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Richard Strauß komponierte seine sinfonische Dichtung »Till Eulenspiegel« mit 31 Jahren. Sie wurde - nach einem Ausspruch Wilhelm Furtwänglers - »ein Geniestreich, Beethovens würdig!« »Nach alter Schelmenweise * in Rondoform • für großes Orchester gesetzt« steht über der Partitur. Die Erzählung über den Schelmen »Eulenspiegel«, der zugleich Philo soph und Rebell war, ein echter Volksheld, wird volksliedhaft schlicht mit dem Thema begonnen: »Es war einmal ein Schalksnarr, der hieß Till Eulenspiegel (erstes Hommotiv, nachdenklich - tiefsinnig). Das war ein arger Kobold (zweites Eulenspiegelmotiv in der Klarinette, frech und schalkhaft!). Auf dem Topfmarkt beginnt Till seine Reise: Auf zu neuen Streichen! Wartet nur, ihr Duckmäuser! Und schon geht es, hoch zu Pferde, mitten durch die keifenden Marktweiber. Mit Siebenmeilenstiefeln kneift er aus, versteckt sich in einem Mauseloch und denkt schon wieder an neue Abenteuer. Als Pastor ver kleidet, trieft er vor Salbung und Moral (volkstümliche Weise), doch aus der großen Zehe guckt der Schelm hervor. Im Grunde ist er kein schlechter Kerl, und ihn faßt, ob des Spottes mit der Religion, doch ein heimliches Grauen vor dem Ende. Drum schnell etwas anderes: Mit einem schönen Mädchen tauscht Till als Kavalier zarte Höflichkeiten. Sie hat's ihm wirklich angetan. Er wirbt um sie (die Violinen sollen »liebeglühei^« spielen!), wird aber nicht erhört: Ein feiner Korb ist auch ein Korb. Till ist wüt^A Er schwört, Rache zu nehmen an der ganzen Menschheit. Bald bietet sich GelegenrBt dazu: Gelehrte und Professoren nahen, charakterisiert durch das Motiv der Philister. Nachdem Till diesen Philistern ein paar ungeheuerliche Thesen aufgestellt hat, überläßt er die Verblüfften ihrem Schicksal. Von weitem schneidet er ihnen eine große Grimasse und pfeift einen Gassenhauer. Doch die Philister rächen sich: Till wird vors Gericht geschleppt. Noch pfeift er vor sich hin. Doch sein Tod wird beschlossen. Hinauf die Leiter. Da baumelt er. Die letjte Zuckung, - und noch einmal erklingt versöhnlich »Es war einmal« als Epilog. Wenn Till auch tot ist, im Herzen der Menschen lebt er weiter! Wie gut, daß er uns immer wieder das Lachen lehrt!« Peter Tschaikowski hat die Musik der deutschen Romantiker nicht nur geliebt, sondern auch eifrig studiert, desgleichen die Werke französischer und italienischer Komponisten. Ausgedehnte Reisen in diese Länder vertieften die vielfältigen musikalischen Anregungen vorteilhaft. Dennoch blieb Tschaikowski seiner Heimat und seiner Nation treu, er fühlte sich immer »als Russe im wahrsten Sinne des Wortes«, und er liebte alles »Russische in seinen verschiedenartigen Äußerungen«. Die Fantasie-Ouvertüre nach Shakespeares »Romeo und Julia« erklang 1870 zum ersten mal. Nikolai Rubinstein war der Dirigent. Nach verschiedenen Umarbeitungen wurde schließlich der dritten Fassung der Vorzug gegeben. Auch heute erklingt fast immer diese letjte Formung des Jahres 1880. Choralartig eröffnet eine ernste, ausdrucksstarke Einleitung das musikalische Geschehen, spürbar beeinflußt von den Klängen russi^^r Volksmusik, der sich Tschaikowski innig verbunden fühlte Diese Liedweise ist manc^Bfl als »Thema des Paters« bezeichnet worden. Gemeint ist Pater Lorenzo. Ein sehnsüchtig, sich aufschwingendes, von Harfenakkorden umspieltes Motiv (fast an Richard Strauß ge mahnend!) leitet über zu einem markanten »Allegro mit Säbelhieben«, wie es Balakireff (dem die Ouvertüre gewidmet wurde!) nannte. Es ist aber auch als Mord- oder Todes thema bezeichnet worden. Damit wird der Streit der sich verfeindeten Familien Mon- tague und Capulet charakterisiert. Als Gegensatj folgt das eigentliche Liedthema, das Liebesthema, von dem Balakireff schrieb: »Das zweite Des-Dur ist einfach wundervoll. Ich spiele es mir oft vor und möchte Sie dafür abküssen. Das ist höchste Liebesglut und Wollust und Sehnsucht.« Tschaikowski arbeitete mit diesem ergiebigen Themen material in der Anlage einer klassischen Ouvertüre. Die Instrumentation muß meister haft genannt werden, ja, das gesamte Stück ist ein erster großer Wurf des dreißigjährigen Meisters, erfüllt von Dramatik und Lyrik, von menschlichen Konflikten und beglückenden Stimmungsmalereien. Wenn auch die Uraufführung ein Mißerfolg wurde, begann doch bald danach der Siegeszug dieses Werkes durch ganz Europa. « Gottfried Schmiedel IH-t-92 lt G 059/14/62