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ZMopatrer Sountassvlatt Verlage -um ZsGopauer Tageblatt und Anzeiger Sonnabend, den 24. Dezember Nr. 50^ 1938 VON ^V^ V/LNVOKH^H üekeimnine » »s. Heviior! A 14. Fortsetzung. „Das Wird sich findens" erwiderte Trude ruhig und zog ihre Kleine fester an sich. „Ich kann arbeiten, ich scheue vor nichts zurück, und..." „Ist das dein Dank dafür, daß ich dich so lange durch- gehalten habe, daß du mich jetzt im entscheidenden Moment im Stich läßt?" fuhr Isa auf. Sie hatte inzwischen schon - begonnen, mit Umsicht einige notwendige Gebrauchs- gegenstände in ihrem Handkoffer unterzubringen. „Dank!?" brach Trude Wedekamp plötzlich los, und ihr zartes Gesicht war dunkelrot geworden. „Ja, du hast mich ernährt, und Hildchens wegen habe ich deine sogenannten Wohltaten so lange angenommen! Aber ich bin froh, wenn das jetzt ein Ende hat. Dein willenloses Werkzeug sollte ich sein, für dich mußte ich lügen und betrügen — nein, ich mache nicht mehr mit!" Jfa hatte ihre Verblüffung überwunden; mit kaltem Lächeln blickte sie zu der Schwester hinüber, während sie sortfuhr, ihren Soffer zu packen. „Und wenn sie dich wegen Mitwisserschaft in- Ge- fängnis stecken, was dann? Wer soll dann für Hilde sorgen?" „Das wird sich finden!" erklärte Trude noch einmal ruhig. „Jedenfalls gehen wir nicht mit. Ich bleibe hier mit Hilde, ich werde natürlich nichts gegen dich aussagen! Aber ich will jetzt endlich frei sein!" „Frei!" höhnte Isa. „Als ob du frei wärst, wenn du den ganzen Tag in irgendeinem stickigen Büro sitzt, um ein paar Mark zu verdienen. Und Hilde ist inzwischen sich selbst überlassen! Aber wie du willst! Ich kann ja ohne dich fertig werden — ob du ohne mich fertig wirst, ist eine Frage für sich!" Trude erwiderte nichts mehr. Sie half der Schwester beim Packen, schickte Hilde zu Frau Lemke in die Küche mit dem Auftraa. Reiseproviant fertiazumachen. Auch Isa schwieg. Hastig schloß sie ihren Schreibtisch auf, entnahm einer Kassette Geld — es war ein Bündel Tausendmarkscheine, die sie in ihrer Handtasche verwahrte. Endlich riß sie noch einen ganzen Kartothekkasten und ein paar Nechnungsbücher heraus und trug sie eilig in die Küche. „Ich muß verreisen, Frau Lemke! Verbrennen Sir das, sobald ich fort bin, verstehen Sie! Hier haben Sie Kostgeld, bis ich wiederkomme!" Sie drückte der Haus dame bei diesen Worten ein paar Hundertmarkscheine in die Hand. Auch für Trude hielt sie Geld bereit; nach kurzem Zögern nahm sie einen Hundertmarkschein. „Für die Uebcrgangszeit, bis du Arbeit gefunden hast... Da, da, du kannst mehr haben!" Aber still schüttelte Trude Wedekamp den Kopf. End lich war alles fertig; die beiden Schwestern hasteten die Treppe hinunter, während Frau Lemke mit dem Kinde ans Fenster trat. Der Wagen stand noch bereit; eilig stieg Isa ein. „Leb wohl, Trude! Laß es dir gut gehen!" „Gute Reise, Isa!" Der Motor sprang an; Trude Wedekamp sah einen Augenblick dem Wagen nach, dann ging sie mit einem Seufzer der Erleichterung wieder nach oben. „Kommt Tante Isa nicht mehr wieder?" fragte di« kleine Hilde verwundert. „Ich glaube kaum, Liebling!" Die Aerztin fuhr in raschem Tempo zur nächsten Tank stelle, wo sie ihren Benzinvorrat ergänzte. Dann ging es zum Fluß hinunter; in der Stromstraße hielt sie vor dem düsteren Miethause, in dem Fabeck wohnte. Da er auf mehrmaliges Hupen sich nick' am Fenster zeigte, stieg sie ärgerlich aus und eilte nach oben. Aber Fabecks Wirtin, eine ältliche, schmierig angezogene Frau, bedeutet« ihr, daß Herr Fabeck seit dem frühen Morgen nicht nach Hause gekommen sei. Einen Augenblick starrte Isa Ger« brandt die Frau fassungslos an, dann lachte sie auf: „Auch gut, dann brauche ich mich nicht mehr um ihn zu kümmern!" Ohne Gruß wandte sie sich um, stieg hastig nach unten und fuhr, zunächst langsam, in westlicher Richtung zur Stadt hinaus. Da war die Siedlung Barensfeld mit ihren schmucken Hellen Häusern — da war, ganz im Grün l^op>rigdt 1938 b/ ^utwärti-VezäsZ, LV 68. Verborgen ihr eigenes Häuschen, das sie gekauft hatte und auf den Namen der Schwester überschreiben ließ, nm eine Rückendeckung zu haben. Hier war auch der größte Teil ihres Morphiumvorrats versteckt. Ob Trude über haupt wußte, daß das Haus ihr von Rechts wegen ge hörte? Die Siedlung glitt vorbei, es kamen die letzten Häuser, dann kleinbäuerliche Gehöfte, der Friedhof. Und endlich hatte sie die freie Landstraße erreicht; sie schaltete eine hohe Geschwindigkeit ein und fuhr auf der ebenen Chaussee in immer schneller werdendem Tempo dahin. Isa biß die Zähne zusammen und sah starr gerade, aus, auf das Helle Band der Straße, das sich immer rascher unter ihr abrollte. Da hatte sie nun jahrelang gearbeitet, hatte Erfolg gehabt, und jetzt mußte sie alles im Stich lassen! Freilich, ihr Geld, ihr mühevoll ver dientes Geld konnte st« mitnehmen. Aber noch war sie nicht jenseits der Grenze, noch war sie nicht in Sicherheit! Ob sie sie heute schon suchen würden? Wahrscheinlich würde, auf Fabecks blödsinnige Aussage hin, heute noch in ihrem Häuschen Haussuchung vorgenommen werden. Dann würde man wetterforsc^n, und wenn st« das Material auch vernichtet hatte, fo würde doch sicherlich noch verschiedenes andere ans Tageslicht kommen. Isa hatte sich bisher über ihr Tun in den Jahren, seit sie als selbständige Aerztin arbeitete, wenig Ge wissensbisse gemacht. Sie glaubte heute, daß sie eigentlich durch Zufall auf diesen Weg gedrängt worden war. Gleich in der ersten Woche ihrer selbständigen Tätigkeit war ein älterer ausgemergelter Mann bet ihr erschienen und hatte sie angefleht, ihm doch gegen seine entsetzlichen Gallenkoliken etwas Morphium zu geben. Er hatte für das Rezept eine hohe Summe bezahlt. Später, da öfter ähnliche Menschen bei ihr erschienen waren, hatte sie ge wußt, daß es sich um Morphiumsüchtige handelte, denen sie das Gift gar nicht verabreichen durfte. Aber die hohen Geldbeträge, die ihr immer wieder geboten wurden, hatten sie bewogen, gegen ihre ärztlich« Pflicht zu handeln. Dem Zauber deS Geldes, das Macht und Wohlleben bedeutete, hatte sie nicht widerstehen können. Geblendet durch den rasch wachsenden Besitz machte Isa sich über das Verbrecherische ihres Tuns keine Ge danken, wollte sich keine Gedanken machen. Daß es etwas Höheres gab als Geldverdienst, das wußte sie nicht und wollte es vor allem nicht wissen. Nur, daß ein Gesetz ständig über ihrem Tun stand und sie bedrohte, das störte sie, und sie traf alle Vorbereitungen, um es im Notfall jederzeit unwirksam für sich zu machen. In Fabeck, den sie zufällig im Krankenhaus kennen- gelernt, hatte sie ein gefügiges, ihr blindlings ergebenes Werkzeug gefunden, dem trotz seiner Verkommenheit so viel Anstand geblieben war, daß er sein Wissen bisher noch niemals zu Erpressungen ihr gegenüber benutzt hatte. Aber in letzter Zeit zeigte er eine derartig kindische Furch: vor der Polizei, daß mit ihm nicht mehr auszu kommen war. Vielleicht brachte er es jetzt gar fertig, sich freiwillig den Behörden zu stellen! Sie konnte und würde jedenfalls nichts mehr für ihn tun. Ihre Gedanken irrten zu Guido Heßdorf. Er war der einzige Mensch gewesen, mit dem sie ohne gewinn- süchtige Absichten zu tun gehabt hatte, der einzige, den sie geliebt hatte. Aber er hatte ja ihre Liebe verworfen. Recht geschah es ihm, wenn er jetzt in die Gesetzesmaschine geriet, warum hatte er sich ihrer Führung nicht weiter anvertraut. Sie hatte ihn aufgeben müssen, aber — hict glitt ein leises triumphierende- Lächeln über ihr an- gespanntes starres Gesicht — indem st« ihn freigab, hatte sie ihm zugleich den Weg zu Elka Tomary verbaut. Sie kannte Heßdorf: er war viel zu gewissenhaft, um die Tochter deS Mannes, der durch seine Hand gestorben war, zu seiner Frau zu machen. So hatte er beide Frauen, die ihm in seinem Leben nahe gestanden, zu gleicher Zeit verloren! Schon war Isa auf Schleswiger Gebiet angelangt, bald würde sie in Hamburg sein. Dort würde sie tanken, dann weiter durch Hamburg immer nach Westen. ES fuhr sich wundervoll an diesem klare« windstillen Tage, rechts und links die abgeernteten Felder, goldbraune Wälder, Hecken und Zäune, die gepflegte Gehöfte umschlossen. Wenn es nur nicht so früh dunkel geworden wäre! Die Grenze vor Nacht zu erreichen, war ausgeschlossen. So würde sie eben im Dunkeln weiterfahren; auf deut schem Boden würde sie nicht mehr übernachten. Und Isa Gerbrandt gab Gas und ließ ihren Motor laufen, soviel er hergeben wollte. Heino Thuraudt war während der Mittagspause mit seinem Vetter zusammengeblieben; rasch entschloß er sich, heute einmal etwas mehr für sein Mittagessen auszu geben als gewöhnlich und den Anwalt in den „Adler" zu begleiten. Die beiden suchten sich eine behagliche Eck« ans; Reiser bestellte und lud den jungen Vetter zu einer Flasche Wein ein. „Zu feiern haben wir zwar nichts und werden auch nichts zu feiern bekommen!" erklärte er. „Heßdorf fällt rein, es ist nichts zu machen. So wollen wir wenigsten- zum Trost ein Gläschen trinken!" Und er hob den ge kühlten 34er Riesling. Heino wollte es nicht in den Kopf, daß wirtlich all« Bemühungen umsonst gewesen sein sollten. „Aber Klau-, wenn Heßdorf in Notwehr gehandelt hat, muß er doch freigesprochen werden! Ich verstehe das nicht!' Der Anwalt probierte den Wein, sein finstere- Gesicht erhellte sich für eine Sekunde. Dann stellte er sein GlaS zurück und sah den Petter mitleidig an. „Da- klingt alles schön und gut, Heino, natürlich wird er frei gesprochen, wenn Notwehr vorliegt! Aber wie willst du das beweisen, daß es wirklich Notwehr war? Ja, wenn man ein paar oder wenigstens einen Zeugen beibringen könnte, die bekunden würden, daß der Professor häufig Drohungen gegen Heßdorf ausgesprochen hätte, dann wäre es schon etwas anderes! Aber das hat noch nie mand gesagt, wird auch niemand mehr aussagen! Also nichts zu machen!" Er zerschnitt seinen Rinderbraten, kostete das gemischte Gemüse. „Natürlich aus der Büchse! Aber wenigstens anständig zuberettet. Na, prost, Heino, tröste dich, es wird dir noch mehr im Leben schief gehen, verlaß dich drauf!" „Das ist auch ein Trost!" murmelte Heino nieder geschlagen. Aber er trank und fühlte sogleich, daß di« Bedrücktheit ein wenig nachließ. „Aber es kommen ja noch zwei Zeugen, Klaus, bevor die Beweisaufnahme geschlossen wird! Vielleicht können Sie noch etwas Wich tiges zur Entlastung vorbringen!" Reiser kaute eifrig; zwischendurch hatte er die Gläser neu gefüllt. „Was werden die beiden schon Neues wissen! Da iss dieser Grotbus. HekdorfS ebemaliaer Patient, den vu aufgestschl hast. Er wird weiter nichts wissen, al« daß Heßdorf damals..." „Da kommt er ja!" rief Heino plötzlich verblüfft. „l.upus in sakula!" fügte Reiser hinzu. Ein großer breitschultriger Mann mit sonnenrotem Gesicht, in saloppem Sportanzug war eingetreten. Suchend blickten seine kurzsichtigen stahlblauen Augen im Raume umher, während er das grüne Hütchen in der Hand hielt. „Ich hole ihn an unseren Tisch", rief Heino impulsiv, und ehe Reiser es verhindern konnte, war er schon auf gesprungen. „Herr Grothus, wollen Sie sich nicht zu uns setzen? Wir könnten vielleicht noch mancherlei besprechen?" fragte er höflich. , Mit breitem Schmunzeln schüttelte Grothus dem jungen Chemiker die Hand. „Das trifft sich ja famos, Thurandt, Sie suchte ich gerade!" Heino machte die Herren miteinander bekannt; GrothuS bestellte Spinal mit Ei, 8azu eine Flasche Mineralwasser. „Ja, ja, unser Heßdorf", begann er bedächtig, in die ent stehende Pause hinein, „wie wird's ihm gehen? WaS meinen Sie, Herr Doktor Reiser?" „Das läßt sich im Augenblick noch schwer sagen", meinte der Anwalt vorsichtig. „Kennen Sie Heßdorf eigentlich schon lange?" „Na, es werden so acht Jahre sein, allerdings hab' ich ihn in den letzten Jahren wenig gesehen", erklärte Grothu». „Ich hab' mich 1931 im Westfälischen angekauft, da bin ich