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ZUR ENFUHRUNG KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Dienstag, den 21. November 1967, 20 Uhr Dirigent: Kurt Masur Johann Sebastian Bach Konzert für Vio ine und Streichorchester 685-1750 Allegro assai PAUSE Johannes Brahms 1833- 897 Der erste Satz von Johann Sebastian Bachs Konzert für Vio ¬ line und Streichorchester a-Moll (BWV 1041) zeigt besonders eindringlich die für den Konzertstil des großen deutschen Barockmeisters typische geniale Verschmelzung, motivische Verzahnung von Soli- und Tuttipartien. Ein energisches Thema prägt den Charakter des Einleitungstuttis. Das erste Motiv davon greift der Solist variiert auf, um im Verlaufe des Satzes noch weitere mo ¬ tivische Gedanken ins Spiel zu bringen. Der unerhört straffe, logische Aufbau des Ganzen, die gedrängte, dichte motivische Arbeit der Komposition, von der ein Eindruck geballter Energie ausgeht, faszinieren den Hörer spontan. Im lang ¬ samen Mittelsatz wird ein eindringlich wiederholtes Baßmotiv (Basso ostinato) vom Orchestertutti allein siebenmal vorgetragen. Weitere sechsmal erscheint es als Untergrund eines gefühlsreichen Themas, das die Solovioline figurativ aus ¬ breitet. Zügig-drängend gibt sich der Schlußsatz, eine stilisierte Gigue. Ei Steigerung des musikalischen Geschehens ist in der Satzmitte zu beobachten, bis zum etzten virtuosen Vio inso o. Ludwig van Beethovens einziges Violinkonzert D-Dur op. 61 aus dem Jahre 1806 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft mit der vierten Sin ¬ fonie, dem vierten Klavierkonzert und den Rasumowski-Quartetten. Das Konzert. das wohl das bedeutendste dieser Gattung überhaupt ist, demzufolge zu den Standardwerken der Violinliteratur gehört, hatte Beethoven für den Konzertmei ster des Theaters an der Wien, Franz Clement, komponiert, der es auch am 23. Dezember 1806 uraufführte, ohne allerdings damit eine restlos befriedigende Resonanz bei der Kritik finden zu können. In einzigartiger Weise sind im Beet- hovenschen Violinkonzert die ganz eigenen Möglichkeiten des Instrumentes er faßt. Das Werk ist lyrisch, gefühlsbetont und ist als erstes seiner Art zum Prüf ¬ stein geigerischer Kunst geworden, obwohl es eigentlich nur im Finale ausge ¬ sprochene Virtuosität fordert. Vollendung der Form, Tiefe und Schönheit der Gedanken, idealer Ausdruck klassischen Humanismus — das sind Vorzüge des Werkes, das bei aller Universalität des zur Darstellung gelangenden Weltbildes jedoch mehr zu gelassener Ausgewogenheit als zur Überwindung dialektischer Spannungen neigt. Vier leise Paukenschläge, die im ganzen Satzverlauf späterhin motivische Bedeutung haben, eröffnen die Orchestereinleitung des ersten Satzes (Allegro ma non troppo), die das thematische Material mit sinfonisch Impulsivität an das Soloinstrument weitergibt. Zwei Themen werden entwickelt In den Oboen, Klarinetten und Fagotten erklingt zunächst das gesang ¬ volle Hauptthema, dem nach einem energischen Zwischensatz ein zweites lyri sches D-Dur-Thema der Holzbläser von bezaubernder Schlichtheit folgt. Nach der Entwicklung dieses Themas, die zu einem kraftvollen Höhepunkt mit einer neuen, daraus hervorwachsenden Melodie führt, setzt die Sologeige, zurückhal ¬ tend von Bläsern und Pauken begleitet, mit leichter Abwandlung des Hauptthe ¬ mas in hoher Lage ein. Und nun beginnt ein herrlicher Zwiegesang mit dem Orchester. In kaum zu beschreibender Schönheit fließt der Klang der Sologeige über dem Orchester hin oder begleitet es mit beseelten Passagen. Auch nach einem zweiten kräftigen Orchestertutti setzt sich der verklärte, melodische Ge ¬ sang des Soloinstruments fort. Nach der Durchführung kehren in der Reprise die musikalischen Haupt- und Nebengedanken wieder, vom Orchester wesent ¬ lich getragen. Figurenreich ist der Part der Violine, der schließlich in die Solo- Montag, den 20. November 1967, 20 Uhr (öffentliche Generalprobe) Ludwig van Beethoven 1770- 827 Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61 Allegro ma non troppo Larghetto Rondo (Allegro) a-Moll BWV 1041) Allegro Andante So ist: Henryk Szeryng, Mexiko, Violine HENRYK SZERYNG, der in Warschau Gebürtige, seit 1946 mexikanischer Staatsbürger, gehört wie David Oistrach, Yehudi Menuhin und Isaac Stern zur internationalen Spitzenklasse der Geiger unserer Tage. Achtjährig - bis dahin von der Mutter musikalisch unterwiesen - Carl Flesch nach Berlin und gab im Jahre 1933 als Zwölfjähriger sein kam er als Schüler von Debüt. 1934 bis 1939 studierte er Komposition bei Nadja Boulanger in Paris. Sein öffent iches dieser Zeit Jacques Thibaud. Nach dem zweiten Weltkrieg führten ihn Violinlehrer war in nach Südamerika, den Karibischen Ländern und nach Mexiko, was zu einer Gastspielreisen an dieses Land führte. Er lehrt jährlich zwei Monate an der mexikanischen engen Bindung Nationaluniversität. Seit 1952 unternimmt Henryk Szeryng jährlich ausgedehnte Gastspielreisen durch alle Musikzentren der Welt und erfreut sich seitdem des Rufes, einer der erfolgreichsten Violinisten der Gegenwart zu sein. Er konzertierte mit den bedeutendsten Sinfonieorchestern Auch seine Soloabende sind in aller Welt gefragt. Erstmalig in die DDR ge- □ er Länder. kommen, musiziert der Künstler mit der Dresdner Philharmonie und — im Anschluß an seinen Dresdner Auftritt — mit dem Leipziger Gewandhausorchester. Viermal wurden Schallplatten produktionen von ihm mit dem Grand Prix du Disque ausgezeichnet: 1955 seine Interpretation der Solosonaten und Partiten von Bach, 1957 das zweite Violinkonzert von Prokofjew, 1950 das Violinkonzert von Brahms und 1961 die Kreutzer-Sonate von Beethoven in der Begleitung von Artur Rubinstein.