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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H Y G I E N E - M U S E U M ZUR EINFÜHRUNG Freitag, den 17. November 1967, 19.30 Uhr Dirigent: Lothar Seyfarth Solist: Gerhard Berge, Dresden, Klavier Zwei Stücke für Streichorchester, zwei Oboen und zwei Jean Louis Nicode 1853-1919 Auf dem Lande (Gemütlich) Konzert für Klavier und Orchester Aram Chatschaturjan Allegro ma non troppo e maestoso geb. 1903 Andante con anima Allegro brillante PAUSE Peter Tschaikowski Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36 Jean Louis Nicode, dessen umfangreiches kompositorisches Schaffen (Lieder, Orchesterwerke, Männerchöre) fast gänzlich in Vergessenheit geraten ist, war einer der begabtesten Vertreter der von Franz Liszt begründeten neu deutschen Stilrichtung, der z. B. mit der großangelegten Symphonie-Ode „Das Meer" (1884/88) oder seinem in fünfjähriger Arbeit entstandenen monumentalen Lebens- und Bekenntniswerk, der sechssätzigen Sinfonie mit Schlußchor „Gloria" (1904), einst sensationelles Aufsehen erregte. Ein — an diesen Arbeiten gemes sen - wesentlich schlichteres Opus stellen die heute erklingenden zwei lyrischen Stücke für Streichorchester, zwei Oboen und zwei Hör ner o p. 3 2 dar, die nicht nur mit ihren charakteristischen Überschriften, son dern auch mit ihrer idyllisch-verträumten Grundhaltung an Robert Schumann er innern. Es ist eine angenehm unterhaltende, wohltönende Musik von natürlichem melodischen Fluß und warmer Empfindung bei klarer formeller Gestaltung, die uns einen liebenswürdigen Vertreter der musikalischen Romantik zeigt. fl Nicode, der übrigens ein glänzender Pianist war, kam 1878 als Hauptlehrer des Klavierspiels an das Dresdner Konservatorium. Von 1885 bis 1888 dirigierte er die von Franz Plötner gegründeten Dresdner Philharmonischen Konzerte. 1893 rief er die sogenannten Nicode-Konzerte ins Leben. Sein unermüdlicher Einsatz galt dem damals Neuen in der Musik: Liszt, Strauss, Bruckner. Obwohl er sich als außerordentlicher Dirigent bewährte, mußte er um 1900 der Konkur renz der Hofkapelle unter Schuch weichen. Er zog sich auf sein Landhaus nach Langebrück zurück, wo an der Nordwand der Friedhofsmauer sein Denkmal steht. Aram Chatschaturjan, der neben Prokofjew und Schostakowitsch zu den prominentesten Repräsentanten der sowjetischen Musik gehört, schuf mit seinem Klavierkonzert (1936), seinem Violinkonzert (1940) und seinem Cellokon zert (1946) die ersten bedeutenden Belege armenischer konzertanter Sinfonik. Er erlangte mit diesen Konzertwerken und dem Ballett „Gajaneh" Weltruhm. Das heute erklingende Konzert für Klavier und Orchester, das mit Mirka Pokornä und der Dresdner Philharmonie übrigens als Schallplatte bei Eterna vorliegt, weist die für den Stil des Komponisten typischen Züge auf: armenisches Nationalkolorit der Thematik, eine an das Timbre der nationalen Volksinstrumente Transkaukasiens erinnernde Instrumentierung, eigenartige Unterbrechungen in der rhythmischen Struktur und eine neuartige Verbindung von klassischen und romantischen Elementen. Die klassische dreisätzige Konzert form wurde beibehalten, jedoch erweitert durch einen dominierenden Klavied part voll pianistischen Glanzes, demgegenüber das Orchester nur als farbige? Hintergrund wirkt. Einen „verwegenen Klavierritt durch das wilde Kurdistan" hat einmal ein Kritiker das Werk nicht unzutreffend genannt. Hörner op. 32 Ein Märchen (Im erzählenden Tone; mäßig bewegt) 1840-1893 Andante sostenuto — Moderato con anima Andantino in modo di canzone Scherzo (Pizzicato ostinato — Allegro) Finale (Allegro con fuoco) PROF. GERHARD BERGE, 1926 in Leipzig geboren, studierte an der Musikhoch schule seiner Heimatstadt, u. a. bei Rudolf Fischer. Nach Dozententätigkeit an der Leipziger und Hallenser Musikhochschule lehrt er seit 1955 an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber" in Dresden, seit 1961 als Leiter der Abteilung Klavier. Seine solistische Laufbahn begann 1948. Seitdem unternahm er zahlreiche Konzertreisen ins In- und Ausland (u. a. nach Polen, Belgien, Bulgarien, in die Sowjetunion, ÖSSR, nach Ungarn und — erst in jüngster Zeit — nach Finnland). Gerhard Berge ist auch Leiter des „Dresdner Trios", das wiederholt in der „Stunde der Musik" konzertierte. Der Künstler machte sich insbesondere als Interpret zeitgenössischer Klaviermusik einen Namen. 1960 wurde er zum Sekretär des nationalen Chopin-Komitees der DDR berufen. In Sonatenform steht der von großen dramatischen Spannungen erfüllte erste Satz (Allegro ma non troppo e maestoso). Nach einer knappen pathetischen Orchestereinleitung bringt das Soloinstrument das männlich-kraftvolle, tänze rische erste Thema, während dann die Oboe den zweiten liedhaften Gedanken ins Spiel bringt. Die tänzerische Intensität des Hauptthemas kommt vor allem in der Durchführung zur Geltung. Tokkatenhafte Elemente prägen den Klavierpart, der besonders in einer virtuosen Kadenz gipfelt. Ein lyrisch-poetisches, romanzenartiges Musikstück ist der Mittelsatz (Andante con anima), der nach dem Vorbild alter armenischer Volksballaden zarte Land schaftsbilder und leidenschaftliche Gefühle Liebender widerspiegelt.