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JOHANN SEBASTIAN BACH: KANTATE Nr. 206 „Schleicht, spielende Wellen" Text frei nach der Umdichtung von Wilhelm Rust und Woldemar Voigt Nr. 1 (Chor) Schleicht, spielende Wellen, und murmelt gelinde, nein, rauschet geschwinde, daß Ufer und Klippe zum öftern erklingt! O Freude, o Wonne, der Frühling kehrt wieder, die Knospen, sie schwellen, froh tönen die Lieder. Es reißen die Fesseln vor Leben und Sonne; der Winter entfloh. Nr. 2: Rezitativ (Baß) O glückliche Veränderung! Der Fluß, den lange Zeit das Eis bezwängte, der dann nach rauhen Stürmen sich durch die wilden Schollen mühsam drängte, eilt fröhlich rauschend nun vorüber, in seiner klaren Flut der Sonne Bild uns spiegelnd. Des Westwinds starke Macht verwehte schnell des Schnees Last, die jüngst der strenge Winter noch auf unserer Wälder Rücken türmte. Wer aber wirket diese Wunder? Der Lenz, der unser aller Lust, der liebste Gast der Erde, auf den in Winters trüben Tagen so jung als alt in süßer Hoffnung schaut, bringt dieses Werk zustande. Drum sing ich fröhlich zu des Frühlings Preis. Nr. 3: Arie (Baß) Floh der Nebel vor der Sonnen, sei es auch im Herzen Licht! Mit dem Eise sei zerronnen, mit dem Frost sei ganz vergangen alles Sorgen, alles Bangen, traurig Herz und Angesicht. Nr. 4: Rezitativ (Tenor) Es schmilzt und schwindet schnell das Eis! Der sel’ge Lenz, er naht, und alle Wasserwellen rauschen frohe Lieder. Schon schwillet meine Flut! Ich fühle es, die Wellen spielen wieder. Das Ufer grünt aufs neu und breitet dort vor mir sein weiches Polster hin. Die grünen Weiden, sie neigen sich herab nun wieder. Seht, Kätzchen, silbergrau, der Frühling ihnen gab, sein Nah’n zu künden, daß wohl bereitet sein ersehnter Einzug. Ihr Wellen mein, schäumt auf, rauscht stärker und geschwinder! Er kommt und will empfangen sein! Arioso (Tenor) Es sollen meine Wasser sich mit in das Lobgetöne mischen. Und jede Welle soll es fließen: Der Frühling kommt herbei! Ein jeder soll es wissen, auf daß er ganz und gar dich, schönster Frühling, mag begrüßen. Nr. 5: Arie (Tenor) Jede Woge meiner Wellen ruft das frohe Wort: der Lenz! Seht, Tritonen, munt're Söhne, wie von nie gespürter Lust meines Wassers Fluten schwellen, wenn in dem Zurückeprallen dieses Namens süße Töne hundertfältig widerschallen. Nr. 6: Rezitativ (Alt) Wohlan, ich nehm’ an eurer Freude teil, ihr rauschenden und frohen Wellen! In Klarheit erstrahlt des Himmels Blau! Die Wolken müssen eilends fliehen. Zwar ist’s mir eine Lust, mit ganzer Kraft im Sturm zu wehen. Doch nun Bescheid’ ich mich, weil Frühlings Hand, des Himmels teure Gabe, das Zepter wieder führt. Wem aber ist wohl unbekannt, wie groß die Freud' ob jener Lust, die Frühling weckt in jeder Brust, wenn durch den Strahl des holden Sonnenscheins die ganz’ Natur und alles Land erblühen. Nr. 7: Arie (Alt) Leise will ich jetze wehen, da der Winter mußt’ vergehen und der Frühling Einzug hält. Zarte Blumen will ich küssen, daß sie Kälte nicht mehr guält und sie froh erblühen müssen. Nr. 8: Rezitativ (Sopran) Verzeiht, ihr mächtigen Naturgewalten, wenn eine Nymphe hier erscheint und eure Reden störet. Euer Eifer ist recht, die Sache groß und kostbar, die ihn nähret. Mir ist ja die Lust noch voll bewußt und aller Nymphen frohes Scherzen, so wir bei unsers Siegeshelden Ankunft spürten, der da verdient, daß alle Kreaturen ihre Herzen als Zeichen ihrer Dankbarkeit ihm her zu einem Opfer führten. Doch hört, was sich mein Mund erkühnt euch vorzusagen: Sagt, ist es nicht als Mahnung zu verstehen, das ganze Land im Frühlingsglanz zu sehen, nachdem der Winter endlich uns verlassen? Die Sonne schenkt uns ihre lang ersehnten Strahlen; drum, wenn sie künftig sich an manchen frühen Tagen verborgen hält, soll’n wir auch ohne Klagen uns in Geduld und Hoffnung fassen. Nr. 9: Arie (Sopran) Hört doch! Der sanften Flöten Chor erfreut die Brust, ergötzt das Ohr, des itzt erwachten Frühlings Stärke macht diese nette Harmonie und tut noch größ’re Wunderwerke, dies merkt und stimmt doch auch wie sie. Nr. 1C: Rezitativ (Baß, Tenor, Alt, Sopran) Wohlan, laßt uns voll Freude sein, der holde Frühling ziehet ein. Er hat des Winters Macht zerstört durch seinen Willen. Er ist bedacht, der Menschen Wunsch und all ihr Sehnen zu erfüllen. Er macht die ganze Erde neu. Doch schaut, wie kommt’s, daß überall das Land erstrahlet im Feierkleid und Blütenpracht? Wie sind so warm der Sonne Strahlen? Ach! Irr’ ich nicht, so seh’ ich, wie das längst gewünschte Licht durch einen Glanz mich rühret, von dem der Lenz, der Erde süße Lust, auch seinen Namen führet. Ei! Nun wohlan! Da uns Gelegenheit und Zeit die Hände beut, so stimmt mit mir noch einmal an: Nr. 11 (Chor) Die himmlische Vorsicht der ewigen Güte, sie schenket den Frühling uns immer aufs neu. So lang un sre Augen beseligt noch schauen die frühlingsbeglückten, neu grünenden Auen, erhebe und rühme stets unser Gemüte, o Herr, deine Treu! Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1968/69 - Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 42569 III 9 5 0,8 1268 ItG 009.102,68 S J »Hlhiamnoni 6, AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1968/69