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OMopauer Gonntagsvlatt Veilage zum ÄsGopauer Lagevlatt und Anreise» Sonnabend, den 26. Februar 1938 Nr. 8 LopxriLdt 1937 b> ^ukwärts-Verlaü. ösrlia 8>V 68 10. Fortsetzung. „Sag doch du", bat sie an seinem Mund. „Wozu ver stellen wir uns? Ich liebe dich und du mich — ist's nicht so? Vom ersten Augenblick an, als ich damals in dein Zimmer trat. Du weißt es wohl", sprach sie an seinem Mund. „Du sahst mich durch den Spiegel und erschrakst — >ch hab's gesuhlt. Es ging mir durch und durch. Nein, sag jetzt nichts. Tu mir nicht weh. Ich weiß, daß ich un vernünftig bin. Ich tue Unrecht, ich weiß. Aber dieses ist mein Recht, es dir zu sagen. Du hast eine Frau, hast Kinder, ein Haus, eine Stellung. Was willst du mit einem armen Mädchen?! Ich will mich nicht an dich hängen. Nein, nein — ich will nur, daß du zuweilen zu mir kommst ' «nd bei mir bist, dann bin ich ruhig, solange du da bist..." Er löste ihre Arme und schäme sic an. Sie atmete kurz, sein Herz hämmerte und raste. Sie war jung, ein durstiger, roter Mund bog sich zu ihm hinüber. Er wußte nichts mehr, als daß er liebte, vielleicht zum ersten Male, vielleicht 1»m letzten Male... Nach solchen Stunden ging er heim wie berauscht. Alles War ihm gleichgültig geworden, alles versank, nur „sie" war noch da; ihre Augen, ihr Lachen, ihr weiches, kühles Haar und ihr frischer, junger, roter Mund. Was daraus werden sollte, darüber wollte er nicht nachdenken. Sie sprachen beide nicht davon, sie rührten nicht daran, es gab nur ein Hindernis: seine Frau... Soweit bin ich nun, dachte er, daß ich sie als Last empfinde. Als Hindernis, das ihm verbot, noch einmal jung zu sein. Man hat nur ein Leben. Seine Jugend war vorbei, sein Leben ging zur Neige, aber die zweite Jugend war er wacht und wollte auch leben, und „sie" war's, die sie ihm schenkte. „Sieh da, Bothmer!" Mörk lüftete seinen Schlapphut. Die beiden waren fast aufeinandergeprallt in dem engen Eingang zum Burggarten. „Auch Sie wandeln unter entlaubten Bäumen. Man nn^te sich mal auslüften..." Und die beiden schritten eine Weile schweigend nebeneinander her durch die kahl gewordenen Anlagen. „Alle Rosen sind entblättert", trällerte der Anatom. „Was macht die schöne Gattin, was macht der Gricchen- jüngling?" Er bückte sich und pflückte ein blaues Blüm chen, das schüchtern im Grase stand. „Ein Wunder, ein verrückt gewordenes Veilchen!" „Mörk findet überall eine Blume, selbst im Herbst", be merkte Bothmer. „Ja, mein Bester, der eine pflückt die Rosen mit zwanzig Jahren, der andere begnügt sich mit einem späten Veilchen. Mein Leben war nicht so blumenreich", sagte Mörk, „besonders meine Jugend. In meinem Alter muß man nehmen, was man findet und wo man's findet. Co gut wie Sie hat's nicht jeder." „Weshalb glauben Sie, daß ich cs gut habe?" „Nun, wenn Sie klagen wollten! Ihre Statur allein verschafft Ihnen ja schon Siege." „Ihr Glaube schmeichelt mir — aber die Siege, auf die Sie anspielen, beruhen leider auf einer Täuschung, lieber Mörk. Ich jage der goldenen Glückskugel nicht mehr nach..." Wie Sie, hatte er sagen wollen; aber das feine Ohr Mörks hörte heraus, was nicht gesagt war. „Nun, jeder zu seiner Zeit und nach seiner Fasson." Mörk führte mit seinem Regenschirm einen Fechthieb durch die Luft aus. Er war einst der beste Fechter an der Uni versität gewesen und ging heute noch auf den Fechtboden, um die Jugend auszustechen. „In meiner Jugend hatte ich keine Zeit dazu, das ist ja das Verkehrte und Sünd- hafte. Damals wär's göttlich gewesen, heute ist's eine Affenkomödie. Oder glauben Sie, daß die jungen Mädchen, die wir so reizend finden, uns auch so findens Wenn ihnen ein junger Fant über den Weg läuft, gehen st« doch mlt dem auf und davon. Wenn man uns einmal ,um fünfzigsten Jahr kondoliert hat — Husarenoffiziere, Tenöre und Filmstars nehme ich natürlich aus, die Haben eine längere Jugend —, dann braucht man sich keine Hoff nung mehr zu machen, daß das Glück noch einmal uns besucht. Wir sehen's vielleicht vorüberschweben, es lächelt uns zu, aber es läßt sich nicht einmal seine goldenen Fittiche berühren. Höchstens daß es uns mal im Traum besucht und uns über das Haar streicht. O'est tout..." Das „Wir" ärgerte Bothmer. Und daß ihn Mörk so ohne weiteres zu den alten Knaben rechnete. „Man hat sich damit abzufinden, lieber Bothmer. Wenn tch hier abends hcrumstreiche, ist meine einzige Hoffnung, daß das Glück mir mal wieder begegnet. Aber es begegnet mir meist nur in Form von einem jungen Paar oder in der Gestalt einer vergessenen Rose, die tch der Schönsten schenken darf, die mir in den Weg läuft. Danke, alter Herr! Und weiter, so rasch sie können. Kaufen kann man sich noch etwas Glück. Und bezahlen, wo man sich früher beschenken ließ." Bothmer ging schweigend neben ihm'her. „Meine Geliebte ist die Wissenschaft", fuhr Mörk fort. „Die ist verläßlich und mir treu. Sie wartet aus mich des Abends, sie ist immer für mich da. Und wenn ich mich an sie verliere, beseligt sie mich. Das ist noch was. Was ist Ruhm?! Eine Schublade voll Rollen, di« man nie aufmacht, ein Schrank voll Medaillen, die mein« Wirt- schafterin nicht mehr abstaubt, und eine schöne Nachrede, wenn's aus ist. Uebrigens, ich hoffe, Sie halten sie mir. Sie verstehen sich ja auf Herzenstöne... Ich habe gestern mein Testament gemacht. Die meisten machen daS nicht richtig oder vergessen das Datum. Ihr Sohn hat's mir durchgesehen. Ich vermache Ihnen auch was, nämlich mein Gehirn. Das dürfen Sie sezieren. Meine Ver wandten in Mühlacker nehmen die Erbschaft aych ohne Gehirn in Empfang. Meine geschmackvolle Einrichtung be kommt die Alte; die Bibliothek kriegt die Anatomie; der Rest wird verbrannt. Dann ist vom alten Mörk nichts mehr da als eine Erinnerung, und die wird auch bald genug verblassen. Ich soll jetzt meine Biographie schreiben. Aber das langweilt mich, man kann sich doch nicht selber loben. Und was man von sich sagt, klingt immer nach Aufschneiderei. Schreiben Sie sie mir lieber. Sie brauchen mich nicht zu loben, ich werde sie ja doch nicht mehr lesen." „Wo treffen Sie denn immer meinen Sohn?" fragte Bothmer. - „Im .Roten Hahn'. Das ist mein Stammlokal. Es gibt da Donnerstags frische Bratwurst. Ich habe einen sehr plebejischen Geschmack. Zu Hause war's unser Fest gericht. Und es schmeckt mir heute noch besser als ein Martinsches Diner. So eine Bratwurst auf dem Rost und neues Sauerkraut dazu..." „Was tut denn mein Sohn im .Noten Hahn'?" fragte Bothmer. „Der trifft da seine Freunde, ein paar hübsche Kellne rinnen sind auch da, womit ich durchaus nicht sagen will, daß sie Ihrem Sohn gefallen, aber den Mädels gefällt Ihr Sohn. Ich spiele nur den stillen Beobachter in der Ecke." Bothmer brach ab und fragte, wie die letzte Prüfung ausgefallen sei. „Ich habe dem Staat gestern einen großen Dienst er wiesen", sagte Mörk. „Ich hab' ihn vor elf dummen Assistenzärzten bewahrt. Ich hab' si« alle durchrasseln lassen. Sie dürfen sich noch mal bemühen." „Schade, daß mein Sohn nicht bei Ihnen Examen zu bestehen hat, damit ihm auch mal etwas nicht so leicht gemacht wird." „Unterschätzen Sie den Jungen nicht", meinte Mörk. „Von Jura versteh' ich zwar nichts, aber der hat ein paar Helle Augen im Kopf«. Im allgemeinen ist mir «in schöner Mann zuwider — verzeihen Sie, daS trifst ja auch Sie, aber Sie haben ja das kanonische Alter, wo man aufhört, der Weiblichkeit gefährlich zu sein. Ihr Sohn wird seinen W«g schon machen." Endlich war Frau Nelly einmal dazu gekommen, ihre Post durchzusehen und die Briefe zu öffnen, die von der Bank auf ihrem Schreibtisch lagen. Sie hatte sich keine Stadtbriese nachschicken lassen und so fand st« mehrer« Bantbriefe vor, mit langen Abrechnungen, um die sich sonst niemand in diesem Hause kümmerte. Aber gleich bei dem ersten Brief stutzte sie. Es war eine Abrechnung über einen Verkauf von zwei Aktien der Papierfabrik. Hatte sie denn je einen solchen Auftrag er teilt? Zwei dieser wertvollen Aktien sollte sie hergegeben haben, gerade ehe sie Junge gaben? Das mußte ein Irr tum sein. Ihr Kurs war seitdem gestiegen und stieg immer noch. Obwohl die Jungen schon herunter waren, hatten die Aktien ihren alten Wert wieder erreicht und waren in kurzer Zeit weiter geklettert. Nach dem Börsen bericht wurden sie weiter sehr gesucht. Sie läutete sofort in der Bank an und die Stimme deS Prokuristen antwortete: „Jawoll, gnädige Frau, die Aktien sind fort. Wer den Auftrag gegeben hat? Nun, Ihr Herr Gemahl. Er selbst, jawoll, er war neulich deshalb hier. Ich hab' ihm noch davon abgeraten.. „Und den zweiten Auftrag?" fragte sie. „Den hat er mir aus Braunlag« gegeben, im Sep tember." „Für dieselben Aktien?" „Jawoll, für die Papierfabrik. Er braucht« daS Geld, sagte er." Sie war starr. „Was kann man da tun?" sragte sie. „Ja, gnädige Frau, nun ist'S zu spät, nun find st« sort." Am liebsten hätte sie gesagt: Kaufen Sie sie zurück!, aber sie schämte sich. „Es ist gut", sagt» fi« und hing an. Sie saß da wie gelähmt und starrte auf das Papier. Der Auftrag war mit seinem Namen unterzeichnet. Di« Bank richtet« die Abrechnungen sonst immer an sie, dies- mal war der Brief an ihren Mann gerichtet, sie hatte daS übersehen. Er nahm daS sehr übel, wenn man seine Briefe öffnete, aber es war nun schon geschehen. Sie hatte ja nicht wissen können, daß er heimlich Bankgeschäfte machte, hinter ihrem Rücken, ohne eine Verständigung mit ihr. DaS war noch nie geschehen. Sonst kümmerte er sich nie um Geschäfte. Und wozu hatte er denn auf einmal dieses Geld ge braucht? Damals schon, und heut« wi«der? Was be deutete denn das? Nichts Gutes, sie fühlte eS. „Gnä' Frau", sagte die Stimme der neuen Köchin in der Tür, „Tie wollten doch die Weinblätter besorgen für die Rebhühner. Die Hühner sind sehr klein, ich fürchte, sie werden nicht reichen. Und das neue Sauerkraut ist noch nicht gekommen. Ich brauche auch Butter und Speck, und Verschiedenes, ich hab' es hier ausgeschrieben." Sie reichte ihr einen Zettel hin. „Und die Putzfrau läßt sagen, daß sic heute abend nicht kommen kann zum Spülen, sie hat selbst ein Vergnügen vor. Aber wenn ich kochen und ser vieren soll, das geht nicht, das wird mir zuviel. Es ist mir überhaupt zuviel, der Besuch und die großen Zimmer, und an Herrn Stroh hat man ja keine Hilfe. Wenn nun Frau Mücke auch noch ausbleibt, das kann ich allein nicht schaffen." „Es ist gut, ich komme und helfe Ihnen", sagte Frau Nelly und schob die Briefe fort. Ihr Mann hatte heute früh angerufen, ob er heute abend vier Kollegen aus Budapest zum Abendessen mit bringen könne. „Es patzt Wohl wieder nicht?" sagte er, als sie zögerte. „Doch, gewiß", sagte sie. „ES patzt schon, ich mutz mir nur überlegen..." „Nun, dann überlege dtr'S", sagte «r. „Um acht Uhr kommen wir, oder um halb neun." — Ich mutz mit ihm" sprechen, nahm si« sich vor. Heute abend noch. AlS stch di« Herren spät verabschiedet hatte«, fetzt« sich Bothnyer an sein«» Tchrtibtisch in di, rauche »MU Bibliothek. > , .VUkst Vit noch arbetten?" fragt«