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ZUR EINFÜHRUNG Günther Raphael (geb. 1903), der jetzt in Schweden lebt, mußte 1933 sein Amt als Kompositionslehrer am Konservatorium in Leipzig niederlegen. Seine Werke kamen nur noch selten zur Aufführung. Trotz dem schuf er weiter und arbeitete an einer Reihe von Werken, die wir noch nicht kennen. Die Ballettsuite „Jabonah“, op. 66 für großes Orchester, schrieb er 1948. Sie ist auf mongolischen Melodien aufgebaut, die er dem Reisebericht eines dänischen Tibet- und Mongoleiforschers entnommen hat. Die einzelnen Sätze tragen programmatische Überschriften, die meist nach den mongolischen Namen der Melodien gewählt worden sind. Die „Karawane“ ist ein Cha rakterstück von großer Ausdruckskraft: das Stamp fen der Lasttiere, das Drängen und Verweilen, der Zusammenstoß zweier Karawanen in der Wüste wird mit unheimlicher Bildkraft geschildert. Das Wort „Jabonah“ selbst heißt „Aufbruch“, ein Wort, das als Gruß und als Ausruf in allen Lebenslagen von den Mongolen verwendet wird. Raphael unterstützt die Bildhaftigkeit seiner Musik durch eine sehr farbige und oft ungewöhnliche Instrumentation, die die fremde und ferne Welt vor unseren Augen lebendig werden läßt. Die Monotonie der Wüste nimmt Klang an, die Geheimnisse exotischer Märchen und Sagen tönen auf, die wilde Kraft unberührter Völker bricht hervor. Farbig, bunt und rätselhaft ersteht diese Welt, die seit je die Europäer lockte. Raphael be weist mit diesem Werk, daß er unter die großen Kön ner unserer Zeit gehört. Franz Schmidt (1874—1939) vertritt die große Wiener Tradition|und vereint in sich die besten Eigen tümlichkeiten der Wiener Klassik und der Wiener Romantik. Er ist Spätromantiker und gehört an die Seite Gustav Mahlers und des Komponisten Richard Strauß, der lange Jahre seines Lebens Wien zur Wahlheimat gemacht hatte. In Schmidts Schaffen (Oper Notre Dame, sieben Sinfonien, ein Oratorium, viel Kammermusik) äußert sich sehr viel vom Geiste dieser heiteren, frohgelaunten Stadt, vor allem ein Sinn für Gefühlswärme und eine üppige Sattheit. Die Concertanten Variationen über ein Thema von Beethoven sind ein Klavierkonzert. In diesem Werk versucht Franz Schmidt eine Synthese zwischen der Welt der Klassik und jener der Romantik zu schaffen. Das Beethovensche Thema, das nach der langsamen Einleitung vom Streichkörper des Orchesters vor getragen wird, zwingt ihn zu einer Verarbeitung im klassischen Sinne. Jedoch bricht immer wieder das liebenswürdige, romantische Talent Franz Schmidts durch, der, selbst viele Jahre lang Orchestermitglied des Wiener Philharmonischen Orchesters, die Or chesterpalette aufs feinste beherrscht. So entsteht ein reizvolles, recht abwechslungsreiches Werk, das durch seinen Wohlklang viel Freunde gewinnen wird. So entsteht ein Werk, das den Geist der klassischen Tradition, der im Thema aufklingt, umformt und ihn so verwandelt, daß die Spätzeit Wiens lebendig wird mit ihren großen musikalischen Persönlichkeiten wie Brahms und Bruckner. Diese Welt wieder zu be schwören, ist die Größe Schmidts. Es gelingt ihm meisterhaft. Viele Klavierkonzerte hat Wolfgang Amadeus Mozart komponiert, und fast jedes ist ein Meisterwerk. Man weiß heute, daß Mozart gerade die Form des Klavier konzertes besonders liebte und daß er sie oft dazu be nutzte, um allerlei Experimente zu versuchen, die für seine Zeit gewisse Neuerungen bedeuteten. Das G-Dur-Konzert (KV. 453) schrieb er 1784. als Da tum steht auf dem Original der 12. April. Er schrieb es für Barbara Ployer, für die er in dem genannten Jahre zwei Klavierkonzerte komponierte. Aber noch nicht genug — in diesem fruchtbaren Jahre schrieb er allein sechs Klavierkonzerte. An solchen Bei spielen ermißt man erst die Größe Mozarts, da jedes ein Meisterwerk ist. Mozart läßt auch nicht nur den Virtuosen glänzen und brillieren, sondern er versucht vor allem, ganz eindeutig klare und bestimmte see lische und geistige Zustände des Menschen widerzu geben. Wichtig ist dabei vor allem, daß er dies mit einer wahrhaft volkstümlichen Musik auszusagen vermag. So ist der Schlußsatz von einer wirklich edlen Volksmelodie erfüllt, die Mozart in der Form des Rondo mehrere Male aufklingen läßt. Aber auch schon in den beiden voraufgehenden Sätzen ist dieser aus dem Volke stammende Anteil nicht zu überhören. Mit einer großen sinfonischen lebhaften Orchester einleitung setzt der erste Satz ein. Mozart versetzt die Hörer unmittelbar ins erste Thema, das er später vom Klavier im Zwiegespräch mit den Holzbläsern wiederholt. Trotz der Melodieseligkeit dieses Satzes ist er straff und kunstvoll geformt. Der zweite Satz enthält eins der schönsten musikalischen Themen, die eben nur einem Mozart gelingen konnten. Dieser Satz kündet von der großen Seele und dem tiefen Gefühl dieses Meisters, der ganze Welten und Ab gründe in sich trug, aber die Kunst besaß, diese Ab gründe zu überbrücken. L. v. Beethoven. Man spricht von der „Fünften“. Jeder weiß, daß damit die 5. Sinfonie Ludwig van Beethovens gemeint ist, sein opus 67 aus den Jahren 1807/08. Damit wird ausgesagt, daß dieses Werk in den geistigen Besitz aller Musikgebildeten, ja, dar über hinaus wohl in das Bildungsgut des Abend landes übergegangen ist. Diese c-Moll-Sinfonie, die, nach einem eigenen Ausspruch Beethovens, der auf die vier Einleitungstakte anspielt („So pocht das Schicksal an die Pforte“), auch die Schicksalssinfonie genannt wird, enthält allerdings auch einen Satz, den I. nämlich, der wohl zumGeschlossensten gehört, was die Tonkunst bisher hervorgebracht hat. Diese Größe und Einheitlichkeit dieses erstaunlichen Satzes ist auf die enge Angleichung des thematischen Materials zurückzuführen, bei der sich von vorn herein das 2. Thema den immerfort klopfenden Achteln des Schicksalsthemas unterwirft. Goethe hat ausgerufen, als ihm der junge Mendelssohn diesen Satz vorspielte: „Das ist sehr groß, ganz toll, man möchte fürchten, das Haus fiele ein; und wenn das nun alle die Menschen zusammen spielen!“ Im Andante con moto variiert Beethoven mehrere Themen. Das erste ist das entscheidende Thema, die Bratschen und Celli tragen es vor. Manchmal hat dieser Satz eine Trauermarschstimmung, und bis weilen klopft in ihm drohend das Schicksalsmotiv des Beginns. Beethoven, der sich nicht gern in ausgefahrenen Ge leisen bewegte, sondern der seit je eigene Wege ging, brachte in dieser Sinfonie eine Neuerung: Die Verbindung von Scherzo und Finale durch eine Überleitung, also die Zusammenfassung des 3. und 4. Satzes. Auch das Scherzo bringt, rhythmisch dem Dreivierteltakt angepaßt, das pochende Schick salsmotiv. Sein Hauptthema jedoch, der gebrochene c-Moll-Akkord, klingt stark an das Finale-Thema der g-Moll-Sinfonie von Mozart an. Die Überleitung zum Finale halten manche für eine der genialsten Eingebungen Beethovens. Busoni meinte, diese Stelle sei eine der wenigen, die wahre Musik zeigte, eine Musik, die nicht in Formen, Formeln und Schematas eingezwängt und erstarrt sei. Das Finale erfreut immer wieder durch seinen jubelnden Opti mismus. Die 4 Themen, die das gedankliche Ge rüst dieses Satzes bilden, der in klarem C-Dur ge schrieben ist, sind diesem freudigen Charakter an gepaßt. Ihr Bau ist so einfach, so schlicht, daß jeder Mensch sie begreift, sie versteht, von ihnen sofort angesprochen wird. Von hier aus erklärt sich die weltumspannende Wirkung dieser Sinfonie, die die tiefsten Gedanken ausspricht und dennoch die brei teste, ja fast populärste Wirkung hervorruft. Johannes Paul Thilman