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ZUR EINFÜHRUNG Die Sinfonie in Es-dur „mit dem Paukenwirbel" ent stand im Jahre 1795. Joseph Haydn (1732—1809) befand sich damals auf seiner zweiten Reise nach England und schrieb sie dort, weil man stürmisch neue Werke von ihm wünschte. Die Bezeichnung „mit dem Paukenwirbel" erhielt sie deshalb, weil das einleitende Adagio mit einem langen, leisen Paukenwirbel beginnt, der fast am Schluß des ersten Satzes, wo ein Stück des Anfangsadagios wiederholt wird, nochmals erklingt. Diese Sinfonie ist mit ihrer früher (1791) entstandenen Schwester, der Sinfonie „mit dem Paukenschlag“ nicht zu verwechseln. Haydn war auch im betagten Alter ein wagemutiger, kühner und experimeatierfreudiger Komponist. Er schuf soviel Neues in der Musik, daß er damals auf seine Zeitgenossen so wirkte, wie heute manche zeit genössische Komponisten. Über den Paukenwirbel, einem instrumentalen Effekt, den man damals nicht ohne andre Instrumente einzusetzen wagte, war man empört, und man diskutierte so wie heute über be stimmte Beckenschläge. Aber Haydn wagte diese Kühnheit doch, die man heute als solche nicht mehr empfindet. Das Hörerpublikum hat sich daran ge wöhnt. Das erste Thema des ersten Satzes, der im lebhaften Sechsachteltakt steht, wiederholt sofort die ersten vier Takte, um es dem Gehör besser ein zuprägen. Das zweite Thema dieses Satzes erhält durch die Oboe einen besonderen Liebreiz. Die Kunst der Durchführung, manchmal kammermusi kalisch durchsichtig und duftig, gibt beredtes Zeug nis von Haydns großem, meisterlichen Können, das auf gleicher Höhe wie das Mozarts und Beethovens steht. Im Andante, dem zweiten Satz, entwickelt Haydn aus einem schlichten, fast volkstümlichen Thema eine Kette von schönen, das Thema ver tiefenden Variationen, wobei auch verschiedene Soloinstrumente zu Worte kommen. Das Menuett nimmt stark auf den damaligen I.ändlerton Bezug, das Trio wird von wenigen Instrumenten bestritten und ist deshalb ein wirksamer Gegensatz zum Menuett. Der Schlußsatz, ein Rondo, fängt mit einem Hornsignal an, worauf das eigentlicheRondo- thema einsetzt. Dieses Rondo hat etwas mehr Ge wicht als die bisher üblichen Schlußrondos der Sin fonien — es hat einen Zug ins Großartige. Haydn zeigt auch hier, was er kann — und er kann sehr viel. Seine Freunde in England sind mit dieser Freundesgabe jedenfalls sehr zufrieden gewesen. Johannes Brahms (1833—1897) hatte das Glück, daß ihn 1853 Robert Schumann entdeckte und in einem berühmt gewordenen Aufsatz „Neue Bahnen“ auf ihn hin wies als den kommenden Meister. Diese prophetischen Worte Schumanns, die, als eine Sel tenheit unter Prophezeiungen, auch zutrafen, wur den dem bescheidenen und zurückhaltenden Brahms zu einer schweren Last — nicht nur, daß sie ihm Neider und Feinde schufen, sondern daß sie ihm auch die Verpflichtung aufbürdeten, ihren prophetischen Sinn zu erfüllen. Der schwerblütige Brahms hat unter diesen Worten Schumanns gelitten. Er war gezwungen. Großes zu schaffen, weil die Welt nach dieser Ankündigung seines Genies Großes von ihm erwartete. Großes konnte ein Komponist damals nur durch die Beherrschung der Sinfonieform bekunden — und so sehen wir im Jahre nach dem Erscheinen des Schumannschen Artikels (1854) Brahms über der Arbeit an einer Sinfonie. Großes schaffen zu müssen heißt nun auch, sich mit dem größten Sinfo niker, mit Beethoven, zu vergleichen. Und da spürt Brahms, der Selbstkritische, seinem eigenen Talente Mißtrauende, daß er an die Gipfelleistungen Beet hovens, an die er anzuknüpfen verpflichtet ist, In diesem Alter noch nicht herankommt. Er über arbeitet das schon in mehreren Sätzen fertige Werk, er instrumentiert es um, er verändert es und gibt ihm eine ändere Gestalt, so daß nach mehrjähriger Arbeit ein Werk entsteht, das Klavierkonzert in d-moll, op. 15, das nun ein Zwitter geworden ist, ein Mittelding zwischen Sinfonie und Konzert. 1859 wurde die Uraufführung im Gewandhause zu Leipzig zu einem Mißerfolg, der Brahms schwer trifft, so daß er erst nach Jahren wieder an die Arbeit sowohl für eine Sinfonie als auch für ein Klavierkonzert heran ging. Brahms zog aus dieser Ablehnung seines Werkes durch das Leipziger Publikum die Erkenntnis, daß es ihm noch an Erfahrung fehle, die ihn zu einer Sinfonie befähige, mit der er in die Fußtapfen Beet hovens treten könne. Vielleicht lag der Mißerfolg auch an der düsteren Schwere des ersten Satzes, den er unter dem erschütternden Eindruck des Schick sals seines Freundes und Gönners Robert Schumann geschrieben hatte. Vielleicht lehnte das Publikum dieses Werk auch deshalb ab, weil es sich über die übliche und schematische formale Anlage hinweg setzt. Die „neuen Bahnen“, die Brahms zu beschrei ten wagte, erwiesen sich für die Hörer als nicht gangbar. Brahms schrieb für seine Zeit „neue Musik“ und erlebte schon damals das Schicksal der schockier ten Ablehnung, das neue Musik bis heute verfolgt. Heute verstehen wir die Ablehnung nicht mehr — weder der hymnische zweite Satz, noch das männ liche, kräftig zupackende Schlußrondo können in uns ein Gefühl des Unbefriedigtseins erwecken. Im Gegenteil! Wir erkennen aus ihnen, daß Brahms herrliche und schöne Wege gefunden hatte, als er sich nach „Neuen Bahnen“ umschaute. Robert Schumann (1810—1856) war ein Sachse. Zwickau war seine Geburtsstadt. Man zählt ihn zu den großen Meistern der Frühromantik, obgleich er einige Züge der Überbetonung seelischer Konflikte, die erst in der Spätromantik richtig zum Ausdruck kommen, schon vorwegnimmt. Er selbst war ein zwiespältiger Mensch, der den in ihm spürbaren Zwiespalt in den zwei erdichteten Gestalten des draufgängerischen, mehr realistischen Florestan und des verträumten, zarten, weichen, echt romantischen Eusebius darstellt. Dieses Zwielichtige seines Wesens kommt in vielen seiner Werke zuni Ausdruck, ja’, man sieht darin das, was echter Schumann ist. Auch in seiner zweiten Sinfonie in C-dur, op. 61, kommt in der Gestaltung der beiden Themen des ersten Satzes diese schumannsche Eigentümlichkeit zum Durchbruch. Allerdings überwiegt in der Durch führung, und damit im entscheidenden Teil der Sin fonie, der draufgängerische Florestan. Das an zweiter Stelle der gesamten Sinfonie stehende Scherzo ist eigentlich eine virtuose Etüde für die ersten Strei cher. Was hier an Fingerfertigkeit und Treffsicher heit verlangt wird, ist außergewöhnlich. Auffällig ist, daß Schumann aus Gründen des Kontrastes zwei verschiedene Trios in diesen Satz einbaut. Das Ada gio in c-moll ist Ausdruck seiner so starken lyrischen Begabung — er versucht, große dramatische Höhe punkte hineinzuweben und diesem Satz dadurch ein sinfonisches Schwergewicht zu geben. Der Schluß satz beginnt mit einem heftig auffahrenden Lauf, der später im Satz eine wichtige Rolle spielt. Schu mann zitiert in diesem Finalsatz aus einem anderen eignen Werk eine Melodie („Nimm sie hin denn, diese Lieder“), womit dieser Satz fast schon ein programmatisches Gepräge erhält. Leidenschaftlich stürmt er dem Ende zu, den trotzig-auffahrenden Lauf wiederholend, der dieses Werk abschließt. Johannes Paul Thilman.