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EINFÜHRUNG Die Sinfonie Nr. 33 in B-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart gehört in seine mittlere Schaffenszeit. Er hat sie 1779 in Salzburg komponiert, in einer Zeit, in der Mozart mit ungeheurer Konzentration arbeitete. Ein Jahr vorher war seine Mutter in Paris gestorben, die ihn auf seiner großen Reise über München und Mannheim nach Paris begleitet hatte. Diese Reise galt der Ver tiefung der musikalischen Bildung Mozarts. In den bedeutenden Musikstätten Europas nahm er gierig alle Bestrebungen und Richtungen des musikalischen Lebens in sich auf, die er in seinen Werken verarbeitete und ausschöpfte. So lernte Mozart in Mannheim die Orchesterbehandlung und dio Formenwelt der Mannheimer Schule kennen, während er in Paris die Eigentümlichkeiten des französischen Schaffen mit seinem Hang zur Präzision, zur geistvoll-knappen Aussage und zur Ironie bewunderte und in sich einsaugte. 1779 war das Jahr, in dem Lessing „Nathan den Weisen" schrieb und Gluck seine „Iphigenie auf Tauris“. Die viersätzige Sinfonie ist ein solches konzentriertes Werk voller Geist und zärtlichem Gefühl. Wer die Sprache des musikalischen Handwerks versteht, kommt aus dem Staunen und dem Entzücken über die Fülle und die A»t der Verflechtung der Motive und Themen nicht mehr heraus. Hier ist eine Feinarbeit festzustellen und zu bewundern, die nur den größten Meistern eigen und möglich ist. Der erste Satz, frisch und klar im Klange, bringt die vorgeschriebenen zwei Themen, wobei sich, nach mozartscher Eigenart, das zweite als lyrisches Thema etwas chromatisch gibt. Zu bewundern ist weiterhin, daß Mozart mit den sparsamsten Mitteln arbeitet und eine durchsichtige Musik schreibt, die bis in die letzte Note hinein zu hören und zu verstehen ist. Der zweite (langsame) Satz ist voller Empfindungen, die einen etwas schmerzlichen Charakter haben. Vielleicht erinnert sich Mozart des Todes seiner so sehr geliebten Mutter? Das übersicht liche Menuett mit seinem schlichten Trio offenbart viel Sinn für Humor. Auch das Finale, der Schlußsatz, ist in der Sonatenform gebaut: mit zwei Themen, mit einer Durchführung, die Ansätze zu kontrapunktischer Schreibweise zeigt, und einer Reprise. Aber die geistsprühende, lebendige Art Mozarts, zu musizieren, läßt den Hörer vergessen, mit welcher Genauigkeit und mit welchem Können dieses Werk gearbeitet ist. Wenn auch diese Sinfonie nicht sehr bekannt ist, so kündet sie doch von der bedeutenden Meister schaft Mozarts, der in der kurzen Spanne seines Lebens (1756—1791) zu den höchsten Gipfeln der Musik emporstieg. Johannes Brahms schrieb sein Konzert für Violine und Orchester, op. 77, im Sommer des Jahres 1878 in Pörtschach. Wie sich in die 2. Sinfonie die beglückenden Erlebnisse in jener schönen Natur hineingefunden haben, so ist auch im Violinkonzert zu spüren, welchen belebenden und erquickenden Einfluß die Landschaft am Wörther See auf ihn ausübte. Brahms hat dieses Konzert seinem Jugendfreunde Joseph Joachim gewidmet, der es auch zuerst lange Jahre als einziger gespielt hat. Heute ist das Konzert Gemeingut aller Geiger geworden, die zur Spitzen klasse gehören wollen —• und die Schwierigkeiten, die einst nur Joachim meisterte, werden heute von vielen Virtuosen bewältigt. Joachim hat Brahms manche Anregungen und Ratschläge in Hin sicht auf violintechnische Fragen gegeben — aber aus jeder Note heraus ist zu spüren, daß das Werk ein echter Brahms ist. Das Konzert ist dreisätzig, obwohl Brahms, entgegen allen Gepflogenheiten, zuerst vier Sätze konzipiert hatte. Im ersten Satz ist die große sinfonische Exposition, die Aufstellung der beiden Themen und des gesamten übrigen Materials zu bewundern, ehe er die Solovioline einsetzt. Und nun läßt er nicht wörtlich die Themen von der Geige wiederholen, sondern verändert sie sofort und gestaltet sie frei um. Ein Beweis dafür, daß Brahms doch nicht der strenge Formalist war, als den man ihn so gern hinzustellen beliebt. In wunderbarem Wechselspiel mit dem Orchester ordnet sich in diesem Satze die Violine ins sinfonische Geschehen ein. Der zweite Satz mit seinem schönen Oboenthema am Beginn entfaltet sich zu ernster Schönheit und zu milder Verklärung, während der Schlußsatz mit rassigem Temperament daherkommt und den Schuß ungarischen Wesens klar erkennen läßt. Das Terzenthema am Anfang dieses Finales beschwört unzweideutig zigeunerische Weisen, die dem Werk einen beschwingten, lebensfrohen Abschluß verleihen. Tschaikowskis 6. Sinfonie, seine letzte, nennt er selbst die „Pathetische". Er ist echter Romantiker in diesem Werk, in welchem er mit großem Pathos, also mit einem gewissen Überschwang, seine ihn schmerzlich bewegenden Gefühle zum Ausdruck bringt. Die Sinfonie, ist Darstellung seines Innenlebens, sie ist reiner Individualismus, sie ist ichbetont. Sie ist ein Bekenntnis seiner glühenden Seele, das aber vom damaligen Adels- und Bürgerpublikum in Petersburg zur Ur aufführung ziemlich gleichgültig und uninteressiert aufgenommen wurde (1893). Es war das Publikum, an das sich Tschaikowski im zaristischen Rußland allein wenden konnte, denn der Arbeiter und der Bauer waren in der damaligen gesellschaftlichen Situation von diesen künstlerischen Ereignissen ausgeschlossen. Das Neuartige an diesem Werke ist die Anordnung der Sätze, indem nämlich Tschaikowski es wagt, das Adagio, den langsamen Satz, von seinem üblichen Standort als zweiten oder dritten Satz wegzunehmen und ans Ende zu setzen. Anscheinend ist ihm diese Kühnheit von dem konservativen Publikum seiner Zeit verübelt worden. Die dadurch entstandene Problematik war jenem genußsüchtigen Publikum des Jahrhundertendes schon zuviel. Tschaikowski hält sich in Hinsicht auf die Form der einzelnen Sätze ziemlich streng an das klassische Schema; allerdings ist der Inhalt ausgesprochen romantisch. Das Gefühl überwiegt, eine leidgesätligte Seele schreit ihre Qual in die Welt hinaus. Die Musik ist im letzten Sinne pessimistisch, woran auch die Ausbrüche von Trotz und Drohung nichts ändern. Erschütternd ist der Schluß, ein Lamento, ein Klagegesang eines Vereinsamten. Das Werk ist eigentlich eine Anklage gegen die damalige gesellschaftliche Situation. Man vergißt leider sehr leicht diesen Ausgangspunkt, man sieht in ihm, allerdings mit Recht, ein Gipfelwerk der russischen Romantik, losgelöst vom gesellschaftlichen Hintergrund. Johannes Paul Thilman