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Bekenntnis ablegen wollen. Der Ausklang des Satzes verliert sich wieder in die weltentrückte Stimmung, aus welcher das erste Vorspiel entstand: der Kreis schließt sich." Karol Szymanowski gilt als der bedeutendste polnische Komponist nach Chopin. Schon in jungen Jahren errang er aufsehenerregende Erfolge. Von der Spätromantik ausgehend (besonders von Reger und Debussy) fand er bald den Weg zu der „modernen Musik" der Jahre um 1910, mit deren vielfältigen Strö mungen er sich lebhaft auseinandersetzte, über Szymanowskis Schaffen in dieser Zeit schreibt der polnische Musikwissenschaftler Tadeusz Marek in einer Studie u. a.: „So viele Anregungen und faszinierende Vorbilder Szymanowski auch verwertete — stets versuchte er, Fremdes in seiner Arbeit zu überwinden und zur eigenen Aussage, zur selbständigen Form vorzudringen." In dieser Schaf fensperiode, und zwar im Jahre 1916, entstand das 1. Violinkonzert. In seinem letzten Lebensjahrzehnt gelangte der vielseitig gebildete und für alle Probleme seiner Zeit interessierte Komponist dann zu einem deutlich national ausgeprägten Stil. Er setzte sich mit der originellen Volksmusik der Go- ralen, der Bergbewohner der Hohen Tatra, auseinander. Besonders deutlich fand dies in dem an vielen europäischen Bühnen aufgeführten kraftstrotzenden Ballett „Harnasie“ seinen Niederschlag. Andere bedeutende Werke Szymano wskis sind die Oper „König Roger", das „Stabat mater", die 3. und 4. Sinfonie sowie Kammermusik, Lieder und Klavierstücke. Szymanowski gehörte zu der Komponistengruppe des sogenannten „Jungen Polen" und hatte großen Ein fluß auf die Entwicklung der polnischen Musik bis in die Gegenwart. Die polnische Musikwissenschaftlerin Zofia Lissa äußerte über das Violin- konzertNr. 1 op. 35 von Szymanowski: „Interessant und für ein Instrumen talkonzert selten ist an ihm, daß es ein Programm hat, und zwar das Gedicht .Maiennacht' des polnischen Dichters Tadeusz Micinski. Ein heidnisches Frühlings fest, Liebestänze der Natur unter einem funkelnden, sternenübersäten Frühlings himmel — das sind die Bilder, die den Komponisten zu den beiden ersten Teilen des im Grunde genommen einsätzigen Konzertes angeregt haben. Die poeti schen Klangbilder sind in diesem Konzert mit orientalischen Impressionen verbunden, die der Komponist auf seinen Reisen in den Süden und den Nahen Osten empfangen hatte. Hinsichtlich der musikalischen Mittel nähert sich Szy manowski in diesem Werk dem Stile der französischen Impressionisten wesent lich mehr als in der dritten Sinfonie. Kurzen, flackernden und sprühenden Motiven im Orchester steht eine lange, geschmeidige und gebrochene, stark chromatische Linienführung der Solovioline gegenüber. Um sie herum lodert und schillert das Orchester und erzeugt mit seinen Motiven und Farben eine eigentümliche Stimmung, die den farbigen Hintergrund für den recht komplizierten Solopart bildet. Man kann hier schwer lich von einer bestimmten thematischen Arbeit sprechen. Einzelne Abschnitte sind im Ganzen des Konzertes zu unterscheiden: Auf die kurze Orchestereinleitung folgt ein lyrischer Teil, danach ein an ein Scherzo erinnernder Abschnitt, dann wieder ein lyrischer Teil mit einem Motiv, das der Komponist auch in seiner .Scheherazade' für Klavier verwendet hat. Der Schluß satz mit der groß angelegten, von dem Geiger Pawel Kochanski bearbeiteten Kadenz für die Solovioline mutet wie eine Zusammenfassung des gesamten Materials an. Mit diesem Konzert wie auch mit seinen .Mythen' für Violine schuf Szymanowski den ganz eigenartigen Stil eines ,Violin-lmpressionismus‘." Erst im reifen Alter von 43 Jahren, 1876, vollendete Johannes Brahms seine Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 und schuf bereits neun Jahre später seine vierte und letzte Sinfonie. Sein sinfonisches Schaffen umspannt also zeit lich gerade ein Jahrzehnt. Aber welch eine Fülle herrlichster Musik, welch eine einzigartige Weite und Wärme musikalischen Ausdrucks verbirgt sich hinter dieser nüchternen Feststellung. Brahms fiel die Auseinandersetzung mit der großen zyklischen Form des 19. Jahrhunderts nicht leicht (allein sein schmerz volles Ringen um die 1. Sinfonie bestätigt dies: lag der erste Satz bereits 1862 vor, so konnte doch das gesamte Werk erst vierzehn Jahre später vollendet wer den). Mit seiner „Ersten" lieferte der Komponist ein hervorragendes Beispiel schöpferischer Aneignung der sinfonischen Tradition eines Beethoven (dessen „Fünfte" sie an Tiefe des Ausdrucks und Größe der Problemstellung verwandt ist), Schubert und Schumann. Von dem berühmten Dirigenten Hans von Bülow stammt das bekannte Bonmot, das Brahmsens „Erste" Beethovens „Zehnte" genannt werden könne. Damit ist die musikgeschichtliche Stellung dieser Sin fonie als bedeutendster Beitrag des 19. Jahrhunderts seit Beethoven klar umris sen. Und nichts anderes stellte auch der gefürchtete Wiener Kritiker Eduard Hanslick fest, als er nach der ersten Wiener Aufführung schrieb: „Mit den Wor ten, daß kein Komponist dem Stil des späteren Beethoven so nahegekommen sei wie Brahms in dem Finale der 1. Sinfonie, glaube ich keine paradoxe Behaup tung, sondern eine einfache Tatsache zu bezeichnen." Die am 4. November 1876 in Karlsruhe unter Max Desoff uraufgeführte Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung (Un poco sostenuto) von 37 Takten, die den thematischen Kern in sich trägt, aus dem der erste Satz hervorwächst: ein chromatisch eindrucksvolles Motiv, zu dem in den Bässen ein unerbittlich häm mernder Orgelpunkt ertönt. Quälende Unruhe, Gefahr, schmerzliches Leid drückt die Einleitung aus. Das anschließende Allegro begehrt trotzig gegen diese Stimmung auf. Aber das chromatische Motiv, dem auch das zweite Thema (in der Oboe) unterliegt, löst ein leidenschaftliches Ringen aus, das in der Durch führung seine Höhepunkte erfährt. Mit dem Kopfmotiv der Einleitung kündigt sich die Coda ein. Die verzweifelte Spannung löst sich trostvoll in C-Dur. Eine zwingende einheitliche thematische Gestaltung besitzt der zweite Satz (Andante sostenuto) mit seinem trotzvoll innigen Hauptthema, das die Violinen, von den Fagotten unterstützt, anstimmen. Mehr elegischen, klagenden Charakter hat das Nebenthema cis-Moll der Holzbläser. Im Mittelpunkt wechseln sich Oboe, Klarinette, Celli und Kontrabässe konzertant in der Führung ab. In der Reprise greift die Solovioline den zweiten Teil des Hauptthemas auf. Die verhaltene Heiterkeit des dritten Satzes (Un poco Allegretto e grazioso) läßt Hoffnung schöpfen, daß die düsteren Kräfte und Gedanken überwunden werden können. Holzbläser führen die Motive dieses Satzes ein (die Klarinetten das wiegende, herzliche Hauptthema). Humorvoll musizieren Bläser und Strei cher im H-Dur-Trio gegeneinander. Mit Recht hat man das Finale dieser Sinfonie als den gewaltigsten Sinfoniesatz seit Beethoven bezeichnet. Drei tempomäßig unterschiedliche Teile geben die äußere Gliederung. Der Satz beginnt mit einer Adagio-Einleitung, die der des ersten Satzes ähnlich ist. Zunächst erklingt ein chromatisch-schmerzliches Motiv, das in eine drohende, unheilvolle Stimmung hinübergeführt wird (synkopische Pizzicato-Steigerungen, verzweifelte Bläserrufe, erregte Streicherfiguren). Da ertönt plötzlich — nach einem Paukenwirbel — ein Seelen- und friedvolles Horn- thema (Piü Andante), das an Webers „Freischütz"-Ouvertüre und Schuberts große C-Dur-Sinfonie erinnert. Danach beginnt der dritte Teil des Finales (Allegro non troppo, ma con brio) mit seinem weitläufigen, jubelnden Marsch thema in vollem Streicherklang, das teilweise an den Freudenhymnus von Beet hovens 9. Sinfonie gemahnt. Nun erfolgt der Durchbruch zu optimistischer Haltung; die dunklen Kräfte werden bezwungen. Neben dem innigen zweiten G-Dur-Thema und dem aktiv drängenden dritten Thema kehren auch die ande ren thematischen Gestaltungen des Satzes wieder und beteiligen sich an der stürmischen Durchführung. Den hymnischen Ausklang dieser einzigartigen Sin fonie bringt das Piü Allegro. VORANKÜNDIGUNG: 17. Januar 1969, 19.30 Uhr, Kongreßsaal 10. AUSSERORDENTLICHES KONZERT (Gastspiel des Berliner Rundfunk-Sin fonieorchesters, der Solistenvereinigung und des Großen Berliner Rundfunk-Chores — Dirigent: Rolf Kleinert) Hector Berlioz: Fausts Verdammung Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1968 69 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 40019 III 9 5 1,8 169 ltG 009 117.68 »Hlharnoonii 5. PHILHARMONISCHES KONZERT 1 968/69