sehr, gnädiges Fräulein. Der Herr Baron ist augenblicklich nicht zu Hause." „Wieder nicht zu Hause? Ja, wer soll denn das glauben? Schon zum dritten Male ruse ich heute an — gestern zweimal — immer dieselbe Antwort. Na, gut!" kam es entrüstet von der anderen Seite. Der alte Friedrich hörte noch, wie drüben anscheinend der Hörer wütend auf die Gabel geworfen wurde. Dann legte er selbst den Hörer mit der ihm eigenen Behutsam keit auf und schüttelte den grauen Kops. „Hm, diese Damen! Sie sind alle so nervös heute. Und dabei ist es dock keine Lüge von mir. Der Herr Baron ist doch wirklich heute morgen weg und bis jetzt nicht nach Hause gekommen." Mit langsamen Schritten entfernte sich der Alte.