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höchst empfindsame, mimosenhaft zarte, leicht verletzliche Natur — kränklich und zurückgezogen lebend; sein Leben verlosch, als er längst die andalusische Heimat und Europa verlassen hatte, irgendwo in der Emigration in den argen tinischen Bergen. Weniges nur und oft Widersprüchliches ist an Dokumenten und Bildern bisher, über 20 Jahre nach seinem Tode, an die Öffentlichkeit ge drungen. Doch ist de Falla, zu dessen Schülern übrigens der Dichter Lorca gehörte, zweifellos in der Musik des 20. Jahrhunderts neben dem frühen Stra winsky, neben Kodäly, Bartök, Janäcek, Chatschaturjan u, a. einer der bedeu tendsten Erneuerer aus dem Geist nationaler Volksmusik heraus. Das spanische Volkslied, der Volkstanz seiner Heimat, der maurisch-exotische Rhythmus sind in seinem umfangmäßig geringen, aber höchst bedeutenden Oeuvre zu einer genialen Synthese mit Einflüssen des französischen Impressionismus gebunden. Als volkstümlichste Werke de Fallas, des mit Debussy, Ravel und Dukas eng Befreundeten, der gewissermaßen der Ravel Spaniens wurde, sind sein Ballett „Der Dreispitz" und die sinfonischen Impressionen „Nächte in spanischen Gärten" für Klavier und Orchester zu nennen. Das Konzert für Cembalo, Flöte, Oboe, Klarinette, Vio line und Violoncello schrieb der Komponist in den Jahren 1923 bis 1926 in Granada. Er widmete es der ihm befreundeten großen polnischen Cem- balistin Wanda Landowska, die ihn zu diesem Werk inspiriert hatte. Die Kammermusikvereinigung Pablo Casals brachte die Komposition 1926 in Barce lona zu Uraufführung. Wenngleich das Cembalo nach de Fallas Angaben auch durch Klavier ersetzt werden kann, ist die Partitur eigentlich doch ganz auf die Klangmöglichkeiten des Cembalos abgestimmt. Nur sechs Instrumente bilden das Ensemble des von Ravel als das „vollendetste Dokument zeitgenössischer Kammermusik" bezeichneten Konzertes, dessen aus den verschiedenartigsten Bestandteilen zusammengesetzte Musik eine stilisiert-klassizistische Haltung (eine Art Huldigung an den vom Komponisten sehr verehrten Cembalo-Meister des 18. Jahrhunderts Domenico Scarlatti) mit archaisierenden Elementen, poly tonalen Wirkungen des 20. Jahrhunderts und thematischen Entlehnungen aus altspanischer Volksmusik verbindet. Große künstlerische Ökonomie, Sparsamkeit der Mittel sind nicht zuletzt Vorzüge dieses reifen, überaus konzentrierten und aufs feinste durchgefeilten Werkes. Zwei Themen prägen den Charakter des etwas motorischen, bestimmt wirken den ersten Satzes (Allegro). Das erste Thema, melodisch eng geführt, erklingt zuerst im Soloinstrument. Flöte und Oboe in Oktavkoppelung bringen dann zur Begleitung von Streicherpizzikato und Cembalo das zweite Thema, das einer altkastilischen Volksmelodie aus dem 15. Jahrhundert entspricht: „De los dla- mos vengo, madre" (Von den Pappeln komme ich her, Mutter). Beide Themen werden im Verlaufe des Satzes, dessen mit Trioien vermischte durchlaufende Sechzehntelbewegung mehrmals von einer Glockenklang ähnlichen, arpeggier- ten Akkordreihe unterbrochen wird, kunstvoll verarbeitet. An das Ende des zweiten Satzes (Lento) schrieb der Komponist die Anmerkung: A. Dom. MCMXXVI, In Festo Corporis Christi (Im Jahre des Herrn 1926, am Fronleichnamstag). Die Feierlichkeiten des Fronleichnamstages werden in Spa nien seit Jahrhunderten mit besonderem Pomp und farbenprächtigen Zeremo nien als wahres Volksfest begangen. Sicher ist es nicht als Zufall anzusehen, daß gerade dieser Satz, der auch die „Vortragsbezeichnung" giubiloso ed energico“ (jubelnd und energisch) trägt, in bedeutendem Maße mittelalterlich liturgische Züge aufweist und durch eine strenge, vorbachische Polyphonie mit zahlreichen kanonischen Bildungen und Fugati gekennzeichnet ist. Einen starken Kontrast dazu bildet der beschwingt-tänzerische, lebensvolle Schlußsatz des Konzertes (Vivace), in dem de Falla stilisierte spanische Tanz rhythmen verwendete. Besonders charakteristisch ist hierbei die für Spanien typische Kombination von Dreiviertel- und Sechsachteltakt. Der ständige Fluß des scherzo-ähnlichen, locker bewegten Satzes wird lediglich durch eine Gene ralpause kurz vor seinem Ende, vor der wirkungsvollen achttaktigen Koda, auf gehalten. In diesem Finale voll spielerischer Leichtigkeit vor allem, das am ehesten einen Konzertsatz nach klassischem Muster darstellt, werden die bereits erwähnten Anklänge an Domenico Scarlatti wirksam. Uber sein populärstes Werk, den Bolero, schrieb Maurice Ravel, einer der prominentesten Vertreter französischer Musik in unserem Jahrhundert: „1928 habe ich auf Wunsch von Frau Ida Rubinstein einen .Bolero' für Orchester komponiert. Es ist ein Tanz in sehr gemäßigter Bewegung und stets gleichför mig, sowohl in der Melodie und der Harmonie wie in seinem Rhythmus, den die Trommel unaufhörlich markiert. Das einzige Element der Abwechslung bringt hier das orchestrale Crescendo." Das Werk, das man einmal treffend ein „erstaunliches Karussell der Klänge" genannt hat, wurde zum erstenmal am 20. November 1928 zusammen mit „La valse" als Ballett in der Choreographie Ida Rubinsteins an der Pariser Oper aufgeführt. An diesem Tage trat es seinen wahrhaft triumphalen Weg durch die Konzertsäle der Welt an, seinen Schöpfer schlagartig berühmt machend, der es auch selbst gern dirigierte, eigenartig trocken, gleichförmig, beinahe langsam im Tempo. Die Interpretion des „Bolero" hat die Musikwissenschaft vor ein interessantes Problem gestellt. Nennt ihn Roland-Manuel eine „Spielerei seines Schöpfers", so wirft der Musikwissen schaftler Jules van Ackere den Begriff „Mystifikation" in die Debatte, erwähnt aber zugleich selbst die Möglichkeit, daß es sich auch um eine einfache Schc^B Stellung einer faszinierenden Kenntnis des Orchesters handeln könnte. SuarWi vermeinte sogar, im „Bolero" das klingende Bild des unheilbaren Leidens zu sehen, das Ravels Verstand an seinem Lebensabend zerquälte, eine Art tragi schen Totentanzes, das Bekenntnis eines Alpdruckes. Diese Deutungsversuche streben bewußt über die Angabe des Komponisten hinaus, der seinen „Bolero" lediglich als Instrumentationsstudie auffaßte. Obwohl diese Bescheidenheit sehr für den Autor spricht, hat er doch mit dem Werk sehr viel mehr gegeben, ein faszinierendes, aufwühlendes Stück Musik, genial in seiner leidenschaftlich-vibrierenden Steigerung der Dynamik vom pp zum ff, in den raffinierten Instrumentationskünsten. Der Reiz des „Bolero" liegt in der unaufhörlichen, hartnäckigen Wiederholung seines stereotypen zweiteili gen spanischen Tanzthemas (etwa im Sinne einer Padilla) und des zugrunde liegenden Bolero-Rhythmus über siebzehn Minuten lang bei gleichbleibender Tonart in den Bässen, mit nur geringfügigen Änderungen, ohne Durchführungen, wobei bei jeder Wiederkehr der Motive diesem rasanten Orchestercrescendo eine neue Farbe hinzugefügt wird. Erst kurz vor dem abrupten Schluß wird auch eine andere Tonart erreicht. „Der .Bolero' ist nichts als Musik, ein Kreislauf der unmittelbaren Kraft, die auf einer Technik basiert, welche auf Inhalt und Form fast verzichten will. Auf die Form, denn er ist nichts als eine einfache Wiederholung; auf den Inhalt, denn er beschränkt sich auf ein einziges Thema, das vielleicht der Folklore entlehnt ist. Die Harmonik bleibt vollkommen im Hintergrund, als ein Stützpunkt ohne eigene Funktion" (van Ackere). Gewöhnlich ist die Klangfarbe ein Mittel, die Melodie plastischer zu gestalten — im „Bolero" steht sie so im Vordergrund, daß ihr sogar das Thema untergeordnet ist. Dr. Dieter Hartwig VORANKÜNDIGUNG: Pfingstsonntag, den 2. Juni 1968, 18.00 Uhr, Schloßpark Pillnitz Pfingstmontag, den 3. Juni 1968, 18.00 Uhr, Schloßpark Pillnitz 1. SERENADE Dirigent: Kurt Masur Solist: Fred Teschler, Dresden, Baß Chor: Kinderchor des Philharmonischen Chores Dresden Werke von Joseph Haydn, Kurt Hessenberg, Wolfgang Amadeus Mozart und Georg Philipp Telemann Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1967.68 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr, Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 41209 III 9 5 1,5 568 ItG 009/41/68 »HIHiarnnoni 15. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1967/68