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Ästhoparrer Gonntagsvlart Beilage zum ZfGopauer Tageblatt und Anzeiger 1938 Sonnabend, den 5. März Nr. 9 (12. Fortsetzung.) „Nein", sagte Mörk. „Ich hab' mir ein paar Musikanten vom Stadltheater-Orchester verschrieben, für die Damen, und mich um das Büfett bekümmert." Frau Nelly half ihm beim Empfang. Und damit der Schwindel nicht solange dauerte, hatte Mörk gleich auf die Einladungen drucken lassen: Wagen um elf... Das Konzert verlief sehr festlich. Mörks Büfett war üppig, die Weine ausgezeichnet, es gab sogar ein Glas Sekt. Um elf Uhr fuhren die Wagen vor nnd die Geschichte war aus. Dann ging Mörk mit ein paar jungen Herren, darunter Horst, in den „Nolen Hahn", nm sich von den An strengungen dieses Abends zu erholen, an dem er sich „furchtbar verstellt" hatte. „Ein ganzes Jahr must ich mich nun verstellen", klagte er. „Aber wenn das vorbei ist, zeig' ich mich nur noch in meiner wahren Gestalt." Im übrigen führte er schneidig und korrekt die Ge schäfte, es entging ihm nichts, er ließ nichts durch, hielt auf Ordnung und Etikette und vollendete nebenher den letzten Band seines Lebcnswerkes, ein zwölfbändiges Werk, das in sieben Sprachen hcrauskam. Horst hatte seine Doktorarbeit mit Eifer begonnen, hatte sein altes, ruhiges Giebelzimmer bezogen und seinen Schreibtisch ans Fenster gerückt. Aber er kam nicht recht vorwärts. Es waren zuviel Bekannte in der Stadt, fort während wurde er angerufcn, wurde eingeladen zu Tanz tees, denn er war ein ausgezeichneter Tänzer. Oder man bestellte ihn irgendwohin. Er kam nicht "zur Konzentration. Er dachte über das veränderte Wesen seines Vaters und seiner Mutter nach; sie machte einen leidenden Eindruck auf ihn, sie hatte ihre blühenden Farben verloren. Es stand sicher etwas zwischen ihr und seinem Vater. Wenn er morgens ein paar Stunden gearbeitet und die Stunden bet Tisch ertragen hatte, mußte er hinaus. Er hielt es einfach in der Luft seines Elternhauses nicht mehr aus. Er ging fort, irgendwohin, wanderte ziellos umher. Oft lief Horst durch die Heide, durch die kleinen, wie im Sand versunkenen Dörfer, und stand wieder vor dem kleinen, putzigen Malerhause, in dem das Mädchen wohnte. Hede war zu Haufe und er verplauderte eine Stunde bet thr. Von da ab sahen sie sich täglich. In der Druckerei waren eben Feierschichten eingeführt, sie kam jetzt schon mittags nach Hause. „Wenn Sie Herkommen, dann bitte nur nachmittags", sagte sie ihm. „Denn abends muß ich arbeiten." Er glaubte ihr das nicht, aber er forschte nicht weiter. Sie gehörte für ihn nicht zu denen, die man ernst nahm. Er fand sie hübsch, anmutig, nett, nicht mehr. „Jie spielen ja doch nur mit den Frauen", sagte sie eines Tages. „Wie Sie...mit uns", gab er zurück. .Das kommt ganz darauf an." Sie war jedesmal in anderer Stimmnng. An manchen Lagen lustig und übermütig und zu allem aufgelegt. Aber er hütete sich vor ihr, er fand sie gefährlich. Nicht weil er fürchtete, daß sie eine Gefahr für ihn bildete, sondern weil er wnßte, daß man sich leicht an diese Art Mädchen verlor. Ohne es zu wissen und zu wollen. Und eines Tages hatte man den Kopf in der Schlinge. Es war ein Geplänkel zwischen ihnen, ein Spiel mit ungewissem Ausgang. Er wußte nicht, ob ihre wechseln- den Stimmungen echt waren oder nur vorgetäuscht. ES Hab Frauen, die immer eine Nolle spielen müssen, die sie W »urechilegen. Aber hier kam doch noch etwas hinzu. " sie melancholisch, mit traurigen Augen, am ""d in die Flußebene starrend. »W bin sehr einsam", sagte sie. . ! - denn ,o weit aus der Stadt ae- A Haus für Maler, aber nicht für ein MneS Fräulein." ' . »Hi« finde» mich ja aar nicht schön", laate k«. ^ab' ich k» aesaat f» LopxriLkt 1937 bx ^ukvärts-Verlaa. öerlin 68 „Nein! Aber ich kann zwischen den Zeilen lesen." Sie hatte keine Freundin, keinen Verkehr, keine Familie, an die sie sich anschließen konnte. Lag das an ihr oder daran, daß sie hier fremd war? Sie wußte nicht einmal seinen richtigen Namen. Daß er Alfred Meyer hieß, hatte sie ihm keine fünf Minuten geglaubt. Sie hätte leicht nachsorschen können, wer er eigentlich war; aber sie wollte es nicht. Sie fand es romantischer so. Ein Student der Medizin, aus Berlin, der hier seinen Doktor machen wollte. Das genügte ihr. Sie wußte nicht einmal, wo er wohnte. Das interessierte sie gar nicht. Sie fand ihn bezaubernd. Sie ärgerte sich über seine spöttischen Bemerkungen, sie zankten sich und gingen im Zorn aus einander. Am nächsten Tage kam er wieder. „Sie sind sehr launisch", sagte sie. „Einmal so und einmal so. Man weiß nie, wie Sie wirklich denken." „Das ist auch nicht nötig." „Sie denken, es genügt, wenn Sie da sind?" „Allerdings!" lachte er. „Nehmen Sie sich in acht", sagte sie. „Ich bin nicht tren." „Nun, dann passen wir ja zusammen", meinte er lachend und ging. „Was halten Sie eigentlich von Professor Bothmer?" fragte Hede eines Sonntagnachmittag, als Horst bei ihr ' am Teetisch seine Zigarette rauchte. „Von wem?" fragte Horst und setzte dabet sein Tee glas hin. „Nun, den berühmten Bothmer. Sie studieren ja Medizin, Sie werden doch auch bei ihm belegt haben?" „Ja, natürlich, man belegt allerlei! Aber man geht doch nicht in jedes Kolleg, und diesen.Olympiern' kommt ein Student ja nie näher. Aber Sie scheinen ihn zu kennen?" „Ich hab' mal einen Vortrag von ihm in München gehört. Den hab' ich nie vergessen." „Einen Vortrag über Medizin?" „Ja — aber er war so gehalten, daß man keine Gehirn krämpfe davon bekam, wie aus dem Philosophenkongreß neulich! Da hab' ich auch mal einen Vortrag gehört über .Fiktionen'. Von dem hab' ich nicht ein Wort verstanden." „Kann ich mir ohne Phantasie vorstellen", sagte Horst. „Was hat Ihnen denn so tiefen Eindruck gemacht bei Bothmers Vortrag-?" „Er sprach über Menschen mit verbrecherischen An- lagen." „Das interessiert die Damen ja immer." „Und mich ganz besonders. Ich hab' mal ein Buch über Verbrecherhandschriften gelesen. Es ist unheimlich, was die Graphologen alles aus ein paar geschriebenen Worten hcranslescn. Sie lesen in der Schrift wie in einem Gesicht. Sie lachen? Sie sind ein Ungläubiger, ein Heide. Sie glauben bestimmt an nichts." „Das ist wieder zu viel behauptet. Ich glaube an manches, aber nicht unbedingt an alles, was man mir er zählt." „In der Krumme Straße wohnt eine Frau, die hell seherisch veranlagt ist. Wenn ich vorher gewußt hätte, was sie mir sagen würde, wär« ich nicht zu ihr gegangen." „Und was hat sie Ihnen offenbart?" „Sie hat mich gewarnt..." „Vor wem?" „Vor dieser Stadt. Ich war damals gerade hcr- gckommen und suchte eine Stellung. Ich wollte wissen, ob ich etwas finden würde. Und sie sagte mir, finden werden Sie schon etwas, aber hier ist ein schlimmes Pflaster für Sie. Gehen Sie fort, aber bald, sonst kommen Sie nicht mehr los." „Weshalb nicht?" „Ach, das ist «twaS, das hinter mir liegt. Aber ich bin nicht sicher, ob eS nicht wiederkommt", setzte sie hinzu. Er sah sie an. „Sie werden doch keine Geschichten machen?" sagte er «rnst. St« schaute w»g. Sie sah aus, als sänne sie über etwas nach, da» sehr traurig und düster war; ihr junges Gesicht Wurde schmal, wie verfallen — st« krampft« di« Hände in das Sofakissen. „Nein, ich glaube...!" „Was glauben Sie?" „Jetzt nicht mehr", sagte sie und sah ihn an. „Das tuj man, wenn man sehr unglücklich ist. Aber das ist jetzt über« wunden. Mir war alles einerlei und das Leben hatte keinen Wert mehr für mich." „Solche Stimmungen hat jeder", meinte er und rauchte. „Sie auch?" „Auch ich." „Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet. Weshalb sind Sie denn in eine solche SUlnmnng gekommen?" „Das weiß ich nicht mehr. Es sind meist ganz gewöhn« liche Dinge, die aufgebauscht werden und sich zu einem Un glück verdichten. Man bildet sich ein, man sei unglücklich, und daun ist man es..." Sie schwieg. „Ist es ein Zeichen von Feigheit, wentt man Selbstmord begeht?" fragte sie plötzlich. „Darüber könne» die anderen nicht urteilen. Man ist krank, man hat es satt, man ist müde, will nichts mehr vow allem wissen. Oder man hat Angst vor etwas und wird hineingetricben..." „Ja, so ist es!" rief sie lebhaft und richtete sich auf. „So war's bei mir damals." „Und es sind immer andere schuld — nicht wahr?" - Sie drehte sich herum, ihre Augen blitzten ihn an.: „Andere? Gewiß! Sie tragen dazu bei. Aber seit dem Vortrag von Bothmer weiß ich, daß es nur an uns selbst liegt, an unseren Eltern, an dem, was sie uns vererbt haben, daß wir so geboren sind, so unglücklich belastet, und daß wir dazu bestimmt sind." „Zu was?" Sie beugte sich über seinen Sessel. „Ach, weshalb dar über reden? Jetzt ist ja alles gut. Wenn du wüßtest, wi« ich dich liebe, aber du willst cs ja nicht wissen — nein, nein..." Schluchzend sank sie zurück... * Horst beobachtete seine Mutter. Es fiel ihm eine Ver änderung an thr auf. Ihr Gesicht hatte die Frische ver loren, und ihr Haar glänzte hell, wie gefärbt. Und manch mal, wenn sie zu Tisch kam, bildete er sich ein, sie habe Not aufgelegt. Was war denn das nur auf einmal zwischen seinen Eltern? Er wollte nicht fragen, seiner Mutter nicht Weh tun, er fühlte, daß sie litt, und sein Vater schien jetzt sehr beschäftigt. Die Stunden, da er überhaupt noch im Hause erschien, waren ausgcfüllt von eiligen Telephon gesprächen, die tagsüber ihn nicht erreicht hatten. Und jeden Abend ging er aus. Der Nebel, der das Tal durchwogte, und das schlecht? Welter kam ihm gerade recht. Um so wärmer war es dany in dem kleinen Hause und um so Heller brannte das Licht nachher bei ihr da draußen. Versunken war alles, was ihn tagsüber gehemmt, ge stört und aufgehaltcn halte, was seine Sehnsucht gebremst und seinen Gedanken in die Zügel fiel. Er haßte jetzt alles, was ihn abhielt, herauszuwandcrn. Gesellschaften warett ihm eine Last, sich unterhalten zu müssen, gezwungen sein, Artigkeiten sagen zn müssen, mit fremden, gleichgültigen Menschen Feste feiern, die keine für ihn waren. Das beste war noch die Arbeit. Da vergaß man sich wenigstens für Stunden. Als Bothmer eines Abends vor das kleine Haus kam, fand er es dunkel und verschlossen. Er klopfte und rüttelte an den Türen, sie blieben verschlossen nnd das Haus lag dunkel und still im herbstlichen Regen. War sie krank? Das konnte doch nicht sein. Sie hätte ihn sonst in der Klinik angerufen. Kurze Nachrichten ohne Namensnennung waren erlaubt. Schwester Brita nahm sie entgegen. „Eine Dame, die ihren Namen nicht sagen wollte, hat angerufen." Er wanderte eine Weile auf dem sandigen Weg mite? den nassen Birken auf und ab, der Wind schüttel/« ast seinem Mantel und riß Ihm den Hut vom Kopfe; «S WM ein häßliches Welter. Als sie nach einer halben Stunde noch nicht kam und