Volltext Seite (XML)
AsGovauer Gonntagsvlatt Beilage r«m ZsGopauer Tageblatt und Anzeiger Nr. 50 Sonnabend, den 17. Dezember 1938 13. Fortsetzung. rtinrrLkmiLS «äpuLi. Heino Thurandt hatte vergebens in der Wohnung seines Vetters auf ihn gewartet. Der Anwalt war gar nicht nach Hause gekommen, sondern er hatte nach dem Mittagessen im „Adler" einen Spaziergang gemacht und war dann sogleich zu seinem Mandanten gegangen. Voller Unruhe lief Heino in den beiden Zimmern seines Vetters auf und ab. Reiser war doch jetzt der einzige, der helfen konnte; alles, was etwa zu Heßdorf Entlastung dienen konnte, mußte durch seine Hand gehen. Und Elka — wie leichenblaß war sie geworden, als sie hörte, daß es schlecht für Heßdorf stand — wie mußte sie an ihm hängen?! Leise war wieder die Eifersucht in Heino aufgelebt, aber er hatte mit Gewalt diese Anwandlung unterdrückt. In jener Mainacht, als er Heßdorf im Gewitter getroffen hatte, war er von der Persönlichkeit des Arztes so be zwungen worden, daß er beschlossen -hatte, auf Elka zu verzichten und Heßdorf den Weg zu ihr frei zu machen. Der großherzige Entschluß war ihm zunächst leicht ge- fallen. Aber heute, da Elka Heßdorf wiedergesehen hatte, da. er ahnte, daß zwischen ihnen tatsächlich die alten Ge- fühle wieder aufgelebt waren, spürte er doch, daß es ihm sehr schwer werden würde, seinen Entschluß weiter durch zuführen. Mußte er wirklich mit ansehen, wie die beiden glücklich wurden, und selbst als „Freund" beiseitestehen! Sich, er liebte Elka noch immer, wenn er diese Liebe bisher auch unter der Maske der Kameradschaft zu verbergen ge wußt hatte — er würde auch von dieser Liebe nicht los kommen, das glaubte er sicher zu wissen. Während er jetzt rauchend in Reisers Arbeitszimmer auf und ab ging, rang er sich zu einem neuen Entschluß durch: Sobald es gelungen war, Heßdorf frei zu bekommen, würde er sich anderswo eine Stellung suchen. Das Institut des Pro fessors würde ja ohnehin demnächst aufgelöst werden. Er würde verschwinden. Das Glück der beiden mit anzusehen, das ginge über seine Kraft! Da Reiser nicht zurückkam, machte Heino sich endlich unverrichteter Sache auf den Weg zu Elka; zum ersten Male seit jenem ereignisreichen Maiabend betrat er heute ihr Haus, und sein Herz schlug heftig, als er die Klingel drückte. Aber der alte Josef, der ihm im Garten entgegen kam, bedeutete ihm, daß das Fräulein nach vergeblichem Warten vor einer Viertelstunde fortgegangen sei — wohin, das wisse er nicht. Enttäuscht machte Heino sich auf den Rückweg; noch einmal ging er zu Reiser hinauf, und diesmal hatte er Glück: die Wirtin erklärte sofort, Herr Doktor sei jetzt zu Hause, aber er habe Besuch, Besuch von einer Dame in Trauer. Also Elka! Als Heino in das Wartezimmer trat, hörte er auch schon ihre Stimme, sie klang flehend, wir tränenerstickt. „Sie müssen ihn freibekommen, Herr Doktor, Sie müssen!" Erschrocken trat Heino auf den Korridor zurück und eilte zur Tür. WaS sollte er noch hier? Elka hatte selbst schon alles besprochen, sie war selbst zu Reiser gekommen — und wie leidenschaftlich bewegt hatte ihre Stimme ge klungen! Von den widerstreitendsten Gefühlen bewegt, lief Heino ziellos durch die Straßen und endlich zur Stadt hinaus. Im Stadtpark war es schon dämmerig, die Spaziergänger fort, nur ein paar Liebespaare gingen Arm in Arm. Endlich fand er eine einsame Bank mit der Aus sicht über kahle Stoppelfelder; in der Ferne surrte eine Dreschmaschine, sonst war tiefste Stille um ihn. Mit beiden Händen umklammerte er das harte Holz der Lehne, ließ endlich seinen Kopf auf die Arme sinken, sein Herz schlug dumpf und schmerzvoll. War denn der ganze Kampf ver gebens gewesen? Gab es keinen Sieg über sich selbst, keinen tröstlichen Verzicht? Heino stöhnte leise; endlich rannen erlösende Tränen über sein Gesicht; er war allein, er schämte sich ihrer nicht, und er fühlte sein Herz leichter werden. lczprrei. Am nächsten Tage war schon früh am Morgen die Tribüne im Zuhörerraum deS GerichtssaaleS bis aus den letzten Platz gefüllt; den Ansturm der Neugierigen, der noch kur» vor der- Ver-andUm-sstnnd, in das Gebäude der Angeklagte sollte sich gegen einen alten Mann, wie Professor Tomary es war, nur mit der Waffe zur Wehr setzen können?" „Der Professor war doch mit seinen sechsundfünfzig Jahren kein alter Mann!" protestierte Doktor Reiser lebhaft. Der Vorsitzende winkte ab. „Ich möchte zu einem anderen Punkt übergehen! Es hat sich hier heute morgen eine neue Zeugin gemeldet, eine Frau Weiß aus Nürnberg. Ich möchte diese Zeugin jetzt vernehmen!" Frau Loni Weiß wurde hereinzitiert; sie war eine mollige brünette Frau, Mitte der Dreißig, mit lebhaften dunklen Augen. „Sie haben bet Professor Tomary als Sekretärin gearbeitet?" fragte Doktor Lademann. „Wann ist das gewesen?" „'s war mei erste Stell bei dem Professor", berichtet« Loni Weiß. „O mei, hab ich mich schwer getan, arg streng ist er gewesen, immer geschimpft hat er, der Professor, und..," „Bitte zur Sache, Frau Weiß!" drängte der Vor« sitzende. „Also, das war im Jahre...?" „1919 ist's gewesen, bald nach dem Krieg. Erst wollt ich ntt bleiben, aber dann halt ich mich eing'wöhnt." „Sie kennen den Angeklagten, Frau Weiß?" Di« junge Frau wars einen Blick zu Hetzdors hinüber, der mitleidig und aufmunternd zugleich war. „Freilich, gut hab ich ihn gekannt, den Herrn Heßdors! Ein arg lieber Mensch, aber immer so ernst ist er g'wesen, 'S war ja auch arg traurig, daß so ein junger Mensch ein Krüppel bleiben sollt!" „Erinnern Sie sich, ob Professor Tomary dem An geklagten damals Geld gegeben hat?" griff hier der Staatsanwalt ein. „Geld? DaS glaub ich net. Der Professor hat nes gern Geld hergeschenkt!" „Richt geschenkt, Frau Weiß!" Doktor Freund wurds ungeduldig. „AlS Darlehn soll er eS ihm gegeben haben, und zwar dreitausend Markl" „Darlehn hat der Professor überhaupt keine gegeben!* behauptete Loni Weiß mit großer Entschiedenheit. „Olt hab' ich ihn um Vorschuß gebeten, nie hat er mir dey gegeben; einmal wollt' ich dreihundert Mark haben, sttt meinen Bruder, nur für «in paar Wochen, er hat'S nit hergegeben! Dabei hat er Geld g'habt wie Heu!" „Denken Tie einmal schars nach, Frau Weiß!" «r- mahnte jetzt Doktor Lademann die Zeugin. „Hat vielleicht Professor Tomary mit Heßdors einen Vertrag gemacht, damals 1920, als Heßdors krank aus der Klinik des Pro fessors entlassen wurde?" Loni Weiß krauste die Stirn und kniff für einen Augen blick die Augen zu. „Vertrag? Dreitausend Mark?" mur melte sie. Aber auf einmal leuchtete es auf in ihrem frischen Gesicht. „Ja, natürlich, ich hab's ja geschrieben damals, mit einem Durchschlag, ich hab' mich noch ge wundert, warum der Heßdorf vom Professor soviel Geld bekommen hat!" „Sehen Sie, Frau Weiß! Da hat der Professor doch ein Darlehn gegeben, in diesem Fall!" „Das hab' ich doch net gesagt", protestierte Loni Weiß temperamentvoll. „Ausgelteh'n hat der Professor ntr, dabei bleibt'S! Doktor Heßdorf hat ihm was verkauft, und dafür hat er das Geld bekommen!" Gespannt waren die Blicke der Richter auf die Zeugin gerichtet. „Was konnte denn ein armer Student wie Heß dorf an einen reichen Mann, wie Tomary eS war, ver kaufen?" fragte Doktor Lademann hastig. Loni Weiß zuckte die Achseln. „Ja, wenn ich daS wüßt! Dringestanden Hat'S in dem Vertrag, aber ver standen hab' ich'S net, da- ist so ein Fremdwort gewesen, ich glaub', lateinisch!" Doktor Freund sah zu Heßdorf hinüber. „Angeklagter, wollen Sie sich bitte hierzu äußern!" Heßdorf sah nicht eben freundlich auf Loni Weiß, di« grüßend zu ihm hinüberlächelte. „Ein Vertrag ist gemacht worden", erklärte er endlich widerwillig. „Aber ich sagt« Ihnen doch schon gestern, daß eS ein DarlehnSvertrag war. Die Zeugin Weiß Hai das wahrscheinlich falsch ver- -Lop^riglit 1938 Verls«, öerti» LV.68 drängte, konnten die Justizwachtmeister nur mit Mühe zurückhallen. Endlich wurde die Tür, lange vor der fest gesetzten Zeit, einfach geschlossen; die Arztfrauen mit ihrem Anhang, die jetzt erst erschienen, mußten enttäuscht wieder kehrtmachen. Der Saal war gedrängt voll. Die Zeugen, die am gestrigen Tage ausgesagt hatten, saßen heute im Saal auf der Zeugenbank, unter ihnen die Aerztin Gerbrandt, bleich und unbewegt, dahinter die kleine Sanders, die interessiert im Saal umherschaute, und endlich Elka Tomary, hinter ihrem schwarzen Schleier säst unkenntlich. Atemlose Stille herrschte im Gerichtssaal, als jetzt der Vorsitzende den Angeklagten fragte, was er zu den Aus sagen der Aerztin Gerbrandt zu erklären habe. Heßdorf stand ruhig auf, er sah die Richter der Reihe nach an, während er langsam und deutlich seine Aussage machte. „Doktor Gerbrandt hat richtig bekundet: ich habe Pro fessor Tomary erstochen!" „Im Streit erstochen!" fügte Reiser rasch hinzu; er wollte noch mehr sagen, aber schon war iy» Saal wieder ein heftiger Lärm losgebrochen, der nur durch die Glocke des Vorsitzenden und seine energische Mahnung nach einiger Zeit zur Ruhe gebracht werden konnte. Von der Zeugenbank her war ein unterdrückter leiser Schrei gekommen; einen Augenblick schien eS, als ob die Zeugin Tomary umstnken würde, aber sogleich hatte sie sich wieder in der Gewalt. Mit großen, erschrockenen Augen starrte sie unverwandt aus Heßdorf. Guido Heß dorf hatte ihren Vater getötet, also doch — oh, nun war alles zu Ende... Doktor Lademann, selbst sichtlich betroffen durch Heß dorfs Erklärung, fuhr im Verhör fort. Der Arzt erklärte auf Befragen, auS welchem Grunde er dieses Geständnis nicht eher hatte machen können; zu seiner Entschuldigung und Entlastung hatte er dabei kein Wort vorgebracht. „Und welches waren die Gründe, die Sie zu dieser Tat bewogen?" sorschte Doktor Lademann weiter. „Wir waren in Streit geraten, endlich sogar hand gemein geworden. Plötzlich war dann die Waffe da..." „Da- Messer gehörte dem Prosessor Tomary!" rief jetzt Reiser triumphierend. „Hier ist das Etui, dem er eS entnommen hatte! Ich bitte, sich sofort selbst zu über zeugen!" Er legte daS Ledertäschchen auf den Richtertisch; stirn runzelnd betrachteten di» Herren dieses angebliche neue Beweisstück. Das beschlagnahmte Messer wurde in die leere Stelle im Etui eingefügt — eS paßte genau. Auch Marke und Firmenstempel stimmten mit den übrigen Instrumenten überein. Nachdem der Anwalt den Zusammenhang erklärt hatte, zog Doktor Lademann seine Folgerung. „Wenn das Messer dem Professor Tomary gehörte, so hat er es wahr scheinlich in einer bestimmten Absicht zu sich gesteckt. Oder pflegte Ihr Vater stets ein Instrument bei sich zu tragen?" wandte er sich an Elka Tomary. Elka verneinte. „Und wenn — dann hätte er es nie mals lose in der Tasche getragen! Die Instrumente waren doch steril." „Wissen Sie, ob er sich am Abend, bevor er zu Heßdorf ging, in seinem Schlafzimmer aufgehalten hat?" Elka dachte einen Augenblick nach. „Gewiß, er hat sich ja umgezogen. Mein Vater war sehr eigen und hat in seinem Arbeitsanzug, wie er zu sagen pflegte, niemals einen Besuch gemacht." „Also hat Professor Tomary Sie angegriffen?" wandte sich Doktor Lademann wieder an Heßdorf. Heßdorf schwieg ein paar Sekunden. „Wir stritten und waren beide sehr erregt. Ob er mich zuerst angegriffen hat oder ich ihn — das kann ich nicht einmal genau sagen. Aber es kann schon sein, daß er mich angriff..." Reiser meldete sich zum Wort. „Ich möchte bemerken, daß Doktor Heßdorf allzu gewissenhaft abwägt. Der Pro- fessor hatte wohl Gründe, den Angeklagten anzugreifen, aber nicht umgekehrt. Mein Mandant hat in Notwehr gehandelt!" Staatsanwalt Doktor Freund griff ein. „Erlauben Sie, da« klingt unwahrscheinlich! Ein junger Mann wie beiieimni»e - R. iienäml M PI M KI VOK1 ev-4