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AfGopauer GonntagSvlatt Beilage zum ZfGopauer Lagevla« und Anzeiger Rr.M Sonnabend, den 1. Oktober 1938 bekeiinnine UM VOstl WL^IVOkr^ ? 2. Fortsetzung. Sehr gerlng wog daneben das zweite von Brönner »ufgestöberte Dokument. Ganz hinten im Schreibtisch des Professors eingeklemmt hatte sich noch ein verknitterter vnd vergilbter Brief gefunden. Er war von Heßdorf an tzen Professor geschrieben worden — übrigens das einzige Zeichen eines Briefwechsels zwischen den beiden Man« uern — und trug das Datum vom 5. Oktober 1930. Der Professor hatte damals noch in München gelebt, während Heßdorf schon seine Praxis hier in der Stadt hatte. DaS Schreiben war kurz: „Sehr geehrter Herr Professor! Nach reiflicher Ueberlegung möchte ich Sie bitten, unseren im Jahre 1920 geschlossenen Vertrag wieder aufzuheben. Ich bin inzwischen durch eigene Arbeit in den Besitz vyn Geldmitteln gelangt und daher in der Lage, den Ihnen damals verkauften .Gegenstand' wieder von Ihnen zurückzukaufen. Ich werde in der nächsten Woche jemand zu Ihnen schicken, der Ihnen das Geld überbringt und dem Sie bitte das Dokument aus- händtgen wollen. Mit ergebenster Empfehlung Ihr G. H." Dieses etwas rätselhafte Schreiben prüfte der Kom missar eine Weile sttrnrunzelnd, legte es aber zunächst bei- teile. Offenbar Handelte es sich hier um längst verjährte vinge, die mit den jetzigen Ereignissen kaum noch in Zu« fammenhang stehen konnten. Jedenfalls aber war es Wichtig, bet dieser Gelegenheit festzustellen, daß der Arzt »nd der Professor einander schon so lange kannten, das hatte man nicht gewußt. Jedenfalls mußte darüber noch« Mals die Tochter befragt werden. Elka war den ganzen Vormittag über nicht einen Augenblick zur Ruhe gekommen. Nach einer Nacht halb betäubten Schlafs voll schwerer Träume — Doktor Weiß- brod hatte ihr eine Veronaltablette aufgenötigt— war sie schon früh durch das Erscheinen der Kriminalbeamten ge weckt worden. Frau Mühlhaus, die spätabends von ihrer kurzen Reise zurückgekehrt war, völlig ahnungslos, war am Morgen aufgelöst, laut klagend bei ihr erschienen, so daß Elka, die selbst am trostbedürftigsten war, sie hatte be- ruhigen müssen. Die Haushälterin, eine resolute Ham burgerin, hatte sich dann freilich rasch wieder gefaßt und sogleich die praktischen Notwendigkeiten erwogen. Eine Todesanzeige mußte bestellt, Trauerkletder mußten be schafft werden. Elka konnte doch unmöglich in der Weißen Bluse und in dem blauen Rock herumlaufen, die sie, scheinbar gedankenlos, heute angezogen hatte! Bald war ein junges Mädchen, rosig, lächelnd und wohlgckleidet, aus dem Modehaus Rothert erschienen und hatte eine Auswahl eleganter Trauerkleider und Hüte vor gelegt. Elka hatte hastig gewählt, auch für Frau Mühl haus ans deren Wink ein Kleid bestellt — dann zog sie sich zurück; sie wollte und mußte Ruhe haben, man sollte sie endlich allein lassen! Aber aufs neue erschien der Oberwachtmetster Brönner; er ließ sich Schlüssel geben, wollte wissen, wo der Vater seine private Korrespondenz aufbewahrte. Elka war für einen Augenblick tatsächlich in Verlegenheit gekommen. Private Korrespondenz? Sie hatten keine Verwandten, außer einer verwitweten Schwester ihrer verstorbeneil Mutter, die in Braunschweig lebte, aber nur sie selbst wechselte gelegentlich Briefe mit ihr — und sonst? Der Baler hatte häufig mit wissenschaftlichen Kapazitäten korrespondiert, zu ihr aber niemals darüber gesprochen. Sie gab die Schreibtischschlüssel heraus; der Beamte stellte ihr frei, bei der Durchsicht zugegen zu sein. Aber Elka zog es vor, rasch für kurze Zeit in den Garten hinunterzn« gehen; sie mußte endlich ihre Gedanken zu sammeln, ihre Gefühle zu ordnen versuchen, die sich seit gestern abend in einem unerhörten Aufruhr befanden. Unten, unter den grünenden Bäumen, zwischen den Fliedersträuchern, im strahlenden Sonnenlicht, war sie ge neigt, das Geschehen der Nacht als einen bösen Spuk an- zusehen» " - v - - ' Är- Vater-tnae toll Vi» ßraümft« »in ihn, aufrichtig und herzlich; sie hatte ihn geliebt, hatte zärtlich an ihm gehangen, wenn er sie auch oft mit seinen Absonderlich keiten erschreckt, mit seinen Forderungen gequält hatte. Es war nicht leicht gewesen, mit ihm zu leben — aber sie hatte doch einen Lebenszweck darin gefunden, ihm seine arbeitsreichen Tage so schön und angenehm wie möglich zu machen. Ihre eigene künstlerische Arbeit hatte daneben immer zurückstehen müssen — aber Elka hatte willig diese Hintansetzung auf sich genommen. Nein, sie hatte ihm nie zürnen können — auch im vorigen Jahre nicht, als er mit einem einzigen Satz alle ihre Liebes- und Lebenshoffnungen zerstört hatte! Was hatte er nur damals plötzlich gegen Heßdorf gehabt? Er hatte ihn doch selbst ins Haus gezogen, hatte wissenschaft liche Gespräche mit ihm geführt, schien es nicht ungern zu sehen, daß auch Elka gut mit ihm harmonierte. Und dann... Hatten die beiden doch Streit miteinander be kommen? Der Vater war sonderbar, war unverträglich und launig. Und Guido Heßdorf war kein sanfter Mensch, er war eigenwillig, stolz, empfindlich. Ach, sie liebte auch das an ihm, sie liebt« nicht^nur feine Kühnheit, seinen Geist, seine Zärtlichkeit — auch die Gegenseite, das Un harmonische,'zog sie unwiderstehlich an. Er mußte viel gelitten haben, das fühlte sie, obwohl er nie darüber sprach. Elka hatte sich auf die weiße Bank unter der Kastanie gesetzt, sie fühlte sich müde. Hier hatte sie vor einem Jahre mit Guido Heßdorf gesessen, eines Sonntags, am Spätnachmittag. Der Vater war in die Stadt gegangen, Frau Mühlhaus oben mit den Vorbereitungen für das Abendesseü beschäftigt. Wieder glaubte sie Heßdorf vor sich zu sehen, wie er da mals dusaß: vorgebeugt, die Ellbogen auf die Knie ge stützt, hatte er geradeaus vor sich hin gestarrt, die eigen willige dunkle Haarsträhne war ihm ins Gesicht gefallen, ohne daß er es bemerkte. „Ich bin sehr allein, Elka!" sagte er halblaut. „Ich brauchte einen Menschen, einen Freund oder eine Frau. Aber ich habe niemand, ich kann mich nicht anschließen." Plötzlich hob er den Kopf und sah sie mit seinem dunklen Blick so eigentümlich an, daß sie fast erschrak. „Aber glauben Sie nicht, daß ich Ihr Mitleid erwecken will, wenn ich das sage! Auf Ihr Mitleid müßte ich ver zichten, ich habe allzulange von allen Menschen nichts anderes zu kosten bekommen als Mitleid!" „Warum?" hatte sie erstaunt, halblaut eingeworfen. Heßdorf lachte kurz aus. „Warum? Das erzähle ich Ihnen ein andermal. Aber das müssen Sie wissen — ich will kein Mitleid, ich brauche das Gegenteil: Achtung, meinetwegen Strenge. Ich muß behandelt werden — wie — nun, wie jemand, an den man die höchsten An sprüche stellt! In jeder Beziehung! Verstehen Sie das, Elka?" Oh, sie hatte seinen Stolz verstanden; sie hatte einmal gehört, daß er ganz armer Leute Kind war, sich schwer hatte durchringen müssen. Zwar war es ihr, der ver wöhnten Tochter des Professors Tomary, die nie Geld- sorgen gekannt hatte, nicht leicht, sich in eine Situation wie die seine hineinzudenken. Und doch: sie begriff sehr Wohl, daß man zu stolz sein mußte, um Mitleid entgegen zunehmen. Sie hatte es ihm gesagt; ja, sie war im Innersten über zeugt, daß er ein Mensch war, von dem man sehr viel, von dem man das Höchste verlangen konnte: Leistung und Gefühl, Kampf und Hingabe. Dann hatte er ihre Hände genommen; seine Hand, die grob und schwer aussah, war merkwürdig leicht, ihr Griff bei aller Festigkeit doch sanft. „Elka, wollen Sie mein Leben teilen — als meine Frau? Aber..." Roch einmal hatte er sie losgelassen. „Ich will kein Geld, ich will keine Protektion von Ihrem Vater! Das sage ich Ihnen; auch ihm werde ich da- sagen — verstehen Sie mich?" Sie hatte wortlos genickt. Ja, so mußte er sprechen, nur er konnte aus Ueberzeugung so zu ihr reden. Viele hatten um sie geworben, aber immer hatte sie da» Gefühl gehabt, daß sie in erster Linie die Tochter ihre» Vaters, die Erbin eines großen Vermögens in ihr sahen. Für Guido Heßdorf aber hätte daschöchstens «inen HtnderunaS- -rund Ar sein» HSerhtm- hedrE.' v Er sprach weiter: „Ella, ich muß Ihnen schon heut« sagen: es wird nicht leicht sein, mit mir zu leben! Ich biit meiner Arbeit verfallen, bin meiner Berufung aus« geliefert — ihr gehöre ich zuerst. Meine Frau müßte sich mit dem begnügen, waS meine Aufgabe ihr läßt. I« weiß nicht, ob Ihnen das genügen wird, Elka Tomary l* Ohne Zaudern hatte Ella ihm geantwortet, daß auch sie ihre Arbeit liebe und ihr treu bleiben werde; und doch würde ja so viel Gemeinsames bleiben. Kam eS den« auf die Zahl der Stunden an, die man miteinander der« brachte? War es nicht viel wichtiger, in jedem Augenblick, auch wenn man getrennt war, das starke Gefühl innere» Gemeinschaft zu besitzen? Eine Weile waren beide stumm gewesen. Elka durch« lebte heute noch einmal jene Minute unendlichen Glück-, als sie wortlos Hand in Hand gesessen hatten; «S Watz so still, daß man das Herabrieseln und den leichten Aust schlag der verwelkenden Kastanienblüten, das sanft« Rauschen der Büsche im leichten Abendwind hatte höre» können. Im Nachbargarten begann eine Nachtigall zu schlagen; voller und voller perlten die Töne au« de» winzigen Vogelkehle — wie ein Wunder. ! Und wie ein Wunder des Glücks war eS gewesen, all Guido sie dann an seine Brust gezogen hatte, als sie st« an ihn schmiegte, und als ihre Lippen sich zum ersten Kug fanden... > Dieser erste Kuß war der einzige geblieben. Elka stand von der Bank aus; sie fröstelte plötzlich« Warum alles so gekommen war, wie es dann geschah — das wußte sie heute noch nicht. Sie würde es nun auch von ihrem Pater nie mehr erfahren, und wahrscheinlich ebensowenig von Guido Heßdorf. Diese beiden aber waren es allein, die das Geheimnis kannten. Ella ging mit raschen Schritten um den Rasenplatz s die Sonne stand jetzt fast im Zenit und brannte sengen« auf ihr schwarzes Kleid. Tie bemerkte eS nicht. Ihre Gel danken waren wieder bei jenem Maiabend. j Sie hatten rasche Schritte auf dem Kte- gehört; kaunt hatte sich Ella aus Guido Heßdorfs Armen aelöst, du stand auch schon Frau Mühlhaus vor ihnen, ein wenig außer Atem. Der Herr Professor habe soeben angsrufens man möge ohne ihn zu Abend essen. Er würde kaum votz zehn Uhr zurück sein — so hatte sie.berichtet. Auch das Abendessen zu dreien, mit heimlichen Blicken und verstohlener Berührung der Hände beim Reichen bei Schüsseln, eS gehörte noch mit zu dem glücklichen Trau» dieses Abends. Endlich, da dex Vater immer noch nich zurückkam und Frau Mühlhaus unverhohlen zu gähne» begann, hatte Guido Heßdorf aufbrechen müssen. Bein Abschied konnte er nur noch einmal Ellas Hand drücken er hielt sie ein paar Sekunden fest. „Auf morgen also, Fräulein Tomary!" hatte er lau und froh gesagt. „Gegen Mittag werde ich Ihren Hern Vater aufsuchen. Wollen Sie ihm das sagen, bitte!" Nach einer Nacht voll glücklicher Träume war dang der Morgen gekommen — ein schrecklicher Morgen. Noch niemals hatte Elka ihren Vater so außer sich gesehen Witz in jener Stunde, als sie ihm sagte, daß sie die Frau Guidos Heßdorfs werde»» wolle. „Niemals, niemals!" so schrie er immer wieder, und lief fast wie ein Besessener in» Zimmer auf und ab. Fütz alle ihre Einwendungen, daß er Heßdorf doch schätzeg müsse, daß er selbst ihn ins Haus gezogen, blieb er tauh Keine Begründung für seine unbegreifliche Weigerung hatte er ihr gegeben; nur einen Ausdruck über Heßdorf hatte er gebraucht, einen so sonderbaren, unheimliche» Ausdruck, daß es sie heute noch schauderte, wenn sie an den eisigen Schrecken zurückdachte, den sie damals emp-i sunden hatte. Daß es unmöglich war, den Vater umzusttmmen, halt» sie bald erkannt. So oft sie es im Anfang versucht hatte, war er jedesmal sofort wieder in seine sinnlose Aufregung geraten und hatte nur immer wieder sein „Niemals!'' wiederholt. Und Elka hatte verzichtet. Wohl hätte sie aus dein Kaust gehen und gegen den Willen des Vaters Heßdorf» «rau worden könne«. Sie war mündfg, und th, mütte« ncheS-ErLtetl hötte n thr anSzahstn müsse«. Aderst«-Hintz >