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OfOopauer GonntagSvlatt Beilage zum ZfGopauer Tageblatt «nd Anzeiger Nr. 46 Sonnabend, den 19. November 1938 t. Lvx^rigbt 1938 bv ^.ukvärts-Verlag, Aerljo 9. Fortsetzung. Aber das Buch stammte aus dem Jahre 1930; es" wäre also wohl Zeit gewesen, daß er als Wissenschaftler von Nus wieder mit einem neuen Werk hervortrat. Und sie w»ßte, daß er in den letzten Monaten mit besonderem Eifer neben seiner Tätigkeit noch seiner privaten Forscher- arbeit gelebt hatte. Aber was dieses Werk enthalten sollte, nm welche neue Methode und welchen Gegenstand es ging, das wußte sie nicht. Der Juni kam. Flieder und Kastanien waren verblüht; es wurde heiß, der Jasmin duftete, und Abend für Abend sprengte der alte Josef den Garten, den die Glut des Tages fast versengt hatte. Elka stand am Fenster und spürte erfrischt den kühlenden Hauch, der den gierig trinkenden Pflanzen entströmte. Sie war noch blasser und schmaler geworden, und in ihrem schwarzen Kleid wirkte sie mit den großen, Hellen Augen fast unirdisch. Josef schüttelte unzufrieden den Kopf, wenn sie mit freundlichem, aber zerstreutem Gruß an ihm vorbeigehuscht war. Das Fräulein war krank — nein, schlimmer als das, sie verzehrte sich. Ja, sie wurde aufgezehrt von ihrem Kummer — sah das denn niemand außer ihm? Und er sprach mit Frau Mühlhaus; konnte sie denn nicht das Fräulein beeinflussen? Sie mußte einmal ver reisen, möglichst weit fort, vielleicht ins Gebirge; sie müßte endlich auf andere Gedanken kommen! Frau Mühlhaus ließ Prospekte aus Bayern kommen, sie zeigte Elka die verlockendsten Bilder malerisch ge legener Kurorte, in deren Hintergrund die Schneegipfel ragten. Und München! Hatte sie nicht Lust, ihre frühere Heimat wieder einmal aufzusuchen? Aber Elka konnte noch zu keinem Entschluß kommen. Sie wollte hierbletben, in diesen Räumen, wo sie so lange mit dem Vater gelebt hatte, und hatte sie nicht im Garten genügend Sonne und frische Luft? Alle Vorstellungen der gutmütigen Haushälterin blieben ohne Wirkung. Bis endlich doch ein Ereignis eintrat, das sie zur raschen Ab reise bewog. Eines Tages, als sie gegen ihre Gewohnheit durch die Hauptgeschäftsstraße ging, sah sie auf der gegenüber liegenden Seit» Heino Thurandt. Er ging allein, mit raschen, energischen Schritten, und sein Gesicht trug elnen festen und entschlossenen Ausdruck, den sie nicht an ihm kannte. Elka erschrak heftig, als er Miene machte, auf sie zu« zukommen; nein, sie konnte, sie wollte ihn nicht sprechen, sie hatte ihm nichts mehr zu sagen! Hatte er sie nicht im entscheidenen Augenblick im Stich gelassen? Rasch bog st« in eine Nebenstraße ein und ging schneller; erst nach einer Weile wagte sie es, klopfenden Herzens zurückzublicken. Aber Heino war nicht mehr zu sehen. Nach einer unruhigen Nacht voller Zweifel und Ge danken fand sie am nächsten Morgen auf dem Frühstücks, tisch einen Brief von Heino. Verwundert und bestürzt öffnete sie darauf den Um schlag und las nun: „Liebe Elka! Verzeih mir bitte,»wenn ich Dich be hellige, aber ich habe eine Bitte an Dich, deren Erfüllung in unser aller Interesse liegt. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, die Vorgänge, die zum Tode Deines Vaters ge führt haben, auf eigene Faust weiter aufzuklären, und dazu brauche ich Deine Mithilfe. Bitte stelle mir alles schriftliche Material zur Verfügung, was noch in Deinem Besitz ist; vor allem aber mußt Du versuchen, heraus- znbringen, wie Dein Vater und Heßdorf in den Jahren in München miteinander gelebt haben. Sicher wird es noch Persönlichkeiten in München geben, die darum wissen, und die Du noch kennst. Wenn irgend möglich, fahre also nach München und versuche dort etwas zu erfahren. Ich selbst werde hier Weiterarbeiten. Es muß doch gelingen, diese Sache aufzuklären; Heßdorf muß auf jeden Fall freigesprochen werden. Ich grüße Dich herzlich Heino." In maßlosem Erstaunen ließ Elka das Platt sinkem Was war nur mit Heino geschehen, daß er plötzlich so ver- wandelt war? ' Aus seinem Brief klang ja nun so viel Ruhe und Zielbewußtsein. Bot allem aber;, wie kam er, der Ab- ^unZ^enLezd^k g«be-tßatt«,^t MM sich so für ihn einzusetzen? Aber einerlei, er hatte jedenfalls recht: Guido Heßdorf mußte freigesprochen werden! Elka schrieb rasch ein paar Zeilen an Heino, in denen sie ihm mitteilte, daß sie seiner Anregung folgen wolle; sie werde nach München fahren und ihm später Nachricht geben, was sie dort erfahren hatte. Schon wollte sie den Brief schließen, aber sie zögerte; hatte Heino nicht ein herzliches Wort verdient? Und rasch schrieb sie noch eine Zeile: „Ich danke Dir für Dein Interesse", und sandte den Brief ab. Sogleich bat sie Frau Mühlhaus, ihr beim Packen behilflich zu sein; sie würde verreisen, und zwar allein. „Nach Mittenwald?" fragte Frau Mühlhaus, die schon die Koffer znrechtgestellt hatte. „Vielleicht später auch nach Mittenwald, zuerst muß ich »ach München!" Ein neuer Eifer, ein plötzlicher Tätigkeitsdrang war über Elka gekommen; mit fieberhafter Eile betrieb sie die Neisevorbereitungen, ja, sie fuhr sogar selbst in die Stadt und besorgte ein paar notwendige Ergänzungen für ihre Toilette. Sie hatte jetzt wieder eine Aufgabe, hatte ein Ziel gefunden; mit einem Gefühl der Dankbarkeit dachte sie an Heino. Endlich konnte sie etwas Positives leisten, sie konnte dem Andenken des Toten dienen und vielleicht zugleich den Lebenden helfen. Schon am übernächsten Tage, nachdem sie den Brief erhalten, fuhr sie am Spätnachmittag ab; sie würde abends in Berlin sein und die Nacht durch nach München weiter fahren. Der Hochsommer war in diesem Jahr besonders ge- witterreich gewesen, er hatte heftige Regengüsse, sogar Ueberschwemmungen gebracht. Zwischendurch aber hatte es wieder Tage glühender Hitze gegeben, in denen die Sonne unbarmherzig auf die Stadt niederbrannte und an denen jeder Stein die ungeheure Glut widerzustrahlen schien. Der Juli war vergangen, und der August neigte sich seinem Ende zu; Heßdorf beobachtete, daß die Nach mittagssonne an der getünchten Wand seiner Zelle all mählich immer später erschien, immer zeitiger verschwand. Die Hitze in dem engen Raum lastete nicht mehr so drückend und die Nachtluft, die durch die vergitterten Fenster ungehemmt hereinströmte, brachte erfrischende Kühlung. Drei Monate war er jetzt in Untersuchungshaft; sein Anwalt besuchte ihn regelmäßig, er brachte ihm wissen schaftliche Bücher, er brachte ihm Nachrichten aus der anderen Welt, von der er mit einem Schlage abgeschnitten worden war. Isa hatte ihn ein paarmal besuchen dürfen, in Gegen wart eines Beamten hatten sie kurz miteinander gesprochen. Aber diese Besuche waren eine Qual für ihn gewesen; er fühlte, daß etwas zwischen ihnen stand, was wahrscheinlich nie mehr fortzuräumen sein würde. Sobald er an sie dachte, konnte er nicht anders, als sie mit dem Professor in Beziehung zu bringen und an die Verbindung zu denken, die zwischen Tomary und ihr bestanden hatte. Wiederum aber war es ihm nicht möglich, in Gegenwart des Polizeiwachtmeisters mit ihr darüber zu sprechen. So waren ihre Unterhaltungen ^urz und gezwungen gewesen. Isa versicherte ihm immer wieder, daß sie alles für ihn tun werde, er solle und müsse freikommen. Er konnte daraufhin nur andeuten, daß er nicht wünsche, mit un gesetzlichen Mitteln befreit zu werden. Daß sie vor nichts zurückscheute, daß es ihr auf eine Irreführung der Be hörden, ja, nötigenfalls auf einen Meineid nicht ankam, das hatte er schon zu spüren bekommen. Und diese Ein stellung war ihm, dem streng rechtlich Denkenden, un verständlich, ja, unheimlich. So waren diese Besuche stets sehr unergiebig verlaufen; das zärtliche Gefühl, das während dieser kurzen und sach lichen Gespräche zuweilen in Jfäs Blick aufgelxuchtet halte, war ihm unangenehm, ja, störend erschienen, und wenn sie seine Hand streichelte, so zuckte er unwillkürlich zurück. ZwangSmäßig mußte er sogleich daran henken, daß sie ähnliche Zärtlichkeiten für den Professor- gehabt haben D/>cht«.^ M WbezwtWbarn «jdeMtlle ftteg H »hat- vavet aus. .. War er dann wieder allein in seiner Zelle, so wurdei ihm jedesmal die Gewißheit deutlicher, daß sie nie seines Frau werden könnte, und er machte sich Vorwürfe, daß erf es unterlassen hatte, ihr das jetzt schon zu sagen. Auf dev anderen Seite sagte er sich, daß bald der Richterspruch di« Entscheidung treffen würde. Sollte man ihn zu einer mehr^ jährigen Freiheitsstrafe verurteilen, so würde Isa schwer-t lich auf ihn warten und kaum gesonnen sein, später sei» Leben zu teilen. Ihm aber blieb dann die Härte der Ver-s abschiedung erspart. Durch Doktor Reiser versuchte er bisweilen, etwas über Elka zu erfahren; der Anwalt aber meinte, er habe sie überhaupt noch nicht zusammen gesehen. Dagegen sitze Heino jetzt dauernd bei ihm in der Wohnung herum nnd versuche in seinen Akten zu schnüffeln; er hätte es ihm schon gehörig untersagt. Die Braut sei übrigens schon seit Wochen verreist, und zwar ganz allein. Eine recht sonder bare Verlobung! An diesem leuchtenden Septembernachmittag hatte derf - Anwalt seinen Klienten zeitiger als sonst verlassen; wäh-s rend des kurzen Gespräches, das sie miteinander hatten, kämpfte Heßdorf fortwährend mit dem Entschluß, ihn: die Niederschrift seiner Lebensgeschichte zu übergeben, die er auf Doktor Reisers Anraten in den letzten Tagen aufgesetzt hatte. Endlich hatte er es doch unterlassen; die Blätter waren wohlverwahrt in seinem Tischkasten geblieben. Als der Anwalt gegangen war, nahm Heßdorf dle^ Papiere heraus; er setzte sich nahe an das Fenster, zündete! eine Zigarette an und überlas stirnrunzelnd nochmals das! Geschriebene. „Ich wurde 1899 als Sohn eines Industriearbeiters in Essen geboren; ich war der Aelteste von sechs Geschwistern, und wir lebten in mehr als bescheidenen, ja, in armseligen Verhältnissen. Schon frühzeitig mußte ich im Hause helfen, die jüngeren Geschwister hüten, Besorgungen erledigen. Mit siebenJahren wurde ich zum regelrechten Mitverdienen herangezogen, ich trug Zeitungen aus und arbeitete als Botenjunge bet einem Kaufmann. Schon damals empfand Ich die grobe, nachlässige und bestenfalls mitleidige Be handlung, die mir von allen Bessergestellten zuteil wurde, als beleidigend; ich versuchte mich dagegen aßifzulehnen, erntete aber immer nur Beschimpfungen und Schläge. In der Schule fand ich damals den einzigen Lichtpunkt meines Lebens; ich lernte leicht und gut und hatte das Glück, einen Lehrer zu haben, der das erkannte und mich in jeder Weise förderte. Er sorgte auch dafür, daß ich später eine Freistelle auf der höheren Schule erhielt; hier verschlang ich den gesamten Lehrstoff und baute mir ein eigenes Reich aus meinen Träumen von griechischer Kunst und römischem Heldentum. Bei meinen Mitschülern wurde ich mit wenigen Ausnahmen als Arbeitersohn verachtet; auch als ich mir in ein paar Schlägereien mit den Fäusten Anerkennung erzwungen hatte, waren da immer noch die Tonangebenden in der Klasse, die mich ausstießcn." Heßdorf runzelte die Stirn; wozu sollte er den Richtern diese unliebsamen und für Außenstehende ganz nichts sagenden Kindheitserinnerungen preisgebcn? Er ergriff den Bleistift und zog ein paar dicke Striche kreuz und gncr durch alles bisher Geschriebene. Dann las er weiter. „Der Krieg kam, und keiner voiu uns Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen hatte mehr Interesses für die Bücher, jeder Einzelne wollte hinaus, wollte als! Soldat dem Vaterland dienen. Mit l7 Fahren machte ich> im dritten Kriegsjahr mein Not-Abitur und meldete mich« sogleich als Freiwilliger bei der Infanterie. Es kamen die Kriegsjahre mit Märschen und Kämpfen, das Leben im Graben, Hunger und Kälte; es kam eine leichte Ver wundung, dann der Feldzug nach Mazedonien und die Malaria, wochenlangcs schweres Fieber. Endlich konnte ich aber doch die große Frühjahrsofscnsive l!U8 wieder mitmachen, und da traf es mich endgültig: ein Schuß in den Oberschenkel, Granatsplitter. Wie durch ein Wunder blieb ich am Leben; aber als ich nach endloser Lazarettzeit schließlich entlassen wurde, war ich ein Krüppel. Auf zwei Stöcken konnte ich mich nur mühselig fortbewegen. Das war eine furchtbare Zeit, iür mich, und ich glaubte, schlimmer könne es nun nicht mehr kommeN-L?^^. stelle es Nch