Volltext Seite (XML)
K O N G R ES S - SAAL DEUTSCHES H Y G I E N E - M U S E U M Sonnabend, den 16. März 1968, 19.30 Uhr Sonntag, den 17. März 1968, 19.30 Uhr 13. AUSSERORDENTLICHES KONZERT® Nachholung des 4. Außerordentlichen Konzertes Dirigent: Kurt Masur Solistin: Annerose Schmidt, Leipzig, Klavier Luigi Nono Due Espressioni per Orchestra (1953) geb. 1924 DDR-Erstaufführung Franz Schubert Sinfonie Nr. 8 h-Moll (Unvollendete) 1797-1828 Allegro moderato Andante con moto PAUSE Johannes Brahms Konzert Nr. 2 für Klavier und Orchester B-Dur op. 83 Allegro 1833-1897 non troppo Allegro appassionato Andante Allegretto grazioso ANNEROSE SCHMIDT gab bereits im Alter von neun Jahren Konzerte und legte zwölfjährig eine Prüfung als Konzertpianistin vor einem Gremium der Landesregierung Sach sen-Anhalt ab. Nach langjähriger Ausbildung bei ihrem Vater studierte sie an der Hochschule für Musik in Leipzig bei Professor Hugo Steurer und bestand nach drei Jahren 1957 das Staats examen mit besonderer Auszeichnung. Sie ist Preisträgerin im V. Internationalen Chopin-Wett bewerb 1955, 1. Preisträgerin im Gesamtdeutschen Pianisten-Wettbewerb Leipzig 1955, 1. Preis trägerin im Internationalen Schumann-Wettbewerb 1956 und erhielt 1961 den Kunstpreis der DDR sowie 1965 — während der 13. Westdeutschland-Reise der Dresdner Philharmonie, an der sie als Solistin teilnahm — in Würdigung ihrer hervorragenden Leistungen den Nationalpreis unserer Republik. Konzertreisen führten die erfolgreiche junge Künstlerin u. a. nach der So wjetunion, VR Bulgarien, Jugoslawien, Westdeutschland, Finnland, Schweden, den Volksrepu bliken Polen und Ungarn, England, Holland, der CSSR, der SR Rumänien, dem Libanon und nach Ägypten. Außerdem wirkte sie bei den Solzburger und Dubrovniker Festspielen mit. Bei zwei Gastkonzerten der Dresdner Philharmonie am 5. und 6. März 1968 in Prag war Annerose Schmidt gefeierte Solistin. In der Sonnabend-Aufführung des 13. Außerordentlichen Konzertes musiziert die Künstlerin zum 65. Male mit dem Orchester. ZUR EINFÜHRUNG Luigi Nono, bedeutendster Repräsentant der heutigen mittleren Kom- ponisiengeneration Italiens, Schwiegersohn von Arnold Schönberg, Mitglied aer Kommunistischen Partei seines Heimatlandes und korrespondierendes Mit glied der Deutschen Akudemie der Künste zu Berlin, hdt bisher ein in seinen Künstlerischen Mitteln zwdr höchst widersprüchliches, jedoch in seinem leiden- schoftlichen, humonitären Suchen unbestreitbar progressives Oeuvre vorgelegt: „Die Musik Nonos", schrieb einmal Karl H. Wörner, „ist wahr und ehrlich, leidenschaftlich und groß. Sie ist die Aussage eines Menschen, der berufen ist, durch das Medium des Künstlerischen zu uns zu sprechen." Vor allem mit textgebundenen Werken, wie der (umstrittenen) Oper „Intoleranza" nach Wor ten von H. Alleg, B. Brecht, P. Eluard, W. Majakowski, J. P. Sartre, dem drei teiligen Epitaph auf F. G. Lorca, mit „La victoire de Guernica" und „II canto sospeso" (nach Abschiedsbriefen hingerichteter Widerstandskämpfer) konnte Nono inzwischen trotz manchen Widerspruchs allgemeinere Anerkennung finden, nachdem er — von Hermann Scherchen gefördert — zunächst mit Instrumental werken bei den Darmstädter Ferienkursen seit 1950 hervorgetreten war (so mit den „Variazioni Canoniche", mit „Polifonia — Monodia — Ritmica", den „Incontri"). Bei den Darmstädter Ferienkursen empfing der 1924 in Venedig geborene Nono, Schüler G. F. Malipieros, Hermann Scherchens und Bruno Madernas, überhaupt entscheidende Anregungen. Seitdem ist er bestrebt, ver schiedenste Mittel der musikalischen Moderne von der seriellen und punk tuellen Musikstruktur bis zu elektronischen Versuchen einer neuen Ausdrucks weise, wie der Gestaltung neuer Inhalte dienstbar zu machen. Charakteristisch sind seine von der Musik Anton Weberns ausgehende Neigung zu Dichte und Konzentration in musikalischer Aussage und Formulierung wie auch sein typischer italienischer affektgeladener Äußerungswillen, die ungewöhnliche und dennoch faszinierende Klanglichkeit in vielen seiner Stücke, die Vorliebe für bizarre Rhythmen und ungewohnte Schlagzeugwirkungen. Luigi Nono lebt ols freischaffender Komponist in seiner Heimatstadt und unterrichtet seit 1959 auch an der Summer School of Music in der englischen Stadt Bartington. In Mailand leitet er ein Experimentierstudio für elektronische Musik. Die punktuellen Ausdrucksmusiken „Due Espressioni per Orche stra“ mit ihrem eigenartigen räumlichen Bewegungseindruck im fein differen zierten Klangbild entstanden im Auftrag des Südwestfunkes Baden-Baden und wurden 1953 von Hans Rosbaud mit dem Südwestfunk-Orchester in Donaueschingen uraufgeführt, über das im Untertitel „Musik für Donau eschingen" genannte, mit drei Flöten, drei Oboen, vier Klarinetten, drei Fa gotten, sechs Hörnern, vier Trompeten, drei Posaunen, Tuba, Schlagzeug, Harfe und Streichern besetzte Werk äußerte der Komponist: „Das erste Stück ver arbeitet eine melodische Linie nach bestimmten klanglichen Gesichtspunkten. Die Möglichkeiten der .Klangfarbenmelodie' sind hier bewußt auf Instrumente 1 der gleichen Gruppe (Streicher) beschränkt: die verschiedenen klanglichen Ab stufungen dieser Gruppe dienen den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten einer einheitlich konzipierten melodischen Linie. Der melodischen Linie, die von den Streichinstrumenten mit dem Bogen gespielt wird, stehen kontra- punktische Entwicklungen anderer Linienzüge gegenüber, die von den Streich instrumenten beinahe nach Art eines Schlaginstumentes dargestellt werden (col legno). Sie werden ergänzt durch rhythmisch-kanonische Gestalten in Bek- ken und Triangel sowie durch Vorentwicklungen in Flöten und Klarinetten. Das zweite Stück stützt sich auf den Rhythmus der .Furlana', eines italienischen Volkstanzes. Die Verwendung und Entwicklung dieses Rhythmus, vereinigt mit einer spezifisch klanglichen und dynamischen Entwicklung, dient nur dazu, den Charakter dieses Tanzes auszudrücken." Die Unvereinbarkeit zwischen Kunst und Leben, Wahrheit und bürgerlicher Wirk lichkeit seiner Zeit erkannte Franz Schubert um so mehr, je reifer er wurde. Seit etwa 1819 bemächtigte sich dieser tragische Antagonismus seines Lied-