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ZUR EINFÜHRUNG Dimitrij Schosta ko wi tsch (geb. 1906) schrieb seine VI. Sinfonie 1939. Sie rief eine lebhafte Diskussion unter den sowjetischen Kritikern hervor, da sie anders wirkte als die große Vorgängerin, seine Fünfte, und weil man von ihm etwas ähnliches wie diese Sinfonie wieder er wartete. Nun war aber die Sechste anders, sie erschreckte durch die krasse Gegenüberstellung zweier grundverschie dener seelischer Zustände, sie überraschte durch eine völlig anders geartete Instrumentation als die vorher gehende Fünfte, sie verblüffte durch formale Eigentüm lichkeiten und Merkwürdigkeiten. Zunächst ist diese Sinfonie nur dreisätzig. Sie beginnt mit einem weit gespannten Largo. Dieses Largo wird von einem Thema gespeist, das sich als eine rezitativartige Melodie vor stellt, die variiert wird. Der ganze Satz ist schwermütig und düster, nachdenklich und schicksalsergeben. Er wirkt wie gedanklich-philosophische Lyrik. Die grüb lerische Koda des Largo beschwört das Bild düsterer Enttäuschung herauf. Aber die beiden folgenden Sätze, das Scherzo und das Finale, löschen durch ihre über schäumende Lebensfreude und Leichtigkeit diesen Ein druck wieder aus. Hier ist der krasse Gegensatz, der zu nächst erschreckte, der aber als dialektisches Moment anzusehen ist, als Darstellung zweier Seelenbezirke. Der zweite Satz ist ein anmutiges, zauberhaftes Scherzo, voll witziger und paradoxer Einfälle. Es schäumt über an Kontrasten der Rhythmen, der Klänge und auch der musikalischen Ideen. Das erste Thema, duftig wie ein Wölkchen und sanft wie ein Lüftchen, erscheint in der Form eines raschen Walzers. Das zweite Thema ist zu rückhaltender, etwas erdhafter wie ein Ländler. Das dritte Thema dagegen ist breit und schwungvoll und hat einen dynamischen Charakter. Das Finale ist Ausdruck überschäumender, gewinnender Lebensfreude und jugendlich-begeisterten Berauscht seins. Schostakowitsch will sagen, daß die Welt schön sei. Das Hauptthema dieses Schlußsatzes erinnert an einen Galopp. Noch sorgloser gibt sich das zweite Thema, das durch die Vorschläge der Holzbläser auffällt, so, als ob Spatzen tschilpten. Es entwickelt sich eine stamp fende, witzige Rhythmik, die in eine stürmische Koda mündet. Interessant ist Schostakowitschs Bemühen,' seine musi kalischen Gedanken lakonisch und kurz auszudrücken und durch eine Beschränkung auf oft nur zwei oder drei Stimmen äußerste Durchsichtigkeit und Leichtigkeit des Klanges zu erzielen. Die Instrumentierung ist deshalb vorwiegend kammermusikalisch. Das volle Orchester (das Tutti) wird verhältnismäßig selten verwendet. Trotz dem klingt alles klar und frisch dank der großen Kunst Schostakowitschs, der mit diesem Werk ebenso beweist, daß er zu den großen Meistern der Gegenwart zu rech nen ist. Ottmar Gerster, der Direktor der Weimarer Musik hochschule, der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Komponisten, der Nationalpreisträger von 1951, ist als Komponist weltbekannt. Der 1897 geborene Hesse, der zu den bedeutendsten Köpfen der Deutschen Demokra tischen Republik gehört, hat mit seiner Oper „Enoch Arden“ einen der größten volkstümlichen Bühnenerfolge der Gegenwart errungen. Mit seinem jüngsten Werk ..Eisenkombinat Ost“, einer großangelegten Kantate, hat sich Gerster der realistischen Kunstauffassung unse rer Zeit zugewandt. Das „Konzert für Violoncello und kleines Orchester“ ist ebenfalls 1951 entstanden. Es besteht aus drei Sätzen. Schon beim ersten Satz fällt die kammermusikalisch durchsichtige Art des Musizierens auf. Mit frischem Zeit maß trägt das Orchester das dreiteilige kurze Thema vor, welches das Solöinstrument sofort aufgreift. Es wird immer nur von wenigen Instrumenten begleitet, die das Violoncello niemals „zudecken“. Ein zweites gesang liches Thema gibt den Solisten die Möglichkeit zur Ent faltung einer schönen Kantilene. Zu bewundern ist nicht nur in diesem Satz, sondern im ganzen Werk eine meister hafte Arbeit, ein bedeutendes handwerkliches Können. Zart, durchsichtig und dabei sehr melodisch beginnt der langsame zweite Satz, in dessen weiteren dramatischen Verlauf das Solocello ein Quintenmotiv entwickelt und durchführt. Die Kadenz des Konzertes ist in diesem zwei ten Satz ans Ende verlegt. Der Schlußsatz läuft in leb haften Halben ab. Das spielerische, virtuose Element spielt in ihm eine große Rolle. Sparsam, und doch auch wieder markant, wird der Solist von dem Kammer orchester begleitet. Mit größter Musizierfreudigkeit und mit erfrischendem musikantischem Schwung endet die ses Werk, das ebenso Zeugnis ablegt von der bedeutenden Meisterschaft und dem starken Talent Ottmar Gersters. Ludwig van Beethoven (1770—1827) schrieb seine Siebente Sinfonie A-Dur, op. 92, im Jahre 1812. Es ist das Jahr, in welchem Napoleon seine entscheidende Niederlage in Rußland erlebt, von der er sich nicht mehr erholt; es ist das Jahr, in dem sich in Spanien aus der Unterdrückung durch die fremden, französischen Er oberer eine revolutionäre Bewegung entwickelt, die sich in der spanischen Verfassung aus diesem Jahre in fol genden Worten ausdrückt: ,,Das spanische Volk ist frei. Die souveräne Gewalt gehört ihrem Wesen nach dem Volke.“ Es ist das Jahr, in dem in England Arbeiter aufstände gegen die Ausbeutung durch die Fabrikanten ausbrachen (die Unruhen in Nottingham), in dem in Deutschland die Industrialisierung wesentliche Fort schritte macht (Krupp in Essen) —• es ist ein Jahr des Tumultes, der Tragödien, des Leides, des Kampfes vieler Menschen um ihre eigene Freiheit. Von diesen Nöten und politischen Ereignissen ist in der siebenten Sinfonie wenig zu spüren. Beethoven hatte gerade in diesen Jahren eine innere Ent wicklung durchgemacht, die ihn von der Außenwelt zur Welt der Phantasie, der inneren Gesichte, hinführte. Leopold Schmidt sagt: ,,Er hatte in sich eine höhere Macht der Musik entdeckt, ihr eigenstes Reich war ihm aufgegangen, in dem sie souverän ist, wo alle Dinge ihr eigenes Leben haben und einer Deutung nicht mehr be dürfen.“ Richard Wagner sah in der Siebenten Sinfonie die „Apotheose des Tanzes“, also eine Verklärung und Idealisierung tänzerischer Zustände. Recht hat er inso fern, als der rhythmische Einfall in diesem Werk vor herrscht, daß er eine bedeutende Rolle im schöpferischen Vorgang spielt. Beethoven ist in dieser Sinfonie Idealist geworden, er hat sich dem Schillerschen Idealismus voll und ganz bingegeben. Der erste Satz beginnt mit einer getragenen, feierlichen Einleitung. Der eigentliche Satz steht im lebhaftesten punktierten Sechsachteltakt, de beide Themen prägt. Dieser Satz endet in einem sieg haften Durchbruch. An Stelle des langsamen Satzes bringt Beethoven, ab weichend vom üblichen Gebrauch, ein Allegretto von verschleierter Melancholie und wehmütiger Verträumt heit. Die weitere Entwicklung dieses Satzes verläuft in der Form der Variation. Das Scherzo steht im schnellsten Tempo, es ist lustig und keck, übermütig und steckt voller Humor. Das sin- geschobene Trio hebt sich durch seine zärtliche Melodie scharf vom Scherzo ab. 1 )er lebhafte Schlußsatz hat ein erstes Thema, in welchem die Hauptbetonung entgegen allem üblichen Gebrauch auf dem unbetonten Taktteil liegt — ebenso ist im vier ten Takt des beschwingten zweiten Themas die Betonung auf dem Nebentaktteil. In einer übermütig-burschikosen Stimmung verläuft dieser Satz, von einer Heiterkeit Beethovens kündend, die in ihm liegen mußte, denn das Entstehungsjahr der Siebenten Sinfonie, 1812, war ein tränenreiches Jahr. Johannes Paul Thilman