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^simopauer Gonntagsvlart rum Zschopauer Tageblatt «uv Anzeiger Nr. 10 Sonnabend, den 12. März 1938 Lop^riLkt 1837 bx ^ukvLrts-VvrlLL ö«rUll 8VV 68 13. Fortsetzung. Der Ritter wurde auf unserer Burg hier vom Erz bischof gehenkt. Beim Umherstöbern in den alten Biblio theken fiel mir ein unglaublich grobes Schreiben von Martin Luther gegen diesen Erzbischof in die Hände. Den Damen, die ich auf Gesellschaften wegen meiner Unter haltungen entsetze, empfehle ich dieses Buch, aus Rache. Der Luther hat noch eine ganz andere Sprache geführt, wie ich — wegen dieser Geschichte. Leider kam er damit zu spät. Inzwischen war der unglückliche Ritter schon im heimlichen Gericht verhört und hingerichtet worden. In einer Sturmnacht. Nur die Naben haben zugesehen, wie sie uns heute zusehen..." „Und alles wegen einer italienischen Sängerin?" warf Bothmer hin. „Das sagen Sie so, lieber Freund! Wir haben sie ja nicht gekannt. Es ziemt uns daher nicht, hochmütig herab- zusehcn auf die, die ihr nähergestanden haben. Es ge schehen viele Taten, ohne daß wir uns erklären können, warum sie geschehen. Besonders solche, bei denen eine Frau mitspielt." An dem gotischen Tor angekommen, das den oberen Burghof von dem Terrassengartcn schied, verabschiedete sich Bothmer. Der Helle Mantel auf der Insel war ver schwunden. Die Worte des alten Mörk gingen ihm nach. Am anderen Ufer puffte die Papierfabrik ihre Düfte in die neblige Luft. Da Westwind auf die Stadt zustand, drangen st« kräftig herüber. Bothmer beneidete in diesem Augenblick den alten Mörk, der nach keinem Menschen fragte und zu fragen brauchte, der seinen Wea ging und tat, was ihm behagte. „Wer hat Ihnen das nette blaue Teeservice geschenkt?" „Das hab' ich aus Leipzig bekommen." Horst drehte die schön geformte blaue Tasse in der Hand. „Von wem?" „Von einem älteren Freund, der mir manchmal sowas mitbringt." „Wie alt ist denn dieser Freund?" „Schon fünfzig..." „Ein gefährliches Alter." „Das hat nichts zu sagen. Wir reden nur von Kunst." Das „Sie" hatten sie beibehalten, Horst hatte es zur Bedingung gemacht. „Man verspricht sich sonst zu leicht", meinte er. Dabei war es geblieben. Sie fügte sich diesem festen, unbeirrtcn Willen ohne Widerstreben. Er hatte ihr auch verboten, den „Roten Hahn" wieder zu betreten und sich unnötig in der Stadt zu zeigen. „Sonst sehen Sie mich nie wieder", drohte er. Es gibt Menschen, die sich kennen, ohne ein Wort mit einander gesprochen zu haben. Horst war auf der Strasse und in Lokalen schon oft ein grosser, hagerer, salopp ge kleideter rothaariger Herr mit schlaksigen Manieren aus gefallen, der ihn scharf musterte. Er setzte jedesmal, wenn er ihm begegnete, ein überhebliches Lächeln auf. Dieses Lächeln konnte sich Horst nicht erklären. Er traf diesen Rothaarigen überall. Wenn man ein Caso betrat, fass er sicher schreibend in einer Ecke. Kam man in die Uni versitätsbibliothek, so hockte dieser Rothaarige an einem der schwarzen Tische über einem Buch, aus dem er Aus züge machte. Neulich war er ihm in der Heide begegnet, gerade vor ihren« Hause. „Kennen Sie den vielleicht?" fragte er. „Weshalb sollte ich den nicht kennen?" sagte sie. „Ten kennt doch jeder. Das ist Erich Matti, der für die .Tribüne' schreibt." „Woher kennen Sie ihn denn?" forschte er. „Ich hab' ihn im Metropolcasö kenncngelcrnt." „Wie neulich den Westfalen?" „Welchen Westfalen?" „Tun Sie nur nicht so. Das verfängt bet mir nicht. Sie wtssen's ganz gut", sagte er. „Den Grossen meine ich, der bet Bothmer famuliert. Er verkehrt auch im .Roten Hahn'." „Ach der", sagte sie. „Den hab' ich mal im Theater ge troffen." „Verabredung oder Zufall?" „Reiner Zufall. Er saß neben mir und sprach mich an." „Sie lassen sich ansprechen?" „Eifersüchtig?" lachte sie. „Ich glaub', Sie haben einen rachsüchtigen Charakter. Ich könnte Sie mir gut als Othello vorstellen." „Ich auch", sagte Horst. „Ich hab' Sie neulich im .Hahn' verschwinden sehen, nachdem Sie mir versprochen hatten, ihn nicht mehr zu betreten. Sie saßen mit Herrn Mattl an einem Tisch, wie alte Bekannte. Sie haben mich belogen mit dem Westfalen und dem Mattl." „Das ist doch toll!" rief sie. „Sie spionieren mir nach?" Ihre Augen funkelten. Er rührte in seinem Tee. „Was ist das für ein Mann?" bestand er. „Er hat drei Semester Jura studiert, dann ist ihm das zu fad geworden, und er hat 'ne Stellung angenommen bei einem Anwalt als Bürovorsteher." „So? Gleich zum Vorsteher hat man ihn gemacht?" „Was haben Sie eigentlich gegen Mattl?" fragte sie. „Das ist ein sehr gescheiter Mensch, und in vielen Dingen könnte mancher von ihm lernen." „Ich auch?" „Sie zu allererst. Wie Sie mit einem umgehen zum Beispiel." „Ich denke, das haben Sie gern. Sie haben mir ja ge sagt, daß Sie keine Schmachtlappen mögen. Ist der Mattl so einer?" „Der Herr Mattl ist ein Herr, er ist Korpsstudent ge wesen." „Bei welchem Korps denn?" Das wußte sie nicht. „Weshalb ist er denn nicht dabeigeblieben? War ihm das auch zu ,fad'? Oder haben sie ihn hinausgeworfen?" „Er ist freiwillig ausgetreten, weil ihm das Getue zu albern war." Sie löschte die Flamme unter dem Tee kessel. „Ja, natürlich!" Horst zündete sich eine Zigarette an. „Weshalb stört es Sie, wenn ich im .Roten Hahn' zu Mittag esse?" rief sie. „Sie glauben, ich ließe mir etwas von Ihnen verbieten? Ich bin doch kein Kind mehr!" „Gewiß nicht, aber ich habe meine Gründe." „Ach, deshalb sind Sie die ganze Woche nicht ge- kommen!? Wer hat Ihnen denn von dem Westfalen er zählt?" „Ich habe meine Verbindungen." „Die Nadi...", sagte sie verächtlich. „Bitte, nichts über meine Freundin Nadi. An Herrn Mattl interessiert mich nur — seine Karriere." Sie schwieg. Erregt, trank stumm ihren Tee. Sie schaute über die Heide, die im Dämmcrschein eines Regen tages grau aussah, wie ein Meer. Es nebelte leicht, die Accker und Wiesen schienen in einem wogenden Dunst zu schwimmen. Die Lichter der Stadt glimmten in der Ferne matt durch den Nebel. In der Ecke welkte in einer roten Vase ein grosser weisser Fliederstrauß. „Oh, Flieder, mitten im Winter? Auch von dem .alten Herrn aus Leipzig'?" „Ich kaufe mir meine Blumen selbst", sagte sie darauf trotzig. Es kam keine Stimmung mehr auf. Der Name Mattl fiel nicht mehr, aber er blieb zwischen ihnen stehen. Horst verabschiedete sich. Er nahm den kürzesten Weg am Gestüt vorbei, stieg an der Brücke in die Straßenbahn und fuhr heim... Horst hatte von der Nadi erfahren, daß Mattl ein ent lassener Schreiber eines Anwaltbüros war, der von Ver mittlungen lebte und für die „Tribüne" Artikel schrieb. Er war Student gewesen, hatte auch kurze Zeit irgend einer Verbindung angehört. Dann hatte «r auf einem Anwaltsbüro seinen letzten Schliff erhalten; er wusste also um die Gesetzesparagraphen Bescheid. Er hatte schon öfters die Studenten und di« Korps, auch «inen oder den anderen Professor angegriffen, di« aber da« Blatt nicht lasen und die Angriffe ignorierten. Er schrieb über die Zustände in den Kliniken, über die Milchversorgung der Stadt, über die Verseuchung der Flüsse durch die Industrie. Ain liebsten nahm er die Herren Studenten vor, besonders die schlagenden Verbindungen, gegen die er seinen Haß in langen Aufsätzen verspritzte. Seit einiger Zeit richteten sich die Angriffe in der „Tribüne" hauptsächlich gegen die Zustände in den großen Kliniken. In der Provinzialheilanstalt hatten die Patien ten einen Hungerstreik inszeniert, weil ihnen das Essen nicht gefiel. Fett gedruckte Ueberschriften erschienen: „Der Roman einer Schwester mit einein Assistenzarzt." Horst brachte die „Tribüne" seinem Vater. Der warf einen Blick auf die Ueberschriften, ohne das Blatt zu berühren. „Ver schone mich bitte mit diesem Mist!" Aber am nächsten Morgen lag die „Tribüne" neben seinem Frühstücksteller, durch die Post von einem un bekannten Absender geschickt. Diesmal öffnete sie Bothmer, überflog den Artikel und steckte ihn ein, um ihn seinem Anwalt zu übergeben. Er sprach nicht weiter davon und Horst sagte auch nichts, da er bemerkte, daß seinen Vater etwas anderes zu beschäftigen schien als „diese Zustände in der Irrenanstalt", * Der „Rote Hahn" war mit Ausnahme 5er frühen Vor« mittagsstunden nicht so besucht, daß es kaum möglich war, jemandem auszuweichen oder aneinander vorbeizugehen, ohne sich anzustoßen. Des Abends aber war das Lokal bis auf den letzten Stuhl besetzt. Den Westfalen, die ihren Stammtisch hier hatten, war schon lange der hagere Herr mit dem rötlichen Haar aus gefallen, der jedesmal, wenn er mit spöttischem Lächeln an ihnen vorbeikam, einen von ihnen mit scheinbarer Ab sicht anstieß und, ohne sich zu entschuldigen, wortlos Wetter« ging. Es war derselbe, der die Artikel gegen die Studenten in der „Tribüne" schrieb, und sie warteten nur darauf, ihm diese Freundlichkeiten einmal heimzuzahlen. An diesem Abend saßen die Westfalen wieder einmal an ihrem langen Tisch zusammen in dem überfüllten, rauchigen „Roten Hahn". Es war ein Sonnabend. Die Kellnerinnen liefen mit schäumenden Maßkrügen umher, das Grammophon trällerte einen Blues, als der hagere Mattl das Lokal betrat. Er schlenderte langsam zwischen den Tischen hindurch, ohne jemand zu grüßen, und stieß wie zufällig gegen den Stuhl eines auffallend großen Westfalen. Mattl wollte wieder ohne Entschuldigung weitergehen, aber der Westfale sprang auf und stellte ihn. „Sie haben mich eben angestoßen." Mattl sah ihn höhnisch von« Kopf bis zu den Füßen an und wollte wcitergchen. Der riesige Westfale stand ihm im Wege. „Entschuldigen Sie sich für diese Anrempelei oder nicht?" klang es scharf. „Ich habe mich nicht bei Ihnen zu entschuldigen", gab Mattl ebenso zurück und drehte ihm den Rücken zu. Die Westfalen sprangen auf, und im Augenblick war es geschehen. Der Grosse packle Mattl an der Gurgel; sie rangen miteinander. Die Stühle flogen um, Biergläser schmetterten hin, die Kellnerinnen flüchteten kreischend auf die Bänke. Die übrigen umdrängten die beiden Ringen den, die beide über gleiche Kräfte und Gewandtheit ver fügten. Endlich lag Mattl am Boden. Er erhob sich mit zerrissenem Kragen und flatternden Schlips, keuchte einen Fluch und stürmte ins Freie; di- roten, ledcrgefütterten Portieren schlugen hinter ihm zu sammen. „Der geht direkt zur Polizei", sagte einer der West falen. „Mir recht, jetzt kommt der feige Hund nicht an einem Zweikampf vorbei", frohlockte der große Westfale. G» schob seine zerrissenen Manschetten zurück und setzte sich an seinen Tisch. Die anderen nahmen ebenfalls ihr« Plätze wieder ein. An derartige Auftritte war man im „Rosen Hahn" gewöhnt. Und das Grammophon krächzte w-ktA „Ich knüpf—te man—che zar—t« Ban—d«../ *