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Sonnabend, den 25. Juni 1938 Nr. 25 , t/^5LLEcLLLML-Lt-!SLü * * Almut GrrdeS Übernachtete im FuntenseehauS. Der kleine Bergsee schimmerte matt in der fablhellen Som mernacht. Dräuend und dunkel lagen die Berge, baS hingestreckte „Tote Weib" mit der Fülle versteinerten Haares. Das Tosen der Teufelsmühle drang herüber Lis zum Berghaus, wo die lehten Lichter erloschen waren. An Schlaf war nicht zu denken bei dem Föhnsturm, der sich plötzlich ausgemacht hatte und einen Wettersturz ankündigte. Almut lag wach in ihrer engen Kammer, föhnklare Sterne blitzten unruhig durch das offene Fenster, der Wind rüttelte an den Läden, in den Holz-, wänden knisterte noch die Hitze des Tages. Das Bett knackte bei eder Bewegung, die Decke war rauh und stach, wenn hr nackter Arm darüberglitt. Almuts Herz schlug rasch und beklommen. Niemand hat sie über die, seltsame Macht deö Föhns aufgeklärt, so wußte sie nicht, was ihr das Atmen erschwerte. Ihr Gesicht brannte wie Feuer. Sie hatte es vor dem Schlafengehen noch in eiskaltem Gebirgswasser gebadet, und das gab der vom Sonnenbrand geschädigten Haut den Nest. Ihre Lippe» spannten und näßten bereits. Erbarmungslos war die Sonne gewesen. Der Baron hatte ihr mehrmals Hautöl angeboten, als sie in der sengenden Glut durch den Felskessel der „Sattgasse" auf« wärtsgestiegen waren. Aber Almut hatte abgelehn* „Sie werden es bereuen!" hatte er gewarnt. Gut, Mochte er wieder einmal recht behalten. Almut schob die Arme unter den Hinkerkopf, um sie aus dem Bereich der stichelhaarigen Decke zu bringen. Sie gähnte, aber ohne eigentliche Müdigkeit. Heiß und stickig war die Luft. Es war nicht so einfach, das mit den Bergen! Eie machten einem nichts leicht. Ihre Art, mit den Menschen umzuaehen, war immer von oben herab. Genau so war der Baron. Wie der Berg, gelassen und hochmütig. Immer Schnee aus der Stirn und Kälte in den Augen! Almut vergrub das Gesicht in den Kissen. Da hatte man sich nuntaaelaua auf diese Wanderung gefreut, und was Sie'sprach in jenen abgehackten Sähen, die er so gut au ihr kannte. Davon traf jeder .einzeln? wie ein Peit- schenhieb, „Ich will nicht, daß er wie sein Vater wird!" schloß sie mtt gesenkten Augen, als hinderte sie eine letzte Scham, die Wirkung ihrer Worte zu beobachten. Glonaus Gesicht verzerrte sich. Der schmerzende Muskel in seiner Brust stellte plötzlich das Schlagwerk ein und zog sich zusammen in einem furchtbaren Krampf, den er noch nte verspürt hatte. Er mußte die Lippen zu« sammenpressen, um nicht laut zu stöhnen. Das ist der Tod! dachte er. Das kann nur der Tod sein. Frau GildiS wandte ihm zögernd die Augen zu und. .erschrak. „Bist du krank?" Er saß regungslos, den Oberkörper vornübergeneigt, Lis der Krampf sich löste. Dann erhob er sich mit einem tiefen Atemzug. Er wußte, daß er soeben an einer dunklen Schwelle gestanden hatte? aber was von diesen furchtbaren Minuten zurückgeblieben war, bas war die große Freiheit und unbedingte Furchtlosigkeit, die Nicht beachtung eines Lebens, das jeden Augenblick von ihm genommen werden konnte. „Bist du krank?" wiederholte sie leise. „Nein, Gildisl Ich habe mich nie wohler gefühlt als jetzt, da ich dir endlich sagen kann, daß ich deine Hilfe nicht mehr brauche. Behalte dein Geld! Du sollst dich nicht darum kümmern, ob ich kaputt gehe oder nicht. Nur weinen Jungen — den kannst du mir nicht abkausen.. „Walter!" „Aber das eine prophezei ich dir: später einmal, wenn der Junge groß geworden ist, wenn er ein Mann sein wird und ich dann noch leben sollte — dann kommt er Sir mir! Verlaß dich darauf, der findet zu mir! Hanno vergißt seinen Vater nicht. Teis Kerlchen ist treu." Glouau konnte nicht weitersprechen. Er wandte sich ab und ging wie ein Blinder zur Tür. Unfähig, ein Glied zu rühren, blickte GildiS ihm nach Sie sah seine Schultern gesenkt, wie unter einer allzu schweren Last. Sie sah den schmalen Hinterkopf, Über den ihre Hand einst in verstohlener Zärtlichkeit geglitten war. Und plötzlich stieg ihr ein brennender Schmerz in die Kehle. Als er schon längst gegangen war, saß sie immer noch ganz still und atmete kaum. Erst als daS Mädchen rin« trat, hob sie unwillig den Kopf. „Gnädige Frau, der Wagen ..." „Wir fahren nicht — es ist zu spät..." .. Zu spät! Frau GildiS nickte vor sich hin. Sie hatte das dumpfe Gefühl eines Versäumnisses, baS nicht wie der gntzumachen war. Mit steifen Knien stand sie auf uud trat aus Fenster. Da sah sie tief im Talgrund Glonau in den Wald verschwinden. Ihre harten Lippen begannen zu zucken, 6. Fortsetzung. Der Spott mißlang ihm. Er fühlte wieder den Druck, den ihre Persönlichkeit immer auf ihn ausgeübt hatte. Dieser Druck hing irgendwie immer mit Geld und Ge schäft zusammen. Es war ihm nie gelungen, diese Frau rein als Weib zu betrachten, immer stand eine kühle, gl hernde Macht hinter ihr, die Macht des Geldes. Da vor war er gekrochen. Das hatte er angebetet. Er wurde guch jetzt wieder klein und geduckt. „ Sie verließen Hannos Zimmer und stiegen die Halle hinunter, beide schmal und schlank, ebenbürtig im Wuchs« Hanno war auf den obersten Treppenabsatz nachge- fchlichen. Angstvolle Gedanken jagten sich in seinem Kopf: Er wird fortgehen und nie wiederkommen. Ich sehe ihn nie wieder. Es ist auS. Hellauf schrie der Junge. Und als sich die Eltern er schrocken nach ihm nmwaudten,hob er flehend die Hauder ^Jch hab ihn doch lieb, Mutter! Vergiß das nicht! Ich Hab ihn doch lieb!" Die Knabenstimme überschlug sich. Frau GildiS wurde noch bleicher, einen Augenblick löste sich ihr starres Ge sicht. Aber dann ging sic weiter, von Glonau gefolgt. Sie saßen sich im Eckzimmer gegenüber, in dem kühlen Naum, der ganz dem Wesen der Frau des Hauses ent sprach. Hier hatte Gildis große, breite Fenster einstigen lassen, so daß die Wände fast nur aus Glas bestanden« Die landesüblichen kleinen Fenster waren der Ham- vuraerin ein Greuel. Durch die von ihr gewünschten Mächtigen Fensterausschnitte rückten von allen Seiten Berge, nichts als Berge in das Blickfeld und täuschten Riesengemälde vor. Glonau betrachtete Gildis, und plötzlich begriff er den Stil dieser Frau. Er hatte bisher an Frauen stets Farbe und Temperament bewundert, die augenfälligen Reize hatten ihn angezogen. Nach dem Leuchtenden hatte ey gegriffen wie ein naiver Primaner. Mit etnemmal ver stand er Gildis. Ihr Stil lag im Unauffälligen, iv einer Vornehmheit, die unnachahmlich war. Sie trug um den schmalen Halsausschnitt einen unscheinbaren Hand« ürbeitskragcn, der dennoch eine kleine Kostbarkeit war« Darauf ruhte ihr gesenktes Kinn. Ihr blasser Mund schwieg sich hartnäckig aus, zum ersteumal blickte Glonau Mit Spannung und Anteilnahme auf diese Lippen. Seine Augen wanderten mit scheuer Neugier ihre Gestalt ent lang. Schmalhüftig sgß sie vor ihm, die Knie etwas an- gezogen, eine gotische Heilige, die sich gegen eine Ver suchung rüstet. Unvermittelt begann sie zu sprechen, vermied aber seinen Blick. „Es ist unnötig, daß du nach Worten suchst, Walter. Ich weiß alles." „Was willst du wissen?" i > -Ich habe mich erkundigt — im Betrieb angerufen — Direktor Altfeld war am Telephon ..." t „Wer? Altfelb?" Glonau war aufgesprungen. In wilden Stößen arbeitete sein Herz. Sie hatte Altfeld angerufen, den gefürchteten Altfeld, seinen zähen Widersacher! „DaS — das steht dir ähnlich ..Er trocknete sich dis Stirn. Gildis nickte leichtbin. Er konnte nicht anders, bei nahe bewunderte er sie. Den Stier bei den Hörnern zu fassen, das verstand diese Frau. Generationen ge wiegter Kaufleute läge» ihr im Blut. „Ja," sagte sie und betrachtete ihre Fingernägel, „ich habe mir gleich gedacht, daß du in einer Klemme steckst. Woher sonst die plötzliche Anteilnahme an meiner Per son? Altfeld hat meine Vermutung bestätigt. Ich hörts sofort an seiner fetten Stimme, daß etwas los war. Wenn er so ölig wird, gibt's immer Unangenehmes." „Altfeld nnd Härtle und alle ..." Glonau mußte sich setzen. Sie wußten alle, daS Urteil über ihn war gesprochen. Man hatte es nicht einmal der Mühe wert gefunden, ihm einige Zeilen zn schrei ben. Geistesabwesend sah er zu, wie eine schmale Frauenhand nach der Zigaretteudose tastete. Er schreckte -uf und bot gedankenlos Feuer. „Es ist eine böse Geschichte," sagte Gildis, ohne den Tonfall zn ändern. „Aber ich habe Altfcld gesagt, daß ich alles in Ordnung bringen werde. Daraufhin ist er furchtbar höflich geworden und hat mir Grüße an dich imfgetragen." Glonau starrte sie an. DaS Zündholz brannte und verkohlte zwischen seinen Fingern. Er fühlte den Schmerz kaum. „Danke!" sagte er endlich und wußte nicht, bedankte »r sich für die Grüße oder die vom Himmel gefallene Hilfe. Dann Überkam ihn schlagartig eine unsägliche Er leichterung und eine tiefe Dankbarkeit. „Gildis ..." stammelte er heiser. Aber er stockte sofort wieder, als er in ihr Gesicht sah. Sie nickte ihm zu, hochmütig und gelassen, w:e sie ernen Bediensteten ent ließ, dem sie eine Bitte gewahrt hatte. „Ich habe dir geholfen, aber nur unter einer Be- dingung. Hanno gehört mir. Mir ganz allein. Du näherst dich ibm nickt wieöeie/' ÄfGopauer Gonntagsvilatl Beilage rum ÄfGopauer Tageblatt und Anzeiger wär daraus geworden? Eine große Enttäuschung! Seit >er Begegnung mit Glonau mar die Fremdheit -wischen hnen entstanden, und das schweigsame Wandern hatte ie noch vertieft. Meist war der Baron auf dem schmalen öergpfad, der kein Nebenherschreitcn duldete, zwei Schritte vorausgegangen,' dann durfte sie wieder den Rucksack bewundern. Sie war regelrecht in Wut geraten. Und wenn er sich nach ihr umsah, eine besorgte Frage im Blick, verbarg sitz ihren Gemütszustand nicht im geringsten. Dann forscht« er in ihrem Gesicht und fragte, ob sie müde sei und rasten wolle. Ihre Gereiztheit war so groß, daß sie nicht- weiter fand alS ein schroffes Nein. Ie höher sie kamen, desto besser fügte er sich in da- Bild. Das wär die Welt, in die Goltzbammer gehörte« Blitzartig begriff Almut, was seiner Persönlichkeit so viel Geschlossenheit und Ruhe verlieh. Es war die Ueber« einstimmung seines alten Blutes mit dieser großen Natur. Einmal hatten sie tn der Wand gegenüber ein Rudes Gemsen ausgescheucht. Da vergaß der Baron ihre schlecht« Laune und ze gte ihr das flüchtende Hochwild. „Sehen Siel Sehen Sie nur!" Aber Almut hatte verstohlen die Linien seines Profil- betrachtet, das fick schar vom kobaltblauen Himmel ab hob. Herzklopfeno war hr plötzlich zum Bewußtsein ge kommen, wie allein sie mit ihm war, mitten in des Felsenwildnis. Sie überschlug in Gedanken die Män<> ner, die sie kannte, Gesichter tauchten auf vor ihr, die sis wie zur Prüfung an ihre Seite versetzte. Jedes nahm den Ausdruck der Leidenschaft an. Alle hätten Kiess Stunde genützt. Eine nacyoenrucye Trimme >pram neoen ryr: „Immer, wenn ich Hochwild sehe, danke ich Gott, -aß es so etwach Noch gibt. Die Täler sind zu laut geworden. Das Wun, der kann man nur noch auf den Bergen erleben." Dann war er weitergegaWen mit seinem beragewohn« ten Schritt. Man sah, der Weg war Kinderspiel für ihn. Ich wünschte ihm nichts als meine müden Beine! Almut warf sich zur Wand herum und versuchte, end lich zu schlafen. Ihr Kops glühte. Satte sie Fieber- Wurde sie krank? Der Höhenunterschied machte ihr zu schassen. Der Föhn hatte nun alle Register gezogen und heulte seine endlosen Klagen ums Haus. Das riß an ihren Nerven, daß ihr die Dunkelheit unerträglich wurde. Ein Kerzenstümpfchen klebte auf dem kleinen Tisch neben ihrem Bett, daS wußte sie. Aufgeregt tastete stq nach den Streichhölzern und fand sie nicht. Da begann, sie wütend und gereizt zu schluchzen. Sie ahnte nicht, daß jeder Laut durch die dünnen Wände drang. Plötz lich schrak sie zusammen und horchte auf. Ein Pochen an der Holzwand, dicht an ihrem Ohr, ließ sie verstummen« „Fehlt etwas? Sind Sie krank?" Sie erkannte die Stimme sofort. Mein Gott! dachts sie, ich habe mich kindisch benommen, und er hat es ge hört. Sie lag ganz still und rührte sich nicht. Aber ep ließ nicht locker. „Geben Sie doch Antwort! Sind Sie krank?" „Nein — nur -er Sturm — dieser gräßliche Sturm —" ' Sie hörte sein Lachen, das sie beruhigen wollte, und lächelte in die Dunkelheit. „Der Sturm hat gar nichts zu sagen. Sie hatten eine« Anfall von Föhnkrankheit, das ist alles! Jetzt müssen Sie schlafen!" . . „Jal" sagte sie gehorsam. „Gute Nacht!" , „Gute Nacht!" Almut atmete plötzlich leichter. Es war, als hätte ihr jemand eine schützende Decke übergeworfen, die sie nicht mehr drückte und nicht mehr stach, die sie nur einhüllte in Wärme und Geborgenheit. Zufrieden schloß sic die Klugen und schlief nach wenigen Minuten ein. Am anderen Morgen regnete es in Strömen. Die Dachtraufe plätscherte so lebhaft, daß Almut früh er wachte und mißmutig in den grauen Tag blinzelte. Nebelfetzen jagten am offenen Fenster vorüber, es war jempsindlich kalt. „Regen? O weh!" Gleichzeitig spürte sie, daß ihre Lippen merkwürdig hart waren und ihre Gcstchtsmuskeln fast unbeweglich wie auS Holz. Sie erschrak und sprang auf, den Taschen- spiezel zu suchen. „Mein Gott! Ich sehe furchtbar aus!" Minutenlang stand sie wie erstarrt und beschaute die Verheerungen, die der Sonnenbrand ihrer gepflegten Schönheit zugefügt hatte. Rücksichtslos war der Berg mit ihr verfahren. BiS zum Halsansah schälte sich die Haut. Almut warf den Spiegel von sich. Sie kauerte auf dem Bettrand, die Beine angezogen, schauernd in -cm dünnen Schlafanzug. Die kühle Regenluft, die durch daS Fenster strömte, brachte eine tiefe Ernuchte- rnn" mit sich. P ötzlich erschien ihr alles sinnlos: diese abenteuerlich« Bergfahrt mit einem Menschen, den sie kaum kannte, ihre ungewohnte Hilflosigkeit und Scheu vor diesen trewden Luaen. Lie ko küüt aeworden waren. Die Ver«