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Orkebcrrcckts8ckutr: küok Dünne-Verlag, NaUe (8a»Ie) 22) Nachdruck verbalen „Na also!" atmete der Professor auf. „Ich fürchtete Ichon, mich lächerlich gemacht zu haben — aber lieb, wie du einmal bist, baust du mir goldene Brücken zum Rückzug..." , „Bereust du deinen Antrag?" scherzte die alte Dame. „Genau besehen — es wäre gar nicht so dumm. Ich fürchte bloß den Fluch der Lächerlichkeit. Was würden die Leute sagen?" „Was Ihnen beliebt", fiel der Professor rasch ein. „Was werden die Leute sagen!, war das Leitmotiv unserer Jugend. Sollen wir von dem Heutigen gar nichts profi tieren? Uebcrlcge dir die Sache, Nesi — übereile nichts! Aber wenn du denkst, cs wäre wunderschön, wenn wir die kurze oder längere Frist, die uns das Schicksal be scheren mag, im gleichen Schritt und Tritt aehcn könnten, dann sag es." Kaum drei Wochen nach diesem denkwürdigen Gespräch sand eine stille Hochzeit statt. Herr und Frau Konsul Breitenschlag waren wieder einmal vonciuaudcr un abhängig verreist, und das traf sich günstig. Frau Nesi, sie sonst so Nachgiebige und Zurückhaltende, konnte ge legentlich eine gewisse passive Energie entwickeln, die dann doppelt eindrucksvoll wirkte, weil sie ungewohnt war; ihre Schwiegertochter nannte dann solche Fälle Eigensinn. Der kleine Salon im Pavillon bekam inmitten einen weißverhüllten Tisch mit einem Kruzifix daraus und links und rechts zwei Blumensträuße. Der alte Pfarrer, ein Freund des Hauses Breiteuschlag noch zu Lebzeiten der verstorbenen Erzellenz, war mit dem Mesner gekommen, zu einer Stunde, da die herbstliche Umwelt schon in Dunkelheit lag. Der getreue Johann mar der einzige, der eingeweiht werden war; er erwartete den hochwürdigen Herrn am Parklor und führte ihn in den Pavillon. Johann und der Mesner fungierten dann als Trau zeugen, und die ganze Zeremonie nahm nur wenig Zeit in Anspruch. Diese zwei Menschen brauchten keine seicr- liche Erinnerung au die Bedeutung der Stunde... Nachher sah der Pfarrer mit den Neuvermählten noch ein Weilchen am Teelisch, während Johann seinerseits dem Mesner den duftenden Grinzinger cinschenktc, den er eigens zu diesem Zweck ans'dem Weinkeller Halle holen müssen. * ... * In einer schönen Billa, wie sie m Rom samt und .anders mil Einrichtung und Bedienung an Fremde ver mietet werden, sahen Doktor Haller und seine Frau beim Frühstück. Die schwarzhaarige Giulia, die gleichzeitig mit der Miete des Hauses übernommen wurde, und deren Kochkünste in keinem Verhältnis zu ihrem guten Willen standen, hatte auch die Funktionen eines Stubenmädchens zu erfüllen, denn Pips wollte keine große Wirtschaft, um in ihrer Freizügigkeit nicht behindert zu sein. Es war Frühstückszeit, und eben diese Giulia brachte mit dem Teebrctt gleichzeitig die Post. Wie ein Stohvogcl fuhr Pips auf das Paket los und überlich cs ihrem Ge bieter, die Hausfrau zu ersehen. Gilbert hatte es gelernt, wie es zu machen war, um Pips zufriedenzustcllen: er konnte Tee einschcnkcn, Bröt chen streichen und Schinkenschnittcn zu appetitlichen, mund gerechten Bissen zurcchtmachcn. Blinzelnd pflegte ihm Pips zuzusehen, wie er mit seinen schlanken Händen diese ungewohnte Arbeit tat. Und während sie ihre und seine Briefe ungeniert öffnete, lieh sic sich wie ein Kind füttern, was Gilbert immer wieder in neues Entzücken versetzte. „Ich freh dir aus der Hand — sag, ob es nicht wahr ist!?" pflegte sie ihn zu fragen. Als Haller aber einmal erkannt, dah Essen und Trinken für Pips nebensächlich blieb, wurde aus dem Scherz Ernst — er lebte in der be ständigen Angst, sie könnte ihm verhungern. Eben Halle er ihr die Teelasse vorgehalten, während sie nach einem großen, viereckigen Umschlag griff und ein dickes Kartonblalt hervorzog. Im nächsten Augenblick hatte Pips die Tasse samt ihrem heißen Inhalt im Schoß liegen, und außerdem hatte sie sich derart verschluckt, während sie atemlos und krampf- hafi hustend von ihrem Sitz aufsprang und im Zimmer herumzutanzen begann, daß es jedem Einiretcndcn angst und bange hätte werden müssen. Gilbert war viel zu benommen, um ihr im Augenblict Beistand zu leisten. Er stand zur Säule erstarrt und blickte immer noch starr auf das Kartonblalt. das ru seinen Füßen niedergcflattert war. Professor Franz Haller Theresia Haller Vermählte. Nichts weiter stand darauf in schöner, lithographierter Schrift. Kein Wieso und Woher. Nur das Datum, und das war alles. Es dauerte eine geraume Weile, bis Pips und Gilbert wieder zu sich gefunden hatten, um sich auf den Boden der Tatsachen stellen zu können. Und selbstverständlich war cs Pips, die zuerst die Sprache wiederfand. „Du, Affi, bitt' dich, zwick' mich ein bissel in den Arm..." „Wozu denn?" erkundigte sich der zärtliche Gatte, ganz entsetzt über die Zumutung solcher Roheit. „Damit ich Weitze daß ich nicht träum'." Haller war zu ihr getreten und hatte sie umfaßt: „Da küsse ich dich doch lieber —", meinte er und ließ den Worten die Tat folgen. „Das genügt nicht", rügte Pips sachlich, wie jemand, der in solchen Dingen genau Bescheid weiß. „Küssen ist eine zu gewöhnliche Sache —", und sie kniff sich selbst in ven festen, runden Arm, vaß sie vor Schmerz „Auweh!" schrie. Dann blickte sie Gilbert in die Augen: „Hast du so etwas für möglich gehalten?" Es säuerte eine Weile, bis Gilbert antworten konnte. Dann kam es langsam uns bevächtig: „Weißt du, Schatz, es sind ja noch keine fünf Minuten her, daß wir diese wundersame Nachricht empfingen, und doch will es mir scheinen, daß es endlos lange her ist... Daraus folgt, daß cs sich um die natürlichste Sache der Welt handelt. Unfaßbar bleiben nur jene Dinge, aus denen sich unser kleiner Menschenverstand keinen Vers zu machen versteht. Ich glaube, so und nicht anders mußte cs kommen, damit wir ganz und gar glücklich werden sollten..." Pips schossen die Tränen in die Augen, und sie schmiegte sich an ihren Gatten: „Manchmal sprichst du wirklich so klug wie ein Er wachsener." Um ihre Rührung zu verbergen, suchte sie Zuflucht zu ihrem alten Selbst. „Ich gebe dir auch voll kommen recht. Immer habe ich mir Sorgen um .Resi' gemacht; nicht, daß es ihr äußerlich an etwas sehlcn konnte, aber drinnen im Herzen, weißt du... Ich habe sie immer tüchtig ausgemöbelt, wenn ich merkte, daß eine graue Stunde sie überkommen wollte. Und wenn ich verreist war, da hatte sie keine Zeit, um über sich nachzudcnken, da war sie viel zu sehr besorgt um mich, ob mir nicht etwas zusticß und so... Aber jetzt, wo ihr diese heilsame Sorge fehlt, wo sie mich in bester Hut weiß, jetzt fürchtete ich immer, sie werde mir kopfhängerisch werden, dic .Nesi'. In der Villa hat sie doch gar keine Ansprache. Und diese alten Frauen, die von Zeit zu Zeit zum Kaffeetratsch kommen,- die zählen doch nicht mit." „Das Nebeneinander mit Papa müßte sie aber doch abgclenkt haben, so daß deine Sorge eigentlich überflüssig war", meinte er liebevoll. „Das verstehst du nicht, dazu bist du noch zu klein...", war alles, was Pips darauf erwiderte. Ls war gegen Mitte Dezember, als der Konsul Breiten schlag in Wien eintraf. Frau Hortense war noch unter wegs und hatte keinerlei Absichten geäußert, wo sie das Weihnachtsfest verbringen wollte. Sic war nicht senti mental. wenn es ihr nicht paßte. Sie konnte vom Zauber der Häuslichkeit schwärmen, der sich ganz besonders unter dem Tannenbaum auswirkte. Aber sie konnte gleich darauf behaupten, daß man einzig am Semmering das richtige Gefühl für dieses Fest ausbringe, wo alles so dicht ver schneit war — noch besser aber in Sankt Moritz, wo die allcrschicksten Wintersportdrcß zusammentrasen. Schließlich aber entschied sie sich zumeist für Cannes oder Nizza... Ebenso rasch wechselte sie ihre Ueberzeugungen, ob der Süden oder Höhenluft dic Jugend am besten konserviere. Und da niemand in der Familie ihre Anwesenheit als besonderen Gewinn verbuchen konnte, so war man es seit Jahren zufrieden, wenn sie vom „Zauber der Häuslichkeit" möglichst lange fernblieb. Am Tage nach seiner Ankunst ging der Konsul, wie er es gewohnt war, hinüber in den Pavillon, um seine Mutter zu begrüßen und das Frühstück mit ihr einzu nehmen. Ein leichtes, belustigtes Lächeln lag auf seinen dicken, genießerischen Lippen, als er sich die Situation ver gegenwärtigte. Er hatte sich von dem Erstaunen noch immer nicht völlig erholt, als auch ihm eiu. lithographiertes Karton blatt mil der Nachricht der erfolgten Vermählung seiner Mutter mit denk^Prosessor Haller zugcgangcn war. Daß sie über ihre eigenen Angelegenheiten zuzeiten nicht viele Worte verlor, das kannte er an ihr schon. Daß sie sich aber zu einem solchen schwerwiegenden Schritt so kurzerhand entschließen konnte, das hätte er doch nicht für möglich gehalten. Aber schließlich — was ging cs ihn an? Willy Breitenschlag war viel zu sehr mit sich selbst be schäftigt, als daß er sich länger mit Angelegenheiten anderer befaßt hätte. Majorenn war Mama ja schließlich, das konnte nicht geleugnet werden. Und eben bei diesem Gedanken angelangt, trat jenes fatale Lächeln in sein Ge sicht... Seitenlange Briefe hatte Frau Hortense seither an ihren Gemahl gerichtet, die alle voll waren von Kommentaren zu dieser überraschenden Heirat. Ihrer Be hauptung nach hatte sie einen Nervenschock erlitten, die Frau Konsul, als sie die Nachricht auf ebenso unpersön- chem Wege erhielt. Sie würde sich noch aus lange Zeit mnauS genieren, in Wien unter die Leute zu gehen! Es sei eine Geschmacklosigkeit sondergleichen von ihrer Schwiegermutter! Sie mache das ganze Haus Breitcn- schläg lächerlich... Und in dieser Tonart ging es weiter, ohne daß der Gatte sonderlich berührt worden wäre von diesem Lamento. Mit feiner Witterung hörte er nur her- aus, daß Hortense, geniert, wie sie sich also fühlte, i» nächster Zeit noch nicht zu kommen beabsichtige. Und das freute den Herrn Konsul Breilenschlag aus mancherlei Gründen... . So trat er in bester Morgenlaune in die Frühstücks halle und fand seine Mutter allein vor. Man begrüßte sich, als sei seit dem vorigen gleichen Besuch nichts Sonder liches vorgefallen, und als der Sohn es dennoch für an gemessen fand, einige Worte, die wie Glückwunsch klangen, zu murmeln, wehrte Frau Resi ab. „Ich bitte dich — wie dic Dinge sind, wollen wir an- »ehmen, dieses Ereignis läge schon lange zurück. Nicht wahr?" „Wo ist denn der neue Papa?" konnte sich Willy nicht enthalten zu witzeln. Aber ehe er noch mehr sagen konnte, unterbrach ihn dis Mutter mit der ruhigen Entgegnung: „Papa wird Md erscheinen. Er hat die Gewohnheit, noch vor dem Frühstück einige Seiten Manuskript zu er ledigen, als Frühaufsteher, der er ist. Du wirst ihn aber jedenfalls begrüßen können, ehe du in die Fabrik fährst. Johann holt ihn in einer Viertelstunde herunter." Die beiden Herren kannten sich nur oberflächlich. Professor Haller war in Begleitung des jungen Paares nach Wien gekommen, als der Konsul mit Gattin bereits zur Abreise gerüstet waren. Man hatte sich an einem Abend im Pavillon sozusagen angefreundct, und das war alles. Nun sollten sie sich als Vater und Sohn gegenübcr- stehen. Inzwischen hatte der Konsul Platz genommen, und seine Mutter schenkte ihm, wie sie es immer tat, den Tee ein, schob ihm die Butter zurecht und bot ihm die kalte Flcischplatte. Er pflegte sehr ausgiebig zu frühstücken, wie denn Essen und Trinken seine Lieblingsbeschäftigung bildete. Und während er sich ganz diesem Genuß hingab, schlürfte Frau Nest ihren Tee in kleinen Schlucken und nahm dazu nur einen Zwieback. Eine Weile herrschte Schweigen, dann aber begann der Konsul: „Apropos — damit ich es nicht vergesse: wenn du nächstens an Pips schreibst, so teile ihr, bitte, mit, daß ihr Protcktionskind, dieser Pieringcr, sich bei mir vorgestellt hat. Ich war eben angciommen und konnte mich mit ihm nur zwischen Tür und Angel befassen. Aber der Eindruck war nicht ungünstig. Vielleicht nehme ich ihn sogar ins Sekretariat — Pips Hai einen guten Blick, ich verlasse mich da auf sie." „Weshalb schreibst du nicht selbst an Pips, besonders, da es sich um eine geschäftliche Angelegenheit handelt, für dic du ihr die Verantwortung anfcrlegst?" erkundigte sich die Mutter. „Pips erwähnte neulich beiläufig, daß sie von dir überhaupt noch keine direkte Nachricht erhalten habe, seit sie verheiratet ist —" Herr Willy Breitenschlag lehnte sich zurück, nahm eine Zigarre aus seinem Etui und begann sie umständlich zu präparieren. „Du weißt, Mama, Prioatkorrespondenz ist mir zu wider. Und auch Pips weiß das..." >> Als damals Pips' kleiner, schnittiger Wagen mit ihrem Gatten als Passagier vom Lehrerhäuschen davongestoben war und den Weg in die weite Welt genommen hatte, da blieben drei Menschen an oem einigermaßen kahl ge wordenen Kaffeetisch zurück, die sich immer wieder an sahen, um sich Gewißheit zu holen, daß die Erlebnisse der letzten Stunden Wirklichkeit waren. Fast zaghaft begann das Gespräch; man suchte und formte Vie Worte, wie traumbefangen. Die Liebenden saßen nebeneinander und hielten einander an den Händen. Am oberen Tischende saß die Mutter in dem alten, le'oerüberzogenen Lehnstuhl, in dem ihr seliger Mann seine Siesta gehalten, und vor ihm dessen Vater. Viel sorgen volle Gedanken, aber auch manches Glück war in den um hegenden Armen dieses alten Möbels entstanden und ver gangen. Aber vielleicht noch niemals zuvor hatte eine Mutter ihre Hände inniger zum Dankgebet gefaltet, ihre Seele aufgcopfcrt dem Ewigen, der die Geschicke lenkt und nun die Loie ihres einzigen Kindes so glückhaft fallen ließ... Aber dann war sie dennoch die erste, die zum Alltag zurückfand. „Es wird spät, Holdl! Meinst nicht, daß du zur Mutter heim mußt; sie wird dich sicher erwarten —", meinte sie in ihrer gütigen Art. Gotthold war emporgefahren. Freilich, jedes Glück muß bezahlt werden; in diesem Falle war der Kaufpreis sicherlich eine böse Szene mit der unerbittlichen Mutter. Die Philippin, die eine Weile still vor sich hingesonncn hatte, hob plötzlich den Kopf: „Eines kann ich nicht verstehen", sprach sie langsam, „Wie kommt die Josefa dazu, so mit vollen Händen Segesi zu streuen? So einfach sie ist, so ganz wie unsereins sie sich gibt; gar manchmal ist etwas an ihr, was mit etneiii Male fremd wird — gelt?" Die Mutter und auch Gotthold nickten eifrig — ja, so war es, wie es die Pini aussprach: zuzeiten war diese liebe Einfachheit von der Josefa wie weggewischt, und sie sprach und befahl wie jemanv, der es gewohnt ist. Und was sie sagte, war so ganz anders, als andere Mädchen eS sich ausdenken würden. ..... (Schluß folgt.)