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Zur Einführung Beethovens zweite Sinfonie, op. 36, in D-dur gehört zu den geradzahligen Sinfonien, die — eine nicht restlos kliirbare Tatsache — in der Gunst des Publikums hinter seinen ungeradzahligen zurückstehen. Es ist ein freudiges, lebenslustiges Werk, das seltsamer weise im Scmmer 1802 niedergeschrieben ist, in dem Beethoven sein Heiligenstädter Testament verfaßt hat. Man ersieht an dieser Tatsache, welche Höhen und Tiefen der Mensch Beethoven in so kurzen Zeitspannen durchmessen hat. Beethoven bedient sich des von Haydn und Mozart entwickelten und vervollkommneten Sonatengerüstes. Er spricht in der zweiten Sinfonie noch dazu die Tonsprache dieser beiden Meister bei völliger Wahrung seines eigenen Gesichts. Eine große Einleitung geht dem eigentlichen ersten Satz voran, dessen erstes, frisches und sonnig-klares Thema von den Bratschen und Celli vorgetragen wird. Das zweite Thema von Klarinetten und Fagotten geblasen, ist im Charakter dem ersten sehr ver wandt, wodurch dieser Satz eine auffällige Einheitlichkeit erfährt. In der Durchführung ist die Meisterschaft Beethovens schon offensichtlich. Das Larghetto ist eine der liebens würdigsten Erfindungen des Komponisten, der sich seiner Meisterschaft bewußt ist. Das Scherzo (hier noch als ein beschleunigtes Menuett aufgefaßt) zeigt viel Geist und spie lerisch-witzige Lebendigkeit, die sich vor allem dann im Schlußsatz ausleben kann. Dieses gut gelaunte und ausgelassene Stück (in einer Art Rondoform mit Verquickung der Sonatenform geschrieben) sagt nichts vom Beethoven aus, der im selben Jahre, da er dieses lebensbejahende Werk geschaffen hatte, aus der Welt scheiden wollte. Joh. Paul Thilman