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ZfGopauer Gonntagsvlatt Beilage zum ZfGopauer Tageblatt und Anzeiger Nr. 44 Sonnabend, den 5. November 7. Fort, Atzung. In ihrer Wohnung fand sie ihre Freundin Toni Eilert, die als Sekretärin bei einem Rechtsanwalt arbeitete. Mit einem neuen gelben Kleid sah sie in ihrer brünetten Zier lichkeit reizend aus. „Milla, wir gehen aus!- rief sie sofort und zog die Zögernde ins Zimmer. „In der Rosendiele ist Eröffnungsfeier mit Tanz! Mein Vetter hat uns ein- geladen, da müssen wir unbedingt dabei sein, ja?" Und Milla, die all diese Tage in strenger Abgeschlossen heit und peinlichster Pflichterfüllung gelebt hatte, stimmte sofort ein „Gut, wir gehen!- Und sie stürmte in die .Küche. „Muttel, ist mein blaues Kleid in Ordnung? Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mit Toni tanzen gehe?" D:e Mutter lächelte müde. „Rein, nein, Kind, amüsiert euch nur! Aber nicht zu spät nach Hause kommen!" Milla aß rasch zu Abend, dann zog sie unter Tonis Assistenz das mattblaue CrLpe-de-Chine-Kleid und die neuen Hellen Wildlederschuhe an. Ihr Haar war sofort in Ordnung, sie brauchte nur einmal mit dem Kamm hindurchzufahren, und die Locken ringelten sich von selbst in die richtige Lage. Lachend und schwatzend stürmten die beiden Freundinnen die Treppen hinunter. Auf der Straße war es stickig heiß, der Abend hatte keine Abkühlung ge bracht; da der Wind nachließ, stand die Hitze jetzt wie eins bleierne Mauer zwischen den Häusern. Die Sonne war hinter Wolkenschleiern verschwunden. „Uff!" seufzte Tont und fächelte sich mit dem Taschentuch. „Ist das heiß, Milla! Ich glaube, wir bekommen ein Gewitter!" „Unsinn", protestierte Milla, „Gewitter im Mai! Das kommt doch kaum vor. Und übrigens: uns kann's ja gleich sein, wir sind auf jeden Fall im Trockenen!" In der Nosendiele war es schon gedrängt voll, als die Freundinnen ankamen. Der Saal war festlich geschmückt, die kleineren Tische auf den Emporen, wo nur Wein ge trunken wurde, trugen sämtlich weiße Fliedersträuße; unten in der Bier-und Kaffee-Abteilung standen Margue- riten auf den Tischen. Die Kapelle spielte eben einen Tango, und die Paare, meistens Studenten mit ihren Mädchen, wiegten sich rhythmisch und hingegeben im Takt. Elwas zögernd stand Milla diesem Gewühl von tan zenden, schwatzenden und trinkenden Menschen gegenüber, aber Toni hatte sogleich ihren Vetter entdeckt, der in der Bier-AbteilKng einen Tisch besetzt hatte. Erwin Rosner war gleichfalls Student, und da das Referendar-Examen noch weit war, genoß er einstweilen die akademische Frei heit in vollen Zügen. Herzlich und kameradschaftlich be grüßte er die Freundinnen. „Fein, daß ihr kommt, Mädels! Heute gibt's Betrieb!" Die Kapelle schloß mit einem schmelzenden Akkord, die Paare aber blieben mitten im Saal stehen und applau dierten fanatisch. Der Tango setzte von neuem ein; Erwin Rosner verbeugte sich artig vor Milla, während Toni sofort von einem jungen Menschen, der am Rebentisch mit mehreren Herren zusammen saß, anfgefordcrt wurde. Millas Augen leuchteten.. Wie lange hatte sie nicht mehr getanzt! Erwin Rosner führte sicher, sie fügten sich gut miteinander iu den weichen Rhythmus des Tanzes. Ach, wenn er nur nicht immer wieder versucht hätte, Kon versation zn-machen! Es war doch viel schöner, still zn sein und sich nur entfach von der Musik tragen zu lasse». Als sic au ihren Tisch zurückkamen, fanden sie den Platz neben sich, der zu der elwas höher gelegenen Wein- Abteilung gehörte, gleichfalls besetzt. Ein junger, wohl- getleidetcr Mann saß dort allein vor einer Flasche Weilt und sah mit großen blauen Augen suchend auf das bunte Treiben im Saal. Ein paar Tänze waren getanzt worden, und die beiden Mädchen hatten kaum Zeit gehabt, zwischendurch einen Schluck Vier zu trinken und sich ein wenig zurecht- zumachen. Immer wieder wurden sie zum Tanz geholt, sie flogen von einem Arm in den anderen, und Erwin Rosner begann schon zu schelten: Er, d!r das Ganze aus- gedacht und arrangiert hatte, konnte kaum noch mit seinen Danien tanzen! „Sie haben recht, Erwin!- erklärte Milla resolut. „Das nächste Mal lehne ich alle Aufforderungen ab und bleibe hier sitzen; ich muß ein bißchen auSruhen, und dabei werdest Sie mir EKMschas^tt Und der nächste Tait, / gehört dann Ihnen!" Erwin war zufrieden, und die beiden saßen wirklich plaudernd beisammen, nachdem Milla zwei Tanzlustige oom Rebentisch fortgeschickt hatte. Da stand plötzlich der .Einsame aus der Wein-Abteilung", wie die drei ihren Tischnachbarn inzwischen getauft hatten, mit einer Ver beugung vor Erwin. „Gestatten Sie, daß ich mit Ihrer Dame tanze?- Erwin Rosner war viel zu höflich, um auf eine so formvollendete Bitte abschlägig zu antworten. „Selbst verständlich!" Und enttäuscht sah er Milla im Arm des Fremden davonschweben. Heino Thurandt hielt Milla, die noch vom vorigen Tanz erhitzt war, fest an sich gedrückt; im Takt des lang samen Walzers glitten sie schweigend durch den Saal. Ein mal wären sie fast von einem anderen Paar angerannt worden, aber Heino wich geschickt dem Zusammenstoß aus, und Milla blickte lächelnd zu ihm auf. Sie sah die großen blauen Augen ihres Partners durchdringend und forschend auf sich gerichtet; es wurde ihr fast unheimlich. „Warum sehen Sie mich so an?-.fragts.sie, und mit einem Versuch, zu scherzen, fügte sie hinzu: „Habe ich vielleicht einen Fleck im Gesicht?" Ohne alle Verlegenheit schüttelte ihr Tanzpartner den Kopf. „Durchaus nicht! Aber warum soll ich Sie nicht ansehen? Sie sind schön, und Schönheit ist doch dazu da, bewundert zu werden!" Dieses sonderbare Kompliment, das mit todernster Miene vorgebracht wurde, ließ Milla zu ihrem Aerger heftig erröten. „Nur nicht gar zu feierlich, Herr Tischnachbar!" lachte sie gezwungen. „Macht der Wein Sie so pathetisch? Da lobe ich mir unser Bier — Sie sehen ja, wie lustig wir sind!" „Ich werde auch bald lustig sein, mein Fräulein, darauf können Sie sich verlassen l" Der Tanz war zu Ende, und der nächste gehörte Erwin Rosner, wie Milla es versprochen hatte. Als die beiden zurückkehrten, fanden sie ihren Tisch leer, von der Empore aber lachte ihnen Toni entgegen. „Wir sind avanciert, Kinder — kommt herauf! Prinz Tnrandot hat uns eingeladen!" Schon standen zwei Flaschen spritzigen Mosels im Kühler bereit, und das blendend weiße Tischtuch trug hohe, blitzende Kelche. Heino Thurandt schenkte ein; er saß neben Milla, den beiden anderen gegenüber. Er schien völlig verändert; sein feierlicher Ernst hatte einer lär menden Lustigkeit Platz gemacht. „Prosit, meine Damen! Zum Wohl, Caballero! Trinken wir auf das, was wir geliebt haben!" Die Gläser klangen aneinander. Milla lachte. „Ein sonderbarer Trinkspruch! Sie wollen die Vergangenheit feiern? Ich bin mehr für Gegenwart und Zukunft!" „Gut, Sie haben recht, schöne Dame! Austrinken, aus- trinken!" Und als die Gläser aufs neue gefüllt waren, stand er auf. „Trinken wir also aus das, was wir-lieben werden!" Beim Anstößen sah er Milla tief in die Augen, aber sic wich ihm aus. Wenn er sie auch eingeladen hatte — er schien ja Geld zu haben! —, so war das doch kein Grnnd, jetzt gar zu keck zu sein. Er trank ja viel zu rasch, wahr scheinlich hatte er schon einen Schwips. „Paßt Ihnen nicht? Auch gut, mein Fräulein! — Tanze» Sie diesen Tanz mit mir?" wandte er sich an Toni, die sogleich aufstand. Milla sollte nur nicht glaube», daß alle g»t aassehenden jungen Männer nur für sie existierten, sie war auch noch da. Aber Heino Thurandts Blicke glitten immer wieder zu der Blonden mit den frischen, blühenden Farben. Sie halte nicht die geringste Aehnlichkeit mit Elka, kei» Zug erinnerte an sic; und gerade deshalb gefiel sie ihm, hatte er die Annäherung an sie gesucht. Je weiter freilich der Abend fortschritt, je hastiger er seinen Wein trank, desto mehr verblaßten diese verstandesmäßigen Ueberlegungen; bald wußte er nur noch, daß er beim Tanz «in atmendes, warmes, junges Wesen im Arm hielt, daß am Tisch blaue Helle Augen ihm bald herzlich, bald tadelnd anblickten — je nachdem, wie er sich gerade ausführte. Er spürte wohl, daß er angeheitert, vielleicht sogar el^ wenig betrunken war. Aber war das nicht gut so? War er nicht gerade deshalb hierhergekommen? Je mehr » trank, desto rascher verschwand die tiefe Melancholie, desth mehr löste sich die quälende Bitterkeit; und je häufiger er Milla ansah, desto blasser wurde Elkas Bild, das jetz§ monatelang in leuchtenden Farben unausgesetzt um ihn geschwebt hatte. I Heino ließ die vierte Flasche kommen. Der rasche Wein« konsum ging zum größten Teil auf sein Konto, denn bist Mädchen saßen trotz aller Mahnungen immer noch vor ihrem zweiten Glase, und auch Erwin Rosner gab ihm immer nur zögernd Bescheid. s Heino merkte es nicht; er füllte alle Gläser nach — voh der „bösen Schwiegermutter- hatte doch niemand Angst!-« und hob seinen Wein zum Trinkspruch. Verse, Lieder, ver« gessene Schulweisheiten, sie vollführten ein förmliches Ge« dränge in seinem Kopf. Was sollte er Vorbringen? Und mit pathetischer Bewegung erhob er sich: „Trink ihn aus, den Trant der Labe, und vergiß den großen Schmerz, wundervoll ist Bacchus' Gabe, Balsam fürs zerrissene Herz! Prosit!" Die Gläser klangen aneinander. Toni prustete laut loH und Milla sah ihren Gastgeber besorgt von der Seite an« Erwin RoSner hatte sich zuerst gefaßt. „Kinder, er ist wirklich betrunken! Jetzt zitiert er schon Schiller!" stellt» er sachlich fest. Und als Heino Milla zum nächsten Foxtrott auf« forderte, war sie ernstlich beunruhigt. Würde er überhaupt noch richtig führen können? Aber sie war angenehm enttäuscht; mit der gleiches Sicherheit wie zu Anfang bewegte ihr Tänzer sich mit ih« durch das Gedränge. Daß er sie noch etwas fester an sich gedrückt hielt — nun, darauf kam es bei so vor» geschrittener Stunde und so angeregter Stimmung nichk an! Ja, er versuchte jetzt sogar eine leidlich vernünftig« Unterhaltung, nachdem er sich bisher immer nur in sonder« baren Redensarten geäußert hatte. s! „Sie sind öfter hier, Fräulein Milla? Werden Sig wiederkommen?- / Milla lachte. „Ich war noch nie hier, natürlich! Heut« ist doch erst die Eröffnungsfeier! Und ob ich Wieders komme, das weih ich nicht, ich habe soviel zu arbeiten!" „Arbeiten? Eine so junge, reizende Dame arbeitet!, Hoffentlich ist es keine schwere Arbeit, und Sie Habelt wenigstens einen netten Chef oder eine liebevolle Chefin! Nh, ein Chef — das wäre ja viel z-u gefährlich, wenn malx so aussieht wie Sie!" „Lassen Sie doch endlich die dummen Komplimentes sagte Milla, ein wenig ärgerlich. „Wenn Sie nicht immer« fort schmeicheln, sind Sie viel netter!" Die Musik machte eine kurze Pause; sie blieben an» anderen Ende des Saales in einer Fensternische stehen, Millas Hand lag im Arm ihres Tänzers. „Gut, gut, ich' werde mich bemühen! Aber Sie sind mir ausgewichem kleines Fräulein Milla! Wie ist das mit dem Chef?" drang er weiter in sie. „Mein Chef ist ein fabelhafter Mann", sagte Milla und Ivars stolz den Kopf zurück. „Klug, gütig, fleißig — alles, was Sie sich denken können! Und dabei verfügt er »och über geheime Kräfte", setzte sie fast »»willkürlich hinzu, sie hatte plötzlich an Lena Krüger denken müssen. „Vor allem scheint er über die geheime Kraft zu ver« fügen, junge Mädchen in sich verliebt zu machen!" ver« setzte Heino spöttisch. „Da ist er wohl ein sehr junger, ei»» sehr schöner Mann?" „Ach, bewahre!" Milla lachte. „Er ist schon mindestens siebenunddreißig. Und schön? Eigentlich schön ist er auch nicht! Sie sind zum Beispiel viel hübscher! Aber er hat so etwas Besonderes, ich weiß nicht, wie ich das sage»» soll! Ja, so etwas Faszinierendes hat er! Und das wirkt auch auf die Patienten, und daher.. .- Heinv stutzte plötzliche,So ist Ihr Chef also Atzt! Hat «ine große PraziS? Am Ende ist e» gar Doktor tze^