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ist durchsichtig wie Glas. Die drei Sätze-sind meisterlich geformt, die Gedanken präzis und klar und doch mit einem poetischen Schimmer umgeben. Der erste Satz ist in alter Weise auf zwei Themen auf gebaut, das erste wird nach zwei einleitenden Takten des vollen Orchesters, die motivischen Bezug darauf haben, von der Solovioline angestimmt, das zweite ist zunächst der Oboe anvertraut. Phantasievoll die Durcharbeitung des Materials, wobei Gereicht darauf gelegt wird, daß auch das Virtuose zu seinem Recht kommt, dessen edle Zurückhaltung auch der großen Solokadenz das Gepräge gibt. Der Mittelsatz ist ein strömender Gesang von fast mendelssohnscher Süße, an der sich neben der Solovioline auch die Holzbläser beteiligen. Dabei kommt Weismann, der auch ein Instrumentator hohen Grades ist, zu aparten Farb wirkungen. Der letzte Satz ist wieder stärker „linear" gesehen: Die Solostimme ist ein Perpetuum mobile unablässig vorwärtsstürmender Sechzehntel, die auf verschiedene Weise kontrapunktiert werden. Einmal durch ein unisono geführtes Streicherthema, dann durch reizvoll rhythmisierte Einwürfe der Bläser, beides miteinander abwechselnd bis zu dem höchst originellen Schluß, bei dem die Motorik der Solovioline langsam erlahmt und schließ lich erstirbt. Die Gesänge für Alt, Monteverdis „Klage der Ariadne" und Regers „Hymnus der Liebe", stellen Anfangs- und Endpunkt einer gewaltigen Entwicklung dar. Die „Klage der Ariadne" entstammt einer Oper Monteverdis, des ersten großen Musikdramatikers, die verloren gegangen ist. Nur dieses Fragment ist uns erhalten geblieben. Von diesem Gesang wird gesagt, daß er das erste Musikstück geivesen sei, das die Hörer zu Tränen gerührt habe. Es ist also das erste Beispiel einer subjektiven Musik, die um 1800 die objektive Musik der Vokalpolyphonie abgelöst hat. Regers „Hymnus der Liebe“ treibt dieses seelische Er schüttertsein und Erschüttermvollen mit den äußersten komplizierten Mitteln der Romantik auf den Höhepunkt. Wir wissen, daß Reger in anderen Werken der Objektivität der absoluten Musik zustrebte und sie auch erreicht hat. — Monteverdis „Klage der Ariadne" wurde von Carl Orff in unsere heutige Tonsprache insofern übertragen, als er die Instrumentations andeutungen, -wie sie zu Monteverdis Zeit üblich waren, aufgriff und in die heutigen Or chestermöglichkeiten übersetzte. Am I. Juli 1862 schrieb Clara Schumann an Joachim: „Johannes schickte mir -neulich — denken Sie, welche Überraschung — einen ersten Sinfoniesatz". Es vergingen dann 14 Jahre. 14 Jahre voll starken Erlebens. 14 Jahre aber auch steten Wachstums. Den Sommer 1876 verbrachte Brahms im Norden. Saßnitz auf Rügen war die Sommerresidenz. Sie gefällt ihm gar sehr, der herrliche Wald unmittelbar am Meer, und dieses Meer, das ihm anfangs gar zu still und zahm erschien, brachte es endlich auch zu „herrlichen WellenAm 5. Oktober meldete er Simroch aus Lichtenthal den Erfolg dieses Sommeraufenthaltes: „An den Wis- sower Klinken ist eine schöne Sinfonie hängengebliebenEr läßt sie, diese seine erste Sinfonie, mit einer langsamen Einleitung beginnen, wie das Haydn noch regelmäßig getan hat. Was bei diesem aber kontrastierender Auftakt- ist, ist bei jenem etxvas ganz anderes. Indem er in diese Einleitung, die nachkomponiert ist (1862 fehlte sie noch), das gesamte Motiv- material des ersten Salzes zusammendrängt, wird sie ein tönender Mikrokosmos. Die große Schmerzenswelt jener früheren Zeit ist in ihm enthalten. Daher gibt es auch keinen eigentlichen Kontrast zwischen der Einleitung und dem ersten Satz, im Gegenteil, das Allegro beginnt mit dem gleichen grüblerischen chromatischen Motiv, aus dem sich dann das erste Thema kraft voll, als wolle es die trüben Gedanken abschütteln, herauslöst. In der Coda 1wird mit der Wendung nach Dur eine Lösung angedeutet, die eigentlich erst im Finale eintritt. Denn es spannt sich ein großer Bogen vom ersten zum letzten Satz. Die mittleren Sätze sind nur Stützpfeiler. Sie sollen nicht ablenken. Da ist zuerst der langsame Satz, der nach dem ersten zurückblickt. Resignierte Stimmung. Im vierten und fünften Takt wird das chromatische „Schicksalsmotiv" der Einleitung zitiert. Und an die dritte Stelle hat Brahms statt des üb lichen Scherzos ein graziöses Allegretto gestellt. Noch steht die Lösung der im ersten Satz auf- geworfenen dunklen Fragen aus. Der Hornruf in der Einleitung des Finales, eine wahre Verheißung aus der Höhe, fegt das Gewölk auseinander und die Sonne bricht durch. Ihr Thema blüht im satten Ton der Streicher auf. Damit wird wieder einmal das Urthema aller Smfpnik, der „Durch-Nacht-zum-Licht-Gedanke" durchgeführt. Dr. Karl Laux D 05 948 0.4