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(3. Fortsetzung.) "Allmählich aber wurde Jrmingarts Ahnungslosigkeit doch durch die sie ständig bombardierende» Blicke ihres ^hefs zerstört. Die wohlmeinende», stetig anhimmclnden Blicke Hcnne- lergs wurden ihr nahezu unenrüglich, und mit leisem Arid sah sie durch das kleine Fenster hinaus in den Ver- caufsraum, wo die anderen Verkäuferinnen ungestört ihrer Arbeit nachgingen, während sie als bevorzugte Sekretärin im kleinen Privatbüro Höllenqualen erduldete. Aber konnte sie etwa gehen? War sie nicht vertraglich gebunden? War sie nicht ihrem armen, hilslosen Vater verpflichtet? Sollten wieder Not und Elend daheim ihren Einzug halten? Endlich schien sich Albert Henneberg nach einer schlaf losen Nacht zu dem unabänderlichen Entschluß durch gerungen zu haben, der Sache bald ein Ende zu machen. Schließlich war er in jeder Hinsicht der Gebende, und außer seinem Geld sielen wohl noch seine große, stattliche Figur und sein männliches, würdiges Wesen ausschlag gebend in die Waagschale. Doch seltsam, als er endlich am Schreibtisch neben Jrmingart stand und aus ihren schimmernden Kopf hinuntersah, wich wieder aller Mut von ihm. Wie, wenn sie ihm nun doch einen Korb geben würde? Allen Verstandesgründen zum Trotz? Diese Aristokraten waren manchmal ganz unberechenbar... Das Mädchen erschien ihm plötzlich wie eine Madonna auf den alten, ernsten Heiligenbildern. Der halb tiefe Mittelscheitel war die einzige Unter brechung in diesem Labyrinth von Wellen und Locken und gab die fein gemeißelte Stirn wie etwas ganz sorgfältig zu Hütendes frei. „Nein, wir wollen jetzt nicht schreiben, Fräulein von Schadow!- sagte er etwas erregt, und das kleine Wörtchen „von- drehte sich in seinem großen Munde wie ein köst licher Leckerbissen. Jrmingart sah verwundert auf. Die Röte schoß ihr bis unter die Haarwurzeln und gab ihren weichen Wangen einen Hauch blühenden Lebens. Eine böse Ahnung krampfte ihr Herz. War diese Ahnung richtig? War es wirklich schon so weit? Mußte dieser Augenblick kommens Wie zu einem stillen Gebet faltete sie unwillkürlich die Hände. „Draußen gibt es heute viel zu tun. Ich möchte gern verschiedene Sendungen persönlich beaufsichtigen, damit wir keine . Netlämanonen haben." Sic-sprach verlegen und geriet ins Stottern. In diesem Augenblick war Henneberg ganz Geschäfts mann. „Ah, Sie meinen Wohl besonders die große Sendung für .Herrn von Camprath? Das hat keine Eile. .Herr von Eamprath junior, der Doktor und Flieger, kommt selbst hierher. Er scheint wieder mal einen großen Flug vor zu haben, dann kauft er gewöhnlich alle Konserven selbst ein. Also, bitte, bleiben Sie!" Wieder senkte Jrmingart tief den Kopf auf die Brust. Ihre Ausrede hatte sie nicht gerettet. Ganz nervös und zerfahren ging Henneberg in seinem Büro auf und ab. Sein ganzes Wesen atmete unverkenn bare Unruhe. Ab und zu blitzten seine kleinen Augen über das Mädchen hin, und schon öffnete er den Mund zum Sprechen... aber es wollten ihm absolut keine passenden Worte einsallcn. Wie sollte er diesem stolzen, immer kühl reservierten Gcschöpj nur beibringen, was er.von ihr begehrte? Er haderte innerlich mit sich selbst, kam sich ganz plump und unbeholfen vor. Die unvermeidliche Zigarre glitt dabei wieder von einem Mundwinkel in den anderen. Die kräftigen, fleischigen Arme lagen über seinem Rücken gekreuzt. Schließlich nahm er sie lässig nach vorn und blieb am Schreibtisch stehen. „Fräulein von Schadow!" Als Jrmingart den Blick hob, say er an ihr vorder. „Bitte, Herr Henneberg!- Da war sie wieder, die klang volle, süße, melodische Stimme, die sein Blut in Wallung brachte, so oft er sie hörte. Pause. Henneberg schien noch immer nacy Sorten zu ringen. Plötzlich setzte er an: „Es kann Ihnen doch nicht entgangen sein, daß... ja, aß...- Plötzlich kam etwas ganz anderes über feine ippen als ursprünglich beabsichtigt, und er vollendete ütend: § „Verdammt noch mal — was wirft denn dieser Kerl m Hausdiener die Fischkörbe mit aller Kraft aus di- ">en?" s Und schon war Henneberg draußen. Seine Verlegen heit war durch diesen Zwischenfall von ihm gewichen, und er atmete erleichtert auf, dafür aber brüllte er den Haus diener wütend an: i „Sie können sich gefälligst in acht nehmen! Sehen Sic denn nicht, daß draußen Kundschaft ist? Faulheit von Ihnen, weiter nichts! Stellen Sie sich eine Kiste hin und setzen Sie die Körbe behutsam ab, und nicht einfach ans die Steinfliesen fallenlassen l Das Laus gehört mir und ist auf lange Zeit gebaut, nicht etwa, daß Sic Büffel jetzt anfangcn, cs abzutragen!" Draußen im Laden hatte man von dem Sturm kaum etwas gehört; aber zu Jrmingart drangen deutliche Laute hinüber und schufen in ihr ein brennend peinliches Gefühl Wieder eine Szene — ihretwegen. „Immer dasselbe. Die ewige Tragik! Warum muß es gerade immer mir passieren? Genügt es nicht, daß ich wie alle andere» meine Pflicht tue?" ,So!" Henneberg stand fauchend und prustend vor ihr. „Ich wollte Ihnen vorhin etwas sagen, Fräulein vo» Schadow!" Wieder dehnte er das Wörtchen „von" mit merklicher Lust. „Sie sollten sich hier freier fühlen, selbständiger. Ich habe manchmal den Eindruck, als wenn Sie vor den Mädels da draußen kapitulieren. Das will ich nicht. Fühlen Sie sich unbedingt so, als gehöre Ihnen selber der ganze Betrieb. Ach was, Quatsch ist das. Sie solle» natürlich auch mehr...-, Henneberg wurde plump, „auch mehr...an mich denken. Für mich tun Sie ja das schließ lich alles." Als habe er mit diesen Worten eine große Weltweishrn verzapft, wiegte sich Albert Henneberg auf seinen klobige» Füßen. Jrmingart von Schadow aber sank wie unter einein Peitschenhieb zusammen. Das also war es, was Henne berg wollte? Die Gewißheit ihrer bangen Ahnung flößte ihr Ent setzen ein. Sie sah, wie Henneberg in seiner ungeschlachten Größe sich siegessicher und majestätisch aufrichtete, und fühlte wieder seine begehrlichen Blicke ihren Körper abtasten. Seine offene und plumpe Art hatte JrmingartS letzte Teilnahme für den einsamen und arbeitsfreudtgen Chef augenblicklich vernichtet. Er wurde ihr widerwärtig wie Edgar Stiehm. Nein — so wirbt man nicht um Liebes Und doch! Drohte nicht im Hintergrund schon wieder das Ende der eben erst begonnenen schönen Zeit des Ver dienens? Gewaltsam würgte sie die Worte Hennebergs hinunter und sagte mühsam, zitternd: „Ich werde versuchen, mich noch Mehr als bisher dem Geschäft zu widmen, Herr Henneberg! Mir liegt sehr viel daran, Sie wirklich ganz zufriedenzustellen I- „Sie haben aber wirklich eine lange Leitung!" Henneberg entschlüpfte zu seinem Leidwesen auch dies mal eine seiner geläufigen Redensarten, von denen er genau wußte, daß sie bei diesem vornehmen Mädchen eine ganz falsche Wirkung auslösen mußten. Aber er konnte nicht aus seiner Haut. Und der Gedanke, daß er damit gerade das Gegenteil erreichen würde, kam ihm gär nicht. Im Hintergründe war ja sein vieles Geld!