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ÄsGopauer GonntasSvlatl «ettage rum ÄMopaue» LageMatt und «nzetger Sonnabend, den 10. September - 193j 15. Fortsetzung. „Allerweil kimmt der Mensch z' spül — überall z" spät " Sie flüsterte es dicht an den wächsernen Ohren des Loten, als wollte sie ihm noch ein Geheimnis änver- trauen, eine schmerzliche und entschuldigende Erkennt nis. Dann bekreuzigte sie ihm Stirn, Mund und die zerrissene Brust mit Weihbrunn. „Man ko nix dafür. Man versteht st halt erst, wenn'S » spät is." Es war, als wollte sie die Tränen aller Zuspät- gekommenen auf einmal allesamt ausweinen, so end los strömte es aus ihren Augen, wie aus einem Brun- pen ohne Grund. Mit diesem nassen, zerstörten Gesicht ging sie in den Stall, um dem Vieh den Tod des Bauern bnzusagen. „Der Hausvatta ist tot!" rief sie in den warmen, dunklen Raum, wo ihre Stimme ein leises Ketten- klirren weckte. Dann ging sie durch die Etalltür in den Garten und Hopfte mst vorsichtigem Knöchel an die schlafenden ^„Der^Bienenvatta ist tot!* Ein ganz leises, goldenes Summen antwortete ihr. . All dies tat sie nach altem Brauch und Herkommen. Es war in der tiefsten Stunde der Nqcht, als noch kein Vogelruf den Morgen kündete. Das steinige Strahl von der Reit herab kam ein Zugi »in schmaler Wagen, ein Rößlein davor, dahinter etliche Bauernleute, dunkel gewandet. In das gleichmäßige Wechselgebet mischte sich das Räderknarren des Wagens, -er den langen Sarg des Reitenseppen trug. Tannen- Zweige schmückten ihn mit ihrem grünen Ernst. Der Zug schlich langsam abwärts ins Tal, immer wieder mutzte man den Hemmschuh vor die Hinterräder pemmen, dann knirschte der nackte Fels, der überall Aus dem Straß! lugte. Die Reitenseppin und die Res batten verquollene Gesichter, aber sie weinten nicht mehr. Ihre Äugen unter dem Hutrand zeigten eine Seltsam gespannte, beinahe feindselige Aufmerksamkeit. Damit wollten sie gut gerüstet den Blicken der Talleute begegnen. Und wie sie so schritten im schweren, würde vollen Faltenwurf ihrer Röcke, war auch kaum an sie Heranzukommen mit Neugier und Verdächtigung Diese beiden Frauen schwiegen. Sie würden immer schwei gen. Genau so tief und verächtlich wie der Tote, der sein Geheimnis mit unter die Friebhoferde nahm. Dahinter kam die Lacknerin, und ihr Gesicht war voll strenger Billigung für dieses Schweigen und Zudecken. Ving niemand einen Deut mehr an, was auf der Reit geschehen war! Das hatten die Leute auf der Reit unter 8ch ausgemacht. Jetzt Richter, schweig du — und Pfarrer, du auch! Mit dem Simon aber, der neben der schmallippigen Mutter schritt, ging auch eine leise, föhnige Ungeduld hiit, ein dringendes Kaum-noch-erwarten-Können. bis »ndlich der Tod sein volles Maß hatte und wieder das Leben an die Reihe kam. Der Bauer ist tot. Es lebe der Bauer! War das ein Unrecht, wenn man sich so Mng, starr, >o brausend fühlte wie noch nie? Wenn man -inen großen Bichel Land im Kopf hatte, Matten, Wie- sen, Almen, Herden — die ganze Reit, die man sich untertan machen wollte wie Adam das Paradies, die lunge Eva an der Seite? Freilich, heute hatte sie noch Rotgeweinte Augen, seine Eva, aber er würde ihr schon Wieder das Lachen und Glücklichsein beibringe«. Tics ptmete der Simon, schier hörbar für alle. Da streifte ihn Wähnend der spitze Ellenbogen der Mutter. Sre kannte reden Zug in seinem Gesicht, die Lacknerin, dieies herrschsücktlge Zucken um die Nasenflügel, diesen Wilden, frohen Mund, ganz hingegeben an die Lockung des Lebens. Er trug den Kopf zu hoch für einen Trauer, »ng. Das gehörte sich nicht. Aber heimlich mußte auch Vie Lacknerin lächeln, tief in sich hinein, wo die Liebe und das Verständnis saßen für diesen einzigen Sohu, der ihr Stolz war und die Krone ihres Alters. An einer Straßenbieguna, wo ein Seitenpfad hinüber stach Haus Buchenstein führte, ging es wie ein leises Verwundern durch den Zug. Stadtleute standen dort. „Herrische", ein Häuflein dicht gedrängt. Frau Gildis Glonau kannten alle Bauern, die „Fran vom Buche«, stein", der man ein gewisses Heimatrecht cingeräumt hatte. Daneben der schlanke Mann mit dem nervös zuckenden Gesicht, der hatte doch solang auf dem Neiteir- lchcn gewohnt! Der hatte mit dem Ncitensepp oft in langem Gespräch auf der HanSbank gesessen! Alle Nach, bar« wußten das. So wurde Glonau wohl am meisten angestarrt, als der Zug an ihm vorüberkam. Aber als die Bauern plötzlich den Ausdruck schmerzlicher Er- griffenheit in seinem Gesicht erkannten, da wandten sie alle wie auf einen stummen Befehl die Köpfe ab. Da sah man nicht zu, wenn ein Mann weich wurde. Glonau mußte in der Tat die Zähne zusammen« beißen. Heiß quoll eS ihm in der Kehle, aber gleich« zeltia schämte er sich dieses starken Gefühls, dellen ee ' noch fähig war. Verbergen, schweigen, zudecken! dachte auch er. Vergessen würde er nie. Die gewaltige Gestalt -es Bergbauern, die jetzt schon in seiner Erinnerung umwittert war von einem mystischen Licht, würde in manche kleine, seichte und feige Stunde seines Daseins als Mahnung treten, unerbittlich wie das Leben, starb wie der Tod. Die Lacknerin hatte Almut zweimal zugenickt, als siq an ihr vorüberschritt. Bist auch da? grüßte ihr Blick« Bist immer noch da? Gelt, es laßt -ich halt nimmey aus, unser Landl, unser schönes Landl! Und als sie neben Almut in enger Gemeinschaft Baron Goltzhammer sah, den sie wohl kannte, wie alle Bauern im Gaden, da nickte die Lacknerin zum dritten Male, schmunzeln- un- sehr zufrieden. Hast bei Hoamatl gefunden, städtisches Dirndl? Bist gut aufge hoben bei dem! Das ist einer von den Guten und Tod- getreuen. Jetzt hast ein Herz fürs Leben. Langsam schlurfte, knarrte, murmelte -er Zug beul Wal- entgegen, -er die Reit vom Tal schied. Da knackten plötzlich im Unterholz die Zweige, und Hanno sprang aus dem Busch. Dicht vor oem Sarg blieb er? stehen, seine blauen, strahlenden Augen, darin der Him mel des Berchtesgadener Landes sich spiegelte, stutzten und verdunkelten sich. Ernst und starr stand er da, bis -er Sarg auf seinem schlichten Gefährt im Schatten -eS Bergwaldes untergetaucht war. * . * ES schneite wieder einmal im Berchtesgadener Land. Der Flockenwirbel -eckte die Jahre zu, die dahin- gegangen waren über die Reit, unmerklich alles Ge schehen verwischend, Bitterkeit lösend und das Leben immer wieder frisch begrünend, jeden Frühling aufS neue. ES war Hochwtnter, den die beiden stillen Höfe auf -er Reit nnt Ruhe trugen. Freilich, im Lacknerlehen, La war eS nicht weit her mit der Ruhe. Da krähte be reits der dritte Schreihals in der buntbemalten Bauern wiege, während die beiden älteren Jahrgänge, die dieser Wiege schon entwachsen waren wie ganze Generationen vo« Bergbanern, auf dicken Beinen in der Stube herumkrochen und -kollerten, daß der Simmcr oft über seinen eigenen Nachwuchs stolperte. Dann schalt die Nies mit blitzenden Augen über den unachtsamen Vater. Sie führte ein strammes Regiment, so klein und zierlich sic auch geraten war für eine Bergbäuerin. Selbst die alte Lacknerin zog es vor, sich mit der Res auf keinen Disput einzulasse« und gut mit ihr anszukommen. Als vorbildliche Großmutter fühlte sie sich nur behag lich, wenn etwas Krabbelndes und Quäkendes an ihrem Schurzzipfel hing. Lauter Buben hat die Res ihrem Simmer geschenkt. De« Aeltesten, den Seppel, schaute die Lacknerin zu weilen nachdenklich an, ein Wiedererkennen grübelte sie aus dem kindlich weichen Gesichte! heraus. Die hohe, breite Stirn, die hatte der Simmer nicht, und auch nicht -ie Res. Der Haarschüppel darüber, nußbraun und gesträubt, wohl, wohl, der war vom Simmer! Aber nicht die Augen, die grau waren, von einem stählernen und -och leuchtenden Grau, fast silbrig wie der Spiegel -eS Königssees bet bedecktem Himmel. Diese Augen fürch- tete die Lacknerin. Die waren ihre große Sorge. Un wenn der Bub, der jähzornige Gickel, mit seinen kleinen Fäusten brcnnrot vor Wut in der Welt herumfuchtelte und nimmer acht gab, wohin er traf und was er zu schanden schlug, dann wurde die Großmutter fuchs teufelswild. Sre strafte ihn härter, als ihr selber lieb war. Aber jeder Schlag war Angst. Bua, bezähm der Blut! So streng erzog die alte Lacknerin den zukünftigen Erbhosbauern. * * * An einem glasklaren Wintertag kamen zwei Ski- läuser über die Reit, Mann und Frau, die ihr warmes Lachen in die Bergcinsämkeit mitbrachten. Sie legten die erste Spur in die abseitigen Hänge und sausten im Schn- hinab zum Lacknerlehen. Noch im Auslauf fiel die Frau. Da lachte der Mann: „Almut, du lernst es nie..." Sie traten tn die Bergbauernstnbe, wo sie mit Freudengchenl begrüßt wurden. Was Almut aus dem Rucksack kramte, wurde jubelnd in Empfang genommen, und die ReS hatte hernach die schokoladeverschmiertcn Bnbengesichter wieder sauber zu machen. Die Stube war voll Wärme und Leben. Almut sah sich glücklich um. Sie gedachte eines Sonntags im Spätsommer, als sie vor Jahren hier allein gesessen und dem verworre nen Gang ihres Schicksals nachgegrttbelt hatte. Die Res brachte Kaffee und lud ihre Gäste herzlich an den Tisch, wo die qoldgeräuderten Staatstassen der Lacknerin standen. Das krause Haar der jungen Bäuerin umrahmte ein blühendes Gesicht. „Schön bist du geworden. Res!" sagte Almut. Aber ihre Hand ruhte fest und wärm auf der verschrumpelt eis Hand der alten Lacknerin, die nicht von ihrer Seite wich« Gute Grotzmutteraugen strahlten Almut unverwandt an. Und niemand hätte diesen Augen die einstmalig- Schärfe, -aS Stechen und zornmütige Funkeln geglaubt« Erloschen so alle bösen und gehässigen Feuer der Welt?. Blieb schließlich die Liebe un- das Gutsein allein? Sq sann Almut und hörte nur mit halbem Ohr, was de« Simmer und Goltzhammer miteinander besprachen. Sitz redeten übxr den Gang der großen Welt, der heute auch, in Berabauernhöfen mit Ernst und Eifer verfolgt wird« Goltzyammer und Almut lebten nicht stän-ig mehr itt Berchtesgaden. Goltzhammer hatte eine verantwort tungsvolle Tätigkeit tn einer mitteldeutschen Stadt« Nur jeden Winter lockte ihn der tief verschneite Gaden, Da konnte er nicht anders. Er mußte komme,.. Und! auch Almut war dem weißen Rausch verfallen und de« Winterherrltchkeit im Berchtesgadener Land. . Nur das.Reitenlehen lag lautlos im blaukalten Schatten des Hochwaldes. Der Kinderjubel des Lackner« Hofes verirrte sich zuweilen im Sommer dort hinüber/ im Winter aber mußte die Reitenseppin schon tn Hein« garten kommen, wenn sie die Enkel sehen wollte. Sitz tat eS nicht allzuoft, den» in ihr war eine merkwürdig« Leidenschaft gewachsen, der Hana zur Einsamkeit. Fast! ganz allein hauste sie, nur den alten Mast, den hatte sitz sich zurückaebolt. Der mußte bet ihr bleiben und ab sterben auf dem Hof. So hatte sie doch eine Ansprache an den langen Winterabenden, wenn draußen de« .Schneesturm das Haus fast verschüttete. „Tätst das Reden verlernen, Bäuerin, ohne mil" sagte ost der Wast. Er war stolz darauf, daß ein Mensch Ihn noch brauchte. Und wie sehr ihn die Reitenseppin! nötig hatte, das wußte nur er allein. Wie er sie immea, wieder aufmecken un- zurückrufen mußte von einem gefährlichen Weg, aus ihrem Horchen un- Lauschen heraus, wie er sie beschwichtigen mußte mit einem guten Kopfschütteln, wenn sie fragte: „Hörst? Hörsj, nit?" Die Leute munkelten, sie sei nimmer ganz richtig km Kopf. Aber der Wast verstand sie besser. Er wußte, -ast -ie einsame Frau nichts mehr war als ein großes War ten, als ein Sammeln von Worten, von hundert Wor ten, tausend Worten, Millionen guten Worten, -ie sitz sich zurechtlegte und die alle einem Toten gehörten. hob ihm so viel sagen. Wast, t hob'S ja ntmme« anbringen können ..." „Er woaß ja eh scho alles!" wohlmeinte dann de« Wast. „Wenn der Mensch gstorben is, braucht er ko« Sprach nimmer. Koa Wörtl braucht er mehr. Dann redt er ganz anders, nimmer mit 'n Mund. Und Lerlusen tut er alles, was wir bloß denken in der Still." Mit dankbaren Augen schaute die Reitenseppin auß den Alten, der mit seiner schlichten Weisheit so unver zagt und kecklich hinauSschritt über die Schranken, ditz dem Menschen gezogen sind. Auf alles hatte der Wasij eine Antwort, dieser Bauernphilosoph im grau-grüne!« Janker. Ihm flossen Leben und Sterben m eins, dis Grenze verwischte sich ihm, der selber schon mit einem Fuß im Grab stand. Da erzählte ihm die Reitenseppin einmal auch voq dem seltsamen Schrei, den sie gehört hatte in den längst! versunkenen Nächten, an -er Seite -eS friedlosen Mannes. Nur flüsternd erzählte sie, un- während sitz nach Worten suchte spürte sie, wie die Erinnerung an -en Schrei sich auflöste, unwirklich wurde — ein Däm- mererleonis zwischen Traum und Wachen, bas dem Wort nicht standhielt. Beinahe schämte sie sich. Unsicher? sah sie dem Wast in die Augen. Aber der Alte nicktq nur ernst. „Laß gut sein, Bäuerin!" sagte er still. „Deck's zuü Deck'S sauber zu! Ist alles vorbei und gar nimmev wahr. Was nutzt das Grübeln und Spintisieren? Is halt a Geheimnis um Leben und Tod. Aber wir Leut?« ans der Höh gspürn allerweil mehr davo wie die Lenk, in der Stadt. Und auf die Weis' siehgst (siehst du), dn entstehen die Sagen und Spukgschichten und alles, was umgeht im Volk. Zum Grcifn is so was nitl Bäuerin, deck's zu!" Sie schwiegen beide. Um das einsame Gehöft war? nichts als das Tappen des Windes, der mit losen Dach schindeln sein Wesen trieb und Schnee brachte, endlos! viel Schnee. LüL", — Aamilienanzeigen I suchen alle im „Tageblatt" l l