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2. Beiblatt zum Zfchopauer La^edtatt unb Anzrtsrr S»,,n»dei.S, S Februar ÄUM siebenten Tas Vas Kin!' PHMe« i« Weinkellern Etu Besuch bei« reisenden Rebensaft tern, der ohne Aufsicht stand. Da rissen sich die Pferde los, bäumten auf in der Deichsel, tanzten im Kreise und galop- lierten, wild geworden, querfeldein, über Steine und Knollen, durch Geröll und Ackerfurchen, — die Eltern stürzten ver zweifel: ans Fenster, und Weine! schrie sich die Kehle blutig, das tobende Gespann zum Halten zu bringen. Umsonst, die stürmten aus dem Waaen klammerte sich das Kind — Da holte Wenzel das Fahrrad und raste nur ihm seitwärts über die Landstraße, den Tieren den Weg zu verstellen. DaS kühne Werk gelang, nach einer halben Stunde kam Wenzel zurück, richtS die triefenden Rappen führend, links dal geschundene Kind, das bleich war vom Schrecken und jämmev lich weinte! Glückliche Eltern trotz Angst und Entsetzen, wir könne» es glauben. Wenzel mußte zu ihnen ins Haus, die Arbeiter warteten vor der Tür, sie nannten ihren Kameraden eine» braven Mann und freuten sich, seinesgleichen zu sein. Mittags, die Arbeit ruhte, Eier gab es mit Speckkartoffeln, saß Wenzel daheim und zog ein Gesicht. Obwohl seine Frau das Freuen hatte. Obwohl doch der Morgen mit Schutzengeln dreifach gesegnet schien. Nein, Wenzel war ernst, das Esse« schmeckte fad, und der Kopf stützte sich schwer auf die Faust. „Wenzel, was haste? Alle sind froh, du solltest pfeife» vor Spaß, nun hockste da wie das Unglück leibhaftig —!" „Wer traurig ist, kann nit spaßen, Frau. Hab Erbarmen mit mir, es ist mir elend zumul...." So hatte Wenzel noch nie gesprochen. Doch: Einmal schon, lang war eS her, damals hatte er sein eigen Kind am Scharlach verloren. Also setzte sich die Frau neben ihn, legte den Arm um seine Schultern: „Hab Zutrauen, Mann. Mir kannste alles sagen!" Da holte der Wenzel einen Seufzer hervor, von ganz tief unten: „Denk dir, ich hab die Ilse gereitet, lieber Gott, bas Kind mag ich so gern; aber die Mutter —? Was hat die Mutter niir angetan? Hör: Geld Hal sic mir gegeben! Zehn Mark! Hier!" Auf dem Eßtisch klimperten zwei Silbcrstücke, tanzten uinher, rollten sich aus und lagen dann flach als blanke» Gesindel. Da blieb auch der Wcnzelin die Sprache stecken. Und weil den Frauen das Weinen näher ist als den Männern, hob sie die Schürze vors Gesicht, schluchzte hinein, bitterlich gar und niit kämpfender Seele... Nach Feierabend, die Maschinen ruhten, vom Himmel rieselte Regen, zog Wenzel den blauen Anzug an und di» Frau das Seidene. Das Paar ging hinüber zu Ilses Eltern haus, sie scharrten die Schuhe ab und fanden die junge Mutter. „Schauen Sie", meinte Wenzel, er mußte oft schlucken dabei, „schauen Sie, üppig geht's mir eben nit, dies Geld aber hat uns wehgetan. Nehmen Sie's zurück, dann ist wieder Frieden " Die junge Mutter zuckte, in den Fingern das Silber hal tend. Still wurde es zwischen den Menschen, doch geschah in dieser Stille etwas Tiefes, ein Nachdenken gar, wir wollen es grüßen. Und dann reichten sich alle die Hände, ganz fest, meine Lieben, indes die junge Mutter sagte: „Ich schäme mich sehr, lieber Freund, ja, ich schäme mich ganz im Herzen " Es war jedem zumul, als wären sie miteinander ein Stück von der Stelle gekommen. „Ich hübe die FWW Men!" Sptelßnk »a Kdidmi Mmt Don K. v. Philippoff. Es ist zehn Uhr früh, und Hunderte von Besuchern fchreiren bereits gelangweilt hin und her, obwohl die Kinder Niemals vor 10.30 Uhr zu ihrer Spielstunde herauskommen. Aber indessen gibt es auch so genug Abwechslung, denn in einer Ecke steht eine Bude mit Erfrischungen, bewirtschaftet von den praktisch veranlagten „weisen" Frauen, weiter die Fünflinge gesehen haben, noch ehe Oc Dafoe gerufen wurde. Querüber, auf der anderen Seite der Straße, steht eine "ssdere Bude, die sich der Vater der Fünflinge halt, und er wird Ihnen gegen eine kleine Gebühr das Bild der Fünflinge mit eigenhändiger Unterschrift versehen. Dreißig Meter weiter gibt es noch eine Bude, deren Besitzer einer anderen Linie der Familie Dionne angehört — man braucht ja bloß den Namen Dionne zu tragen, um eine« Geschäftes in Lallander sicher ru 1 Herbst und Weinjahr sind vergangen, der Glanz der Ober welt hat ausgespielt, und die Nahe blinkt von acherontischem Schein. Da ist es gut, in sich zu gehen und hinabzusteigen in die Süße des Sommergedankens. Was oben war, muß unten jein — was lange im Licht lebte, muß seine Zeit in Dunkelheit verbringen. Aus dem Schoß der Erde geistete der Saft in die Traube, dann den umgekehrten Weg nehmend, sank er aus der Traube in die Erde hinab, unter die Erde — in die Keller. Der Weinkeller ist das steinerne Grab des Sommersaftes, die Krypta, aus der einst der geklärte Geist seligmachend wieder aufsteigen wird in den Tag und in die Weltlust der Zecher. Erne geschwärzte, schattendunkle alchimistische Küche ist der Keller, und geprüfte Weisheit gehört dazu, den Wein in den hölzernen Retorten zu schaffen. Weinpflege ist Welt- lchöpfung: edler Wein hat große Leidenschaft, hohes Feuer, strahlende Bilder und Begeisterung in sich. Der Wein ist ein Kunstwerk. Aber zur Hölle mit allen Verkünstelungen und Verkünstlern! Große Weinmeister, die gar nicht so häufig sind, ahnen etwas von Tod und Leben, von Geburt und Auf erstehung. Und man hat an der Nahe ein paar kenncngelernt, die mit zauberschaffender Kraft begybt sind und die besungen werden müßten. Als man einst die Eisenbahn baute, die von Bingerbrück nach Paris läuft, trieben die Werkleute in Bad Kreuznach tiefe, waagerechte Stollen in den Porphyrberg, den das grüne und goldene Fell der Nebe fleckt und betupft. Sie brachen die Blöcke und ließen steinkühle Korridore zurück. Wunderbare Keller! Der Berg hatte schon immer Weingedanken gehabt. Weinlaub und Trauben auf Schulter und Nacken, nun bekam er auch noch Stückfässer in den Felsenbauch gestapelt. Das Ohr, im Gärkeller an die Daubenwand gepreßt, vernimmt die geheime Saga der Rebe, den dunkeln Lebens- gesang, der sich von irdischer Trübung freimurmelt, freisingt. Mit verworrener Stimme redet und gluckert die Urmaterie. Das Weinchaos schluchzt, poltert in den Fässern. Hinter der mondrunden Eichenwand spielt das Geheimnis, arbeitet brausende Geburt, will sich oer Wein gestalten. Sprecht nicht laut, horcht! Der Saftstrom lebt, perlt und wühlt. Dunkle Märe raunt im Holz. Hitze gärt und wallt, rasende Strö mungen münden ineinander. Wie bewegt mag der Spiegel de» Flüssigen jetzt im Faß sein, bewegter als die wintersanfte Nahe letzt rm Talgrund! Im Faß rauschen und wispern noch einmal die verflüchtigten Jahreszeiten: Frühling, Sommer^ Herbst, und die Saure scheidet, strudelt ihr Abschiedslied, während ihr giftiger Atem oben aus dem Steingutventil des Spundes stößt. Wie ein lebendiger Leib mutet das Gärfaß an, «nd auch das weingeheiligte Eichenholz ist noch lebendig und fühlt turk. Faß ruht bei Faß, halbe Stückfäffer, ganze Stückfässer, mächnae Wernmütter. Weiß keiner ein liebevolles Wort für Zclmüe M« Mskilos! Neuere Untersuchungen, die in tropischen Ländern durch- gcführt wurden, haben ergeben, daß Moskitos eine offensicht liche Abneigung gegen Stoffe aus Zellwolle bezeigen. ES sollen sogar schon Moskitonetze aus reiner Zellwolle hergestellt worden sein. Angeblich schützt Zellwolle gegen Moskitostiche und bildet somit ein nicht zu unterschätzendes Mittel gegen die Gefahr einer Uebertragung von Krankheiten, MM... Erzählung von Heinz Steguweit. Wer die Kunst des ZiegelbackenS kennt, der weiß, daß die lehmige Erde in Holzformen zu Steinen gestrichen, sei eS mit der Hand, sei es mit oer Maschine, ein sinnvolles Gleichnis beschert: Nur diejenigen Steine, die vom Feuer gründlich ge brannt wurden, sind später tauglich zum Bauen, was sich aber am Rande drückte, fällt rasch auseinander. Genug. In solch einer Ziegelei arbeitete Wenzel, oer Steinebäcker. Ich will nicht erzählen, wie emsig er gewesen ist und wie sauber er sein Werk verstanden hat; berichten will, ich nur, daß er täglich ein Menschenkind an der Seite hatte, dem alle Arbeit noch ein Spielen schien und das Ziegelbacken ein Zeitvertreib. Dieses Kuid hieß Ilse, sechs Jahre alt, Tochter jener Leute, die das Ziegelwerk ihr eigen nannten. Ilse wurde aus der Schiebkarre gefahren, Ilse durfte Kuchen backen aus Sand, Ilse ritt auf dem Knie und streichelte Wenzels Katze so lange, bis das Tier einen Buckel bog. 1 Eines Abends saß Wenzel daheim, die Lampe schaukelte und die Linsensuppe schmeckte wohl gut. Spät war es, Wolken flogen, der Mond beschien ihre Ränder. „Schau", sagte Wen zel zu seiner Frau und wischte am Schnäuzer, „schau, so ein Kind müßten wir haben; denn wie lange noch, und die Ilse wird ein Mädchen, dann ist es nicht mehr weit bis zur Dame!" Wenzels Frau nickte. Sie begriff das letzte und sclnuue hinter jedes Wort. Da legte sie den Löffel hin: „Hast recht, e» ist was daran, daß wir scheu sind vor dem Haus, für das mir arbeiten. Noch kommt das Kind zu uns, noch nascht es mir vom Tisch, drum hast du es lieb. In fünf Jahren aber wird es fremd tun, — schade!" An diesem Abend sprach man nichts mehr miteinander. Wenzel tat, als läse er die Zeitung, doch waren die Gedanke« unterwegs, hierhin und dorthinaus, nicht grollend, sonder« bedrückt, es geschah einiges mehr im Gemüt, als sich in Wor ten formen ließ. Und Wenzels Frau wippte mit den Strick hölzern, zwei Maschen links, zwei Maschen rechts, ein Jäckchen sollte daraus werden, natürlich kür Ilse, die Heuer noch Kind war und wunderbar reinen Gewissens. Neber den Boden rollt« das Knäuel, drolliges Spielwerk siir die Kaye... Wie das oft ist im Leben: und vieles bleibt ein Rätsel zwischen Sonne und Erde: Man hatte Vorabends von Ilse gesprochen, zu heißen Herzens vielleicht, — schon ließ der nächste Tag etwas geschehen, was viel Schrecken entzündetet Das Kind war abseits gelaufen, auf den Ziegelwagsn zu klet- sein. Hier kosten Getränke das Doppelte vom.übrigen Preis, und Ihr Schinkenbrot zu 25 Cents ist so dünn, daß es vom frischen kanadischen Winde weggefegt zu werden droht, wenn Sie nicht schützend Ihren Zeigefinger darauf legen, aber — Potzteufel! — wir sind ja hier, um die Fünflinge zu sehen, und was geht uns schon der kleine Mehrpreis an! . . - „Da sind sie!" Zwei-, drei-, vierhundert Augenpaare sehen auf die Arm banduhren. Aufmerksam folgt man den Zeigern, die sich 10.30 Uhr zu bewegen. Mit durchdringenden Stimmen Preisen Jungen Klebezettel an für die Windschutzscheibe und Wimpel mit oer Aufschrift „Ich habe die Fünflinge gesehen!" Eine blaugekleidete Schwester erscheint mit einem Arm voll Spiel zeug, schon keucht die Menge vor Aufregung. Nun kommt auch ein Polizist aus dem Kinderheim uno stutzt die Tür mit einem Stein ab. Eine zweite Schwester erscheint. Die Menge hält den Atem an. Dann ein Seufzer, tief und bewegt. Dann ein Aufschrei: „Da sind sie!" Wir spiele« mit fünf Kindern. Fünf winzige Menschenkinder schreiten langsam aus dem Portal des Heimes. Zunächst Avonne — der neben uns stehende Polizist ruft die Namen laut aus — dann Cecile, Emilie, Marie und Annette. Auf einmal verlieren sie ihre Würde, sie laufen ihren Spielzeugen zu. Ein Streit zwischen Cecile und Emilie wegen einer Puppe... Annette stolpert und fällt... steht aber lachend wieder auf. Die Verschlüsse der Klappkameras knacken... Die Schmal- filmgcräte surren... Wie im Fluge vergeht die Zeit. Die Minutenzeiger der Armbanduhren haben bereits eine ganze Runde gemacht, die sechzig Minuten sind um. Es hat schon ein halbes Dutzend Auseinandersetzungen zwischen den Mädels gegeben. Die Schwestern haben vollauf zu tun gehabt, um als Schiedsrichter dazwischenzutreten, vr. Dafoe ist für kurze Zeit auf die Wiese gekommen, die Kinder schwärmen um ihn, schnattern in ihrem Französisch. Der Landarzt antwortet ihnen ebenfalls auf französisch. Viele Hunderte von Bildern sind ausgenommen worden, aber die Entfernung beträgt volle dreißig Meter, und nur wenige werden Wohl gut ausfallen. Uebrigens verhalten sich ja die Kinder auch keinen Augen blick ruhig. „Sind sie nicht köstlich?" Nehmen Sie das lieblichste dreieinhalbjährige Kind, da» Sie kennen und multiplizieren Sie eS mit fünf — dann er halten Sie die Dionne-Fünflinge. Fünf ergötzliche kleine Menschenkinder, die genau erst da» Alter erreicht haben, da sie dessen bewußt werden, daß sie der Blickpunkt und die Augenweide eine» Erdteils, die größte Sensation der Neuen Welt sind. Die klein«, an einer Straßen kreuzung gelegene Stadt Callanderim kanadischen Staate Ontario ist heute da» Mekka für Tausende. Im vergangenen Jahre standen mehr als 800 000 Menschen sprachlos vor Er staunen und betrachteten diese kleinen Menschlein; im kom menden Jahr erwartet die Verkehrspolizei eine doppelte Zahl von Besuchern. Maschinerpsitoleu für ei« Kinderheim. Ein Polizist läßt unS die Hauptstraße verlassen, an der wir Kraftwagen aus allen Teilen Nordamerikas angetroffen haben, und an den die Straße umsäumenden Buden vorbei, deren Besitzer wie verrückt schreien und die merkwürdigsten Andenken feilbieten, erreichen wir die glitzernde Weite deS Nipissing-Sees. Wiederum folgen wir der Weisung eines Polizeibeamten, wir biegen in eine Seitenstraße ein uno sehen ein bescheidenes weißes Haus. Es ist daS Haus von vc Allan Roy Dafoe, dem berühmten Landarzt, der die Fünflinge seit ihrem Eintritt in diese Welt betreut. Es gab eine Zeit, da der alte grauhaarige Doktor viele Stunden in seinem schön gepflegten Garten müßig verweilen konnte. Diese Zeit ist aber längst vorbei... Heute verbringt er den ganzen Tag in einem neuerrichte, ten, weiß-grün gestrichenen Kinderheim, das drei Kilometer weit entfernt liegt und über eine gewundene Straße zu er reichen ist. Dort wohnen die Fünflinae. Dieses Kinderheim wird so sorgfältig bewacht wie kaum ein anderes HauS in allen fünf Erdteilen. Polizeibeamte mit achtunggebietenden Maschinenpistolen an den Hüften, zwängen sich in Vie Menschenmassen ein, die sich vor dem Hause ver sammelt haben. Die Regierung unterläßt eben nichts, um die von Zeit zu Zeit angedrohten Kinderraubversuche zu ver- rileln. Vater Dionne gibt Autogramme. sie? Sie bergen ihr Kindlein. Manche Fässer sind rund, manche oval. Sind die runden rheinisch, die ovalen fränkisch? Und schön gewölbt, die Rundung des Fasses im Felsen wieder, holend, eine schmeichelnde Linie, schimmert altfeucht die Bogen- decke des Kellers. Die Kellerluft ist etwas lind und warm. Der neue Wein darf nicht erschrecken, ein kalter Hauch würve ihn gefährden. Die schaffende Hefe stürbe und könnte das Werk nicht verrichten: die Spaltung des Stoffes. Sie teilt und verteilt. Dazu will sie fünfzehn bis siebzehn Grad Wärme haben Mit gewaltiger Kraft zerreißt sie den Zucker, Alkohol und Kohlensäure bereitend. Unter solcherlei Mühen und Prüfungen wächst der Jung- Wein heran und überwindet die dumpfe Kindheit. Die Hefe gleitet aus seinem Wesen und setzt sich zu Boden. Ist es soweit, kommt der Augenblick des Abstichs. Der Abstich ist eine kcller- kultische Handlung. Das Kind wird von der Mutter getrennt. In einem reinen und weingrünen Faß nimmt es Wohnung im Lagerkeller. Hier ist es nicht mehr so warm. Jedes Kind hat eine andre Abschiedszeit: Lage, Art und Keller meister entscheiden. Seid vorsichtig bei der Uebersiedluna, das Kind ist empfindlich! Der Jungwein darf nicht mit der blanken Luft in Berührung kommen, er „schlüge um", trübte sich und wäre verärgert, mißmutig. Hat es sein neues Bett bezogen, dann will ihm Ruhe gegönnt sein, tiefe Ruhe, Schlaf, ein guter, gesunder Jungweinschlaf. Im Schlaf entwickelt sich die Seele, m der Rube formt sich der Geist. Sind diese Regungen, Seele und Geist, geweckt, tut der Iungwein abermals eine kleine Reise: er bezieht ein neues Faß. So wechselt er Bett und Haus, seine letzten Schwächen verlierend. Endlich ist er fertig, ausgebgpt, flaschenreif. Er ist schön und fein geworden, doch noch nicht vollendet. In der Flasche nimmt er den letzten Schliff an, hier muß sich seine Natur bewähren, er ist nun ganz auf sich selbst gestellt. AuS dem Kind ist ein Jüngling geworden, der in seine Manneszeit hineinreift. In seinem Burt wohnt der Zander des Nahetals, die Fülle der Frucht und die Lieblichkeit der Blume. Wird er seinen großen Ahnen, deren Namen er auf dein Flaschenbild trägt, würdig sein? Wird man ihn rühmen und preisen, mit Freude trinken? Sicherlich wird er, aus dem Geschlecht 1937 hervorgegangen, seinen Weg machen. Die Kellermeister haben ein andres Temperament als die Zecher, sie sind die Väter der Geduld. Sie kennen die Span nung, aber auch den Lohn des Wartenkönnens. Für den jo wichtigen Abstich haben sie einen guten Spruch: Mit dem ersten nicht eilen, mit dem zweiten nicht verweilen! Aber die Zecher kümmern sich nicht darum. Und während oben im Tag die Nahe, ihr Weinfluß, langsam vorüberrinnt, ! halten sie schon beim dritten Glas und blicken berückt in den goldenen Krötenpfuhl 1934, dessen Spiegel sinkt und wie ein Blitz ihres Sommers verschwindet. Behutsam führen die Schwestern die Kinder wieder heim. Die Menge wendet sich den Erfrischungsbuden zu. Ein Dutzend Autogrammjäger stürzt sich auf Ör. Dafoe, sobald er seinen kleinen, bescheidenen Wagen besteigen will. Die Gesichter der Polizcibeamten zeigen Entspannung; wieder einmal ist eine „Vorführung" ohne Zwischenfall verlaufen. Eine knochendürre Frau steht neben einem Wagen mit dem Kennzeichen des Staates Kansas. Unaussprechliche Rüh rung leuchtet aus ihren Augen. Sie hat die knorrigen Hände gefaltet, und wenn man an ihr vorbcikommt, hört man sie in den Wind murmeln: „Sind sie nicht köstlich?"