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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Dienstag, den 5. September 1967, 19.30 Uhr 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Pietro Locatelli 1695-1764 Dirigent: Kurt Masur Solist: Wilhelm Kempff, München, Klavier Concerto grosso f-Moll op. 1 Nr. 8 Largo — Grave — Vivace — Grave — Largo Andante — Andante - Pastorale (Andante) Erstaufführung Wolfgang Amadeus Mozart Konzert für Klavier und Orchester B-Dur KV 595 1756-1791 Allegro La rghetto Allegro PAUSE Sergej Prokofjew 1891-1953 Sinfonie Nr. 3 op. 44 Moderato Andante Allegro agitato Andante mosso Erstaufführung Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1967 68 - Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 41149 III 9 5 0,8 767 ItG 009 50 67 Wilhelm Kempff, einer der bedeutendsten deutschen Pianisten der Gegenwart, seit 1960 Ehren mitglied der Dresdner Philharmonie, wurde im Jahre 1895 in Jüterbog geboren. Erste musika- liche Unterweisung empfing er von seinem Vater, einem namhaften Organisten, und studierte dann in Berlin bei Robert Kahn Komposition sowie Klavier bei Heinrich Barth, einem Schüler Hans von Bülows. Von 1924 bis 1929 leitete Prof. Kempff die Stuttgarter Musikhochschule, gab dann aber diese Tätigkeit auf, um sich ausschließlich dem Konzertieren und dem komposito rischen Schaffen — es entstanden Werke fast jeder Gattung — widmen zu können. Auch als Organist und Improvisator ist der Künstler hervorgetreten, dessen Konzertreisen durch ganz Europa, Südamerika und Japan von höchsten künstlerischen Erfolgen und Auszeichnungen begleitet waren. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Wilhelm Kempff bald wieder auf den Konzertpodien aller Länder heimisch. 1951 veröffentlichte er die Autobiographie „Unter dem Zimbelstern". Mit der Dresdner Philharmonie musizierte der Künstler zuletzt in den Jahren 1959 und 1963. Seine Interpretationen klassischer und romantischer Klavierwerke erlangten Weltberühmtheit, nicht zuletzt durch zahlreiche Schallplattenaufnahmen. ZUR EINFÜHRUNG Pietro Antonio Locatelli wurde am 3. September 1695 in Bergamo geboren und verstarb am 30. März 1764 in Amsterdam, über das Leben dieses italienischen Barockmeisters, Zeitgenosse eines Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Hän del und Georg Philipp Telemann, ist ziemlich wenig bekannt. Er studierte bei Arcangelo Carelli in Rom. 1725 wurde er zum Kammervirtuosen am Hofe zu Mantua ernannt. Zeitweilig wirkte er auch am Hofe des Kurfürsten Friedrich August von Sachsen, den er auf seinen Reisen begleitete. Von 1729 ab war Amsterdam Locatellis fester Wohnsitz bis zu seinem Tode. Nur gelegentlich begab er sich von hier aus noch auf Konzertreisen. In Amsterdam soll er ein Collegium musicum und sogar öffentliche Konzerte eingerichtet haben. Er be tätigte sich als Geiger, Komponist, Geigenlehrer (u. a. war der Franzose J. M. Leclair sein Schüler), Notenkorrektor und Verkäufer von Saiten und scheint durch seine verschiedenen Tätigkeiten ein stattliches Vermögen zusammenge bracht zu haben, besaß er doch eine wertvolle Sammlung von Kupferstichen, Radierungen und Gemälden sowie eine äußerst kostbare Bibliothek. Locatelli war zu Lebzeiten als Geigenvirtuose und Komponist hochgeschätzt. Sein Schaf fen, das zahlreiche Concerti grossi, Opernsinfonien, Violin- und Flötensonaten, Capricen, Triosonaten umfaßt, ist durch besondere Originalität gekennzeichnet. Die Concerti grossi op. 1, 1721 in erster Auflage in Amsterdam erschienen, lassen noch deutlich den Einfluß seines Lehrers Corelli erkennen. Abweichend vom Vorbild ist allerdings die Erweiterung des konzertierenden Trios zum Solo quartett. Das Concerto grosso f-Moll op. 1 Nr. 8 ist mit fünf konzertierenden Instrumenten (zwei Violinen, zwei Bratschen, ein Violoncello), die dem Tutti- Streichquartett gegenübergestellt sind, sogar ein „Concerto a cinque". Die Tonait f-Moll war damals noch recht ungebräuchlich, und auch die kühnen har monischen Ausweichungen des Stückes sind sehr bemerkenswert. Hinzuweisen ist ferner auf den enormen Ausdrucksreichtum der zumeist langsamen Sätze, auf die dichte kontrapunktische Arbeit. Fugiert ist der Vivace-Teil. Eine beson dere klanglich-stimmungsmäßige Kostbarkeit stellt das abschließende Pastorale dar. Das Klavierkonzert B-Dur KV 595, das Wolfgang Amadeus Mozart am 5. Januar des Jahres 1791 vollendete, dessen Ende er nicht mehr erleben sollte, war das letzte Werk, das er für diese von ihm so reich gepflegte Gattung schrieb. Am 4. März 1791 spielte er es selbst zum ersten Male in einem Konzertabend des Klarinettisten Joseph Beer im Konzertsaal des Wiener Hoftraiteurs Jahn. Es ist in seiner ganzen Haltung, die sich merklich von seinen Vorgängern unter scheidet, ein Werk des Abschieds. „Es ist das musikalische Gegenstück Mozarts brieflicher Bekenntnisse, daß das Leben jeden Reiz für ihn verloren habe", sagt Alfred Einstein in seinem hochbedeutenden Mozart-Buch. „Er hatte zwei furcht bare Jahre hinter sich, Jahre der Enttäuschung in jedem Sinne, und das Jahr 1790 war noch furchtbarer gewesen als das Jahr 1789. Und er lehnt sich nicht mehr auf gegen sein Schicksal wie in der g-Moll-Sinfonie, zu der dies Konzert eine Art Komplement ist, und nicht bloß in der tonartlichen Beziehung . . . Die Resignation bedient sich nicht mehr lauter oder starker Ausbrüche; alle Re gungen der Energie werden abgewiesen oder abgedämpft; aber um so unheim licher sind die Abgründe der Trauer, die in den Schattierungen und Auswei-