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ÄsGopauer GonntagSvlatt Nr. 49 Beilage zum ZfGopauer Tageblatt «nd Anzeiger Sonnabend, den 10. Dezember 1938 Fskeimnius N. llMllorl UM (12. Forrsetzung.) Siach kurzer Verständigung mit den Beisitzern und dem Staatsanwalt setzte Doktor Lademann das Verhör der Aerztin fort. Aber es ergab sich nichts anderes, als die Wiederholung dessen, was sie schon bei ihrer zweiten Ver nehmung ausgesagt hatte und was völlig mit den Be kundungen des Krankenpslegers Fabeck übereinstimmte. „Demnach hätte also Ihrer Meinung nach Heßdorf den Professor Tomary nach voraufgegangenen Tätlichkeiten erstochen?" zog Doktor Lademann das Ergebnis des Ver hörs kurz zusammen. Isa Gerbrandt hob den Kopf, ihre Antwort kam ohne Zögern. „Ja!" Wieder schien ein Sturm der Entrüstung losbrechen zn wollen, doch wurde er auf einen warnenden Ruf des Vor sitzenden hin sogleich zum Schweigen gebracht. „Und warum haben Sie früher das Gegenteil be kundet?" setzte Doktor Lademann das Verhör fort. „Ich hatte damals den Wunsch, meinem Verlobten eine etwaige Gefängnisstrafe zu ersparen!" erklärte Isa Ger brandt kurz. „Und wie kommen Sie dazu, Ihre Gesinnung fetzt zu ändern?" Urschte Doktor Lademann weiter. Die 1 iin warf den Kopf zurück. „Dafür habe ich meine Gründe, die hier nicht weiter interessieren dürften!" Nasch war Doktor Reiser wieder zur Stelle: „Ich be antrage, die Zeugin zu fragen, wie sie ihre fetzigen äußerst unwahrscheinlichen Behauptungen beweisen will!" rief er mit schallender Stimme. Von der Galerie her kam ein Beifallsklatschen, da» vom Vorsitzenden gerügt wurde. Doktor Lademann stellte die Frage des Beweises an Isa Gerbrandt. Gespannte Blicke richteten sich aus die Aerztin, die so ruhig und sicher dastand- als ginge st« die ganze Sache nichts an. „Beweisen?" erwiderte sie gleichmütig. „Gewiß, ich werde alles beschwören, was ich gesagt habe, das dürfte wohl als Beweis genügen!" Reiser warf vor Erregung ein Aktenbündel zu Boden; eine Fülle bekritzelter Papiere flatterte heraus; er achtete nicht darauf. „Das ist — das ist doch..Nicht rasch genug vermochte er seine Entrüstung zu formulieren. Aber Doktor Lademann winkte ab. „Bitte, Herr Kollege, ich kenne Ihre Einwendungen schon, Sie haben vollkommen recht!" Er wandte sich wieder an Isa Ger brandt: „Fräulein Doktor, Ihnen dürfte, vielleicht nur allzu gut, bekannt sein, daß Sie als Verlobte des An geklagten nicht vereidigt werden! Sie müßten schon einen anderen Beweis schaffen!" Eine Sekunde lang schwieg die Zeugin; wieder glitt Ihr Blick zu Heßdorf hinüber. Insgeheim hatte sie er wartet, er werde fetzt, da er endlich wußte, daß sein Schick sal von ihr allein abhing, seine Haltung ihr gegenüber verändern. Sein Ausdruck aber überraschte sie: er sah sie völlig sachlich an, weder angstvoll noch haßerfüllt, eher gespannt, als erwarte er etwas völlig Neues, sehr Inter essantes zu hören. Sie warf die letzten Hemmungen beiseite. „Und wenn ich nicht mehr Heßdorfs Braut wäre — würden Sie dann meinen Eid annehmen?" Verblüfft erklärte Doktor Lademann, daß daS aller dings die Situation ändern würde; doch sei bisher von einer Entlobung niemals die Rede gewesen, sie selbst habe ja eben noch das Gegenteil betont. „Die Entlobung ist auch erst in diesem Augenblick er folgt!" erklärte Isa Gerbrandt sachlich. Ein Gelächter kam" von der Tribüne her, das aber sogleich wieder verstummte. Doktor Reiser war mit rotem Kopf aufgesprungen. „Eine einseitige Entlobung dürfte ebensowenig möglich sei» wie eine einseitige Verlobung! Wenn der Angeklagte sich nicht als entlobt ansieht, so wäre..." »Ich betrachte gleichfalls die Verlobung als gelöst!" erklärte Heßdorf ruhig. Reiser war herumgefahren und starrte seinen Klienten an, als ob er an seine« Verstandskräften Zweifel hätte. „Aber Mensch, sind Tie denn wahnsinnig?" raunte er. In seiner Erregung tteß-«^^^ gesellschaftliche Form außer acht. „Es bänat doch fttztaLÄ dlwon atz, fl« kann ja nicht- !- Lop^rigkt 1938 b> ^ukvärt»?VWlaa, LV den obwaltenden Umstünden beantrage ich, die Zeugin un bedingt zu vereidigen!" Doktor Lademann stand auf. „Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück, ob die Zeugin Gerbrandt vereidigt werden soll oder nicht!" erklärte er. Auch die Beisitzer hatten sich erhoben; schon hatten dis Herren sich zur Tür gewandt, als ein unterdrückter Auf schrei von der Anklagebank her sie plötzlich zögern ließ. Heßdorf war wieder aufgesprungen, ein heftiger Kampf malte sich in seinen Zügen. „Sie hat ja recht!" stieß er hervor. „Alles ist wahr! Es ist..." Aber hastig siel ihm Reiser ins Wort: „Der Angeklagte ist anscheinend im Augenblick seiner Sinne nicht ganz mächtig! Er stand vorhin schon vor einem Ohnmachts- anfall. Ich beantrage Vertagung!" „Ich beantrage Wciterverhandlung!" rief Doktor Freund. Doktor Weißbrod stellte auf Befragen fest, daß der An geklagte tatsächlich kaum als vernehmungsfähig gelten könnte. Nach kurzer Beratung wurde der Spruch verkündet» „Dem Antrag des Verteidigers wird stattgegeben. Die Verhandlung wird auf morgen vertagt!" Noch einmal setzte Heßdorf zum Sprechen an, aber diesmal gelang es Reiser, ihn durch «inen leisen, heftigen Zuruf zum Schweigen zu bringen. Kaum hatte das Gericht den Raum verlasse«, so erhob sich aus der Tribüne aufs neue ein nicht endenwollender Lärm. „Die ist ja ein Biest!" schrie die hohe Frauen stimme. „Der müßte man eS zeigen!" „Unser Doktor ist unschuldig!" mischte sich drohend der Baß eines alten Mannes ein. Die Justizwachtmeister hatten alle Mühe, die erregte Menge zu beschwichtigen und auS dem Gertchtsgebäude hinauSzutreibsn. Draußen bildeten sich sogleich Gruppen, die erregt weiter diskutierten. Unter den Zuhörern aus dem Arbeiterviertel gab eS nur eine Meinung: Heßdorf war unbedingt unschuldig — sein« Braut hatte nur aus Bos heit oder Eifersucht das Ganze erdacht, um ihn zugrunde zu richten. Als Isa Gerbrandt, begleitet von ihrer Schwester und Fabeck, aus dem GertchtSgebäude trat und auf ihren Wagen zuging, wurden Pfuirufe und Schimpfwort« laut. Während aber Trude Wedekamp und Fabeck ängstlich um sich blickten, öffnete Isa, völlig unbeirrt, die Wagentür, ließ zuerst ihre Schwester, dann den Krankenpfleger ein- steigen; rasch schwang sie selbst sich auf den Führersitz und fuhr so gleichgültig los, als sei sie in einer völlig menschen leeren Straße. Frau Mühlhaus löste sich aus der wartenden Menge und sah sich suchend nach Ella um. Sie hatten verabredet, zusammen nach Hause zu gehen; endlich sah sie Slka tn freundschaftlichem Gespräch mit Heino Thurandt auS dem Gebäude treten. Wie konnten sie nur so ruhig sein? Ach, sie hatten sicher noch keine Ahnung, was geschehen war! Und aufgeregt stürzte sie auf die beiden zu: „Denken Sie nur, jetzt ist es heraus! Doktor Heßdorf hat also doch den Herrn Professor getötet, Fräulein Elka!" Gleich darauf erschrak sie; so unvorbereitet hätte sie das nicht sagen dürfen. Hatte nicht sogar einmal zwischen Elka und diesem Heßdorf eine Liebesgeschichte gespielt? Elka war leichenblaß geworden; aus entsetzt auf gerissenen Augen starrte sie die Haushälterin an. „Wer — hat — das gesagt?" brachte sie mühsam hervor. „Heßdorfs eigene Braut hat es gesagt; sie hat sie ja gefunden damals, dieses Fräulein Doktor Gerbrandt! Aber seine Braut ist sie ja gar nicht mehr — das ist auch so eine Geschichte!" Und froh darüber, eine Ablenkung gefunden zu haben, begann sie ausführlich von dieser merkwürdigen Entlobung im Gerichtssaal zu erzählen, beweisen, alles ist Unsinn — aber wenn sie wirklich schwört..." Heßdors wehrte ruhig ab. „Nein, «S bleibt dabei, es ist gut so, endlich wird alles klar." „Aber Mann, wollen Sie sich mit Gewalt selbst in- Unglück bringen?" - . Jetzt meldete sich der StaatSanwatt zum Wort. „Unter In Ellas bleiches Gesicht war die Farbe zurückgekehrtt sie atmete auf. Heino Thurandt, der aufmerksam zugehött hatte, gab ihrer Meinung Ausdruck: „Wenn die GerbranA das gesagt hat, ist es bestimmt nicht wahr!" Einen Augenblick zögerte Frau Mühlhaus — dann konnte sie es doch nicht lassen, ihren Trumps vollends auszuspkelen: „Aber Doktor Heßdorf hat ja selbst alle- gestanden! Das heißt, er wollte gestehen, nur sein Anwatt hat es noch verhindert!" Beruhigend faßte Heino Thurandt Ellas Hand. „Da- muß ein Irrtum sein, Frau Mühlhaus, verlassen Sie sich darauf! Elka, ich gehe sofort zu Reiser, dort werde ich alles erfahren! Heute nachmittag bringe ich dir Bescheid!^ Elka lächelte mühsam. „Ja, sei so gut, Heino! Abetz komm sobald als möglich! So wie du etwas weißt hörst du?" i Heino nickte ihr zu und sprang rasch in die eben an« fahrende Straßenbahn, um zu Reisers Wohnung am Kröppelstor zu fahren. Frau Mühlhaus hatte schnell ein« Taxe herbeigewinkt; sie bemerkte, daß es Elka nicht Wohl zumute war — insgeheim machte sie sich Vorwürfe, sie mir ihren Neuigkeiten so plötzlich überfallen zu haben. Abe- schließlich — einmal würde Elka ja doch alles erfahre^ so tröstete sie sich. Während sie im Wagen saßen und m raschem Tempo durch die mittäglich leeren Straßen d«R Villenvorstadt zufuhren, sprach Elka kein Wort. ! Frau Mühlhaus suchte sie durch Schilderungen de- Verhandlungsverlaufs und der Stimmung im Zuhörer^ raum zu zerstreuen. Ella nickte hin und wieder freundlich, aber fie war nicht bei der Sache. Zu Hause angekommen, ging fie sofort In ihr Zimmel hinauf. Und während fie ihr Straßenkostüm mit vinelft bequemen Hauskleid vertauschte, versuchte sie, di« tpidetzi streitenden Empfindungen zu Nären, die die Ereignisse dstz letzten Stunden tn ihr aufgewühlt hatten. Sie hatte Guido Heßdorf wtedergesehen — sie liebt« ihn, sie wußte jetzt, daß auch er st« liebte; vielleicht, soga« wayrschemuy, yane vwi«s «neverzeyen oazu oergsrragen, daß es zu der geschilderten dramatischen Entlobung im Gerichtssaal gekommen war. Er war also frei, ebenso! wie sie selbst, niemand stand mehr zwischen ihnen... Niemand? Slka stand aus dem Lehnsessel auf und be- gann im Zimmer aus und ab zu gehen. Wie, wenn e- doch wahr war, was sie bisher sich nicht einmal in Ge danken vorzustellen gewagt: wenn Guido Heßdorf wirk lich den Vater getötet hätte? Was wäre dann? Es wär« furchtbar, unauSdenklich schrecklich. Und wenn er nun Gründe gehabt hätte, triftige Gründe? Elka blieb am Fenster stehen; aber sie sah nichts von der rostroten Pracht des herbstlichen Gartens, nichts von dem blaugoldenen Glanz des Septembermittags — st« fühlte nur ihr Herz schwer und angstvoll schlagen, während sie jetzt ohne alle Beschönigung die letzte Folgerung zu ziehen suchte. Wenn Guido Heßdorf wirklich ihren Vater getötet hatte — einerlei aus welchen Gründen —, so würde es niemals einen Weg geben, der sie zueinander führte. So hätte sie ihn nur zurückgewonnen, um ihn sogleich wieder zu verlieren. Denn immer müßte der Tote zwischen ihnen stehen, drohender noch als der Lebende! Elka trat ins Zimmer zurück, sie krampfte die Hände fest zusammen. „Laß es nicht sein, Gott", flüsterte sie, „laß es nicht sein!" Verzweifelt klammerte sie sich an die letzt« Hoffnung, daß alles ein Irrtum sein müsse, der sich morgen ausklären würde. Nachdem sie ihre Fassung wiedererlangt hatte, ging sie hinunter, um Heino Thurandt und seine Nachricht zu er warten. Unten, im ehemaligen Schlafzimmer des Balers, wurd« das große Herbst-Reinemachen abgehalteu. Frau Höpfner, di« Putzfrau, hantierte dort mit Besen, Bürsten und Schrubber, und war eben dabei, von einer Stehletter auS die Schränke oben abzustauben und gründlich zu säubern. „Na, dat Hütt doch nich hierher!" hörte Elka fie tm Vorbeigehen ausrufen. Sie trat «tu. Um di« Sachen deS BaterS in diesem Zimmer hatte si« sich bisher wenig ge- kümmert und alles Frau Mühlhaus überlassen, während st« selbst den wissenschaftlichen Nachlaß verwaftet hatte. >, Jetzt sah st« in der Hand d«r Frau Lövfner ein schmale-