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Paul Hindemiths, dieses großen Repräsentanten der neuen Musik, musikgeschicht liche Position und Leistung ist heute längst nicht mehr umstritten. Sein bisher vor gelegtes Werk gehört zu den Großtaten der Musik unseres Jahrhunderts. Mit dem heute erklingenden dritten Streichquartett, op. 22, aus dem Jahre 1922 erinnern wir an die frühe Schaffensperiodc dieses Meisters, der zu der damaligen Zeit allerdings noch nicht allgemein anerkannt wurde. An diesem Streichquartett, das nicht nur eine zentrale Stellung im umfangreichen Kammermusikschaffen Hindemiths, son dern überhaupt in seinem Gesamtwerk einnimmt, lassen sich verschiedene Merk male darlegeji, die Hindemiths spätere stilistische Entwicklung kennzeichnen. Das Werk wurde am 4. September 1922 in Donaueschingen vom Amar-Quartett (mit dem Komponisten am Bratschenpult) zur Freude der musikalischen Fortschrittler, zur Empörung der konservativen Musikfreunde uraufgeführt. Dieses Streichquar tett, das damals heftigste Diskussionen auslöste und als „atonal, pathologisch, exzessiv“ bezeichnet wurde, ist uns heute in seiner Haltung vertraut und wird mit Recht zu den beliebtesten, weil gelungensten Schöpfungen Hindemiths gezählt. Ungewöhnlich an diesem Streichquartett war den Hörern von 1922 die konsequente Anwendung einer polytonal-melodischen Polyphonie im Zusammenhang mit einer Rhythmik, die die traditionelle metrische Periodik durchbricht. Fremd mußte da mals auch die Orientierung an barocken Formen wirken. Hindemiths Streben in seiner Sturm-und-Drang-Zeit war: die musikalischen Grundelemente Melodie, Rhythmus und Klang mit einem neuen Wert zu erfüllen. Entscheidend aber war an diesem Bestreben, daß ihm eine menschliche Aussage innewohnte, wie in dem dritten Streichquartett mit seinen fünf Sätzen. Ein Fugato (sehr langsame Viertel) eröffnet das Quartett. Die erste Violine führt (pp sehr weich und innig) das Thema ein, das von der Bratsche im Sekundabstand übernommen wird. Das Cello und die zweite Violine folgen sodann im Abstand einer kleinen Sekunde. Aus dem Miteinander der in verschiedenen Tonarten ver laufenden Stimmen entstehen die für das Werk charakteristischen polytonalen Klänge. Das Fugato weist eine dreiteilige Form auf. Der Höhepunkt ist auf der Prestosteigerung fff erreicht. Im Anfangszeitmaß klingt der Satz ganz ruhig aus. Unmittelbar schließt sich der sehr energische zweite Satz in schnellen Achteln an. Der Charakter dieses Satzes mutet wie ein wilder Tanz, wie ein heftiges Scherzo mit gegensätzlichem Trio an. Im Unisono stümt das rhythmisch unbändige Thema des Anfangstciles dahin. Die stürmische Entwicklung des Satzes wird von einem ruhigeren Mittelteil unterbrochen, bis im Unisono des Anfangs der Satz ausklingt. Eine poetische Lyrik kennzeichnet den langsamen dritten Satz (Ruhige Viertel. Stets fließend). Die Instrumente spielen mit Dämpfer. Zur Pizzikatobegleitung der tiefen Streicher wird, schlichte Thematik imitierend, durch die Stimmen geführt. Rhapsodisch frei ist der vierte Satz (Mäßig schnelle Viertel) angelegt mit seinen bizarren Figuren, Oktaven, Doppelgriffen, brillanten Passagen. Als letzter Satz schließt sich unmittelbar „gemächlich und mit Grazie“ ein Rondo an, das außer wenigen Steigerungen zumeist pp musiziert wird. Überraschend kommt der plötz liche ff-Schluß. Das Quintett in A-Dur für zwei Violinen, Bratsche, Violoncello und Klavier, op. 81, von Antonin Dvorak, dem großen Meister der tschechischen Musik, wurde in der Zeit vom 18. August bis zum 3. Oktober 1887 geschrieben. Am 6. Januar 1888 erklang es zum ersten Male in Prag. „Das zweite Klavierquintett Dvoraks in A-Dur“, so schreibt der Dvofäk-Biograph O. Sourck, „gehört zum Unterschied vom ersten zu den anmutigsten und erfolgreichsten Kammerwerken des Tondichters und zugleich der gesamten Kammermusik überhaupt. Der musikalische Inhalt des Werkes zeichnet sich durch eine strotzend reiche und blühend schöne Melodik, durch eine strahlend-prächtig harmonische Gestaltung und durch eine sehr persön liche und ausdrucksvolle Rhythmik aus. Die motivische Arbeit und der Gesamt aufbau verraten einen Meister des Kontrapunkts und der Formgestaltung.“ Eine lichtvolle Stimmung zeichnet den ersten Satz (Allegro ma non tanto) aus. Inmitten wiegender Klavierklänge stimmt das Cello eine volksliedhafte Weise an. Später bringt die Bratsche ein nicht minder edles Seitenthema. Diese beiden The men liefern das Material für die im besten Sinne musikantische Entwicklung dieses Satzes. Als zweiter Satz erscheint eine „Dumka“ (Andante con moto). Obwohl der Satz eine etwas wehmütige Stimmung ausdrückt, fehlt dennoch nicht ein tanzmäßig munterer und heiterer Abschnitt. Das Scherzo (Molto vivace) trägt die Bezeich nung „Furiant“, d. h., es wurde nach jenem feurigen, rhythmisch profilierten tsche chischen Volkstanz genannt, den Dvorak in seinen Werken so gern stilisiert nach bildete. Dieser Furiant allerdings verzichtet auf den für diesen Tanz so charakte ristischen Wechsel von ungeraden und geraden Takten. Köstliche Einfälle bestim men den Frohsinn dieses Satzes, der auch im Finale (Allegro) anhält, ja sich jauchzend steigert, so daß man von solchem freudigen Überschwang unbedingt mit gerissen wird. Auch hier begegnen auf Schritt und Tritt frische und einfache Melo dien, die der tschechischen Volksmusik zu entstammen scheinen. In jubelndem Wirbel verklingt das meisterliche Werk. Dieter Härtwig LITE RATURHINWEISE: D. Härtwig, Rudolf Wagncr-Regcny, in: Einführung in die Oper „Der Günstling“, Rcclam, Leipzig 1960 H. Strobel, Paul Hindemith, Mainz 1948 O. Sourck, Antonin Dvorak, Prag 1953 VORANKÜNDIGUNG: Nächstes Konzert im Anrecht D am 27. März 1962, 19.30 Uhr und Freiverkauf 3. Kammermusikabend 6058 Ra III-9-5 262 0,35 ItG 009/99/62