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von hohem Rang zu Paraphrasen angeregt; Schumann und Brahms, Liszt und Rachmaninow (dieser in der Rhapsodie für Klavier und Orchester) haben sich auf sehr eigenwillige Weise mit dem Problem der virtuosen Variation oder der vari ierten Virtuosität auseinandergesetzt, bis dann Blacher Paganinis Thema noch mals aufgriff, um daraus Orchesteretüden von geistreicher Kurzweiligkeit (die sechzehn Varianten nehmen zeitlich ebenso viele Minuten in Anspruch) zu gestal ten. Die Solovioline trägt das Thema vor, die erste Variation wird völlig vom Wechselspiel der Holzbläser beherrscht; in der zweiten führt die Oboe, in der dritten greifen die Streicher bestimmend ein, die vierte zeigt das Cello am Thema während die fünfte die Klarinette hervortreten läßt. Das Klangbild der sechsten Variation wird durch die Hörner bestimmt, dann ergeht sich die Soloflöte in ver wegenen Caprioien; der launisch kapriziöse Charakter zeigt sich auch im vir tuosen Laufwettspiel zwischen den Bläser- und Streichergruppen der siebenten Variation, während die achte von dem reizvollen Wechsel zwischen 5 /g- und 7 /g-Takt bestimmt wird. In der neunten Variation tritt das Thema übereinander" geschichtet in Viertel-, Achtel- und Sechzehntelwerten gleichzeitig auf, die zehnte Variation ist als einzige in einem beruhigten Tempo (Andante) gehalten, die Flöte, dann die drei Klarinetten umspielen das Kopfmotiv über den Pizzikato- gängen der Kontrabässe. Die elfte Variation bringt leise kichernde Bläser, dazu gezupfte Streicherakkordik, von der Höhe zur Tiefe wandernd. Energische Strei cherpassagen in der zwölften Variation reißen das übrige Orchester mit sich, in der dreizehnten wiederum haben die Bläser die Herrschaft errungen, die vier zehnte Variation lebt wieder von der Triebkraft der Streicherpassagen, die fünfzehnte vom ständigen Taktwechsel und den Synkopisierungen in Hörnern und Holzbläsern, die sechzehnte beschließt effektvoll mit einem Prestissimowirbel des ganzen Orchesters. Auf die glanzvolle Orchestrierung und die straffe formale Disziplinierung des virtuosen Werkes sei noch hingewiesen" (H. Heyer). Wolfgang Amadeus Mozart hat mit seinen Klavierkonzerten, die zu nächst für den eigenen Gebrauch komponiert wurden, einen außerordentlich bedeutenden Beitrag zur virtuosen Klavierliteratur geleistet. Meist sind diese Werke dem Unterhaltungsideal der aristokratischen Gesellschaft der Mozartzeit verpflichtet. Die Reihe der heiter strahlenden, überwiegend in Dur-Tonalität stehenden Werke hat der Salzburger Meister jedoch zweimal mit Konzerten in einer Moll-Tonart unterbrochen, mit dem heute gespielten Konzert d-Moll KV 4 6 6 aus dem Jahre 1785, das übrigens Beethoven sehr schätzte, und spätes mit dem c-Moll-Konzert KV 491. In beiden Schöpfungen erscheint uns Mozart als Künstler einer neuen Epoche. Die Konvention der feudal-aristokratischen Gesell schaftskunst wird durchbrochen, ja zurückgewiesen. Ein neues Ideal — der Mensch als Individuum — spricht aus dieser Musik. Neue Empfindungen, die auf Beethoven und auf die Zeit der Romantik hinweisen, werden ausgedrückt. Das d-Moll-Konzert KV 466, das der Komponist in einem Subskriptionskonzert am 11. Februar 1785 uraufführte, versetzt uns im ersten Satz (Allegro) in eine tragisch-schwermütige Stimmung. Mit drohend aufsteigenden Bässen und unruhi gen Synkopen reckt sich das Hauptthema auf, das im Tutti schmerzlich aufbe gehrt. Im Kontrast hierzu bringt das kantable zweite Thema eine gewisse Auf hellung. Das Soloinstrument setzt sodann mit einem dritten Thema ein, das namentlich in der Bläserfortsetzung zu einer Entspannung führt. Doch bald gewinnt die tragische Stimmung des Beginns wieder Oberhand und bleibt auch in der Durchführung vorherrschend. Die Auseinandersetzung zwischen dem Soli sten und dem Orchester verläuft sehr dramatisch. Der innige zweite Satz, eine Romanze, wird durch einen düsteren Mittelteil unterbrochen. Tragisch, hintergrün dig wie der erste Satz beginnt das Rondo-Finale (Allegro assai), dessen erregte Stimmung schließlich einen hellen, versöhnlichen Ausklang findet, dem das zweite Thema des Satzes (in F-, dann in D-Dur) zugrunde liegt. Johannes Brahms' Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73, im Jahre 1877 komponiert, entstammt einer glücklichen Lebensperiode des Meisters, deren ruhige Heiterkeit sich in den meisten der in dieser Zeit vollendeten Werke wider spiegelt. So ist auch die Grundstimmung der D-Dur-Sinfonie durch Lebensbe jahung, Lebensfreude und innere Gelöstheit gekennzeichnet. Das Werk, das oft als die „Pastorale“ des Komponisten bezeichnet wurde, steht in starkem Gegen satz zu der vorangegangenen, leidenschaftlich-kämpferischen c-Moll-Sinfonie und verhält sich zu ihr vergleichsweise etwa wie Beethovens „Sechste" zu seiner „Fünften“ oder Dvoraks achte zur siebenten Sinfonie. Landschaftliche Eindrücke, Naturstimmungen sollen auch bei der Entstehung dieser Brahms-Sinfonie eine wesentliche Rolle gespielt haben. „Das ist ja lauter blauer Himmel, Quellenrie seln, Sonnenschein und kühler, grüner Schatten. Am Wörther See muß es doch schön sein", äußerte der dem Komponisten befreundete Chirurg Theodor Billroth zu der in wenigen sonnenerfüllten Sommermonaten in Pörtschach am See in den Kärnter Bergen geschriebenen Komposition, die in ihrer pastoralen Lieblichkeit dem ein Jahr später dort entstandenen Violinkonzert nahe verwandt ist. „Eine glückliche, wonnige Stimmung geht durch das Ganze, und alles trägt so den Stempel der Vollendung und des mühelosen Ausströmens abgeklärter Gedanken und warmer Empfindungen." Doch entbehrt das sehr einheitliche und geschlos sene, an herrlichen Einfällen überreiche Werk trotz seiner lichten und freudigen, lyrischen Grundhaltung keineswegs kraftvoller, ja zum Teil auch tragischer Töne. Am 30. Dezember 1877 fand die Uraufführung der Sinfonie (die Brahms übrigens in einem Brief an seinen Verleger Fritz Simrock humorvoll „das neue liebliche Ungeheuer" nannte) durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Hans Richter statt; Clara Schumanns Voraussage „Mit dieser Sinfonie wird er auch beim Publikum durchschlagenderen Erfolg haben als mit der ersten" sollte sich dabei nachhaltig bestätigen. Eine meisterhafte variationsmäßige Durchdringung und Bindung der einzelnen gegensätzlichen Themen, aus der eine ungemein starke Einheitlichkeit der Stim mung erwächst, charakterisiert gleich den ersten Satz (Allegro non troppo). Ent scheidend für den Aufbau des gesamten Werkes ist das aus drei Tönen (d — cis — d) bestehende Anfangsmotiv, das in Violoncelli und Kontrabässen quasi wie ein Motto dem in den Hörnern einsetzenden Hauptthema vorausge schickt wird und als Grundmotiv in zahlreichen Varianten und Ableitungen die Sinfonie durchzieht. In Hörnern und Holzbläsern erklingt das Hauptthema des Satzes wie ein Frage- und Antwortspiel; geheimnisvolle Klänge der Posaunen und der Baßtuba folgen. Nach diesem wie eine selbständige Einleitung anmuten den Beginn tragen die Violinen eine weitgeschwungene, bereits abgeleitete Weise vor. Es verbreitet sich eine ausgelassene Fröhlichkeit, die jedoch durch das dunkel gefärbte, von den Violoncelli angestimmte zweite Thema wieder gedämpft wird. In der poesievollen Durchführung des Satzes, die durchaus große