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in Rechnung meine Frau bestürzt, ,du'willst doch nicht an Ende davon? Es folgten ein paar gemütliche Tage für Pips, Tage, in denen sie sozusagen zu sich selbst kam. Das schlichte OrdedeircLiitssebutr: künkDürmo-Verlag, UaUs (Lsals) ' Nachdruck verboten. folW Als Pips am folgenden Tag die letzten Ereignisse überdachte, war sie zufrieden mit sich. Sie halte es sich zur Aufgabe gemacht, Unrecht zu studieren. Das hieß, soviel an ihr lag, dem Schicksal in den Arm zu fallen und seine böse Laune unschädlich zu machen. Sic wäre sehr ungehalten gewesen, 'hätte ihr jemand gesagt, sie tue de» gleichen aus Gutherzigkeit. Nein. Aus purer Bosheit wollte sie dem hinkenden Teufel seinen Spaß verderben. Aus purer Bosheit... In kleine Menschenschicksale helfend einzugreifen, sei nichts Besonderes!, sagte sic sich. Aber sind denn die groben Dinge nicht aus lauter kleinen zusammengefügt? Und kann nicht ein Steinchen mehr oder weniger den Bestand eines Turmbaues in Frage stellen? Gottholds Augen leuchteten. „Oh, das ist ja großartig. Was hätte das gelungene Wert genützt, wenn ich nicht in die Lage gekommen wäre, cs verwerten zu können? Ich bin gar kein Geschäftsmann, weißt du.. .", setzte er schüchtern hinzu. „Dafür kenne ich dich", meinte Pips, „und darum ist mir das so nebenbei jetzt durch den Kopf gegangen", log sie gewandt. „Sagtest du nicht, daß du dabei ein Geschäft machen könntest?" erinnerte er, in dem Bestreben guter, anstän-- diger Menschen, auch andern etwas zukommen zu lassen. „Na, das ist doch selbstverständlich! Hast du schon mal das Wort.Provision' gehört?" Gotthold nickte und verschluckte sich fast vor Ueber- raschung. „Du bist ein großartiger Kerl, Josefa! So gescheit — wie ein Mann!" erklärte er und war überzeugt, ihr damit zu schmeicheln. Pips fuhr aber entrüstet auf. „Nicht mehr? Sei so freundlich?" wehrte sie ab. Dann aber mußte sie lachen. „Größere Ehre kann einem Frauenzimmer wahrhaftig nicht widerfahren, als wenn ein Herr der Schöpfung sie für seinesgleichen würdig hält!" Dann ging Pips ins Haus und teilte der Frau Ver walterin mit, daß sie nunmehr abzurcisen gedenke, da für eine Werkstudentin leider keine Verwendung sei. Frau Pieringer nahm diese Nachricht mit großer Fassung auf und setzte noch wohlwollend hinzu: „Der Holdl kann dir deinen Koffer bis zur Station tragen." Fast wäre Pips herausgeplatzt. Sie batte sich wacker abgeschleppt mit dem Gepäckstück, gegenwärtig tonnte man es mit dem kleinen Finger leicht davontragen. Aber sie rat nichts dergleichen, ging hinauf in ihre Kammer, zog sich Mantel und Mützchen über und kam gleich darauf mit dem „Gepäck" wieder herunter. Mit einem Augenzwinkern verständigte sie sich mit dem Haussohn, und der Abschied war weiter nicht überwältigend. So schritten die beiden tüchtig aus, und Gotthold ließ cs sich tatsächlich nicht nehmen, als Gepäckträger zu fungieren, wenn es auch nicht zum Bahnhof hinein ging, sendern vielmehr querfeldein. „Wie die Dinge liegen", meinte Pips unterwegs, „könntest du dich jetzt wirklich schon einmal darauf be sinnen, daß du kein Schulkind mehr bist, sondern ein aus- gewachsener Mann, der noch dazu eine gute Zukunft vor - sich hat. Also, laß dich von der Alten nicht so unterkriegen", hetzte sie freundschaftlich. Der junge Mann blickte sich unwillkürlich erschrocken um. Aber weit und breit war niemand, der diese ketzerische Rede hören konnte. Dann meinte er mit einer Art Humor: „Wenn mir die Streiterei nur nicht so zuwider wär — von mir aus hat ein jeder recht, wenn ich mich nur nicht hcrumzanken muß." .Der geborene Pantoffelheld", unterbrach ihn Pips trocken. „Dein Glück, daß deine Pini eine grundgute Haut ist, sonst kämst du aus dem Regen in die Traufe." Am fünften Tag, nachdem Pips als Gast im Lehrer haus eingezogen war, kam sie gegen zehn Uhr vormittags fertig angezogen aus der kleinen Gaststube und schwenkte das nun federleichte Köfferchen in der Linken. „Schönen Dank, Frau Lehrer, für alles - und ein fröhliches Wiedersehen l" Haus, die freundlichen Bewohner, die sie für ein armes, erholungsbedürftiges Grobstadtmädel hielten und siü. nicht genug tun konnten in liebevoller Betreuung! Förm lich böse wurde die liebe Frau Lehrer, als Pips' un erschöpflich scheinender Koffer nunmehr tatsächlich seine letzten Schätze zur Auffrischung der Speisekammer hergab Pips fiel nicht aus ihrer Rolle. Sie war angeblich Nachhilfelehrerin im Hause eines Viktualienhändlers ge wesen und hatte Eßwaren an Zahlungsstatt bekommen, die sie jetzt in Urlaubstage umsetzte. Man scherzte darüber, - und die harmlosen Menschen waren stolz auf die Josefa, die sich so durchzusetzen verstand. Sie mußte vyn Wien erzählen, und mit großen Augen horchten die beiden Frauen. Weiter als bis zum nächsten größeren Markt flecken war auch Gotthold nicht gekommen. Aber wenn es einmal so weit war, wenn die Er findung unter Dach gebracht, wozu Josefa ihre tatkräftige Hilfe verhieb, wenn man dann seine Existenz gesichert und sein eigenes Heim gegründet hatte, dann wollte man sich cine Reise nach der Wunderstadt vergönnen, dann — als Mann und Frau... Und beider Blicke tauchten beseligt ineinander. Wie wunderschön war auf einmal das Leben, mit solchen Aussichten! Was Pips betraf, so hatte sie nichi die mindesten Gewissensbisse, daß sie die guten Menschen so gründlich hinters Licht führte. Anders wäre es ja gar nicht ge gangen, und sie sollten es gut haben, diese braven, biederen Leute, ohne Falsch und Arg. Als sie damals — es war nur ein paar Tage her und erschien ihr lange, lange zurückzüliegen —, als sie diesem Gilbert Haller bei der Großmutter gegenübergestanden, va hatte sie einen Herzschlag lang das Gefühl gehabt: „Der ist ohne Falschheit und Hinterhältigkeit — zu dem könnte man Vertrauen haben, daß er einem Menschen ins Herz schaut und nicht — auf die Nase..." Und als sie noch keine zwei Stunden älter geworden war, da entpuppte Gilbert sich als oberflächlich, alltäglich, wie so viele, denen eine hübsche, seelenlose Larve schier die Vernunft rauben kann. Oh, sie hatte alles genau beobachtet, auch wenn sie tat, als wäre es ihr gleichgültig, wie dieser Gilbert mit Marysa Katz' und Maus spielte — oder vielmehr sie mit ihm. Ich gönn' sie ihm!, dachte Pips, als sie mit ihren Gedanken wieder einmal zu diesem Schluß gelangt war. Aber ein kleiner, ganz kleiner Seufzer hob ihre Brust, auf der es schwer seither lag, zentnerschwer, und sie wußte nicht weshalb. Weil sie sich in Gilbert getäuscht hatte? Keine Idee! Abge^annt war sie, überarbeitet, und nervös war sie, und es war ganz gut, daß sie sich losgemacht und davongefahren war. Pips mußte in sich hineinlachen, wenn sie sich erinnerte, wie viele Bäder und elegante Sommerfrischen die Mutter ihr geläufig vorgezählt hatte. Und wie pudelwohl sie sich hier fühlte, in diesem kleinen, einfachen Heimwesen einer armen Witwe mit ihrer braven, liebenswürdigen Tochter, dem kleinen Getier, das das winzige Anwesen sonst noch bevölkerte, dem Gärtchen mit dem üppigen Blumenflor und den Hecken voll unreifer Stachelbeeren, die Pips für ihr Leben gern naschte. Aber natürlich, sie mußte weiter, konnte nicht länger hier bleiben, ohne daß sie das bescheidene Hauswesen mit ihrer Person ungebührlich belastete. Die guten Menschen kamen sich zwar unglaublich reich vor, durch den geheim nisvoll hereingeschneiten Schatz, der ihrem einfachen Sinn märchenhaft erschien. Und den sie dennoch ohne Wimper zucken opfern wollten, damit der Gotthold das Ziel seiner Sehnsucht erreiche, durch eigene Kraft etwas zustande zu bringen. Aber während PhilippkKe bedingungslos und selbstverständlich das Opfer brachte, ja, cs gar nicht als solches empfand, dachte die Mutter mit einem kleinen Seufzer, daß dieses viele, viele Geld hingereicht hätte, um dafür ein Stückchen Grund und Boden zu kaufen, den zu bewirtschaften und damit ihres Kindes Zukunft in bescheidenem Matz sicherzustellen. Denn sie war gar nicht so gewiß, daß Holdls Erfindung mehr war als eine nette Spielerei. Woher denn auch, wo cs in der Welt massen haft studierte Herren gab — da würde man auf den Gott hold Pieringer warten, bis der ihnen etwas ausdochte?! Aber mit keinem Wort rührte sie daran. Sie gehörte nicht zu den Müttern, die bei allen Gelegenheiten ihre besseren Erfahrungen ins Treffen führten, die Jungen immer nur herabsctzten und damit wenig mehr erreichten, als daß eben diese Jungen, müde des Gängelbands, ihre Wege allein gingen, die Alten aber einsam Zurückbleiben mußte». Bei der verwitweten Frau Lehrer Hocholdinger wehte eine andere Luft. Alles blühte und war in Harmonie und Heiterkeit ge raucht. Sie war noch gar nicht alt, die Frau Lehrer, und nur die vielen kleinen Sorgenfältchen um Mund und Augen bewiesen, daß sich das Leben trotzdem an ihr gütlich getan. Das volle Blondhaar, das sie mit der Tochter gemein hatte, war von grausilbrigen Streifen durchzogen. Aber die hohe Gestalt war von guter Haltung, trotzdem sie um keinen Handgriff verlegen war. Und gute Bücher, die mit der Flickarbeit auf ihrem Nähtisch ein trächtig hausten, bewiesen, daß man im Lehrerhaus auch für höhere Dinge Zeit übrig hatte. Blitzblank und freundlich war das winzige Fremden stübchen, in das Pips nach herzlichem Willkomm gebracht worden war. Das Helle Zirbelholz, die geblümten, schmalen Vorhänge, der große Feldblumenstraub inmitten des Tisches, der vor dem kleinen Diwan stand — alles bewies, daß hier noch patriarchalische Sitten herrschten, daß hier der Gast hochgehalten wurde. Während sich Pips ein wenig zurechtmachte, dachte sie mitleidig an den feinen Jungen, diesen Gotthold Pie ringer, und wünschte ihm herzlich, daß er bald in die Lage kommen möge, hier als Sohn einzukehren, um zu bleiben. Hier würde man seiner Art Gerechtigkeit wider fahren lassen — und vermutlich würde es auch nicht die letzte, tüchtige Arbeit sein, die er der Welt schenken tonnte. Pips hatte einen guten Blick und sie dachte, daß der Mechaniker Gotthold Pieringer einmal auf seinem Ge biete eine Nummer werden würde. Schon im Vorjahre war sie überzeugt davon gewesen, daß aus dieser Verbesserung, die er erfunden, ihr Vater Nutzen ziehen und damit dem braven, begabten Jungen Nutzen bringen konnte. „Und" — kalkulierte Pips sehr tüchtig — „in diesem j Pini kam herzugelaufen, di« eben Valatoiatter m sen Hasenstall getragen hatte, und blickte entgeistert auf die reisefertige Freundin. „Du bleibst doch über die ganzen Ferien, Josefa!" Pips lachte gerührt. „Lajder, lajder!" ahmte sie die alte Butterfrau nach, die diesen Ausspruch bei allen paffenden und unpassenden Gelegenheiten im Munde führte und vor einer Weile vas Haus verlassen hatte. Sie sammeKe Landbutter und Eier in den kleinen Wirtschaften zu sehr billigen Preisen und verkaufte sie in den zunächstliegenden Marktflecken mit ganz ansehn- , lichem Gewinn. Man nannte sie überall die Frau „Lajder- ! Lajder", weil sie, wie Pint behauptete, „leider" nur sehr ! l Seine Preis? zahlte. Nun mußten Mutter und Tochter lachen, aber erstere - »einte dann dennoch ehrlich bekümmert: „Wir können dir halt nichts bieten — gelt, Josefa, es wird dir die Zeit lang bet uns?" Pips nahm die Frau um den Hals und küßte sie herzlich: „Ich verspreche Ihnen, liebe Frau Lehrer, daß ein Tag kommen wird, wo wir recht lange beisammen bleiben werden und uns viel zu erzählen haben...", sprach sic mit ungewohntem Nachdruck, so, als wollte sie ihr sie Worte einprägen. Sie blickte' dabei der lieben Frau mit einem eigenen ! Ausdruck in die Augen, daß die, ein wenig verwunden über den Ernst, verständnislos den Kopf schüttelte. Wac hatte denn das Mädel? Konnte die auch ernsthaft sein ? Wo man sie doch immer nur übermütig wie ein Füllen und sprühend wie Glut kannte. Klug war sie freilich — und so geschickt in allen Dingen, die sie anfable. Aber plötzlich war etwas Fremdes in der Josefa. Etwas Festes, schier Gebietendes, wie Menschen, die mit einer Handbewegung befehlen und schlichten und Widerspruch abwehren... Seltsam war das Mädel plötzlich... Schon am gleichen Nachmittag raste Pips Breiten schlag in ihrem roten Auto die Landstraße mit Achizig- Kilometer-Geschwindigkeit dahin. Sie nahm Richtung Salzburg, wo eben die Festspiele stattfanden und morgen eine Mozart-Oper aufgeführt wurde, die sie sich anhören wollte. Das Telegramm zur Sicherung von Quartier und Theaterkarte hatte sie bereits aufgegeben, als sie sich ihren Wagen geholt. Jetzt mußte sie sich nur rasch um kleiden, sobald sie in Salzburg anlangte, denn sie war Wohl Mit einem Koffer, doch ohne „Gepäck" von Wien abgereist. In dem Zustand nervöser Spannung, in dem sie sich befunden, wäre es ihr unmöglich gewesen, das Erforderliche zu veranlassen. Auch wußte sie keineswegs noch, was sie eigentlich wollte. Nur eines wußte sie: diesen Gilbert Haller wollte sie nicht mehr sehen. Nie mehr. Nun war sie tagelang aus ein und demselben Anzug nicht herausgekommen, und zum Ueberfluß begann es zu regnen, sowie sie sich dem Salzkammergut näherte. , Ihr Trenchcoat war wasserdicht, aber das hinderte nicht, daß die feuchte, kühle Luft ihr durch und durch ging. Klappernd vor Frost und sehr abgespannt war sie vor ihrem Hotel vorgefahren, als sich die Dämmerung schon niedergesenkt hatte und das elegante Publikum die Halle füllte. Hier war Pips Breitenschlag wohlbekannt, und es heimelte sie sogar an, denn sie liebte diese wunderbare Stadt. Ihr Name oder vielmehr der ihres Vaters be wirkte auch, daß sie, trotz der Ueberflutung durch Fremde, ein sehr hübsches Zimmer vorbereitet fand, und sie begab sich sogleich hinauf, nachdem sie für ihren Wagen gesorgt hatte, den sie nicht ohne weiteres fremden Händen über antwortete. Niemand hatte es ganz schlecht, wer sich von Pips umsorgen ließ, und sei es auch nur eine Maschine. Sie ließ sich heißen Tee bringen, und noch ehe sie ihren Mantel abgelegt hatte, hing sie schon an der Telephon muschel, bestellte sich eine Anzahl Kleider und sonst Nötiges für ihren äußeren Menschen. Lieferbar für sofort. Im Organisieren war Pips groß und wußte genau, was sie wollte. Und sie hatte kaum den dritten Nachguß zu ihrem vortrefflichen Tee erledigt und begann sich ein wenig mollig zu fühlen, als sich das Fräulein des Kleider salons auch schon mit einer Anzahl Kartons einfand und gleichzeitig der Friseur mit gemeldet wurde; denn Pips' Struwelkopf befand sich dank der schlechten Behandlung, die sie ihm in den letzten Tagen angedeihen ließ, in traurigster Verfassung. Noch am selben Abend saß die unermüdliche Pips in einem einfachen, aber sehr schicken Kleid mit allem modischen Zubehör im Kaffee „Korso" mit einigen Be kannten, denen sie nicht entgehen konnte, und log ihnen vor, daß sie geradeswegs von Gmunden komme, wo sie sich einige Tage aufgehalten. Es war schon sehr spät, als sic endlich ziemlich müde auf ihr Lager sank und fest und traumlos schlief, bis sie um neun Uhr geweckt wurde, wie sie cs ungeordnet batte.