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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H V G I E N E - M U S E U M Werner Egk geb. 1901 Franz Liszt 1811-1886 Darius Milhaud geb. 1892 Hector Berlioz 1803-1869 Sonntag, den 20. Oktober 1968, 19.30 Uhr 1. KONZERT IM ANRECHT C Dirigent: Lothar Seyfarth Solist: Günter Kootz, Leipzig, Klavier Suite aus dem Ballett „Abraxas" Der Pakt (Allegro giusto) Die Verstrickung (Adagio) Pandämonium — In der Hölle (Allegro molto — Presto) Die Begleichung — Faust und Margarethe (Andante tranquillo — Allegro) Totentanz (Danse macabre) - Paraphrase über „Dies irae“ für Klavier und Orchester Erstaufführung PAUSE Le Carnaval d'Aix (Der Karneval von Aix) - Fantasie für Klavier und Orchester Le Corso — Tartaglia — Isabelle — Rosetta — Le bon et le mauvais tuteur (Der gute und der böse Vormund) - Coviello - Le Capitaine Cartuccia — Pol ich i rnel le - Polka — Cincio — Souvenir de Rio (Tango) - Finale Erstaufführung Le Carnaval Romain (Der Römische Karneval) - Ouvertüre caracteristique für großes Orchester op. 9 Allegro assai con fuoco - Andante sostenuto - Allegro vivace GUNTER KOOTZ wurde 1929 in Görlitz geboren. Ersten Klavierunterricht erhielt er im Alter von fünf Jahren bei W. Schmidt, erste Konzerte mit Orchester gab er 13jährig. 1946 bis 1949 studierte er an der Leipziger Musikhochschule bei Prof. Rudolf Fischer. 1949 wurde er Aspirant, 1951 Dozent für Klavier, 1961 Abteilungsleiter für Tasteninstrumente am glei chen Institut. 1948 erhielt der Künstler den ersten Franz-Liszt- Preis in Weimar, 1950 einen Bach-Preis in Leipzig und 1963 den Kunstpreis der DDR, 1964 wurde er zum Professor ernannt. Günter Kootz konzertierte mit allen führenden Orchestern der DDR und unternahm u. a. Kon zertreisen nach Polen, der CSSR, nach Bulgarien, Rumä nien, Albanien, Österreich, Ita lien, China, in die Sowjetunion und nach Westdeutschland. Mit der Dresdner Philharmonie mu sizierte er in den Jahren 1952— 1967 wiederholte Male. ZUR EINFÜHRUNG „Die Musik von Werner Egk ist vor allem lebendig, kraftvoll und farbig. Ihre Stärke stammt aus den gleichen Quellen, die die Meisterwerke unseres Jahrhun derts gespeist haben. Seine Musik begnügt sich keineswegs mit der Rückwendung zu neoklassizistischen Formeln, die uns so häufig enttäuscht haben. Sie ist auch frei von jenem übertriebenen Konstruktivismus, der durch sterile Komplizierthei ten gewisse Werke nur zum Vergnügen von Spezialisten ohne jede Wirkung auf den unvoreingenommenen Hörer hervorgebracht hat und der sich in vielen Fällen in allzu starker Abhängigkeit von der romantischen Epoche befindet. Egks Sprache ist direkt, manchmal urwüchsig, häufig voller Charme, sie berührt den Hörer unmittelbar und ist allgemein verständlich." So äußerte sich einmal der Schweizer Komponist Arthur Honegger über Werner Egks Kunst, des Schöp fers so vielgespielter, weil höchst theaterwirksamer Opern wie „Die Zaubergeige", „Peer Gynt" und „Der Revisor" oder Ballettwerke wie „Joan von Zarissa" und „Abraxas". Der in Augsburg, Frankfurt und München — hier bei Carl Orff — Aus gebildete, 1950 bis 1953 Direktor und Kompositionsprofessor der Westberliner Musikhochschule, seit 1950 Präsident des westdeutschen Komponistenverbandes, mit der Musikstadt Dresden seit langem eng verbunden, gehört fraglos zu den populärsten Komponistenpersönlichkeiten der zeitgenössischen deutschen Musik. Das dankt er vor allem seinem urtümlichen bajuwarischen Musikantentum, mit dem er Anregungen von Strauss, Strawinsky und der französischen Musik assi milierte und zu einer eigenständigen, bildhaft-plastischen, ja „schaubaren'' Tonsprache gelangte. Sein Faust-Ballett „Abraxas" (1947), eines der gelungensten Tanzwerke unserer Zeit, ist ein bezeichnendes Beispiel seiner innigen Bindung an die Tanz bühne. über Handlung und Musik dieses Stückes teilte der Komponist u. a. fol gendes mit: „Die Handlung folgt nicht dem . . . Goetheschen Faust, sondern ist vielmehr angeregt durch die . . . zahllosen Volkssagen von Dr. Faust. Wie in der Mehrzahl dieser Sagen ist auch im .Abraxas' die Erlösungsidee aufgegeben. An ihre Stelle tritt die ausweglose Katastrophe als Sinnbild einer millionenfach bestä tigten Erfahrung: Faust, der Schuldige, wird bestraft, Margarethe, die Unschul dige, mit ihm vernichtet. Was die Musik betrifft, so ist es eine jedem Tänzer bekannte Tatsache, daß die rhythmische Kontinuität eines Musikstückes den Körper löst und die Schwünge frei und Sprünge elastisch macht. Im Gegensatz dazu kommt das rubato, der Tempowechsel, und das Improvisatorische, die sich frei entfaltende Bewegung. Das bedeutet, daß alles Untermalende, Psychologisierende oder sonstwie außer musikalisch Bedingte beim Bau einer Ballettmusik ausscheiden sollte und daß es den Tanz eher stört als unterstützt, wenn ein Musiker sich von der eigentlich musikalischen Domäne entfernt . . . Dagegen hat sie sich mit dem Tanz in alle Funktionen zu teilen, die im Drama dem Wort und dem Gedanken zugewiesen sind." Das Ballett spiegelt in fünf Bildern die handlungsmäßigen Schwerpunkte der Faustsage wider: den Pakt, die Verstrickung, das Pandämonium, das Trugbild, die Begleichung. Die vom Komponisten zusammengestellte Konzertsuite bringt in gestraffter, gekürzter Form vier dieser Ballett-Teile; auf das „Trugbild" wird gänzlich verzichtet. Heinrich Strobel charakterisierte die musikalischen Höhe punkte des Werkes folgendermaßen: „Liebesszene Faust-Archisposa (2. Satz): die erotische Atmosphäre ist in dem schwankend-erregenden Gedanken eingefangen, der, von Streichern leise umzittert, die ganze Szene beherrscht — bis zu den dröhnenden Blechdissonanzen, die die Flucht des Paares begleiten . . . Das Pan dämonium (3. Satz) zeigt Faust und Archisposa auf dem Höhepunkt ihrer Liebes raserei, umwirbelt von den Trabanten Satanas'. Die gesamte Musik ist ein un aufhaltsam sich steigerndes Wechselspiel von heftigen Rhythmen und girrenden, peitschenden Streicherfiguren. Auf dem Höhepunkt des Liebestaumels wird das ganze Orchester ein hämmerndes und stoßendes Schlagzeug." Die Musik strebt über die handlungsmäßige Interpretation hinaus zu einer „magisch-sinnlichen" Faszination des Hörers. Abraxas gilt als ein magisches Schlüsselwort aus der Gnostik. Franz Liszt war eine der bedeutendsten Erscheinungen in der Musikge schichte des 19. Jahrhunderts. Als Pianist, als Klavierkomponist und Komponist großangelegter programmatischer Tonwerke — die Durchbildung der Programm- Musik im Anschluß an Hector Berlioz war eine seiner entscheidendsten Leistungen — sowie als sozialer und organisatorischer Anreger des Musiklebens erwarb er unschätzbare Verdienste. Gewiß erscheint uns manches in seiner Musik heute recht zeitgebunden und in seiner Wirkung fernergerückt — doch darf nicht ver kannt werden, daß Liszt trotz starker Betonung des virtuosen Elements, der gro ßen, uns häufig etwas äußerlich-pathetisch anmutenden Klanggebärde stets be strebt war, seinen Werken einen geistigen Gehalt zu geben, was auch auf das in unserem Konzert erklingende Werk, ein typisches Beispiel Lisztscher Programm- Musik, zutrifft. Der Totentanz (Danse macabre), Konzertstück für Kla vier und Orchester, entstand unter mehrfachen Umarbeitungen in den Jahren 1838 bis 1859, wurde Hans von Bülow gewidmet, der ihn auch 1865 erstmalig in Leip zig aufführte. Das zeitweilig höher als die beiden Klavierkonzerte Liszts in der Gunst von Hörern und Spielern stehende Stück verdankt seine Entstehung einer Anregung durch ein Bild „Triumph des Todes" aus Pisa. Es handelt sich um eine Paraphrase über den alten Kirchengesang „Dies irae, dies illa, solvet saeclum in favilla" (Tag des Zorns, jener Tag, der die Welt in Staub zerlöst), denn der Komponist legte dieses Thema — wie Berlioz im „Hexensabbat" seiner „Phan tastischen Sinfonie“ — sechs Variationen zugrunde, in denen er schauerlich düstere, grausig-spukhafte Stimmungen gestaltete.