Volltext Seite (XML)
Sonnabend, den 19. Februar Nr. 7 1938 GonnSagSWMt Beilage zum ZMova«er Tageblatt und Anzeiger 10. Fortsetzung. Und die Ferien dann! An die Nachhilfestunden in latem, die Bothmer zuweilen an den Abenden seinen Löhnen gab, erinnerte sich das ganze Haus. So zart fühlend Bothmer mit seinen Patienten war, so großzügig mit den Schwestern, so verständnisvoll mit seinen Assistenz ärzten, mit seiner Familie war er nicht so geduldig. Sein Temperament schäumte leicht über, wenn man ihm wider sprach oder ihn nicht zu verstehen schien. Seine Fran litt darunter. Da sie es aber nicht andern tonnte, hatte sie sich gewöhnt, zu schweigen. Aber seine Löhne lehnten sich gegen diese Ausbrüche auf, die ihnen ungerecht schienen. Der Aelteste kam deshalb schon kaum mehr nach Hause. Für ihn hatte sein Vater zwar immer rin versöhnendes Verständnis gehabt, aber an Horst störte ihn alles: Horsts Lachen, seine Witze, der singende Tonfall, den er angenommen hatte da unten in Süddentschland, reine Manieren, die Bothmer als „gelockert" empfand. Und in der Politik waren Vater und Sohn selten einer Meinung. Horst fügte sich nicht mehr schweigend seines Vaters Ansichten. „Ja, Papa, wir schreiben nun mal nicht mehr achtzehn- hundertsiebzig..." Nelly brachte eine Versöhnung zwischen den beiden zu stande, sie verstand es, ihre Verschiedenheiten zu über- -rücken, so daß keine weiteren Zusammenstöße mehr er folgten. Wenigstens nicht bei Tisch. Sie war glücklich, Horst da zu haben, ihn pflegen und »Iwas versöhnen zu können und ihm den Aufenthalt be haglich zu machen. Eine Menge häuslicher Angelegenheiten, die nicht ge- rade angenehm waren, empfingen sie, wie immer nach einer Reise. Die Köchin hatte wegen Arbeitsüberlastung gekündigt, ein Ersatz mußte gesucht werden. Der Garten war zu bestellen, Vie Wintervorräte mußten beschafft werden. In den ersten Wochen war sie kaum zur Be sinnung gekommen. Vielleicht war das gut so. Die Wintersaison setzte mit mehreren Einladungen ein. Ein Abendessen bei einem Kollegen von der Augenklinik, Martin weihte seine Bibliothek ein, der Rektor gab sein Abschiedsessen. Und auch sie mußte an das Diner denken, das immer in den ersten Oktobertagen stattfand. Herr Voldt hatte sie neulich wieder daran erinnert. „Wann steigt denn Ihre erste Gesellschaft?" fragte man schon im Klub. Aber in diesem Jahre hatte sie dazu gar keinen Mut. Sie hatte immer das Gefühl, daß alles nur «ine Komödie sei. Bothmers gute Laune und ihre Ruhe und die harmlosen Unterhaltungen bet Tisch... Eincs Nachmittags gingen Vater und Sohn zur Stadt. Es war Zufall, daß sie die gleichen dunkelblauen Anzüge und dieselben hellgrauen, weichen Hüte trugen. Da sie die selbe Größe halten und sich außerdem ähnlich sahen, schauten die Vorübergehenden überrascht nach diesen beiden schlanken, schönen Männern hin. Kein Mädchen ging oorbei, ohne Horst Blicke zuzuwerfen. Wenn ich mit Horst ausgehe, sieht einen wenigstens wieder ein junges Mädchen an, dachte Bothmer. In der alten Konditorei am Markt, in deren tiefen Fensternischen man immer Studentenmützen sah, saß ein junges Mädchen in einem hellroten Kleid am Fenster und aß Eis. Ihr feingeschntttenes Gesicht mit den hellroten Rippen und den duntelbewimperten Augen unter einem -roßen weißen Hut schaute auf. Sie sah Horst an. Gin stumm, c, heimlicher Gruß flog zwischen den beiden hin und her. Bothmer hatte den Blick aufgefangen. Mich — mich hat sie gar nicht gesehen, dachte er. »Du hast eine merkwürdige Art, Damen zu betrachten", fand er, als die Konditorei hinter ihnen lag und sie in die enge Wartburggaffe etnbogen. „Ich? Wieso?" „Du verstehst mich schon. Go steht man «ine Dame nicht an", betonte Bothmer scharf. „Die vertrügt das schon, Papa", meinte Horst. Das ist ja ein Vergnügen mit dem alten -errn jetzt, dachte Horst, der nicht ahnt«, wie sein -ingeworfene« »ort seinen Vater getroffen hatte. Looxrigdt 1837 bx ^ulvirto-VerlsL. Koriin 68 Es war alles wie sonst, der mittelalterliche Markt mit dem Rathaus, das in frisch gestrichener Buntheit glänzte, die alten spitzgegiebelten Häuser, der Schellenmoritz mit seinen Fischaugen reckte sein breites, riesiges, steinernes Schwert, von den Türmen mit ihren stachligen Jgelköpfen schlug die alte Uhr fünf. Wie schön war doch diese alte Stadt! Und es schien ihm plötzlich nicht mehr schwer, den Winter darin zn- zubringcn... „Was ist das eigentlich mit Papa?" fragte Horst, als er nach dem Abendessen mit seiner Mutter durch den herbstlich Men Garten ging. „Ich weiß es nicht, mein Junge." Sie zog seine Hand fest in ihren Arm. Ein Gefühl überkam sie, als ob er in diesem Augenblick das einzige, sei, was sie noch habe aus dieser Welt. „Findest du ihn verändert, Horst?" „Sehr — schon rein äußerlich fiel es mir auf. Er fing an, etwas Bauch anzusetzen, jetzt ist er mager geworden. Im Frühjahr hatte er noch keine grauen Schläfen. Fehlt ihm etwas?" „Ich glaube nicht, er nimmt jetzt Schlafmittel." „Nun, die hat er ja immer genommen, wenn er viel arbeitete. Tas beunruhigt mich weniger als sein Wesen." „Er ist nervös", sagte sie. „Rein, es ist mehr als das, Mama", bestand Horst. „Du kannst das nicht so beurteilen. Dn sichst ihn jeden Tag. Ta gewöhnt man sich an eine Veränderung. Aber ich bin erschrocken. Er ist so maßlos, so heftig ohne Grund und so hart in seinem Urteil geworden." Und er erzählte ihr das Erlebnis mit der Dame in der Konditorei. „Wie sah sie aus?" fragte sie jäh und blieb stehen. Horst beschrieb sie. „Ein hübsches Mädel, wie man sie dutzendweise trifft. Ich hab' sie nur in Gedanken an- gestarrt." „Und Papa?" „Er stellte mich zur Rede, als ob ich eine Madonna um ihren Heiligenschein gebracht hätte. Ich glaub', es ist eine fixe Idee von ihm, daß ich den Mädels nachlaufe. Weißt du, Mama, wenn ich das wirtlich täte, würde ich euch nichts davon erzählen. Ich spreche davon, weil es so Harm- los ist, wie wenn ich euch erzählte, unser Diener wolle sich verheiraten oder habe ein Kind gekriegt." „Dein Vater ist sehr empfindlich in solchen Dingen", sagte sie. „Weiß Gott! Deshalb fände ich es besser, ich mietete mir ein Zimmer in der Stadt. Auf der Insel gibt es ruhige Zimmer in dem Cafö im ersten Stock. Dort besuchst du mich van» morgens, und wir trinken unter den Bäumen Kaffee. Dort sind Pfauen und Blumen, eS ist dein Früh spaziergang. Du mußt nämlich anfangen, auch etwas für dich zu tun. liebe Ma", fuhr er fort, während sie um das Rasenrondell gingen, auf dem ein großer Schlauch lag wie eine dicke, träge Schlange. „Du bast dich auch verändert — erschrick nicht, Ma! Du bist noch immer eine sehr schöne Frau, und wenn d« irgendwo ins Zimmer trittst, spürt man ordentlich deine Atmosphäle. Man weiß auf den ersten Blick, wer du bist — genau, wie ich es von der Dame in der Konditorei wußte, wer sie war..." „Ach, Horst, darauf kommt's nicht an — bei euch Männern." „Mir-voch!" sagte er entschieden. „Ich schwärme auch für schöne Mädels, sichst du, da bin ich schon wieder dabei, aber das ist alles nur Spiel. Liebe muß bei mir durch das Gehirn gehen. Ich muß wissen, wer die Frau ist. Hübsch sein, das genügt Mörk und wird ihm auch Wohl immer genügt haben, er sagt'S ja selbst. Die Gescheitesten lassen sich am leichtesten hinter- Licht führen. Gerade diese Männer fallen oft auf die wertlosesten Frauen herein, aber ich verlange mehr. Jedenfalls nicht weniger, alS Papa einmal verlangt hat." Er küßt« ihre Hand. „Aber wo findet man das? So jemand wie dich gibt'- so leicht nicht mehr. Nur mein Vater hatte dar selten« Glück. Und «he mir nicht so jemand begegnet wie -u, braucht ihr keine ! Angst zu haben um mein Seelenheil. Aber wir kommen von dem eigentlichen Thema ab. Du mußt etwas für dich tun, Mama — der Harz hat dir eher geschadet." , „Was soll ich tun?" sagte sie. „Ich kann jetzt nicht fort- I gehen. Die Gesellschaften fangen an, Papa soll dieses Jahr > Rektor werden, er hat es nun schon dreimal abgelehnt." „Dein Herz ist nicht in Ordnung, das ist wichtiger", bestand er. „Ja, das sagst du so, Horst, aber eine Kur im Winter ist so triste. Und allein — nein, ich kann es nicht, es würde alles nur viel schlimmer machen." Horst schwieg. „Das ist's ja immer bei uns Arztfrauen", sagte sie. „Wir kommen immer zuletzt dran." Zu dem Herzspezialisten konnte sie nicht gehen, weil ihr Mann nicht gut mit ihm stand, und zu den anderen hatte sie kein Vertrauen. Der eigene Mann hatte ja nie Zeit, und seine Assistenzärzte waren ihr zu jung. „Mir geht's einmal wie Frau Professor Westen. Die hatte Gallensteine und immer Schmerzen. Aber er hatte nie Zett, sie zn untersuchen, und sie half sich mit Haus mitteln, dadurch verschleierte sich das Bild der Krankheit. Und als sie sie dann operierten, war's zu spät. Zwei i Wochen später haben wir sie begraben. Und ihr eigener ! Mann ist eine Kapazität für Gallensteinleiden." „Schade, daß ich nicht Medizin studiere", meinte Horst. ! „Aber mit den Gesellschaften brauchst du dir keine Sorge zu machen. Ich will diesen Winter nur arbeiten. Und ! sonst beunruhige dich nicht. Zwischen Papa und mir war immer eine Kluft. Aber was für eine ideale Ehe habt ihr immer geführt! Im Mai habt ihr silberne Hochzeit, daS wird eine große Feier, die ganze Stadt wird mitmachen, die Studenten werden euch einen Fackelzug bringen." Und während er ihr dieses Fest ausmalte, dachte sier wär' es nur schon vorbei... Horst hatte von seiner neuen Bekanntschaft zu Haus« nichts erwähnt. Auch zu seiner Mutter nicht. ES konnte hinderlich sein bei Verabredungen. Er hatte den Grund satz, Erlebnisse erst zu berichten, wenn st« vorbei waren. Dann schienen sie abgeklärt und gefahrloser, als wenn sie noch gärten. Diese neue Bekanntschaft war eine angenehme Er frischung neben seiner Arbeit. Wenn sich sein Vater auch in vielen Dingen über seinen Sohn klar war — in diesem Punkt hatte er sich getäuscht: Horst wollte sein Examen machen und wollte eS rasch machen, um es hinter sich zu haben. Er wollte im Winter nicht ausgehen und erklärte, er lege gar keinen Wert darauf, daß man seinetwegen einen Hausball gäbe. „Gib ruhig deine Diners, Mama", sagte er. „Wozu Bälle? Tanzlustige Söhne hast du keine mehr, und ihr seid ja alt« Leute." »Ja, ja", lächelte seine Mutter, „wir sind alte Leute..." Sie schaute in die Ferne mit einem merkwürdigen, ver steinerten Lächeln. Por diesem eingeengten Leben im Elternhause hatte Horst eigentlich immer Angst gehabt. In Heidelberg und Bonn war man sein eigener Herr, und wenn man mal mit seinem Wechsel nicht auskam, war ein Onkel da oder ein Freund, der anshalf, und man half wieder anderen aus der Klemme. Die meisten Rechnungen hatte «r, dank der Sendungen seiner Mutter, bezahlt. Bothmers gingen in diesem Herbst nicht aus. Bothmer hatte eine große, wissenschaftliche Arbeit begonnen und konnte dazu nur die Abendstunden oder die Nacht nehmen. Sie machten es ja alle so, die Kollegen. Der Tag gehörte den Kliniken und den Studenten, für die Wissenschaft blieb nur die Nacht übrig. Aber daß Bothmers in diesem Jahr mit ihrem Diner so lange warteten, fand man seltsam. Die Damen sondierten bereits: „Machen Si« denn diesen Winter gar nichts mit?" Frau Nelly hatte immer eine Ausrede. Wenn sie einmal eine Einladung an genommen hatten, sagte Bothmer sicher am Äbend: . „Könntest du nicht heute abend allein hingehen? Ich bin zu abgespannt." Sie tat eS nicht gern. Aber st« fayd «S unhöflich, im