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ZUR EINFÜHRUNG Joseph Haydn schrieb seine Sinfonie Nr. 9 4 G-Dur im Jahre 1791. Sie heißt wegen eines überraschenden lauten Paukenschlages im 16. Takt des Andante des zweiten Satzes, der bis zu diesem Takte im zartesten Piano verläuft, die „Sinfonie mit dem Paukenschlag". Unter diesem Namen ist sie volkstümlich geworden. Der „Paukenschlag" ist ein Zeichen für allerlei, womit sich Haydn auseinanderzusetzen hatte. Zunächst war Haydn, den wir heute fälschlicherweise gern den „Papa Haydn“ nennen, womit wir ihm eine gewisse Genügsamkeit und auch Begrenztheit seines Wesens und Temperaments andichten, zu seiner Zeit ein wagemutiger und kühner Experimentator, der in seinen Werken allerhand riskierte. Er experimentierte also in diesem Werke mit sehr unterschiedlichen Laut stärkeverhältnissen, mit Überraschungswirkungen, mit bis dahin noch recht wenig gebräuchlichen Effekten der Instrumentation. Die Wirkung dieses Experiments war so, wie heute Neue Musik auf unser heutiges Publikum wirkt. Man war damals schockiert, das heißt: von dem Paukenschlag erschreckt. Wir wissen heute, daß Haydn durch seine damals immer neu wirkenden Werke die Musik auf^fe Höhe der Wiener Klassik hinaufgeführt hat. Wir sehen heute nicht mehr, wie k^^i für seine Zeit alles war, was er schrieb und wie unverständlich viele seiner Werke durch die Neuartigkeit seiner Tonsprache auf seine damaligen Hörer wirkten. Haydn hatte es also auch schon mit einer gewissen Trägheit seines Publikums zu tun, das sich durch die Musik leicht in einen träumerischen Zustand versetzen ließ und ärgerlich bei der Zumutung des Paukenschlages aus dem genießerischen Schlummer emporfuhr. Haydn liebte das Denken in der Musik, was er in seiner ganz neuen Art der Motivaufschließung und der Themenverarbeitung auch be wies. Mozart und Beethoven haben gerade diese Eigenart übernommen. Eine kurze, langsame Einleitung geht dem eigentlichen ersten Satze, einem sehr lebhaften, im Sechsachteltakte stehenden Musikstück, voraus. Das zweite Thema unterscheidet sich vom ersten durch eine größere Süßigkeit und eine graziöse Zartheit. Gerade dieser Satz ist ein Beispiel für das klassische Gleichgewicht zwischen Gefühl und Geist, das sich in seiner erstaunlichen formalen Abrundung zeigt. Der zweite Satz mit dem ominösen Paukenschlagexperiment ist auf einer schlich ten, volkstümlichen Melodie aufgebaut, die in verschiedenen Absätzen immer wieder verändert wird. Das Menuett ist dem volkhaften Musizieren noch am nächsten. Man sieht förmlich die Tänzer sich nach diesen Klängen drehen. Der Schlußsatz ist ein Rondo. In ihm kommt die Seelenheiterkeit Haydns und sein großer Witz, der sich mit einem außerordentlichen Können paart, zum Ausdruck. Haydn war ein geistreicher Mensch, der gerade in den Schlußsätzen seiner Sinfonien seinen Geist funkeln läßt. Um ihn hier ganz zu verstehen, bedarf es einer gewissen musikalischen Schulung, um sich dieser Fülle von motivischen Beziehungen und Verwandlungskünsten hingeben zu können. Wolfgang Amadeus Mozarts jugendlich-anmutige Violinkonzerte stammen aus früher Zeit, als er sich noch selbst als Geiger betätigte. Italienische und französische Einflüsse sind darin verarbeitet. Das dritte Violinkonzert G-Dur KV 216 entstand am 12. September 1775 in Salzburg. Das breit ange legte Anfangstutti des ersten Satzes bringt in Sonatensatzform alle sinfonischen Themengruppen, die dann im folgenden Solo teils thematisch, teils vermittels neuer Episoden weitergeführt werden. Gefühlvoll innig, ja schwärmerisch strömt das empfindsame Adagio, „die süße Träumerei, in der der Solist am Schluß noch mals die Augen aufschlägt und dem holden Traumbild seinen Scheidegruß nach ruft“ (H. Abert). In das lockere, leichtflüssig-galante Schlußrondo fügte Mozart nach französischem Brauch ein Couplet in fremder Ton- und Taktart ein: ein Andante Minore (Moll) mit nachfolgendem Allegretto Maggiore (Dur), in dem die Solo-Violine über liegenbleibendem „Musette"-Ton eine volksliedartige Weise anstimmt. Das Orchester hat in diesem Werk gegenüber den beiden vor ausgegangenen Violinkonzerten Mozarts bereits stärkeren Anteil an der thema tischen Gedankenentfaltung und Formgestaltung. Mit den Streichquartetten a-Moll (op. 13) aus dem Jahre 1827 und Es-Dur (op. 12) von 1828 begann Felix Mendelssohn Bartholdys zweite Schaffenspe riode, zu deren Meisterwerken die Ouvertüren „Meeresstille und glückliche Fahrt", „Die Hebriden" und „Das Märchen von der schönen Melusine", die „Italienische Sinfonie", die Kantate „Die erste Walpurgisnacht" und unter verschiedenen Klavierwerken („Lieder ohne Worte") besonders das Klavierkonzert Nr. 1 g - M o I I o p. 2 6 gehören. Dieses Konzert, das unter Mendelssohns Werken für Klavier und Orchester gegenüber dem zweiten Konzert d-Moll op. 40 und dem bekannten „Capriccio brillant" unstreitig an erster Stelle steht, verdient einer ungerechtfertigten Vergessenheit entrissen zu werden. 1831/32 entstanden, hebt sich das frische, brillante Klavierkonzert g-Moll mit seiner einfachen, klaren Ge dankenwelt vorteilhaft ab von der Flut äußerlicher Virtuosenkonzerte der dama ligen Zeit. Klassische Einflüsse, besonders Beethovens, werden spürbar. Es kommt zu einem wirklichen „Konzertieren“ zwischen Solist und Orchester, zu einer schönen musikalischen Entwicklung. „Dem Bestreben der Romantik, feste Konturen aufzulösen, unter dem Blickpunkt einer leitenden Idee die einzelnen Sätze eines Werkes unmittelbar ineinander übergehen zu lassen, ist Mendelssohn auch in diesem einst sehr beliebten Kon zert gefolgt. Fanfarenstöße stellen die Verbindung zwischen den drei Sätzen (Molto Allegro con fuoco — Andante — Presto) her. Eine im letzten Satz auftre tende thematische Reminiszenz an das Seitenthema des ersten Satzes schließt die Teile der Komposition, in der ein weich schwärmerisches ,Lied ohne Worte' von der Brillanz der Ecksätze eingerahmt wird, noch fester aneinander“ (H. Chr. Worbs). Dmitri Schostakowitsch ist heute unbestreitbar der bedeutendste und eigenständigste sowjetische Komponist. Darüber hinaus zählt er zu den profilier testen, führenden schöpferischen Persönlichkeiten der internationalen Gegen wartsmusik, als Sinfoniker (mit bisher dreizehn überragenden Belegen aus die sem Schaffensgebiet) steht er einzigartig in der musikalischen Welt da. Außerdem finden sich in seinem Oeuvre, das der nationalen Tradition zutiefst verpflichtet und zugleich überzeugender Ausdruck echten musikalischen Neuerertums ist sich bewußt zu einer ideelich klaren, vielfach programmatischen Tonsprache bekennt, Beiträge zu fast jeder musikalischen Gattung. Neben seinen Sinfonien stellt das heute erklingende Konzert für Violine und Orchester N r. 1 a - M ol I op. 9 9 eine seiner hervorragendsten Schöpfungen dar. Im Jahre 1948 erstmalig konzipiert, 1955 schließlich vollendet, widmete Schostakowitsch sein ungemein dramatisches, konfliktgeladenes Violinkonzert David Oistrach, der es auch erfolgreich uraufführte. Oistrach, einer der besten Kenner dieses Werkes, veröffentlichte in Heft 7, Jahrgang 1956, der Fachzeitschrift „Sowjetskaja Musyka" eine Besprechung, die an dieser Stelle als Einführung zitiert sei: „Strenge Verhaltenheit der Gefühle charakterisiert den ersten Satz (Moderato), der den Titel .Notturno 1 trägt. Er entwickelt sich in breitem, melodischem Fluß, in ruhiger Bewegung. Hier gibt es keine kontrastierenden Themen. Haupt- und Seitenthema ergänzen einander. Ein lyrischer, schwermütiger Charakter sowie die Gemeinsamkeit der rhythmischen Bewegung verbindet sie. Adel und Herzens wärme atmet das Hauptthema. Edlen, liedhaften Charakter hat die Melodie des Seitenthemas. Der von dramatischer Spannung erfüllte Satz verläuft allmählich abgeklärter, ruhiger. Innerhalb des Konzerts erscheint er wie ein selbständiger Prolog. Der zweite Satz (Allegro) hat den Charakter eines Scherzos. Die heftige, drän gende Dynamik, die komplizierte polyphone Anlage (eine Fuge im Mittelpunkt der Durchführung), die farbenprächtige Instrumentierung — das alles ist sehr eindrucksvoll. Die Musik ist stürmisch, ungestüm, sie hat etwas Dämonisches. Das