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ÄsGopauer Gonntagsvlatt «ettage zum ZfGopauer Lagevw« «nd Anzeiger Nr. 20 Sonnabend, den 21. Mai 1938 (1. Fortsetzung.) Als sie gegangen war, atmete Ste Fremoe aus. Tie setzte sich auf einen der altertümlichen Stühle und legte den Kopf an die hohe Lehne. Ein eigentümlicher Hauch erfüllte den Naum, ein leichter Modergeruch, wie er nur sehr alten Gebäuden anhaftet. „Duft der Jahrhunderte..." flüsterte Almut GerdeS. Sie schloß die Augen, und ein Ausdruck von Frieden '"ischte die Ruhelosigkeit von ihrem Gesicht. * <- Haus Buchenstein trug seinen Namen zu Recht. DaS Haus lag frei auf einem Felsvorsprung, zu seinen Füßen wogte ein Laubmeer, ein Buchenwald, der sich wildwüchsia an die Terrassen drängte. Aus diesem Wald scholl Tag und Nacht bas Tosen der Bergwasser, der Schlucht zu einem Wildbach sammelten. Das Haus war ein geduckter Bau unter einem patina- grünen Schindeldach. Altanen liefen rings um Front nnd Längsmauern. Hirschgeweihe, von Wmd und Wet ter gebleicht wie verwaschenes Totengebein, hingen zwi- schen den Fenstern. Unter dem Vordach spannte ein Präparierter Steinadler die Schwingen, den Schnabel aufgerissen zu einem lautlosen Räuberschret. Der tote König der Felsen schien mit seinen blinden Augen noch hinüberzuschauen nach dem Steinernen Meer. Wer ihn sah, bedauerte es, daß er nicht mehr die Flügel regen konnte zur Flucht hinauf ins Blaue. Das Berchtesgadener Land, dieses Land voll Wald und Wasserrauschen, das eine so tiefe Ruhe ausströmt, Ist immer wieder von Großstadtmenschen aufgesucht worden, von reichen Weltflüchtigen, die sich dort ein schönes Heim erbauten, ein Bergasyl, ein Bollwerk des Friedens, von Felsen umschlossen. Aber das Leben hat auch hier niemals aufgehört, seine Fäden zu spinnen. Jedes Haus hat seine Geschichte. Und keines verbarg -er Bergwald so gut, daß es vom Schicksal nicht aufge funden worden wäre. Auf der Terrasse von Haus Buchenstein schimmerte ein weißes Kleid aus einem Liegestuhl. Zuweilen trug -er Wind Klänge von Radiomusik nach den stillen Park- wegen hinunter, die in das Dämmern des Waldes Mündeten. Eine fast klösterliche Efeumauer schied das Kaus von der Welt. Bäuchlings im kurzgeschorenen Gras lagen zwei Jungen. Ihre nackten braunen Beine staken in ver- wetzten Lederhosen, die weißen Leinenhemden waren mäßig sauber. Neben ihnen saß in brüderlicher Ein tracht ein Dackel, dem als besondere Zierde ein mäch tiger Kropf bald oben bald unten aus dem Halsband hing. Nachdenklich betrachteten die beiden ihren vierbeinigen Freund. Der Kropf war Gegenstand ihres Studiums. „Weißt, Peter," sagte der eine, ein blonder, hübscher dengel, „später einmal, wenn ich Doktor bin, werde ich vcn Waldi den Kropf herausschneiden. Das ist eine Kleinigkeit für mich." Der andere blieb skeptisch. „Bis du amal a Dokta bist, derweil lebt dei Dackel nimmer. Js ja eh schon zehn Jahre alt. Und älter als vierzehn oder fuchzehn werd a Hund net." „Das ist nicht wahr . . ." „Frag nur den Förschter. In a paar Jahrein ts bei Hund hi . . ." Sie funkelten sich böse an. Der Blonde, blauäugig, mit schmaler Stase, gewachsen wie ein junger Baum — der andere, kurz und gedrungen, mit zahllosen Sommer sprossen bedacht. Meinungsverschiedenheiten wurden immer unverzüglich ansgetragen. So wälzte sich bald ein Knäuel im Gras. Der Dackel rückte zur Seite, flöhte sich und sah sachkundig zu. Der dicke Peter stritt wie ein junger Stier. Er boxte feinen Kopf dem Gegner einfach in den Bauch. DaS wurde dem Blonden zuviel, irgendeinen geschickten Griff wandte er an, nnd plötzlich brüllte der dicke Peter wie am Spieß. „Anslassen jLvslasscn), sag i! Bon mir aus lebt dei Dackel hundert Jahr . . Lachend sprang der Sieger auf. Auch Peter torkelte hoch, er strahlte vor Bewunderung. „Den Griff, den muaßt mir zeigen .. ." Aber der Kampf hatte auf der Terrasse Aufmerksam keit erregt. Dicht an der Brüstung leuchtete jetzt daS Helle Kleid. „Hanno!" „Dei Muatta schreit dir!" grinste Peter schadenfroh und schlug sich in die Büsche. Hanno machte Miene, ihm zu folgen. Aber die Frau auf der Terrasse winkte energisch. Da wandte er sich seufzend dem Haus zu, be- bleitet von dem asthmatisch schnaufenden Dackel. Frau G-ldiS Glonau empfing den Sprößling mit um- wölktcr Stirn. Eie war eine jener farblosen Frauen, deren blasses Gesicht sich vom glanzlosen Blond deS Haares kaum abhebr. Farblos war auch der Mund, um den ein bitterer Zug lagerte, der sie älter erscheinen ließ, als sie war. ..Hanno!" sagte Frau GildiS vorwurfsvoll? und, als wäre dies kurze Wort schon zu viel, legte sie mit klagen der Gebärde die Hände an die Schläfen. „Schon wieder Kopfweh, Mutti?" erkundigte sich Hanno teilnahmsvoll. „Kein Wunder bet dieser Schwüle! Wer hat da vor hin so gebrüllt?" „Gott Mutti, daS war nur Peter. Der brüllt immer so." Leicht verlegen mied Hanno ihren Blick und zog einen Korbstuhl heran. Verstohlen betrachtete er die Mutter. „Warum hast du immer Kopfweh und Peters Mutter nie? Sie ist so dick und gesund und lacht den ganzen Tag." „Sie ist eine Bauernfrau, mein Junge!" „Ich wollte, du wärest das auch. Dann hättest du nie Migräne und wenn ich Spektakel mache, würdest du nur lachen." Frau Gildis überhörte das geflissentlich. Hanno neigte in jüngster Ze,t gern zu Kritik. DaS Wesen der Mutter weckte seinen Widerspruch und darin lag eine Gefahr, die Frau GildiS leider übersah. Der Junge revoltierte innerlich, sie aber merkte es nicht einmal. Kürzlich hatte er gefragt: „Mutti, ist es nicht die größte Rücksichtslosigkeit, fortwährend Rücksicht zu verlangen?" ES war Krau Gildis gar nicht in den Sinn gekom men, diesen Ausspruch auf sich selbst zn münzen. Sie ruhte im Lieaestuhl, dekorativ in bunte Kissen gebettet. Auf der Decke lagen ihre schönen, vornehmen Hände, die ihre gute Rasse verrieten. Frau Gildis Glonau, geborene GerdeS, entstammte einem reichen Hamburger Kaufmannsgeschlecht, ihr Großvater hatte eine bekannte Reederei besessen. Ihre Mutter, die kühle, scharfäugige Tochter der Hansestadt, hatte ihr die überschlanke Gestalt vererbt, das Helle Haar, den schmallippigen Mund und jene große Selbst sicherheit des Wesens die vielfach in Hochmut umge« deutet wurde. Das Blut des Vaters, eines fröhlichen Rheinländers, mußte nur sehr verdünnt in ihren Adern fließen. Fran Gildis lachte nicht ost. Schon als Kind war ihr Ernst beinahe unnatürlich gewesen, er mochte mit dem frühen Tod der Mutter zusammenhängen, der -er Vater bald eine Nachfolgerin gab. Und jene Nach folgerin yane Wuocs eme csaiwener oe^yerc, eine um sechs Jahre jüngere, sehr schöne Schwester — Almut Gerdes. Trotzdem war im Hause GerdeS die ältere Tochter die wichtigste Persönlichkeit geblieben. In ihre Lände war das Vermögen der Mutter übergegangen durch ver wickelte testamentarische Bestimmungen des Groß vaters, -er es dem Schwiegersohn nie verzieh, daß er so bald den Platz seiner Tochter mit einer anderen Frau besetzt hatte. So war Gildis so reich, wie Almut arm. AlS dann der Vater bet einem Autounfall umS Leben kam, lockerte sich das lose Familienband mehr und mehr. Die Witwe zog sich in ihr kleines Landhaus im holstei nischen Seengebiet zurück, wo sie nach wenigen Jahren das Opfer eines berüchtigten Grippewinters wurde. Die beiden ungleichen Schwestern begannen ihre un gleichen Schicksale zu erleben. Gildis heiratete. Almut verschwand nach Berlin, wo sie eine Stellung als Büro kraft annahm. Bei der Trennung aber war zwischen ihnen jene loderne Stunde vorgefallen, die beide nicht vergessen konnten. Es war um den Mann gegangen. Um Walter Glonau, der lange zwischen den beiden Schwestern ge schwankt hatte. Almut, damals achtzehn Jahre, schien anfänglich zu siegen. AlS Glonau aber von der un gleichen Verteilung der Glücksgüter im Hanse Gerdes erfuhr, wandte er sich langsam Gildis zu. Mit spötti schen Augen beobachtete das kühle, blonde Mädchen diese > Schwenkung. Sie wußte, er mußte kommen. Walter Glonau saß in der Direktion einer niederrheinischen Papierwarcufabrik, an der er mit mäßiger Kapitals- cinlage beteiligt war. Ständig fühlte er sich von den finanziell stärkeren Teilhabern an die Wand gedrückt nnd m seiner Stellung bedroht. Zudem waren seine Fähigkeiten nicht gerade überwältigend. Seine besten Erfolge erzielte er auf Geschäftsreisen durch flottes Auf treten und Redegewandtheit. Seine blendende äußere Erscheinung war eS denn auch, die Almuts Herz bestach. Sie liebte ihn, scheu und doch vertrauend. Als er Gildis wählte, erfolgte ein leidenschaftlicher Ausbruch ihres Temperaments, dem die blonde Schwester voll überlegener Kühle entgegen trat. Worte fielen auf beiden Seiten, die nicht mehr gutzumachen waren. „ES ist unmögich," hatte Almut beben- vor Leiden schaft gerufen, .-- Ist unmöglich, -aß er Lich liebezi kann. !, merkte sie, daß ihre Hände unregelmäßig. Sie griff nach geriet. „Alle Frauen der Welt hätte ich ihm verziehen. Dich Ute!" ' AInmt raffte sich auf. Sie sprach mit AnstrenguuL Er will dein Geld, weiter nichts! Frauen wie du wer« den nicht geliebt!^ „Aber geheiratet — und nicht hinter Zäunen geküßt wie du —" Almut verstand die Anspielung. Ein Schwindel er« faßte Ye. Bet einem AutoauSflua in die Lüneburger Heide hatte Walter Glonau im Schatten einer Rotdorn- Hecke sie zum erstenmal an sich gezogen. Das muht« Gildis gesehen haben. „Und obgleich du LaS wußtest, hast Lu ihn mir ge nommen?" . .. Gildis schwieg und lächelte nur. Sie genoß ihren Triumph und hatte lange auf diese Stunoe gewartet. Die Schwestern starrten sich an, und jede las in den Augen der anderen Haß. „Gut!" sagte Almut endlich merkwürdig ruhig, „Nimm ihn nur! Du hast ihn gelaust. Aber er wirb -1- nicht lange gehören." Frau GildiS Glonau war seit zwei Jahren geschieden. Hanno begann unruhig auf seinem Stuhl hin und he- zu rutschen. Er langweilte sich. Der Spätnachmittag machte bereits die Schatten länger, harziger Tannen- -uft stieg vom Bergwald herauf, uns Über die Brüstung -er Terrasse hingen In wilder Fülle die blatzrosä Kletterrosen. AVer Hanno verzweifelte fast. Der engst« Hinterhof, den er in Freiheit hätte durchtoben dürfen, wäre iom lieber gewesen als daS Paradies, das ibn um gab. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Drunten auf oem KieSweg näherte sich eine Dame, die mit weitauS- holenden Schritten einen kleinen Sturmangriff zu pla- neu schien. Aus dem Schatten in die Sonne kommen-, flammte ihr Ho« wie ein Bronzehelm. Hanno hörte Hinter sich einen erstickten Laut. Frau Gildis hatte dir Felldecke abgeworfen, sie war auä dem Stuhl hochgeschnellt und schaute der BesucheM entgegen, zitternd vor Erregung. Ihre Züge waren s-j verändert, daß Hanno sie verwundert betrachtete. Dw Dame hatte die Terrassentreppe erreicht und wollte den Fuß auf die erste Stufe fetzen. Da kam Leben in Fran Gildis. Ihre Stimme klang schrill. „Wage es nicht, mein Haus zu betreten!" „Du mußt mich anhören, Gildisl Gr schickt mich!" „Wer?" „Walter ..." Frau Gildis schloß eine Sekunde Lie Augen. Ihrs zur Abwehr erhobenen Hände sanken herab. Dann stau- bereits Almut Gerdes vor ihr. „Ist das dein Sohn, Gildis?" Hanno verbeugte sich, so tadellos er konnte. Ihm was, der Vorfall ungeheuer interessant. Strahlend lachte e« die Unbekannte an, die einen öden Lag so vielver sprechend unterbrochen hatte. Da zog sie ihn lebhaft ast sich und legte den Arm um seinen Nacken. Hanno rührt« sich nicht. Ein feiner Duft umfing ihn, den er mit Be« Hagen schnupperte. Wieder strahlte er sie an. Sie ist schön, dachte er. Ich habe noch nie Schöneres gesehen. „Laß uns allein, Hanno! Geh in den Garten!" Frau Gildis sprach abgerissen und ohne Ton. Hanna blickte mit großen Augen zu ihr auf, leichten Trotz um die Lippen. Da schrie sie ihn an mit entstelltem Gesicht» „Gehen sollst du! Hörst du nicht!" Hanno wurde blaß. Die Mutter war eine fremde Frau geworden, die sich unverständlich benahm. „Latz den Jungen meinen unwillkommenen Besuch nicht entgelten, Gildis! Ich hätte dich vorbereiten sol len. Verzeih den Ueberfall, aber ich mußte kommen." „Und nun soll ich mich wohl freuen? Ja?" Selbst Hanno empörte der Hohn. Almut schob ihn der Treppe zu. „Lauf, Junge! Das ist nichts für dich!" Hanno gehorchte jetzt eilig. Erst als er im Gebüsch untertauchte, glaubte er an die wiedergewonnene Frei heit, er stich em Triumphgeheul aus und verschwand. „Ich habe dir viel zu erzählen, Gildis!" Almut setzte sich unaufgefordert. Als sie sich eine Zigarette anzttnden wollte, merkte sie, daß ihre Hände zitterten. Ihr Herz schlug unregelmäßig. Sie griff nach einem Halbgelcerten Wasserglas und trank in kleinen Schlucken, gegen einen eichten Krampf in der Kehle ankämpfend. Da begegnete sic den Augen der Schwester, die mit haßerfülltem Ausdruck auf ihr ruhten. Er schrocken setzte sie das Glas nieder, als wäre Gift darin. „Gildis — so darfst du mich nicht hassen —" „Wie oft war mein Mann bei dir in Berlin?" Almut konnte der Röte nicht wehren, die ihr HalS und Gesicht überflutete. Das war die Anschuldigung, die sie gefürchtet hatte. Scham verschloß ihr den Mund. Frau Gildis deutete ihr Schweigen als Schuldbekennt nis und verbarg nur mühsam die Raserei, in die sie