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ZfGopauer Gonntassvla« «eilase zum ZfGopauer Tageblatt und Anzeiger Nr. 30 Sonnabend, den 13. August 19N (12. Fortsetzung.) daß die Goldqnasten auf gen, altertümlichen Ohr, >e, - aiiveltto».» <or«>. s urn . > >,>«v vr», stllimnte. Almut trat mit der Lacknerin in den kühlen Flur, nnd plötzlich fiel ihr schwer aufs Herz, daß es nun ein Abschiednehmen galt. Gildis würde die Weigerung, zu ihr zu ziehen, jetzt nicht mehr verstehen und verzechen. Almut hatte gern tm Lacknerlehen gewohnt. Der alte Hof fügte sich so ganz in -aS Wesen der Landschaft, er schien mit dem Felsen verwachsen, der ihn trug. Da, gegen wirkte das moderene Landhaus auf dem Buchen- stein als Fremdkörper, so schön und edel eö auch als Bauwerk war. Die Lacknerin hantierte indes am Schloß der Haustür herum, cS tat einen leichten Knack- unter ihre» knochi- ßen Hdndemund die^tü, war offen. Triumphierend blickte,-ie Alt« auf Almut, dir ihr nachdenklich zuge« lebe« batte. -FH habe gar keinen Rechtsanspruch auf das Geld.- Aber ein Recht des Herzens, Almut! Dieses Recht habe ich bisher viel zu wenig beachtet. Ich habe nicht schwesterlich an dir gehandelt, mich nie um dich geküm, inert. Du hättest verhungern körnen, ich hätte es nicht gewußt." Aus dem Fenster kam kein Laut. GildiS horchte ge spannt. Dann stand sie auf, das schmale Fenster war leer. Aber deutlich nahm sie Almnts erregte Atemzüge wahr, die aus der dämmerigen Stube drangen. „Almut, sei doch vernünftig! Mach es mir nicht so schwer I" „Hat Walter dich zu diesem Geschenk — denn ein Geschenk ist es und bleibt es — veranlaßt?" Ganz aus dem Hintergrund der Stube kam dis Stimme. Gildis zögerte einen Augenblick. Die Ant wort mußte diplomatisch sein. „Walter wünscht wie ich, daß eS dir gut geht. Du sollst eine Zeit des Ansspanuens haben und dann in Ruhe überlegen, was du zu tun gedenkst." „Aber euer Kind? Hanno wird dadurch benachteiligt." „Für Hanno bleibt mehr als genug. Die klein« Summe berührt sein Erbe nicht. Das fälkt unter mern« persönlichen Ausgaben." Kleine Summe! Almut blickte in den Lichtwtrbel, der durch- Fenster auf Le» Boden fiel. TausmL SonNen- päuvchen kanzken L Kleine Summe! Ein ,Besatz den Almut noch nie besessen halte, seit -er plötzliche Totz ihres BaterS ste unerwartet früh ins Leven stieß, eh« ör für ihre Zukunft sorgen konnte! Gil-iS mußte noch Reicher sein als ste ahnte. Der Lichtwirbel erlosch plötzlich. GildiS war dicht an das Fenster getreten und hatte den Hinnnel verdunkelt« „Almut, Lie Sache ist abgemacht! Ich werde LaS Geld durch meine Bank an dich Überweisen lasten. Und setzt genug davon. Du sollst mir auch nicht danken! Wir wollen uns gegenseitig Liese Formeln ersparen." „Gildis . . ? „Ich bin noch nicht zu Ende, Kleines! Wenn Ln aus deiner Mausefalle wieder herauskannst, dann packst -u gefälligst deine Siebenfachen und ziehst hinüber nach Buchenstein. Deine Bedenken teile ich nicht mehr. Wir werden alle sehr vergnügt miteinander Hausen. Hanno fragt ohnehin schon jede« Tag nach der schönen Tante, die so selten kommt und so kurze Besuche macht." Mit voller Wucht brach der Lichtwirbel wieder in die Stube. Almut hörte leichte Schritte, die sich entfernten, Und stürzte ans Fenster. „Gildis, einen Augenblick . . ." Aber Gildis winkte nur lachend zurück. Ihr Gesicht war ein einziger Nebermut. Und Almut begriff plötz- jich, welche Lust es dieser Frau bedeutete, sich so m Güte ßu verschwenden. „Gildis ist glücklich - und Glück macht gut -" Die Lacknerin machte große Augen, als sie am Spät- » nachmittag nach Haufe kam und ihren Sommergast ge fangen fand. Dann lachte sie, daß die Goldquasten auf ihrem Staatshut mit den angen, altertümlichen Ohr, gehangen um die Wette zitterten. „Wia Ma nur so dumm sei kol" sagte die Lacknerin, mehr ehrlich als höflich. „Wärst halt hinten anssi ganga, Dirndl dalkets ldummes), d' Stalltttr ts rh offen, iS bloß von innen der Riegel vür." Almut mußte über sich selber lachen. Aber der stille Sonntag gereute sie nicht. Sie war in der grünen Dämmerung der Stube gesessen, noch ganz benommen von der plötzlichen Veränderung ihres Lebens, di« Gildis bewirkt hatte. Eine Welle der Freude und Er- leichterung war in ihr aufgebrochen, die ste förmlich überflutete. Sie ließ die Lacknerin durch die Stalltttr ein und ging mit ihr durch den sauberen Stall, wo das Vieh hinter den Futtertrögen in der Streu lag und die Köpfe nach ihnen wandte. Schwerfällig erhob sich das eine und andere Stück, rahmweitz und goldbraun fchim- weiten ihre warmen- Rücken und Nacken. Aber der Großteil dcS Jungviehs war im Freien nnd weidete aut dem Gemeindearund, man hörte von ferne sein „Gei ster, daß d' was lernst!" rommanoierie o:e Lacknerin. „So muaßt'S macha!" Aber Almut seufzte nur und gab sich innerlich einen Ruck. „Lacknerin, ich muh fort. Diesmal endgültig. Ich ziehe hinüber nach Buchenstein — zu meiner Schwester? „Zu wem?" - „Frau GtldiS Glonau ist meine Schwester." - .Was nit gar? Und dös sagst mir erst heunt?" Die Lacknerin bekam wieder ihre neugierig funkeln- Len Augen. Ihre spitze Nase schnupperte förmlich nach Len Geheimnissen, die um Almut Gerdes wäre«. Hatte ste nicht von Anfang an vermutet, daß es eine besondere Bewandtnis habe mit diesem Gast, der so flüchtig in Las Lacknerlehen geweht war und so merkwürdig lange blieb? Es war ein sehr durchdringender Blick aus grau, grünen igauernaugen, -er Almut streifte. Die Ver mutungen -er Lacknerin kamen der Wahrheit ziemlich nahe. „SeidS jetzt wieder guat mttnanL? DöS iS recht! Ge- Fchwistert müasten zsammhalten." Almuts Erröten bewies der Lacknerin, daß ste Len Pagel auf den Kopf getroffen habe. Sie. nickte ernsthaft mnd stieg.in ihre Kammer hinMf, Las SönntagSgewantz sabzmegrn. Aber ste hatte kau m dewHut von Len ylech- Ken genommen, aiS sie Almuts Aufschrei im Flur unten Hörte. Dann war da noch ein Poltern und Tapven von -Tritten, Lie nicht mehr ganz sicher zu sein schienen, Dumpf krachte die Kucheltür ins Schloß und dahinter mar die gedämpfte Stimme des Simon. Die Lacknerin ffchoß wie ein Pfeil aus der Kammer die Stiege hin, mnter, sie verfehlte die letzte Stufe und strauchelte, - tzwang aber Lie versagenden Beine wieder zurecht. Mitten in der halbdunklen Kuchel stand der Simon, breitbeinig, aber nicht ganz fest in den Knien. Er hatte ein Handtuch vom Nagel gerissen und band es unbe, Dolfen um den blutenden linken Unterarm. Sein Ge sicht glühte. Quer über die Wange lief eine Schramme, sein Hemd war zerrissen und stand offen. Almut staunte ihn ratlos an, er war so voll Wildheit und Ungeduld, fluchend hielt er mit den Zähnen das Handtuch fest nnd zerrte daran, um einen Halbwegs anständigen Knoten fertig zu bringen. Als er die Lacknerin gewahrte, färbte sich sein Gesicht noch dunkler. „Staad bist!" schrie er, obwohl die Lacknerin den Mund noch nicht aufgetan hatte. „Dci Maul hältst! Du List schuld! Zweng lwegen) deiner kimm t ins.Gred Wit der Res! Weil i's nit heiraten ko ..." „Zimmer, was is denn? Habt's denn öS grafft?" ((gerauft). „Nst z'weni! Glaabst, 1 laß mt met Dirndl ver- schimpfieren von jedem dreckigen Lumpen? Glacht Hains und gspöttelt — gsagt Hains, die Nes .. ." „Und du hast di hing'stellt vor alle Leut und hast dös Dirndl in Schutz guummal" l „Nix anders!" „Simmer, schäumst di denn gar nit? Bist denn von alle guaten Geister verlassen? No vor zwoa Monat hätt'st ausgspuckt hinter dem Dirndl — und heunt —" Die Lacknerin verstummte jäh. Der Simon war weiß Ltm die Lippen geworden. Das Handtuch nm seinen Unterarm war schon völlig durchtränkt von seinem heißen, jungen Lebenssaft, durch seine Finger tropfte es rot. Er stiel, ...it dem Fuß einen Ho-ler zurecht und fetzte sich bleich nnd verbissen. Da griff Almut hastig ein. „Lacknerin, schnell! Er verliert zu viel Blut. Bring Leiuenzeug! Wir müssen die Wunde abbinden." Jammernd lies die Lacknerin. Almut untersuchte den verletzten Arm, den ihr der Simon widerwillig über- ließ. Er mußte' ein splitterndes Bierglas mitten im Smwuug aufgefangen haben. Das pulsende Blut schoß in kurzen Stößen ans der Schnittwunde. Almut, die in ihrem Sportverein einen Kursus für erste Hilfe bei Unfällen mitgemacht hatte, hieß ihn den Arm Hochhalten Und zerriß das Leinen, das die Lacknerin brachte, in »ange Streifen. Dann verband sie den Simon sach- Semäß und achtete nicht auf sein unwirsches Brummen, womit er ihre Mühe lohnte. Verstohlen betrachtete sie »hn von der Seite und mußte lächeln. Wie er schnaubte von Unbehagen, weil er Hilfe brauchte! Wie er sich hinter Groll und Trotz verschanzte, obwohl ihm nicht V"nz geheuer sein mochte! Die Lacknerin lief hinaus in den Wurzgarten, wo Hauswurz wuchs zwischen Arnika und Minze. Aber per Simon hatte genug von der Quacksalberei. Er schnitt -alle Ratschläge ab, schmiß Len Hocker mit einem Fuß tritt in Lie Ecke und verUeß die Kuchel. . Almut und die Lacknerin schauten sich an. noch ganz benommen von Lem Unwetter, LaS über' sie hinweg- gebraust mar, jung und wild und heißblütig. Sie Hör- Ken -i« Sckmtte des Simon tm oberen Stock, die ac- l Wölbte Decke dröhnte davon. Dann würde es still, öS f hatte sich aufs Bett geworfen. Almut schüttelte den! I Kopf und lachte. So em Unband! Der kleine Aderlaß hatte ihm nicht geschadet. Aber sie riet der Lacknerin, spater noch einmal nach ihm zu sehen. Mittlerweile war die Dirn heimgekommen, noch ganz aufgeregt, das Flaumhtttl schief auf den verrutschte« Zöpfen. Atemlos begann sie zu erzählen. Beim Grenz- uurt sei es wild aufgegangen. „Der Stupfcnlenz hat gsagt — d' Neitenres, hat er g!agt — 's koan Schuß Pulver wert —" Die Lacknerin lauschte, die Arme in die Hüften ge stimmt. Ihre Augen glitzerten. Die Oberlippe hoch- gezogen, daß ihr gelbes, lückenhaftes Gebiß freilag, laS sie der Dirn das Wort vorn Mund. „Da is der Simmer aufgspruuga von der Bank. Wos? hat der Simmer gsagt. Wvs hast gsagt? Und nachat ham's nimmer viel gredt, sondern glei zuaghant." Es mußte ein Ehrenhandel gewesen sein, der kurz und bündig auSgetragcn morden war. Almut erlebte aus der anschaulichen Schilderung der Dirn das Er eignis mit. Die Dirn glänzte über das runde, rote Gestcht. Sie war eitel Bewundernng für den Simon. Und als Unterströmung ihrer Worte war der Neid zu spürem Neitz anW die Reitenreö, um derentwillen ein Bursch wie der Simmer alles kurz und klein geschlagen hatte. Die Lacknerin war ganz still geworden. Es ließ sich nicht mehr ändern: öffentlich hatte sich der Simmer zur Neitenres bekannt. Sie waren schon in aller Mund. Tie Schänd! Die Schänd! Die Alte saß neben dem Herdfeuer, das die schwatzende Dirn angekentct hatte, um den Trank fürs Vieh zu Litzen. Der Feuerschein lag auf ihrem welken Gesicht und erfüllte wde Falte mit zuckendem Leben. Almut wandte den Blick nicht ab. Das war bildhafte Wirklich keit, unerhört ausdrucksvoll in dem Widerstreit von Zorn und Kummer. Aber noch immer stand nichts von Milde und Nachgeben darin. Almut wagte einen letzten Vorstoß, um dem Simon und der Res zu helfen. „Lacknerin, was hast du nur gegen die Reö? WaS, hat dir das arme Mädel getan?" Die Lacknerin schüttelte die Fragen ab wie einen lästigen Mückenschwarm. Sie sah durch Almut hindurch, als wäre sie Luft. Ein Vorhang kalter Verschlossenheit sank ihr über Stirn und Brauen. Und plötzlich wußte Almut, daß sie eben doch eine Fremde war und bleiben würde, die das Letzte und Verborgenste nicht erfuhr. Sie lehnte still im Fensterrahmen ihrer Kammer, nachdem sie langsam und nachdenklich ihre Koffer ge- packt hatte Morge'- würd^ ff- hinttberziehen nach Bnchenstein. Das Kapitel Lacknerlehen war zu Ende. Draußen lag die Überreife Sommernacht und trug die erste Ahnung des Herbstes in der duftschweren Luft. Zuweilen klatschte unter den Obstbäumen eine Frucht ins Gras. Stumm standen die Berge, ste waren nicht dunkel, sondern silbergrau, weil sie schon das Licht des steigenden Mondes empfingen, den noch ein Waldrücken verbarg. Almut blickte lange in die feierlichen Fels gesichter und wurde nicht klug aus ihnen. Die Berge waren wie die Menschen dieses Landes. Im Letzten und Verborgensten verrieten sie sich nicht. Das Reitenlehen versank immer tiefer in sein ver wunschenes Schweigen. Eine Stille herrschte auf dem Hof, die kein Friede war, sondern eine herzklopfenbe Unruhe, die sich dem ganzen' Haus mitteilte. Kopf- Längerisch schlich die Nes umher, und wagte sich nur selten vor die Tür, nachdem ste sich vorher vergewissert hatte, daß niemand um die Wege war. Unter ihren Augen lagen Schatten, ihre Züge wurden schärfer und älter. Schweigend sah der Reitensepp mit an, wie sein Kind verblich. Sie hausten nebeneinander und hatten doch keine Gemeinschaft. Jeder lebte für sich wie hinter einer W*and aus Glas, einsiedlerisch und menschenscheu. Das Grummet gilbte in der Sonne, der Reitensepp küm merte sich nicht darum. Er kannte nur noch seine wilde Arbeit droben am Hang. Aus einem Bauern war ein Waldläufer geworden, ein unsteter Bergschreck mit flackernden Augen, dem die WeibSleute aus dem Wege gingen. Merkwürdig waren die Nächte tm Reitenlehen. Da hörte die Res noch spät die Türen gehen, drunten, wo Ler Vater hauste. Auch vor dem Haus hört« ste seine Schritte, sein bloßfüßigeS Tappen die Mauern entlang, sie spürte es mehr, als sic eö mit den Ohren vernahm. Er war unruhig wie der Hund, -er wittern- hinter ihm Lerschnob. Trotz dieser Wachsamkeit des Vaters wurde Lie ReS ihre Angst nicht loö. Angst vor Lem fast men schenleeren HauS und der lauernden Dunkelheit vor den Fenstern. Erst spät schlief sie ein. Manchmal glaubt« sie tief im Schlaf den schemenhaften Schrei zu hörest, emvortauchenL aus den Ticken ihrer Träum«.