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s«r. >a JUyopauer ^agevratt uno ««zeige» Montag, oen 4. April 1U3« ElWislhllng Frankreiltzs zWWste« SWjeispanieüs MckbefördttW geflüchteter BglfcheViste» Frankreich scheint der Massenflucht sowjetspanischcr Horden ans eigenartige Weise zu begegnen. Wie das Lon doner Neuterbüro meldet, wurden die über die Pyrenäen nach Luchon geflüchteten spanischen Bolschewisten durch französisches Gebiet nach Sowjetspanien zurückbe- sördert. Ein bedenklicher Akt indirekter Ein mischung ist Tatsache geworden. Feststcht, daß 3000 Bolschewisten mit der Bahn nach Katalonien zurück- geschafft wurden. Wie das halbamtliche Pariser Havas-Büro ergänzend meldet, fand im Nathans von Luchon eine Besprechung statt, an der der sowjetspanische „Konsul' in Toulouse, der Bolschewisten-„General' Cello — Havas bezeichnet ihn als „Kommandant der geflüchteten Armee' — mit seinem ganzen Stabe und zwei sich unter den Flüchtlingen be findliche politische Komissare aus Huesca teilnahmen. Im Anschluß halten die Bolschewistenhäuptlinge eine Unter redung mit den französischen Behörden. Das Ergebnis war, daß noch am Abend drei Eisenbahnzüge nach Cer- böre absuhren, von wo die 3000 Milizleute nach Sowjet- spanicn weiterbefördert wurden. Eine Anzahl verwundeter Milizen wurde nach Toulouse in Krankenhäuser gebracht. Während hier also ein eigenmächtiges Vorgehen der Verwaltungsbehörden in Südfrankreich vorliegt, zögern die amtlichen Stellen in Paris die Entscheidung hinaus. Es ist geradezu grotesk, wenn verlautet, daß Paris er klärt, die Frage hänge eng mit dem Nichteinmischungs problem zusammen und bedürfe daher einer eingehenden Erwägung. Der Innenminister hatte eine Unterredung mit dem Ministerpräsidenten Löon Blum. Ein Heer von Verkommenen Wie aus den Schilderungen der von den französischen Zeitung:« nach Luchon entsandten Sonderberichterstatter hervorgeht, bietet die kleine Stadt ein geradezu abenteuer liches Bild eines wilden Feldlagers. Da die zunächst als Quartier für die sowjetspanischen Milizsoldaten zur Ver fügung gestellte Schokoladenfabrik längst nicht mehr aus reichte, haben die Spanier überall auf Plätzen und Stra ßen notdürftig Zelte^aufgeschlagen. Die Fahnenflüchtigen sind kaum als Soldaten zu erkennen. Viele von ihnen tragen zu zerlumpten Zivilanzügen nur eine sowjet russische Militärmütze mit dem Sowjetstern. Andere haben khakifarbene oder feldgraue Wafscnröcke, manche die far bige Uniform der alten spanischen Armee. Einzelne der Bolschewisten scheine» auf ihrer Flucht doch noch Zeit gefunden zu haben, sich gehörig „einzu- dccken", denn bei einem I>e» Muuitlinge würden nicht weniger als acht Millionen Francs in Geld und Wert papieren gefunden, über deren Herkunft der Bandit jede Auskunft verweigerte. Oie Soldaten hungern, die Offiziere schlemmen Größte Empörung verursachte das Benehmen des „Komandierenden Generals' Gallo und seines „Stabes', die von den französischen Behörden im ersten Hotel von Kuchon untergebracht worden sind. Unmittelbar vor den Augen ihrer hungernden Untergebenen, die truppweise aus der Suche nach Lebensmitteln durch die Stadt ziehen, saß diese Gesellschaft auf der offenen Terrasse des Hotels bet einem Schlemmermahl mit reichlich Alkohol, bis einem französischen Offizier dieses Schauspiel zu bunt wurde und er die sowjetspanischen „Kameraden' auf das Unge hörige ihres Benehmens unter solchen Verhältnissen auf. merksam machte. Darauf entschlossen sich die roten Herren Generale und Stabsoffiziere, ihre unangebrachte Feier in das Innere des Hotels zu verlegen. Franco-Truppen eroberten Gandesa Nur noch40Kilometer bis zum Mittelmeer Den nationalspanischen Truppen ist im Zuge ihres Vorstoßes zur Mittelmeerküste ein neuer wich tiger Erfolg zugefallen. Sie haben die Stadt Gan tz e s a in der Provinz Tarragona erobert, die an strate gischer Bedeutung Lerida noch übertrifft. Von Gaudesa, das 20 Kilometer östlich von Caspe liegt, sind es nur noch 40 Kilometer bis zum Meer. Von Gandesa beherr schen die nationalen Truppen nunmehr die Straßen nach Tortosa und Tarragona. Südlich des Ebro führten die Navarra-Streitkräfte bei Gandesa ein groß angelegtes Umgehungsmanöver mit Kavallerie durch, bei dem zwei internationale und zwei rotspanische Brigaden aufgerieben wurden. Die Stadt Gandesa ließen sie bereits hinter sich. Der Gegner, der stark betonierte Befestigungen angelegt batte, erlitt große Verluste. Erbeutet wurden 20 Lastautos voll Munition, mehrere Personenautos, drei Panzerwagen, ein Tank, sechs Tankabwchrgeschütze, viele Maschinengewehre und ein Dynamitlager. Zahlreiche Gefangene wurden gemacht, darunter zwei „Generalstäbler' und zehn höhere „Offi ziere", über 500 gefallene Notmilizen wurden geborgen. Lerida von den Nationale» erWmt -Nach amtlicher Mitteilung haben die Truppen des Generals Aague nach glänzendem Kampf Lerida ge nommen. Sie stürmten zuerst de» Schloßberg auf dem rechten Ufer des Scgre Flusses. nahmen dann die Bahnstation und besetzten darauf In Zusammenarbeit mit Tankabtei- kungen den Rest der Stadt. Die zersprengten bolschewi stischen Horden, welche in der Stadt noch Widerstand lei steten, wurden gefangen genommen. Südlich deS Ebro besetzten Truppen deS Generals Valino Stellungen, die noch 25 Km. von der Küste ent fernt sind. Au» kommen auch die Frauen an die Leihe 11 Frauen früherer Sowjetgewal4iger ohne „Gerichtsverfahren' hingerichtet. Wie aus Riga gemeldet wird, sind in Moskau vor kurzem die Frauen von 11 früheren Sowjetgewaltigen wegen Spionageverdachtes hingerichtet worden. Unter de» Hiugerichteten befinden sich die Frau des vor wenigen Wochen „verschwundenen" Sowjetmarschalls und stellver- -kretenden Kriegskommissars Jegorow, die Frau des Mar schalls Budjonny, die Frau des ehemaligen Volkskommis sars für Volksbildung Bubnow und 8 weitere Gattinnen ehemals führender Sowjetpolitiker und Militärs, so z. B. die Frau des im letzten Moskauer Prozeß erschossenen früheren Volkskommissars für Außenhandel Roscngolz, die Fra« des seit mehreren Monaten verhafteten Volks kommissars für Handel Weizer, die Frau des bereits im Juni vorigen Jahres erschossenen Armeekommandantcn Kork u. a. Die Frauen Jegorows, Budjonnys und Rosengolz' stammten aus bekannten Familien des früheren russischen Adels. Die Einzelheiten dieser furchtbaren Affäre werden streng geheimgehalten. Es heißt, daß die 11 genannten Frauen nicht einmal vor ein Gericht gestellt worden seien, sondern auf Grund einer Sonderverfügung der GPU. hingerichtet wurden. Marschall Jegorow sei sofort entfernt worden, nach dem seine Frau — die man übrigens früher bei offiziell len Anlässen häufig zu Gesicht bekam — als „Spionin' verhaftet wurde. Nur der bekannte bolschewistische Mar schall Budjonny, seit der Bürgerkriegszeit wohl die popu lärste Figur der Noten Armee, der gegenwärtig Ober befehlshaber des Moskauer Militärbezirks ist, ist vorläuft- trotz der Erschießung seiner Frau in seinem Amt belassen worden. Von ven Mpen bis an den Vorbseesttanü Lin Führer, ein einiges Vaterlanb! Das Bewußtsein ihrer unausdenkbar tiefen Verlassen heit kam so jäh und klar über sie, daß sie fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gehirn wich. Ihr schwindelte. Müde warf sie sich auf ihr Lager. Nichts denken, nur nichts denken. Minutenlang lag sie regungslos da. Dumpf, überwältigt. Und ehe ihr klarer und k-äftiger Verstand ihr helfen konnte, zu überwinden und zu o.dnen, was an Emp findungen und wirren Gefühl.« wieder einmal quälte, klopfte es an die Tür. Sie sprang auf, aber bevor sie Ihr erschrecktes „Herein!" über die Lippen bringen tonnte, öffnete sich die Tür schon, die sie vergessen hinter Jakob abzrriegeln, und eine der russischen Ordonnanzen stand auf der Schwelle. Er brachte den Befehl des Großfürsten, sofort in den Museumsräumen zu erscheinen. „Ich habe Kopfschmerzen' saat- sie ablehnend und ge willt, nicht zu gehorchen. Aber die Ordonnanz, die ein gutes und klares Deutsch sprach, wiederholte nur gelassen den Auftrag, schlug die Hacken zusammen und vcrschwan.. Komisch! Diese Ehrenbezeugung tat Maria wohl. Ihr zertretenes Selbstgefühl war bescheiden geworden. Die armseligste Höflichkeit gewann für sie Bedeutung. Sie sagte sich, daß sie Wohl od?r übel dem Befehl nach zukommen habe. Langsam und müde stieg sie hinunter. Der Großfürst empfing sie allein. Er hatte seine Begleitung fortgeschickt und stand am Fenster des Mittelraums — hager, hoch, sehnig. Die Uniform ließ sein durchfurchtes Gesicht ledersarben er scheinen. Gegen ihre grellen Farben wurde seine Haut gelb. Gräßlich!, dachte Maria, während sie sich nicht allzu lies verneigte. „Diese Zimmer', sagte kurz und befehlend der hohe Herr, „werden heute nacht geräumt. Suchen Sie die wert vollsten Stücke der Sammlungen heraus und legen Sie sie vor mich hin, hier auf diesen Tisch.' „Und das andere?' fragte Maria unwillkürlich, die dies» Dinge, denen sie so lange ihr« Sorgfalt gewidmet, wie ihr Eigentum zu schützen gewillt war. Der Großfürst sah sie an, wie man etwa einen Schrank oder eine Tür ansehen würde, wenn sie plötzlich zu reden ansing. Er antwortete nicht. Mit einer gebieterischen Handbewegung bedeutete er ihr, ihren Auftrag zu erledigen. Maria kämpfte einen Augenblick mit sich. Dann lächelte sie, hochmütig und ein bißchen boshaft. Sie nahm aus den Schränken und Vitrinen, zu denen sic die Schlüssel mitgebracht, eine Anzahl zwei- und drei- klassiger Gegenstände, goldflimmernd und kostbar aus- sehend, deren Kunstwert indessen verhältnismäßig ge ring war. Es war eine Probe: war der Großfürst Kenner? Der nahm die Sachen prüfend in die Hand, drehte sie hin und her, nickte befriedigt. Maria wußte genug, und danach traf sie ihre Wahl. Aber rasch und mit sicheren Griffen entfernte sie auch ein paar der ältesten Münzen, von denen die meisten ein malig und einzig waren, einige kostbare Miniaturen und antike Schmuckstücke von unwiderbringlichem Kunstwert, und barg sie in ihrem Täschchen, in ihrer Bluse. Die wenigstens wollte sie vor den Russen reiten, um sie Signe zuzustellen, sobald es möglich war. Oder sie einem deutschen öffentlichen Museum übergeben, mit der Angabe der rechtmäßigen Eigentümerin. Denn sie hatte das Gefühl, als ob sie sich Signe aufrichtigen Herzens nie wieder würde nähern können. „Genug!" sagte endlich der Großfürst. Und zufrieden mit ihr, fügte er hinzu: „Lassen Sie alles offenstehen, meine Herren mögen sich auch ein paar Andenken aus- suchen. Der Rest kommt doch nach draußen. Ich gestatte auch Ihnen, wenn Sie mögen, sich einige Gegenstände auszusuchen. Jetzt oder nachher. Ich danke Ihnen!' Maria, errötend, verneigte sich leicht und ging. An der Tür rief er sie noch einmal an. „Wir haben im Augenblick keine Zeit, aber wenn ruhigere Tage kommen, dürfen Sie uns einmal wieder Vorspielen. Schön, schön haben Sie das neulich abends gemacht. Ich werde Sorge tragen, daß so was nicht wieder vorkommt. Sie verstehen schon? Ich danke Ihnen!' Maria barg ihren Raub, dessen sie sich nun beinahe schämte — aber sie hatte ihn ja nicht für sich genommen! —, oben in einem Wandschränkchen. Sie wollte ihn Rings zustellen lassen — er, nach Signe, hatte das größte Anrecht darauf. Dennoch erschien ihr ihre Rache klein und kindisch, zu mal der Großfürst zuletzt so menschlich gewesen war. Ja, das tat siel Und dennoch erfüllte sie sie mit einem spöttischen Triumphgcfühl. Bedrückung und Unfreiheit machen nun einmal rach süchtig. Lange stand sie am Fenster und sah über daS Land hinaus. Ruhiger und friedlicher war ihr zumute als di, letzten Tage, bis eine große Müdigkeit sie überwältigte. ! Sie legte sich in ihren Kleidern auf das Ruhebett und schlief sogleich ein. Sie mußte lange geschlafen haben... Zugwind und Lärm — sie standen plötzlich mitten im Zimmer, Hand in Hand, wie zwei große rauflustig« Burschen, und weckten Maria unsanft aus dem Schlaff aber sie meinte, sie träume noch immer... * Sie mußte lange geschlafen haben. Da stand auf dem Tisch ihr Abendbrot. Jakob war also dagewesen. Draußen verglomm ein letztes Not. Der Himmel nächtigte schon. Doch es war noch nicht ganz dunkel, so daß sie mit einem Blick, schneller als cs gedacht werden konnte, die Lage erkannte und erfaßte. Der kleine Raum war voll von lärmenden und an scheinend angetrunkenen Offizieren in Uniform. Aber di» Waffenröcke waren geöffnet und hingen salopp um di» Schultern der Herren. Rote Gesichter. Feuchte Lippen. Weinglänzende Augen. Laute, ?achcn, tes Rufen, UN- ! yestüme Bewegungen. Man rief und sprach auf deutsch, französisch und in nehreren russischen Dialekten. Maria verstand nichts. Man benahm sich außerordentlich ungeniert. Da saß einer rücklings auf einem Stuhl an der Wand und kicherte wie ein Narr. Da suchten andere zwischen ihren Sachen herum. Da standen einige vor ihr, grienten sie zärtlich und aus fordernd an und redeten auf sie ein. Zuerst hatte Maria geglaubt, es sei bemerkt worden, daß sie Gegenstände der Sammlung entnommen hatte und man wollte sie zur Rechenschaft ziehe». Aber: die groß mütige Aufforderung des Großfürsten würde sie ja schließ, lich entschuldigt und gedeckt haben. Doch nur sekundenlang konnte sie sich diesem Irrtum hingcben. Dann merkte st» schon, was man eigentlich von ihr wollte, und Grausen erfaßte sie. Lieber tot, als...!, dachte sie, hart entschlossen. Rückendeckung!, überlegte sie weiter. Sie war aufgesprungen und stand an der Wand, zu Häupten des Ruhebetts. Ihre Augen flammten die Be trunkenen an. Sie glühten vor Haß. Sie erkannte, daß es .sich um jüngere Offiziere handelte, als die, die sie neulich abends gesehen. Sie trugen auch ganz andere Uniform. Vielleicht waren sie fremd auf Waldburg, wußten gar nicht, wer sie war, hatten aus Zufall ihre Verborgenheit entdeckt und suchten Vorteil« eigenster Neigung daraus zu ziehen. DaS alles überlegte sie blitzschnell, mehr instinktiv als verstandesmäßig. Und zugleich reckte si, den Arm aus, wies zur Tür. „Hinaus!" Brüllendes Gelächter antwortete ihr. (Fortsetzung folgt).